Autoindustrie - Comeback der Krise

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Autoindustrie - Comeback der Krise
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Autoindustrie - Comeback der Krise

von Frederik Haber, Neue Internationale 173, Oktober 2012


Im ersten Halbjahr traf es bereits die Hersteller, die v.a. Klein und Mittelklassewagen produzieren. Selbst Europas Branchenführer VW verkaufte ein Prozent weniger als im Vorjahr, baute damit aber seine Marktanteile aus. Die nächst größten Produzenten, Peugeot (-14%), Renault (-17%) GM und Ford (-11%) sowie Fiat (-17%) mussten schon ordentlich Federn lassen. Bei Ford haben 4.000 Beschäftigte schon seit Wochen Kurzarbeit. Peugeot will ein Werk bei Paris schließen und 8.000 Beschäftigte entlassen. Fiat will ein Werk bei Neapel schließen und bei Opel Bochum reißen die Gerüchte über eine Schließung nicht ab. Bis zum Jahresende soll in Bochum, Kaiserslautern und Rüsselsheim auch an 20 Tagen kurz - also nicht - gearbeitet werden.

Dieser Trend hält an und hat jetzt auch die Premiumhersteller erfasst. Bei Audi Neckarsulm stehen in der ersten Oktoberwoche die Bänder still. Daimler, der im ersten Halbjahr noch 4% mehr Autos bauen ließ, überlegt eine Drosselung der Produktion. Betroffen sind auch die Zulieferer, z.B. Bosch. Allein die Kurzarbeit bei Opel zieht 10 andere Firmen mit. Auch wenn keine Zahlen vorliegen, kann man davon ausgehen, dass jetzt auch schon wieder LeiharbeiterInnen nach Hause geschickt werden.

Diese Rückkehr der Krise ist keine Überraschung, selbst bürgerliche Ökonomen haben das vorhergesagt. Es ist offenkundig, dass auch Deutschland nicht lange auf Kosten der anderen Länder boomen kann, wenn die EU und die Eurozone tief in der Rezession sind. Für uns liegen die Ursachen noch tiefer: in der Krise des Systems und im Zwang, überschüssiges Kapital zu vernichten, also Fabriken zu schließen und Millionen zu entlassen. Dieses System ist so krank, dass sein Weiterleben die Existenzen von Millionen kostet.

Dass sich dabei auch die Konkurrenz zwischen den einzelnen Konzernen verschärfen wird, ist klar. Ebenso, dass diese Konkurrenz auf dem Rücken der ArbeiterInnen ausgetragen wird. So hat Daimler angekündigt, eine Milliarde einsparen zu wollen, weil der Gewinn des letzten Jahres von 5,2 Milliarden nicht wieder erreicht wird und die Konkurrenten schon damals besser abgeschnitten haben.

Wer seltsam wenig tut zur Vorbereitung auf die Krise ist die IG Metall. Es gibt Konferenzen zur Seniorenpolitik und zu ganzheitlichen Produktionssystemen. Krise oder Widerstand gegen die Krise? Kein Thema.


Illusionen

So sind die Belegschaften allein mit den neuen Angriffen konfrontiert und die Betriebsräte tun das, was sie in den letzten 10 Jahren gelernt haben: Beschäftigungssicherungs-Verträge vereinbaren - also die Stammbelegschaft auf Kosten der LeiharbeiterInnen u.a. prekär Beschäftigter zu schützen oder die Arbeitszeit unbezahlt zu verlängern. So hat der Betriebsrat beim Filterhersteller Mann und Hummel in Ludwigsburg schon Anfang des Jahres feste Quoten für LeiharbeiterInnen und Befristete vereinbart. So wird denjenigen, die auch nach dem kleinen Tariferfolg der IG Metall nur rund die Hälfte des Tarifs verdienen, das Risiko für die Arbeitsplatz-“Sicherheit“ der Stammbelegschaften aufgebürdet.

Andererseits ist es natürlich utopisch zu glauben, dass mit solchen Opfern Schutz vor wirklichen Schlägen möglich ist. All diese feinen Sicherungsverträge können bei entsprechender wirtschaftlicher Verschlechterung vom Unternehmer gekündigt werden. Schließungen von Werken verhindern sie überhaupt nicht, wie schon die letzte Krise zeigte und die neuerlichen Diskussionen bei Opel Rüsselsheim. Bei Daimler Untertürkheim wird umgekehrt von der Geschäftsleitung die Verlagerung des Motorentyps geplant, für den die Belegschaft in der Beschäftigungssicherung von 2012 verzichten musste.

Gerade angesichts dessen, was die Krise dieses Systems noch bringen wird, wäre es nötig, alle Beschäftigten der Auto-Industrie gegen die Kapitalisten zu vereinen. Ihre Gewerkschaften müssten einen internationalen Solidaritätspakt schließen, denn nirgendwo ist die Produktion so weltumspannend organisiert wie im Fahrzeugbau. Deshalb wird der Kampf gegen jede Entlassung und für Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, für die Integration aller prekär Beschäftigten und Angleichung der Löhne nach oben, auch schnell die Frage aufwerfen, wer die Kontrolle über diese Industrie hat, über Produkte und Produktion. Arbeiterkontrolle der Fabriken wird auch eine internationale Kooperation der Fabrikkomitees erfordern.

Das ist keine Kleinigkeit. Das darf aber kein Vorwand sein, heute die Kapitalisten die massiven Verwüstungen durchzuführen zu lassen, die anstehen. Sie sind nur das Kehrbild von jenen Milliarden an Ressourcen, die in parallele Entwicklung und Produktion gesteckt werden.


Welche Zukunft?

Die Krise der Autoindustrie tritt mit der nächsten Rezession nicht zufällig erneut in den Mittelpunkt. Schon nach dem Einbruch der Weltwirtschaft 2008-10 konnten viele Konzerne - v.a. General Motors in den USA - nur durch staatliche Milliardenstützungen überleben. Auch der Absatz der deutschen „Exportweltmeister“ wurde mit der Abwrackprämie subventioniert - auf Kosten der Steuerzahler.

Schon vor der Krise gab es in der Autoindustrie gewaltige Überkapazitäten und Überproduktion, die nun in einen brutalen Verdrängungswettbewerb münden, bei dem auch große Monopole auf der Strecke zu bleiben drohen. Gleichzeitig ist auch klar, dass eine weitere Förderung des individuellen Verkehrs, die Ankurbelung des Absatzes für private PKW nicht nur das Problem der Überkapazitäten nicht löst, sondern „bestenfalls“ vertagt. Es ist zugleich auch ökologischer Wahnsinn.

Daher erhebt sich im Kampf gegen die Entlassungen nicht nur die Frage von entschädigungsloser Enteignung, Arbeitszeitverkürzung und Arbeiterkontrolle. Jede längerfristige Perspektive muss auch die Zukunftsinteressen der Lohnabhängigen, ja der Menschheit im Blick haben. Daher gilt es, die Frage der Enteignung mit jener der Reorganisation des gesamten Verkehrssystems gemäß den Mobilitätserfordernissen der Bevölkerung und dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit zu verbinden. Das freilich ist nicht zu haben, solange in der Autoindustrie wie in der gesamten Verkehrstechnik und Planung der Run nach Profit über allem steht.


Quelle:  Gruppe Arbeitermacht - deutsche Sektion der Liga für die 5. Internationale

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Krise des Wirtschaftssystems

Automobilindustrie als Trendsetter der Krise

 

Die Automobilindustrie befand sich in den letzten zehn Jahren niemals außerhalb einer Krise. Wer das glaubte, muß ganz schön naiv gewesen und auf Propagandageschwätz hereingefallen sein. Das gleiche gilt für die meisten anderen Wirtschaftszweige wie die EU und den Euro, die den gleichen Weg gehen werden - nämlich den Bach herunter. Man hat uns so lange mit Schönrednerei und getürkten Statistiken sowie mit Milliarden- und Billionen-Rechenkunststücken, Schiebereien und Schattenhaushalten hinters Licht geführt, daß die meisten - selbst die sog. Intelligenzia diesem Lügengewäsch auf den Leim gegangen sind. Deshalb werden die Gutgläubigen in Kürze aus allen Wolkenkuckucksheimen herausfallen und sich die Augen reiben.

Die Thematik des Selbstbetrugs von Gewerkschaften und Arbeitnehmern, wenn sie träumen, sie könnten mit Zugeständnissen an die Arbeitgeber ihr vom Wirtschaftssystem vorbestimmtes Schicksal ändern, kommt immer wieder auf den Tisch. Dies so lange, wie die Betroffenen nicht aus der Vergangenheit lernen und sie an die Fiktion glauben, sie könnten mit Verhandlungen etwas erreichen. Auch in diesem Falle haben wir es mit dem Typus des "kleineren Übels" zu tun, das allenfalls als aufschiebender Faktor wirkt. Vor kurzem wurde von mir ein Leserbrief in der Rhein-Zeitung, Koblenz, zu diesem Kontext veröffentlicht. Hier ein kleiner Auszug daraus:

 

Der Bürger im Würgegriff von Politik und Wirtschaft

... Die erste Meldung ist diejenige um die ständige Forderung des Huhtamaki-Konzerns nach „alternativlosen“ Umstrukturierungen im Werk Alf/Mosel. Allen bereits in den letzten Jahren von Belegschaft und Gewerkschaft eingeräumten Zugeständnissen in Form von Einverständnissen zu Entlassungen von Hunderten von Arbeitnehmern, Erweiterung der Arbeitszeit und erheblichen Lohnkürzungen zum Trotz, dreht sich die Spirale weiter. Das Unternehmen kann den Hals nicht voll genug bekommen, um  Kosten zu sparen und damit die Gewinne zu erhöhen. 
 
Wer der Illusion unterliegt, mit diesen Zugeständnissen sei der Niedergang des Werkes Alf aufzuhalten, der muß schon ein ziemlicher Träumer sein, denn sie haben nichts bewirkt – außer einer Verzögerung des Prozesses. Seit Jahrzehnten müssen wir erfahren, daß „unser“ rein auf Profiterzielung aufgebautes Wirtschaftssystem unbarmherzig hinsichtlich menschlicher Bedürfnisse reagiert und weiter konsequent die Daumenschrauben anzieht, Kosten senkt und rationalisiert – unabhängig davon, ob sich die Arbeitnehmer verhandlungsbereit zeigen oder nicht.
 
Unternehmen handeln, wie sie handeln müssen: nach den ungeschriebenen Gesetzen des Marktes. Solange diese nicht revidiert werden, wird die zukünftige Entwicklung ausschließlich zu Lasten der Menschen ausgetragen. Wir Bürger sind mitverantwortlich dafür, daß wir durch unser (Wahl-)Verhalten diejenigen Politiker und Parteien unterstützt und gewählt haben, die Handlanger des neoliberalen Systems sind und nicht einmal daran denken, menschenkompatiblere Modelle einzuführen.
 
 
Peter A. Weber
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