Befreiung vom Turboprinzip: Die Diktatur des Geldes und die Perspektive einer Ökologie der Zeit

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Befreiung vom Turboprinzip: Die Diktatur des Geldes und die Perspektive einer Ökologie der Zeit
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Befreiung vom Turboprinzip:


Die Diktatur des Geldes und die Perspektive einer Ökologie der Zeit *

von Fritz Reheis

(turbo-prinzip_3, 7.3.2012, 31.453 mit LZ)


»Schneller«, »höher«, »weiter« – das ist das Fortschrittsprogramm der Moderne. Immer schneller produzieren und konsumieren wir, immer weiter greifen wir dazu in die äußere und innere Natur ein, immer höher wachsen die Berge der Konsumgüter, der Werte und der Schulden. »Aber wohin?« Was ist das Ziel unseres Fortschritts, unseres Bemühens um Steigerung?


Sachzwang der Beschleunigung

Wir sind unablässig bemüht, Zeit einzusparen. Wir rüsten uns mit einem gigantischen Arsenal zeitsparender Maschinen aus, wir kochen mit Schnellkochtöpfen, wir fahren mit Hochleistungslimousinen, wir kommunizieren mit Handys und Internet, wir produzieren auf Roboterstraßen und so weiter. Wir streichen Pausen und schaffen das Warten ab, wo immer der Fluss der Nonstop-Aktivitäten behindert werden könnte. Wir arbeiten rund um die Uhr, rund um die Woche, rund um das Jahr. Wir konsumieren, was das Zeug hält, verlängern die Ladenöffnungszeiten und locken bereits im Spätsommer mit Schokoladennikoläusen. Wir tun längst mehrere Dinge gleichzeitig. Wir essen während des Fernsehens, wir telefonieren während des Autofahrens, wir erholen uns beim Einkaufen im Erlebniskaufhaus.

Doch bei all dem Bemühen um Schnelligkeit, Pausenlosigkeit und Gleichzeitigkeit ist immer irgendwie unklar, wo die eingesparte Zeit eigentlich bleibt. Wann werde ich den Zeitdruck wirklich los? Wächst nicht mit dem Bemühen um effiziente Kontrolle und Nutzung der Zeit gleichzeitig oft auch der Berg nicht erledigter Aufgaben und nicht ausgeführter Pläne? Vermehrt sich beim Kampf gegen die zerrinnende Zeit nicht oft sogar der Stress? Schlimmer noch: Beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass unser Umgang mit Zeit noch viel weiter reichende Folgen hat. Aus der Physik des Alltags wissen wir, dass Beschleunigungsphasen nicht nur mit einem besonders hohen Energieaufwand einhergehen, sondern mit dem Tempo eines bewegten Körpers auch dessen Steuerung schwieriger wird. So kann eigentlich nicht verwundern, dass die Beschleunigung mit einer fatalen Zwangsläufigkeit immer wieder Rückschläge produziert: Beschleunigungsfallen. Wer zu schnell fährt, der landet schnell im Graben. Wer sich nicht Zeit zum Nachdenken nimmt, der macht schnell einen Fehler. Und wer Raubbau an seinem Körper und seiner Seele treibt und rücksichtslos mit seiner sozialen und natürlichen Umwelt umgeht, der kann eines Tages eine saftige Rechnung präsentiert bekommen.
 
Geld verdienen und Geld ausgeben – und beides möglichst schnell und pausenlos, damit man in der Konkurrenz nicht zurückfällt – das kennzeichnet das Leben des modernen Menschen. Dieses Leben wird gern mit dem Lauf des Hamsters im Hamsterrad  verglichen. Hamsterräder sind zunächst nur harmlose Spielzeuge für Nagetiere. Was haben diese Spielzeuge der Hamster mit den Technologien, Institutionen und Verhaltenszwängen der Menschen in der modernen Gesellschaft gemeinsam? Erstens macht es den Hamstern offenbar immer wieder Spaß, in das Rad zu steigen und loszutreten, vielen Menschen auch. Dies aber ist die schwächste Seite unseres Vergleichs. Bezeichnender ist schon, dass zweitens die Hamster bei all ihrer Treterei nicht vom Fleck kommen, wie auch Menschen ganz oft das Gefühl haben, trotz riesigen Energie- und Zeitaufwands nur auf der Stelle zu treten. Wenn das Hamsterrad dann einmal in Fahrt gekommen ist, heißt es drittens: Mithalten! Besonders für Nachzügler, die noch dazusteigen, ist das keine ungefährliche Angelegenheit. Da kann man leicht den Tritt verfehlen und unsanft auf Rücken oder Bauch landen. Auch das gilt für Hamster und für Menschen.

Der Witz ist, dass die Hamster offenbar klüger mit den physikalischen Eigenheiten ihres Spielzeugs umgehen als die Menschen mit ihrer Tretmühle. Erstens trippeln die Hamster gleichmäßig vor sich hin, die Menschen erhöhen das Tempo ständig. Und zweitens steigen die Hamster aus, wenn sie keine Lust mehr haben, die Menschen tun das meist nicht. Die Dummheit der Menschen, so möchte ich zeigen, hängt nicht primär mit einer angeblich angeborenen Ruhelosigkeit und Gier zusammen. Vielmehr haben sie in ihre Tretmühle eine fatale Rückkoppelung eingebaut: Je schneller sie treten, desto schneller dreht sich das Rad. Und je schneller sich das Rad dreht, desto schneller müssen sie treten, um mitzuhalten. Das menschliche Hamsterrad hat also eine eingebaute sogenannte »positive« Rückkoppelung, die der Volksmund »Teufelskreis« nennt. Gemeint sind Rückkoppelungen zwischen objektiven Anforderungen und subjektiver Anstrengung. Sie begegnen uns in der Welt des schulischen Lernens, des Arbeitens, des Konsumierens. Dort nehmen nämlich die erwarteten Gütestandards mit den erbrachten Leistungen ständig zu. Die sogenannte Leistungsgesellschaft wird von einer ständigen Hochrüstungsspirale in Bezug auf Lernen, Konkurrenz, Produktivität und Aufmerksamkeit angetrieben. Es genügt nicht, gut zu sein, es genügt auch nicht, besser zu werden. Sondern, weil auch die anderen gut sind und ständig besser werden, muss ich immer noch besser sein. Die Menschen treten im Hamsterrad also nicht nur auf der Stelle, sie tun dies zudem mit steigendem Aufwand. Und wenn sie nicht durch äußere Umstände daran gehindert werden, endet dies in vielen Fällen in der finalen Erschöpfung.

Wie wir wissen, münden viele, wenn nicht die meisten Ausbruchsversuche aus der Tretmühle in der Sackgasse. Doch neben dem individuellen Fluchtweg bleibt immer noch ein zweiter, ein kollektiver. Als Menschen haben wir eine Möglichkeit, welche die Hamster nicht brauchen und auch nicht haben: Wir können prüfen, ob wir das Rad nicht gemeinsam und koordiniert verlassen und so die rasende Fahrt in die globale Erschöpfung beenden können. Diese Prüfung erfordert einige Fragen: Wer hat uns das Hamsterrad eigentlich hingestellt? Gott? Die Natur? Bestimmte Mitmenschen, die uns keine Ruhe gönnen? Haben wir es uns gar selbst gebastelt?


Die Suche nach dem »Turbolader«

Eine genauere Analyse des Hamsterrades mit seinem eingebauten Tretmühleneffekt zeigt: Es handelt sich in vielen, vermutlich in den meisten Fällen um sogenannte Sachzwänge, die die Akteure auf allen Ebenen dazu veranlassen, das Tempo ständig zu erhöhen und den rechtzeitigen Ausstieg zu versäumen. Freilich muss der Begriff des Sachzwangs ideologiekritisch beleuchtet werde. Der Zwang nämlich, dem sich diese Menschen ausgesetzt sehen, geht nicht von Sachen im Sinn von Naturgegebenheiten aus, sondern in letzter Instanz natürlich ebenfalls von Menschen, die diesen Zwang aber über einen langen Zeitraum und zumeist ohne Absicht durch die Art und Weise der gesellschaftlichen Interaktion in die Welt gebracht haben. Dieser menschliche Ursprung verschwindet im Bewusstsein hinter der Massivität der Zwänge allerdings immer mehr. So treten sie ihm schließlich als übermächtige Gewalt gegenüber – wie das Wetter und die Jahreszeiten. Es sind im Wesentlichen vier Ansätze, die in den Wissenschaften zur Erklärung des Beschleunigungszwangs herangezogen werden.

Von einer naturwissenschaftlichen Perspektive aus wird die Eigenart des Evolutionsprozesses als Motor angeführt. Die Geschichte der Evolution des Lebens ist in der Tat eine gigantische Beschleunigungsgeschichte. Je mehr Zeit seit dem Urknall vergangen ist, desto dichter sind die Neuerungen gefolgt, desto komplexer die Geschöpfe geworden. Mit dem Auftreten des Menschen, mit seiner Fähigkeit, Erfahrungen nicht nur genetisch, sondern auch sprachlich an seine Nachkommen weiterzugeben, wurde die Evolution nochmals um Dimensionen beschleunigt. Die heutige Hochgeschwindigkeitsgesellschaft kann nach dieser naturwissenschaftlichen Deutung insofern als kulturelle Fortsetzung dessen begriffen werden, was die Natur bereits angelegt hat. Begrenzt ist dieser Ansatz jedoch insofern, als er die Frage nicht beantwortet, warum das Tempo gerade in den letzten Jahrhunderten so sehr zugenommen hat.

Aus einer geistesgeschichtlichen Perspektive wird besonders auf die kulturelle Beschleunigung in der Neuzeit verwiesen. Je mehr dem Menschen an der Nahtstelle zwischen Mittelalter und Neuzeit das Vertrauen auf ein Leben nach dem Tod abhandengekommen war, desto ausschließlicher wurde er auf dieses eine irdische Leben verwiesen. Das Leben wurde buchstäblich zur »letzten Gelegenheit« (Marianne Gronemeyer). Jetzt galt es, in dieses eine Leben möglichst viel hineinzupacken, es möglichst intensiv zu leben. Damit wurde die Zeit systematisch knapp. Mehr noch: Alle Mittel, die zur besseren Kontrolle der Zeit ersonnen wurden, erhöhten nicht nur das Lebenstempo, sondern gleichzeitig die Vorstellung davon, was im Leben noch alles möglich sein könnte. Für den spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Menschen sind so die Lebenszeit und die Weltzeit, also das im individuellen Leben Erreichbare und das in der objektiven Welt Mögliche, immer mehr auseinandergetreten. Diese zunehmende Kluft treibt das Hamsterrad bis zum heutigen Tag gnadenlos an und lässt den Menschen nicht zur Ruhe kommen. Auch dieser Ansatz bleibt eine Antwort auf die Frage schuldig, warum gerade nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders nach 1989/90 und vor allem dort, wo die heute weltweit herrschende Wirtschaftsordnung Einzug gehalten hat bzw. Einzug hält, der Zeitdruck derart zunimmt.

Aus kultur-, wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Perspektive rücken zwei weitere Beschleunigungsfaktoren ins Zentrum der Analyse. Der erste ist die Entwicklung der Produktivkräfte, also der Fortschritt der Technik, vor allem die fossile und digitale Revolution: Mit der Industrialisierung ging die »Abholzung« des »unterirdischen Waldes« (Peter Sieferle), also die systematische Nutzung der fossilen Energieträger, einher, die eine beispiellose Beschleunigung aller Produktions- und Transportprozesse nach sich zog.

Die Digitalisierung des Umgangs mit Information und Kommunikation gab der Entwicklung schließlich einen zweiten Beschleunigungsschub, dessen Zeugen wir heute sind. Aber können die industrielle und die digitale Revolution die Zunahme des Lebenstempos tatsächlich erklären? Könnte die technische Beschleunigung nicht genauso gut das Gegenteil bewirken, nämlich die Menschen endlich zur Ruhe kommen lassen, weil die Arbeit schneller getan ist?


»Turbolader« Geld

Dass dies nicht geschieht, dafür sorgt eine andere Errungenschaft der Moderne: das gleichzeitige Vordringen der Macht des Geldes, hinein in die letzten Winkel und Ritzen der Lebenswelt des Menschen. Diese Macht verhindert die Nutzung der fossilen und digitalen »Sklaven« für eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit. Dies hängt mit der eigenartigen Wirkung des Geldes zusammen, die bereits der griechische Philosoph Aristoteles im 4. Jahrhundert vor Christus entdeckte, als er die Art und Weise seiner Verwendung genau analysiert hatte. Solange Geld nur Mittel für den Tausch von Gebrauchswerten ist, so Aristoteles, geht von ihm keine Gefahr aus. Sobald aber das Geld zum Zweck des Tausches erhoben wird, der Tausch also der Vermehrung des Geldes mit Hilfe von Zinsen dient, entsteht eine neue Situation. Denn das Geld an sich hat, im Gegensatz zu einem stofflichen Gebrauchswert wie ein Laib Brot oder ein Paar Schuhe, der nach dem Gebrauch erloschen ist, kein Maß in sich.

Die Maßlosigkeit des Geldes, die in der Gier der großen Geldbesitzer nur ihr deutlichstes Symptom zeigt, ist der eigentliche Motor der Beschleunigung in der Moderne. Die Geldlogik treibt uns nicht nur, wenn wir als abhängig Beschäftigte unsere Arbeitskraft verkaufen oder wenn wir als kleine Selbstständige uns auf einem Markt mit großen Konzernen messen lassen müssen. Die Geldlogik treibt uns auch nicht nur, wenn wir einen Kredit aufnehmen, den wir dann mit Zins und Zinseszins zurückzahlen müssen. Die Geldlogik treibt uns letztlich durch all die indirekten Zinszahlungen, die in den Produkten des Alltagslebens enthalten sind. Dies sind Zwangsabgaben, die wir mit jedem Kaufakt an die Geldverleiher zahlen müssen. Die Gelderwerbswirtschaft, so Aristoteles, macht den Menschen maßlos und zersetzt auf Dauer jede Gesellschaft. Marx schließt in seiner Kritik der Gelddynamik genau hier an, argumentiert aber, dass hinter dem Zinseinkommen letztlich nichts anderes als der Mehrwert steht, den der Geldbesitzer als Kapitalist sich durch die Ausbeutung fremder Arbeit systematisch aneignen und akkumulieren kann und muss, will er als Kapitalist weiter bestehen. So entsteht das System des »Produzierens um der Produktion willen« – und zwar von Geld, das die Wirtschaft ständig antreibt. Kurz: Die Eigendynamik des Geldes ist der Turbolader der Ökonomie des Bürgertums.
 
Wer also hat uns das Hamsterrad hingestellt und wer betreibt es? Wenn es überhaupt jemanden gibt, der das ganze Rennen veranstaltet, ohne selbst an ihm teilzunehmen, dann sind es die wenigen Nutznießer des Hamsterrades: die Besitzer der großen Geldvermögen und Aktienpakete. Von ihnen kann am ehesten gesagt werden, dass sie außerhalb sitzen und zuschauen können, wie wir uns abstrampeln. Das Ganze funktioniert aber nur, weil wir alle tagtäglich aufs Neue mitmachen. Und genau das macht uns beschleunigungskrank.


Tempo, Kurzsichtigkeit und Krise

Die Finanzmärkte bilden die Spitze einer Zeithierarchie der Märkte. Die Bewegung von Geld erfolgt um Dimensionen schneller als die jeder anderen Ware, weil Geld – im Gegensatz zu Arbeitskräften, Gütern und Rohstoffen, die langsamer und träger sind – sich von den Bedingungen der Natur fast vollständig befreien kann. Zur konkurrenzlosen Schnelligkeit der Ware Geld an sich kommt als weiterer Beschleunigungsfaktor die Computerisierung der Finanztransaktionen und die Nutzung des Internets hinzu. Dadurch können Bruchteile von Sekunden über Gewinn und Verlust entscheiden. Die New Yorker Bank, die in Manhattan in direkter Nähe zum dortigen Internetknoten ihr Rechenzentrum hat, soll, so hat der Journalist Jörg Wittkewitz recherchiert, einen signifikanten Vorteil gegenüber anderen Finanzdienstleistern dadurch erlangen, dass sie Millisekunden früher reagieren kann. In einer Welt, in der nicht nur die Schnelligkeit von Computern und die Raffiniertheit von Programmen, sondern auch die Verfügung über sensible Daten zu den entscheidenden Variablen des Erfolgs geworden sind, kann es im Übrigen nicht verwundern, dass Cyberattacken auf private Firmen und staatliche Einrichtungen rasant zunehmen, Angreifer und Verteidiger im Netz längst in einer Hochrüstungsspirale gefangen sind.

Der Jenenser Zeitsoziologe Hartmut Rosa ordnet die gegenwärtige Beschleunigung der Finanzökonomie in die allgemeine Beschleunigung der Moderne ein. Nicht nur, dass an der New Yorker Börse sich die durchschnittliche Umschlagsgeschwindigkeit von Aktien zwischen 1960 und 2005 um das Zehnfache gesteigert hat und heute bei finanziellen Transaktionen nahezu Lichtgeschwindigkeit erreicht wird. Sondern auch, dass schon in der turbokapitalistischen Realwirtschaft sich die Konsumenten daran gewöhnt haben, mehr und schneller zu kaufen, als sie konsumieren können. Dies belegen die vielen ungelesenen Bücher, ungehörten CDs und ungenutzten Funktionen technischer Geräte in jedem Haushalt. In der Finanzwirtschaft und den von ihr geschaffenen virtuellen Welten aber zeigt sich noch viel deutlicher, dass nicht nur das Konsumieren, sondern auch das Produzieren immer zu lange dauert, weshalb man konsequenterweise dazu übergeht, zu verkaufen ohne vorher produziert zu haben, wie das Beispiel der sogenannten »Leerverkäufe« eindrucksvoll belegt.

In der Krise, so Rosa, schlägt die virtuelle Ökonomie hart auf dem Boden der realen Tatsachen auf – wie ein Auto, das ohne Bremsen früher oder später durch einen harten Gegenstand gewaltsam gebremst und deformiert wird. Die Folgen der Gier und Maßlosigkeit, die im Geld institutionell programmiert sind, werden in der Krise besonders deutlich. Zum Zusammenbruch der Finanzmärkte kommt dann in der Regel der Einbruch der Realwirtschaft und schließlich – in besonders schweren Fällen – die Auflösung der demokratischen Ordnung. Auch die gegenwärtige Euro-Krise hat im Übrigen natürlich aus kapitalismuskritischer Perspektive hier ihren eigentlichen Ursprung. In der Krise spielt der Umgang mit Vertrauen eine besondere Rolle. Je selbstverständlicher es im Laufe der Geschichte der kapitalistischen Warenproduktion geworden ist, dass an die Stelle realer Zahlungen bloße Zahlungsversprechen treten, desto wichtiger wird einerseits die Vorsorge gegen Vertrauensbruch, andererseits die eigene Vertrauensarbeit. In dieser Situation schlägt die Vernunft des Menschen wahre Purzelbäume. Ein schönes Beispiel für die Verkehrung der Vernunft in der jüngsten Krise lieferte ein hochrangiger Vertreter einer der europäischen Zentralbanken, die ja auf ihre Unabhängigkeit von der Politik so viel Wert legen, und zwar der Banque de France im Oktober 2008. »Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, ein Finanzprodukt nur dann zu genehmigen, wenn es wenigstens einer von uns wirklich verstand. Diesen Grundsatz konnten wir aber nicht durchhalten, denn wir mussten stets befürchten, dass es dann von den Briten oder den Deutschen genehmigt würde. Also haben wir die Augen zugedrückt und die Genehmigung erteilt.« (zitiert nach Hans-Werner Sinn) Jetzt, da die Krise einigermaßen überwunden scheint, ist fast alles wieder wie eh und je: Es werden enorme Boni bezahlt, eine globale Finanztransaktionssteuer ist nirgends in Sicht und die Geld- und Kreditmengen werden in atemberaubendem Tempo ausgedehnt – nur die Eigenkapitalvorschriften für die Banken sind etwas verschärft worden.

In Bezug auf den generellen Zusammenhang von Krise und Zeit scheint ein weiterer Aspekt wichtig: Wenn es in einer Gesellschaft üblich geworden ist, heute zu konsumieren, aber morgen oder übermorgen erst zu bezahlen, wenn Verkäufer und Käufer also massenhaft auf Zahlungsversprechen setzen und auf die morgige und übermorgige Zahlungsfähigkeit des Käufers vertrauen, setzt dies einen fundamentalen Konsens darüber voraus, dass morgen und übermorgen die Kassen wieder voll sind. Ob dieser Konsens heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, aber wirklich vorhanden ist, daran scheinen Zweifel angebracht. Einmal, weil mit zunehmender Individualisierung und Pluralisierung der sozialen und kulturellen Milieus und damit die subjektiven Vorstellungen von Fortschritt immer mehr auseinanderdriften. Man denke zum Beispiel an den Streit um das Projekt »Stuttgart 21«. Immer mehr Menschen sind sich heute nicht mehr so sicher, ob unsere Art von Fortschritt tatsächlich ein Fortschritt ist. Auch findet Fortschritt in Zukunft unter objektiv neuen Vorzeichen statt. Es stellt sich ja zum Beispiel durchaus die Frage, ob wir nach dem Ende der Ölzeit tatsächlich reicher als heute sein werden. Und wie reich sind wir, wenn die Erde demnächst zwölf oder 15 Milliarden Menschen tragen muss?

Bisher aber funktioniert das Zusammenspiel von Wachstum, Kredit und Krise immer noch ganz gut. An den Börsen entscheiden Computer nach vorher eingegebenen Kriterien über Kauf und Verkauf von Zahlungsversprechen, in der Ökonomie bestimmt die Finanzwirtschaft, was rentabel ist und was nicht, und in der Lebenswelt werden die Grenzen der inneren und äußeren Natur immer weiter hinausgeschoben. Das Ganze gilt als Sachzwang, als »alternativlos«. Und Krisen könnten, so heißt es in der neoliberalen Heilslehre, im Übrigen auch als Entschlackungskuren begriffen werden, wodurch eindrucksvoll die Stabilität des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems demonstriert werde: seine Fähigkeit, sich offenbar selbst heilen, vielleicht sogar Gesundheitsprophylaxe betreiben zu können.


Die Symphonie des Lebendigen und der Lärm des Geldes

Kurzes Zwischenfazit: Der Turbokapitalismus ist keine besondere Spielart des Kapitalismus, die beliebig durch eine andere ersetzbar wäre. Der »Turbolader«, nämlich die Dynamik des Geldes, ist dem Kapitalismus vielmehr zutiefst immanent. Das Turbo-Prinzip ist lediglich mit der Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems immer offensichtlicher geworden, es ist mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts zu seinem dominanten Merkmal geworden.

Ehe wir nun nach Alternativen fragen, sollten wir uns die bisherige Rolle des Geldes noch einmal etwas genauer ansehen. Geld wird in der kapitalistischen Marktwirtschaft ja als universeller Maßstab und als Medium verwendet, um Dinge zu vergleichen und zu verbinden, die sonst isoliert voneinander blieben. Wenn uns nun die Rationalität des Geldes als Maßstab und Medium bei der Pflege und Entfaltung von Glück und Gesundheit, von Gesellschaft und Kultur, der natürlichen Grundlagen unseres Lebens immer offensichtlicher in die Irre führt, müssen wir uns einen neuen Maßstab, ein neues Medium suchen. Dieses könnte – so mein Vorschlag – die Zeit sein. Die Zeit ist durch die Evolution in die belebte und unbelebte Welt eingeschrieben, in die große Welt der Himmelskörper genauso wie in die kleine der Atome. Alles, was existiert, sagt der Molekularbiologe Friedrich Cramer in seinem Buch »Die Symphonie des Lebendigen«, ist ständig in Schwingung, ist synchronisiert und erzeugt Resonanzen. Und das Geld? Seine Maßlosigkeit, die von Marx hervorragend beschriebene Logik des »Produzierens um der Produktion willen«, die zwanghafte Rückkoppelung von Gewinn und Investition – all dies erzeugt Bewegungs- und Wachstumsmuster, die eher an Lärm als an Musik, an Totes als an Lebendiges denken lassen.

Erstens: Die Richtungen, in die sich Geld und Kapital bewegen, werden von ihm selbst vorgegeben. Das Prinzip lautet: Wo schon viel ist, dort muss noch mehr hintransportiert werden. Pflanzen, Tiere und Menschen, insofern sie nicht der Geldlogik gehorchen, folgen einem genau gegenteiligen Prinzip: Wenn sie gesättigt sind, werden ihre Aktivitäten eingestellt oder auf andere Ziele gerichtet.
 
Zweitens: Auch die Geschwindigkeiten der Bewegungen von Geld und Kapital einerseits und des »Rests« der Welt andererseits unterscheiden sich fundamental. Geld und Kapital bewegen sich dank moderner Informationstechnik beinahe unendlich schnell. Und Geld und Kapital wachsen aufgrund des eingebauten Selbstvermehrungsanspruchs ohne Begrenzung in die Höhe. Im Gegensatz zum Geld kämpft der »Rest« der Welt gegen den Zahn der Zeit und landet dabei irgendwann in einer Kreisbahn. Geld wächst in den Himmel, Bäume nicht.

Und drittens: Die gigantische Beweglichkeit des Geldes, seine atemberaubende Fließgeschwindigkeit und die Möglichkeit der Speicherung führen zur Verwischung aller räumlichen und zeitlichen Grenzen und zerstören dabei auch die Vielfalt der Welt. Geld verbindet Räume, die, gäbe es das Geld nicht, nichts miteinander zu tun hätten. Durch die Fernwirkung des Geldes werden plötzlich Inseln im Südpazifik vom Untergang bedroht, und zwar durch Entscheidungen, die in den Banken und Börsen in New York, Tokio und Frankfurt getroffen worden sind. Und Geld kann auch die zeitlichen Grenzen zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft überwinden: Geld und Kapital sind Zeitspeicher. In ihnen ist zwar zunächst nur vergangene menschliche Arbeitszeit abgelagert, wie in allen Produkten menschlichen Wirkens. Das Heimtückische am Geld ist aber, dass es nicht nur vergangene, sondern, wenn es als Kapital verwendet wird, auch zukünftige Zeit speichern kann. Denn im Unterschied zu Konsumgütern oder zu solchem Geld, das zu deren Erwerb dient, dient Geld als Kapital der Beschaffung von Mitteln für die weitere Produktion und erhebt damit Anspruch auch auf zukünftige Zeitpotenziale. Wer sich Geld geliehen hat, hat schon einen Teil seiner Zukunft verkauft. Wo Geld als Kapital auftritt, gibt es für die menschliche Arbeitskraft und für natürliche Ressourcen gar keine andere Möglichkeit mehr, als in Bewegung gebracht zu werden. Jetzt ist es mit Ruhe und Genügsamkeit ein für allemal vorbei. Durch seine Fähigkeit zum räumlichen und zeitlichen Ausgreifen und Vermischen werden nicht nur Grenzen zerstört, sondern schrumpft auch die Vielfalt der Welt, werden Ordnungen aufgelöst, die Entropie vermehrt.


Eine Ökologie der Zeit

Die unverzichtbare Voraussetzung einer Befreiung vom Hamsterrad und zugleich ihr erster Schritt besteht darin, sich sein Funktionieren und seinen Motor bewusst zu machen. Hören wir also endlich damit auf, immer nur einzelnen Menschen oder Völkern individuell Schuld und Verantwortung für den Zustand der Welt zuzuschreiben – den Sozialschmarotzern oder Spekulanten, den Amerikanern oder den Griechen usw. Nehmen wir statt dessen zur Kenntnis, dass wir immer nur nach bestimmten Regeln spielen können, die uns zwar mehr oder minder große Spielräume lassen, die wir aber grundlegend nur verändern können, wenn wir uns gemeinsam gegen sie auflehnen! Mit anderen Worten: Befreiung vom »Sach«zwang der Beschleunigung kann nicht in der Suche nach Notausgängen für den Einzelnen bestehen, der die anderen in der Tretmühle ruhig weiterstrampeln lässt, sondern nur in einer gemeinsamen Anstrengung zur Begrenzung und schließlich Entmachtung der Eigendynamik des Geldes.

Wir könnten bei einem Gefühl anknüpfen, das in unseren hoch entwickelten Gesellschaften überall spürbar ist. Immer mehr Menschen erleben heute, wie ihr Körper und ihre Psyche, wie Partnerschaften, Familien und soziale Netze unter Zeitdruck stehen und Schaden erleiden. Wenn Erwachsene unter der Last der täglichen Anforderungen plötzlich zusammenbrechen, wenn Kinder und Jugendliche plötzlich ausrasten, aber auch wenn Flüsse immer häufiger über die Ufer treten und das Klima sich verändert, können diese Phänomene als Alarmsignale eines falschen Umgangs mit Zeit gedeutet werden: mit unserer eigenen Zeit, der Zeit unserer Mitmenschen und der Zeit der außermenschlichen Natur. Für einen solchen Anknüpfungspunkt spricht auch, dass bereits etliche Bemühungen einen anderen Umgang mit Zeit, oft unter das Motto der »Entschleunigung« gestellt, existieren: Slowfood, Slowcity, Slowmotion, Slowmedia, kirchliche und gewerkschaftliche Bemühungen zum Schutz von Sonn- und Feiertagen, der Verein zur Verzögerung der Zeit und die Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik, die Begeisterung für Fastenzeiten und Pilgerwege etc.

Mit der Sorge um den rechten Umgang mit der Zeit haben es alle kapitalismuskritischen Kräfte zwar immer schon zu tun, aber sie haben sich diese Gemeinsamkeit bisher nicht bewusst gemacht: Gewerkschaften schützen die freie Zeit des Menschen vor dem Zugriff der Arbeitswelt, Kirchen die Besinnungs- und Familienzeit vor dem Sog der Kommerzialisierung, Dritte-Welt-Gruppen die Entwicklungszeit von Gesellschaften vor der Gleichgültigkeit des Rests der Welt, Umweltgruppen die Regenerationszeit der Natur vor der Gnadenlosigkeit ihrer technischen Überbeanspruchung. Das Thema Zeit könnte enorme synergetische Verbindungen zwischen diesen Kräften knüpfen und die kapitalismuskritische Praxis beflügeln. Ein solches breites Interesse am Umgang mit Zeit könnte darüber hinaus ohne Schwierigkeiten an das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung anknüpfen, das bekanntlich auf die Zukunftsfähigkeit unseres Umgangs mit uns selbst, mit anderen und der Natur zielt und ohne eine zeitbezogene Konkretisierung unverbindlich bleibt.

Eine »Ökologie der Zeit« müsste fragen, wie unter dem Zeitdiktat des Produktionismus Eigenzeiten auf allen Ebenen systematisch vergewaltigt werden. Sie müsste fragen, wie der monetäre Produktionismus des gegenwärtigen Turbokapitalismus die Reproduktion der Lebenswelt notwendigerweise zu kurz kommen lässt, wie er auf der individuellen, sozialen und ökologischen Ebene systematisch Stress und Zerstörung erzeugt. Und sie müsste vor diesem Hintergrund Konzepte für einen anderen Umgang mit Zeit entwickeln, einen Umgang, der dem Menschen und der Natur angemessener wäre. Solche Konzepte könnten auf drei Ebenen ansetzen: Auf der individuellen Ebene (Zeithygiene) könnten viele Menschen ab sofort zum Beispiel in ihrem Konsumverhalten einen Gang zurückschalten und zum Beispiel die heilsame Wirkung eines Fahrrad- oder Wanderurlaubs oder auch spiritueller »Reisen« entdecken. Auf politischer Ebene (Zeitpolitik) könnten mittelfristig Anreizsysteme dafür sorgen, dass sich das Hetzen nicht mehr lohnt und zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen der zeitweilige Ausstieg aus dem Erwerbsleben möglich wird. Und auf der ökonomischen Ebene (Zeitbewusste Ökonomie) könnten langfristig neue Formen der sozialen Wechselseitigkeit und der ökologischen Kreislaufwirtschaft etabliert werden, die den Imperativ des ständigen Wachstums überwinden. Eine zeitbewusste Ökonomie setzt nämlich von vornherein an die Stelle des Ziels der Produktion von Geld das Ziel der Reproduktion des Lebens, des äußeren der Natur wie des inneren des Menschen. Sie orientiert die wirtschaftlichen Aktivitäten von vornherein an den Gegebenheiten und Bedürfnissen des »unorganischen« und des »organischen Leibes« des Menschen (Marx) und achtet deshalb auf die Eigenzeiten, die allem Leben eingeschrieben sind.

Eine Zeithygiene, Zeitpolitik und zeitbewusste Ökonomie umfassende zeitökologische Praxis wäre hervorragend zu einer Integration eines großen Teils der Opfer des herrschenden Turbokapitalismus geeignet. Es würde darüber hinaus vermutlich auch jene ansprechen, die das dumpfe, vielleicht mit Neugierde gepaarte Gefühl haben, es könne doch jenseits des Bekannten noch etwas Anderes, Besseres, Schöneres geben. Vielleicht entstünde so eine neue kollektive Identität für die ziemlich orientierungslos gewordene Spät- und Postmoderne. Auch wenn die Früchte einer solchen Vision erst in Jahrzehnten geerntet werden, sollten wir mit dem Pflanzen der Bäumchen morgen beginnen.


Literatur:


Friedrich Cramer, Symphonie des Lebendigen. Versuch einer allgemeinen Resonanztheorie, Frankfurt am Main und Leipzig 1996.

Karlheinz A. Geißler und Martin Held, »Grundbegriffe zur Ökologie der Zeit. Vom Finden der rechten Zeitmaße«, in: dies. (Hrsg.), Von Rhythmen und Eigenzeiten. Perspektiven einer Ökologie der Zeit, Stuttgart 1995, S. 193-208.

Karlheinz A. Geißler u. a. (Hrsg.), Zeitvielfalt. Wider das Diktat der Uhr, Stuttgart 2006.

Marianne Gronemeyer, Das Leben als letzte Gelegenheit. Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit, Darmstadt 1993.

Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1: Der Produktionsprozeß des Kapitals (Marx-Engels.Werke, Bd. 23) [1867], Berlin 1972.

Fritz Reheis, Die Kreativität der Langsamkeit. Neuer Wohlstand durch Entschleunigung, 3. Aufl. Darmstadt 2008. – klick hier

Fritz Reheis Fritz, Entschleunigung. Abschied vom Turbokapitalismus, München 2003.

Fritz Reheis, Wo Marx Recht hat, Darmstadt 2011. – klick hier

Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main 2005.

Hartmut Rosa, »Ohne Bremse an die Wand«, in: Die Zeit vom 25. Juni 2009, S. 48.

Rolf Peter Sieferle, Der unterirdische Wald – Energiekrise und industrielle Revolution, München 1982.

Hanns-Werner Sinn, »Kasino-Kapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam und was jetzt zu tun ist«, in: Polis. Report der deutschen Vereinigung für politische Bildung, 14, 1, 2010, S. 11.

Jörg Wittkewitz, »Neuer Staatsfeind Nummer eins«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Juni 2011, S. 27.



* Hinweis

Es handelt sich um einen Wiederabdruck: Befreiung vom Turboprinzip: Die Diktatur des Geldes und die Perspektive einer Ökologie der Zeit, in: Markus Brüderlin für das Kunstmuseum Wolfsburg (Hg.), Die Kunst der Entschleunigung. Bewegung und Ruhe in der Kunst von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag, 2011, S. 12-17.
 

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Wiedereinführung der Langsamkeit

Die Wahnvorstellung, wir könnten uns Zeit erkaufen, ist mittlerweile zum täglich praktizierten Irrsinn geworden. Dahinter steht die Sucht und Gier nach der kurzfristigen Befriedigung von immer mehr materiellen Bedürfnissen. Es sollte sich langsam herum gesprochen haben, daß Sucht eine Krankheit ist und sich dadurch "auszeichnet", daß ihr die Steigerung bis zum Zusammenbruch immanent ist und die eigentlich angestrebte Befriedigung niemals erreicht wird. Drogen- und Alkoholsüchtige werden von der Gesellschaft ausgegrenzt und verachtet - die pathologischen Zeitsparer und Konsumfresser hingegen sind der integrale Bestandteil unserer Wirtschaftsgesellschaft, geniessen hohes Ansehen und werden dafür auch noch (zumindest zuweilen) fürstlich entlohnt. Welch ein Paradoxon und welch eine verhängnisvolle Heuchelei!

Fritz Reheis hat mit seinem Essay genau den Nerv getroffen. Das Turboprinzip kennzeichnet die zunehmende Entfremdung des Menschen (gerade im Sinne von Fromm oder Marx) und seine Unterwerfung unter die von ihm selbst geschaffenen Götzen, die den Menschen nun versklaven und vor sich her treiben.

Ich kann mich als Mensch nur verwirklichen, wenn ich mich von äußeren Zwängen befreie und im wahrsten Sinne des Wortes "wieder zu mir komme". Das heißt, ich muß der Besinnung, der Aufmerksamkeit, des Verweilens und Genießens widmen, um meine eigentlichen Potenziale, meine Mitmenschen, die Schönheit der Natur sowie den ureigensten Sinn meines Lebens, für den es sich erst zu leben lohnt, zu erkennen.

Peter A. Weber

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