Bigotterie und Heuchelei beim Konsum

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Bigotterie und Heuchelei beim Konsum
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Bigotterie und Heuchelei beim Konsum


- die Scheinheiligkeit der ökologisch Korrekten und der Regierungen


Es ist auffällig, daß von Zeit zu Zeit immer mal wieder ein Sündenbock wegen Steuerhinterziehung, Lohndumping oder wegen Verletzung von Arbeitnehmerrechten angeprangert wird. Zur Zeit ist es Amazon, zuvor waren es die Diskounter Aldi, Lidl, Norma oder Penny, dann wieder Kik oder die Paket- und Briefzustelldienste. Wir müßten doch alle dieses Prinzip zur Genüge kennen, das mit gezielten Feindbildern arbeitet. Wirf dem Mob einen Brocken zum Fraß vor, der über die aktuelle Unzufriedenheit hinweghilft, dann ist er zufrieden und kommt nicht auf die dumme Idee, nach dem „Wieso-Weshalb-Warum“ in guter Sesam-Straßen-Manier zu fragen.


Typisch ist, daß immer nur ausgewählte Sünder als Sau durchs Dorf getrieben werden, um den Eindruck zu erwecken, es handele sich um Einzelfälle. Es soll davon abgelenkt werden, daß es der Normalfall ist, daß Unternehmen Steuern hinterziehen oder legal (aber amoralisch) einsparen, die Löhne drücken, Arbeitnehmerrechte aushebeln, ökologisch schädliche, nicht nachhaltige oder in Sklavenarbeit hergestellte Produkte verhökern. Ja, es soll unter allen Umständen vermieden werden, daß als Ursache für all dieses ethische Fehlverhalten unser Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell als verantwortlich bezeichnet wird. Mit anderen Worten: Die Systemfrage ist tabu und darf niemals gestellt werden. Sonst müßten die in Wirtschaft, Politik und Medien Zuständigen bekennen, daß die beklagten Miseren niemals beseitigt werden können, bevor nicht eine andere Denkweise und Ordnung eingeführt ist.


Um nochmals das Beispiel Amazon zu nennen: Wer kann es diesem Konzern oder anderen eigentlich verübeln, daß sie die von der Politik und dem Gesetzgeber gegebenen Möglichkeiten für ihre Zwecke nutzen? Wenn Frau Merkel und ihr Kabinett oder ihre Vorgängerregierungen keinen vernünftigen Mindestlohn eingeführt oder nicht wie z. B. die USA dafür gesorgt haben, daß die Unternehmen die im Land erzielten Umsätze auch dort versteuern müssen, dann liegt die dafür doch eindeutig bei der Regierung eine Mitschuld. Aus diesem Grunde sollte auch nicht nur die Wirtschaft angeklagt werden, sondern auch die Politik.

 

Das heißt nicht, daß ich das Verhalten von Amazon & Co. gutheiße, denn moralisch ist es zu verurteilen. Amazon zahlt aber trotzdem noch freiwillig Löhne, die über dem angepeilten und hochgejubelten Mindestlohn von 8,50 € liegen. Welcher Hohn liegt hinter dieser Feststellung verborgen! Aber es sollte sich herumgesprochen haben, daß es in der radikalen Marktwirtschaft keine Moral oder Ethik gibt – es zählen nur Kosten und Gewinne. Ergo muß der Staat die Wirtschaft per Gesetz zwingen, soziale und solidarische Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wenn er sich schon nicht zu einem Systemwechsel durchringen kann! Das ist jedoch nur die eine Seite der Münze - die andere ist in der Verantwortung des Bürgers und Verbrauchers zu suchen. Die Politiker sind lediglich das Spiegelbild der Gesellschaft: Weil wir es zulassen, daß "unsere" Politiker ihr Unwesen treiben, haben wir sie auch verdient. Aktueller Hinweis: siehe das Ergebnis der Mitgliederabstimmung der SPD von heute. Es beweist die Unfähigkeit der meisten Menschen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.


Ich greife einmal drei Kriterien heraus, nach denen die Anbieter bei Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder dem Warenkauf gemessen werden sollten:


1.    Steuerflucht und Steuervermeidung


Wenn man nach Steueroasen fragt, dann würde jeder in Europa die Schweiz nennen. Aber dem ist nicht so, denn die Nr. 1 sind eindeutig die Niederlande. Nennen wir der Fairneß halber auch noch Andorra, Liechtenstein, Luxemburg, Großbritannien und die Kanalinseln. In den Niederlanden, vornehmlich in Amsterdam, sind 23.000 Briefkastenfirmen verortet und 12.000 Unternehmen haben dort eine Niederlassung zur Steuervermeidung gegründet. Der holländische Staat kommt ihnen dazu großzügig entgegen – eine äußerst solidarische Geste gegenüber dem Resteuropa. Zu den Nutznießern gehören nicht nur ausländische Konzerne wie Starbuck, Google, Amazon, Microsoft, Ikea, Apple, Hewlett Packard sondern auch deutsche Firmen wie BASF, Telekom, Commerzbank, Deutsche Bundesbahn, RWE, EON, BMW, Daimler und viele andere. Auch Rockbands wie U2 oder die Rolling Stones zählen zu den Hilfsbedürftigen. Ich habe gelesen, daß 91 % aller deutschen Konzerne Steuerdumping  in Steueroasen betreiben sollen.


2.    Produktion von gesundheitsbedenklichen, ökologisch schädlichen und nicht nachhaltigen Waren


Ich behaupte einmal, daß die Mehrzahl aller hergestellten Produkte in irgendeiner Weise bedenkliche Zusatzstoffe enthalten, ökologisch nicht einwandfrei einzustufen sind, nicht nachhaltig angelegt sind, verschwenderisch mit nicht erneuerbaren Rohstoffen und Energien hergestellt werden oder sogar toxisch und gesundheitsschädlich sind. Ob es sich um Nahrungsmittel, Gebrauchsgegenstände oder Medikamente handelt – wer kann schon eindeutig festlegen, ob eine Ware einwandfrei ist? Auch Grenzwerte sind willkürlich oder auf Nachdruck der Lobbyisten festgelegt worden. Wer kann die in die Unendlichkeit reichenden Kombiwirkungen abschätzen? Welche Produkte sind tatsächlich auf ihre unbedenkliche Langzeitwirkung hin überprüft worden? Der Endverbraucher ist überfordert, insbesondere auch, weil keine eindeutige Kennzeichnungspflicht der Hersteller vorgeschrieben ist.


3.    Verkauf von Waren aus inhumanen Herstellungsbedingungen


Die meisten der in Fernost hergestellten Waren (vielleicht ausgenommen aus Japan) stammen aus Billiglohnländern, in denen die Arbeitnehmer wie Sklaven behandelt werden und unter erbärmlichen Arbeitsverhältnissen, mit Hungerlöhnen und unter umweltschädigenden Bedingungen produziert wird. Ob Kleidung oder Elektronik, das Gros unseres Marktangebotes wird aus diesen Quellen bedient. Man kann kaum noch identifizieren, woher denn nun eine Ware stammt oder wo sie produziert wird. Meistens haben wir es ja auch mit Artikeln zu tun, die aus mehreren Komponenten bestehen, die aus den unterschiedlichsten Himmelsrichtungen zusammengetragen werden.
Wenn ich jetzt konsequent ökologisch konsumieren und mich verhalten würde, dann dürfe ich eigentlich kaum noch etwas aus dem Warenangebot des Handels kaufen. Das hieße dann ganz konkret, daß ich folgendes unterlassen müßte:

  • das Googeln
  • das Fahren von Automarken wie BMW und Daimler 
  • das Telefonieren oder ins Netz gehen mit Telekom
  • den Bezug von Energie von RWE oder EON
  • das Fahren mit der Bundesbahn
  • das Hören oder Kaufen von Musik bestimmter Bands
  • das Shoppen bei Amazon oder anderen Onlineanbietern
  • das Kaufen von Möbeln bei Ikea
  • das Aufsuchen von Diskountern
  • den Kauf bei REWE und Edeka
  • das Einkaufen bei KiK, H & M oder Nike/Adidas & Co.
  • den Erwerb von Handys und Smartphones
  • den Kauf von Computern, Fernsehern oder anderer Elektronikartikel

Diese Liste ließe sich noch unendlich erweitern, so daß die Konsumauswahl so ziemlich auf Null reduziert würde. Jedenfalls ist es so ziemlich egal, ob ich mich beim Diskounter, Billigheimer, Markenartikler oder Exklusivladen bediene - alle folgen dem Lockruf der Kostenminimierung und Billigstproduktion zu Lasten von Mensch und Umwelt!


Was mich betrifft, so hasse ich Bigotterie und Heuchelei wie die Pest. Deshalb lasse ich mich nicht mehr wegen ökologisch oder andersartigem angeblich unkorrekten Konsumverhalten moralisch unter Druck setzen, in eine Ecke stellen oder abstempeln. Ich muß mich z. B. nicht schämen, wenn ich zugebe, bei Amazon einzukaufen, denn dafür habe ich meine Gründe. Niemand besitzt das Recht, mir in diese Angelegenheiten hineinzureden. Es sollte sich ein jeder zunächst einmal an die eigene Nase packen und überlegen, wo er selbst ansetzen kann, bevor er andere kritisiert.


Die schwierige Fragestellung ist aber: Welche Wahl haben wir demnach denn überhaupt noch? Nur totale Aussteiger, die sich der normalen Welt verweigern, auf jeglichen Komfort verzichten und sich auf konsequente Eigenversorgung eingerichtet haben, wären streng genommen noch als ökologisch und moralisch Korrekte zu bezeichnen. Wir anderen Normalsterblichen können uns zwar bemühen, die uns bekannten oder von uns als solche angenommenen Gefahrenmomente und Fehlentscheidungen zu vermeiden, womit wir unser Gewissen beruhigen können. Aber trotzdem sind wir den meisten Einflüssen hilflos ausgeliefert – in diesem Punkt sollten wir uns keinen Illusionen hingeben.  Wir können nur darauf hoffen, daß wir widerstandfähig genug sind, den diffusen Einflüssen ohne Schädigung zu entrinnen.


Ein Glück, daß ich einen Nutzgarten besitze! Nur bei den Erzeugnissen aus diesem Garten weiß ich, woran ich bin. Ansonsten fische auch ich meist im Trüben. Ich würde es nicht wagen, mich zu den perfekten ökologisch Korrekten und moralisch Geläuterten zu zählen. In diesem Sinne wünsche ich allen ein sinnvoll-korrektes Last-Minute-Einkaufen vor dem Fest!



MfG Peter A. Weber