Brandstifter, Menschlichkeit und Völkerrecht

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Brandstifter, Menschlichkeit und Völkerrecht
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Brandstifter, Menschlichkeit und Völkerrecht

von Dr. Manfred Sohn

In Max Frischs »Lehrstück ohne Lehre« lädt Herrn Biedermann zwei Brandstifter zu sich ins Haus, die am Ende des Stückes ihn, seine Frau, sein Haus und gleich seine ganze Stadt in einem Flammenmeer untergehen lassen.

In der Eröffnungsszene wird der erste der beiden, der »sehr kräftige« ehemalige Ringer Schmitz, von dem Dienstmädchen Anna mit den Worten angekündigt, da sei ein Hausierer, der aber kein Haarwasser verkaufen wolle, sondern »Menschlichkeit«. Mit diesem Schlüsselwort erhält er Zutritt.

Im weiteren Verlauf lassen die beiden die Hülle fallen und gehen zur Dreistigkeit über, sagen in Szene sechs, sie scherzten nicht, sie seien »Brandstifter«. Biedermann aber glaubt ihnen nicht und reicht Schmitz und seinem Kumpanen, dem Herrn Eisenring, noch die Streichhölzer, um die Lunte anzuzünden.

In unseren Tagen fallen Dreistigkeit und Verlogenheit zeitlich zusammen. Während Bundespräsident Gauck den 75. Jahrestag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf Polen auf der Westerplatte »bei Danzig«, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit unverschämter Offenheit und Freude formuliert, abermals zum Anlaß nimmt, zu mehr »Verteidigungsbereitschaft« aufzurufen, also die Streichhölzer zu erbitten, gibt Außenminister Steinmeier den Kumpanen, der unter der Losung »Völkerrecht« Eintritt in den Dachboden sucht, von dem aus er mitzündelt.

Das deutsche Volk steht der Unverschämtheit von Schmitz und Eisenring – also Gauck und Steinmeier – hilflos und im Ergebnis kumpaneihaft gegenüber wie Biedermann, seine Frau Babette und das Dienstmädchen Anna. Die Streichhölzer – die schrittweise Erhöhung des Rüstungsetats um zunächst zwei Prozent – werden nach und nach gereicht werden, und mit dem Zauberwort »Völkerrecht« gelangt heutzutage sogar bei Linken jeder in die Wohnung. Das Wort ist in Mode, nicht nur bei Steinmeier, der es im Stehsatz fast jeder seiner Reden hat.

Ein erster Schritt, um den Brandstiftern den Weg ins Haus zu verwehren, ist es, ihnen mitsamt ihrem Gerede vom »Völkerrecht« die Tür zu weisen.

Es gibt kein Völkerrecht mehr. Es ist entstanden mit der Herausbildung bürgerlicher Nationalstaaten und ihrem Versuch, die Grundlagen ihrer innerstaatlichen Rechtsverhältnisse auf die Beziehungen untereinander zu übertragen. Das höchste Maß seiner verbindlichen Fixierung erreichte es in der Zeit der Herausforderung des Kapitalismus durch die sich selbst als sozialistische Alternative definierenden Staaten, die nach der Oktoberrevolution 1917 entstanden. Sie versuchten, den etablierten Mächten ihre eigene Melodie vorzuspielen. Zeitweise schien es selbst manchem Linken so, als sei ein einheitliches internationales Rechtssystem im Entstehen. Vor unseren Augen zerreißt der Schleier dieser Illusionen, und man sieht, wie nicht allein das »Völkerrechts«, sondern das bürgerliche Rechtssystem überhaupt zerbröselt.

Robert Kurz schrieb völlig zu Recht schon 2003 vom »Zusammenbruch des Völkerrechts« und verwies auf den Sündenfall des NATO-Angriffs auf Jugoslawien: »Der demokratische Gesamtimperialismus verzichtete auf das Mandat der UNO und erkannte schon damit seine eigenen Prinzipien nicht mehr an.«

Diejenigen, die den Niedergang des Völkerrechts bejammern, übersehen sowohl dessen geschichtliche Genese als auch seine geschichtliche Begrenztheit. Es war und ist in seinen klagend eingeforderten Restkrümeln an den bürgerlichen Nationalstaat gebunden. Aber der bürgerliche Nationalstaat löst sich auf. In seiner aufsteigenden, expansiven Phase hatte der Kapitalismus nationale, souveräne Staaten gebildet oder – nach gründlicher Zerstörung vorkapitalistischer Strukturen – Kolonien oder abhängige Schein-Staaten in der kapitalistischen Peripherie gegründet. Von dieser alten Staatenwelt des 20. Jahrhunderts ist immer weniger übrig, und weitere Veränderungen werden in den nächsten Jahrzehnten eintreten. Es gibt keinen Staat Afghanistan, keinen Staat Irak, keinen Staat Libyen mehr, es gibt keinen Staat Ukraine. Es gibt an ihrer Stelle an der Peripherie der kapitalistischen Zentren sich ausbreitende staatenlose Gebiete, die von Banden, mafiösen Gebilden und Warlords beherrscht werden.

Der Zerfall des bürgerlichen Nationalstaats aber reicht bereits bis in die Zentren des Kapitalismus. Wie abgeschrieben aus Goethes »Zauberlehrling« versuchen die USA, die von ihnen selbst gezüchteten Zerfallsprodukte mit militärischen Mitteln zu züchtigen. Sie versuchen es mit al-Qaida, die sie ins Leben gerufen hatten, um die Sowjetunion in Afghanistan zu schlagen. Sie versuchen es gegen die Kämpfer für den »Islamischen Staat«, die sie zuvor gepäppelt hatten. Und sie erkennen allmählich, daß ihre militärische Kraft nicht ausreicht, um die immer neuen von ihnen selbst gezeugten Gespensterarmeen niederzuringen. Also überantworten sie immer mehr Aufgaben privaten Söldnerheeren und Banden, die ihnen zeitweise zu nützen scheinen und von ihnen deshalb mit Waffen ausgerüstet werden. Das Wuchern der Söldnerheere und verbündeten Hilfstruppen aber unterminiert das letzte Unterpfand bürgerlicher Herrschaft: das staatliche Gewaltmonopol. Die Ironie der Geschichte besteht darin, daß ausgerechnet diejenige Weltmacht, die bis in ihre Herrschaftsarchitektur das römische Imperium zu kopieren sucht, blind ist gegenüber dem Menetekel vom Teutoburger Wald, wo die ruhmreichen Legionen von römisch ausgebildeten Abtrünnigen zum Sterben in die Sümpfe getrieben wurden.

So versinkt vor unseren Augen die bürgerliche Welt. Wer seinen Marx gelesen hat, weiß, was diese Welt im Innersten zusammenhielt und was nun seine integrierende Kraft verliert: Der Kern des kapitalistischen Systems ist die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft, die er gleichzeitig, gepeitscht von der Konkurrenz zwecks Steigerung der Produktivität aus dem Produktionsprozeß vertreiben muß. Mit der mikroelektronischen Revolution ist aus dieser von Marx entdeckten Potenz alltägliche Realität geworden. Also sammeln sich – zuerst an den Rändern der kapitalistischen Welt – immer größere Mengen vor allem jüngerer Menschen, hier wiederum vor allem junge Männer, die nach dem Sterben der Hoffnung auf den scheinbar-realen Sozialismus 1989 ihre Sehnsüchte zuerst auf das Kopieren des Lebensstils der kapitalistischen Zentren setzten und nach Ent-Täuschung dieser Hoffnung nun die Milizen und Banden rund um Europa herum speisen. Sie sammeln sich in der Ukraine unter dem Banner des faschistischen »Rechten Sektors«, in Ägypten nach dem Verwelken des arabischen Frühlings erneut unter dem Banner der Muslimbruderschaft. Sie haben mit dem »Islamischen Staat« eine neue und nicht die letzte Stufe erreicht. Sie sind das Brandzeichen an der Wand, das die Zukunft in den Zentren selbst ankündigt. Denn die Gesetze der kapitalistischen Kernschmelze wirken, wenn auch zeitlich verzögert, auch hier und werden Rechtssystem wie bürgerliche Staatsstrukturen zersetzen.

Die verzweifelten Bemühungen, sich in diesem Strudel des Untergang an den Strohhalm »Völkerrecht« zu klammern, erzeugen nur die Illusion, irgend etwas könne progressiv verändert werden durch Anrufen eines Gespenstes aus dem 20. Jahrhunderts. Veränderungskraft erwächst nur aus dem, was Rosa Luxemburg zu Recht als die vornehmste Pflicht jedes revolutionären Menschen erkannt hat: Die Wahrheit auszusprechen. Und zu dieser Wahrheit gehört: Es gibt innerhalb dieses sterbenden Weltsystems Kapitalismus kein Völkerrecht mehr.

Und mit diesen Worten sollten wir gleich in Szene eins Schmitz und Eisenring, Gauck und Steinmeier die Tür weisen, die uns mit »Menschlichkeit«, »Völkerrecht« und anderen Lügen in den nächsten Weltbrand führen wollen. Vermutlich werden wir es nicht tun. Was wählte Frisch als Untertitel? Er nannte es »ein Lehrstück ohne Lehre«.

Manfred Sohn



Quelle:  Erschienen in Ossietzky, der Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft - Heft 19/2014 > zum Artikel

Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, wurde 1997 von Publizisten gegründet, die zumeist Autoren der 1993 eingestellten Weltbühne gewesen waren – inzwischen sind viele jüngere hinzugekommen. Sie ist nach Carl von Ossietzky, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1936, benannt, der 1938 nach jahrelanger KZ-Haft an deren Folgen gestorben ist. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte er die Weltbühne als konsequent antimilitaristisches und antifaschistisches Blatt herausgegeben; das für Demokratie und Menschenrechte kämpfte, als viele Institutionen und Repräsentanten der Republik längst vor dem Terror von rechts weich geworden waren. Dieser publizistischen Tradition sieht sich die Zweiwochenschrift Ossietzky verpflichtet – damit die Berliner Republik nicht den gleichen Weg geht wie die Weimarer.

Wenn tonangebende Politiker und Publizisten die weltweite Verantwortung Deutschlands als einen militärischen Auftrag definieren, den die Bundeswehr zu erfüllen habe, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Flüchtlinge als Kriminelle darstellen, die abgeschoben werden müßten, und zwar schnell, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Demokratie, Menschenrechte, soziale Sicherungen und Umweltschutz für Standortnachteile ausgeben, die beseitigt werden müßten, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie behaupten, Löhne müßten gesenkt, Arbeitszeiten verlängert werden, damit die Unternehmen viele neue Arbeitsplätze schaffen, dann widerspricht Ossietzky – aus Gründen der Humanität, der Vernunft und der geschichtlichen Erfahrung.

Ossietzky erscheint alle zwei Wochen im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin – jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen die Gewöhnung an den Krieg und an das vermeintliche Recht des Stärkeren.
 

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Imperialismus schleift Völkerrecht

 

Der Imperialismus schleift das Völkerrecht, dass es zu verteidigen gilt!

Journalistisch ist es durchaus geschickt, wenn der Autor Manfred Sohn zur Einführung seiner These, die er im Text entwickelt, zeigt, dass es in der Literatur große Dramatiker gibt, die bereits in den fünfziger Jahren des 20. Jhrds. mit künstlerischen Mitteln und mit großem Erfolg seine These als richtige erkannten. Manfred Sohn greift in seinem Text „Brandstifter, Menschlichkeit und Völkerrecht“ auf das Drama „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch zurück. Der Protagonist Biedermann geht nicht bewusst in eine Katastrophe, sondern er erleidet aus Feigheit, Dummheit und Verblendung ein vermeidbares „Schicksal“. Alles brennt nieder. Es ist der Opportunismus Biedermanns der das Werk der Brandstifter verwirklichen lässt. Sohn setzt an die Stelle der beiden Brandstifter die Politiker Gauck und Steinmeier. Die Biedermänner ersetzt er durch „das deutsche Volk“ und „sogar“ die „Linken“, die den Brandstiftern „hilflos und im Ergebnis kumpaneihaft gegenüber“ stehen. Gauck und Steinmeier sind personifizierte Organe eines staatsmonopolistischen Kapitalismus. Sie führen nur aus, was die Dynamik der „Wirtschaft“ von ihnen fordert. Was ein großer Unterschied zu den Brandstiftern bei Frisch ist, deren Beweggründe unbekannt bleiben, also keine Lehre von Kausalität vermitteln wollen. Die Brandstifter Gauck und Steinmeier sind in Sohns Story natürlich geschickter als die Brandstifter bei Frisch. Sie hantieren nicht mit Streichhölzern, sondern mit dem „Zauberwort `Völkerrecht´.

Ein „Zauberwort“ ist natürlich, anders als ein Streichholz, von ideellem Wert, was Sohn endlich zu seiner These kommen lässt: „Es gibt kein Völkerrecht!“ Natürlich nicht, ist man geneigt zu rufen, es wird weltweit und täglich von imperialistischen Staaten und ihren Gaucks, Steinmeiers und Obamas liquidiert. Sohn missbraucht in seiner nihilistischen Argumentation nicht nur Max Frisch, dem es in seinem Drama darum ging zu zeigen, dass die Streichhölzer tatsächlich zündeln werden, wenn Opportunismus die Menschen vor der Realität deren Gefahr erblinden lässt. Sohn missbraucht auch alle Errungenschaften der Völkergemeinschaft, so wie wir sie in der UNO heute finden. Noch finden!

So wie auf staatlicher Ebene das geschriebene Recht (Grundgesetz) allgemeine Rechtsgleichheit schaffen soll, so basiert die Charta der Vereinten Nationen auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit der UNO-Mitgliedstaaten. Die Gaucks versuchen natürlich auch das Grundgesetz Tag für Tag auszuhöhlen. Gibt es deshalb das Grundgesetz nicht mehr, das wir gefälligst zu verteidigen haben? Das militärische Gewaltmonopol liegt noch immer, auch wenn der US-Imperialismus sich nicht daran orientieren will, in den Händen des UNO-Sicherheitsrats. Ist dieser Sicherheitsrat nicht durchaus eine Waffe der unterdrückten Völker dieser Welt? China und Russland stellten sich mit ihrem Veto im Sicherheitsrat mehrfach an die Seite der unterdrückten Nationen gegen die vom Imperialismus beherrschten Nationen. Das Völkerrecht ist ein demokratisches Recht, das natürlich, wie alle demokratischen Rechte täglich und stündlich missachtet wird von jenen, die ihr Gesetz der kapitalistischen Verwertung mit aller Gewalt durchsetzen wollen.

Hitler zog einst gegen den Völkerbund zu Felde und war daher konsequent auch gegen das Völkerrecht, dem er demagogisch das „Menschenrecht“ gegenüberstellte. Wie Hitler den Menschen definierte muss nicht wiederholt werden. Da es aber Völker gab, die sich in Nationen mit Landesgrenzen verbunden hatten, musste er das Recht dieser Völker schleifen. Es war für ihn ein „Zauberwort“, denn er wollte die Weltherrschaft. Da sollte es keine Grenzen und natürlich auch kein Völkerrecht mehr geben. Dank des „Vaterländischen Krieges“ (in China und Vietnam später auch „Volkskrieg“ genannt) der „Roten Armee“ konnten alte und neue Grenzen das Völkerrecht verteidigt und der Faschismus besiegt werden. War das kein Krieg zur Verteidigung des Völkerrechts der Sowjetunion?

Im übrigen sei daran erinnert, dass Lenin das Selbstbestimmungsrecht der Völker bereits im Oktober 1914 propagierte, mit dem Erfolg, dass es die Oktoberrevolution gab und mit ihr das „Dekret über die Rechte der Völker Russlands“. Trotzki hatte 1915 im Zimmerwalder Manifest das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ einen „unerschütterlichen Grundsatz in der Ordnung der nationalen Verhältnisse“ genannt. Lenin schreibt 1916: „Der Imperialismus erzeugt einen solchen Kampf, indem er die Klassengegensätze ungemein verschärft, die Lage der Massen in ökonomischer Hinsicht – Trusts, Teuerung – sowie in politischer Hinsicht verschlimmert, Wachstum des Militarismus, Kriege, Verstärkung der Reaktion, Befestigung und Erweiterung des nationalen Druckes und des kolonialen Raubes verursacht. Der siegreiche Sozialismus muß die volle Demokratie verwirklichen, folglich nicht nur vollständige Gleichberechtigung der Nationen realisieren, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nationen durchführen, das heißt das Recht auf freie politische Abtrennung anerkennen. Sozialdemokratische Parteien, die durch ihre ganze Tätigkeit sowohl jetzt (!) als während und nach der Revolution nicht zu beweisen imstande sein werden, daß sie die unterjochten Nationen befreien und ihre eigenen Beziehungen zu denselben auf dem Boden der freien Vereinigung aufbauen werden – eine solche Vereinigung aber würde zur lügnerischen Phrase ohne die Freiheit der Abtrennung – derartige Parteien würden Verrat am Sozialismus begehen.“ (Lenin, Bd.22, Berlin 1960, S.144 )

Sohn stellt als Beweis seiner These vom Untergang des Selbstbestimmungsrechts der Nationen fest: „Es gibt keinen Staat Afgahnistan, keine Staat Irak, keinen Staat Libyen mehr, es gibt keinen Staat Ukraine“. Das ist wirklich ein Problem. Aber das lässt sich nicht dadurch wegreden, in dem zynisch das Völkerrecht als linke Träumerei negiert wird, sondern im Gegenteil, in dem dafür gekämpft und gestritten wird, dass diese Länder eine eigene staatliche Souveränität und damit das Selbstbestimmungsrecht erzwingen, das ihnen eine Kompradatorenbourgeoise vom Typ Poroschenko abzusprechen versucht. Es ist der Imperialismus, der dieses Recht durch Forcierung innerer Widersprüche in den Völkern unterdrückt. Er will sie beherrschen, weil er deren Rohstoffe, billige Arbeitskräfte und Militärstützpunkte gegen Russland und China braucht.

Sohn will aber nicht nur beweisen, dass es das Völkerrecht nicht mehr gibt, es auch keinen Sinn hat, es zu verteidigen. Er behauptet auch, vor unseren Augen versinke die bürgerliche Welt, denn, so Sohn „wer seinen Marx gelesen hat (!!), weiß, was diese Welt in ihrem Innersten zusammenhielt“. Na, wird man fragen, warum denn „hielt“ und nicht „hält“? Ist die Dynamik der kapitalistischen Akkumlation schon beendet? Der Autor sagt es uns: Die „mikroelektronische Revolution“ habe die Ware Arbeitskraft aus dem Produktionsprozess vertrieben und das führe wiederum zu Banden „junger Männer“ die ihren Frust durch weltweiten Terror sublimieren wollen. Hat Sohn „seinen“ Marx wirklich richtig gelesen? Der Mehrwert, den allein die Ware Arbeitskraft produziert ist. noch immer die Basis des kapitalistischen Produktionsprozesses! Nur ist es in der Tat so, dass der tendenzielle Fall der Profitrate manchem Kapitalisten die Lust an der Produktion genommen hat. Deshalb geht „vor unseren Augen die bürgerliche Welt“ aber nicht unter. Zerstörung von Mensch und Natur und Krieg ist die Flucht dieser bürgerlichen Welt vor dem Widerspruch von gigantischer, vergesellschafteter Produktivkraft und Produktionsverhältnissen die auf Habgier programmiert sind. Der Kapitalismus tritt nicht einfach ab, er muss von jenen gestürzt werden die er ausbeutet, unterdrückt und zerstört. Dazu gehören auch die Völker dieser Welt, die um ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfen, auch sei es nur darum, dass sie erkennen, dass die eigenen Bourgeois nicht besser sind als jene aus Europa oder Amerika die nach erfolgreichem Widerstand vertrieben worden sind.

Wer das Völkerrecht nicht mehr verteidigen will, weil er glaubt, es existiere gar nicht mehr, gehört zu denen, die als Brandstifter das Zündholz an das Selbstbestimmungsrecht legen, um imperialistische Zerstörungen defätistisch als Naturgesetz zynisch rechtfertigen zu können. Frage:

  • Soll die Friedensbewegung in diesen jämmerlichen Chor des Weltuntergangs einstimmen?
  • Wozu braucht ein solcher Chor einen Dirigenten „Linkspartei“, wenn einer ihrer Ideologen behauptet, die Welt sei bereits völlig zertrümmert?

Frisch schrieb als Untertitel seines Dramas vom Biedermann „Lehrstück ohne Lehre“, weil er offensichtlich nicht glaubte, dass sich der Opportunismus mit künstlerischen Mitteln beseitigen lässt. Sohns „Lehrstück“ trägt allerdings eine bittere „Leere“ in sich, die lautet: „Et kütt wie et kütt!“ Also streicht Eure revolutionären Flausen, ihr linken Träumer!

Jürgen Meier, Hildesheim

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Wider den Rechtsnihilismus

 

Wider den Rechtsnihilismus

von Rolf Geffken via Ossietzky

Man kennt das: Jemand reklamiert »sein« Recht und will es durchsetzen. Der Anwalt runzelt die Stirn und hat Zweifel. Doch der Rechtssucher teilt die Zweifel nicht: Es muß doch eine Möglichkeit geben. Muß. Alles andere wäre nicht gerecht. Wo käme man denn da hin? Zweifel daran, wo das Recht »geschrieben steht«, dringen nicht durch. Es kommt, wie es kommen muß: Der Rechtsucher bekommt sein Recht nicht. Eine Welt bricht zusammen. Erst ist der Anwalt schuld. Der Richter weniger (obwohl er das Urteil gefällt hat). Nachdem andere Anwälte die Richtigkeit der Entscheidung bestätigt haben, ist es klar: Es gibt dieses Recht nicht, weil es gar kein Rechtssystem mehr gibt. In kürzester Zeit findet eine partielle Radikalisierung im Denken des Rechtsuchers statt. Politisch zwar folgenlos, radikal aber in der Konsequenz: Was vorher für ihn »feststand«, ist nun gar nicht mehr da: Was vorher unumstößlich war und in Stein gemeißelte Gerechtigkeit zu sein schien, ist nun dem Nirwana eines radikalen Rechtsnihilismus gewichen. Recht? Vergiß es! Gibt‘s doch gar nicht!

All das ist menschlich verständlich und nachvollziehbar. Wer aber wäre so vermessen, solche Echauffierungen als Teil einer politischen Theorie oder gar einer politischen Analyse anzubieten?

Genau das geschah kürzlich in einem Aufsatz von Manfred Sohn zum Thema Völkerrecht (⇒ Ossietzky 19/14). Er stellt – offensichtlich enttäuscht wie unser Rechtssucher – fest: »Es gibt kein Völkerrecht mehr«. Er geht noch weiter: Nicht allein das Völkerrecht, »sondern das bürgerliche Rechtssystem … zerbröselt«. Und als wäre das noch nicht genug der Apokalypse, schließt er diesen Satz an: »So versinkt vor unseren Augen die bürgerliche Welt!«

Man reibt sich die Augen angesichts einer solchen Sichtweise. Und warum das alles? Weil vor unseren Augen »der Schleier dieser Illusion« zerrissen wird. Welche Illusion denn? Eben diese: daß das Völkerrecht auch eingehalten werde. Da haben wir es: Recht wird gebrochen oder aber nicht gewährt. Also existiert es nicht. Was ist das für eine Logik? Schon begrifflich sind Recht und Rechtsbruch zwei Seiten ein und derselben Medaille. Man kann das Recht nur brechen, wenn es existiert. Rechtsbruch ohne Recht kann es nicht geben. Das wäre Willkür. Die Vorstellung, das Recht existiere nicht, weil es gebrochen werde oder aber in der Wirklichkeit nicht stets vollzogen sei, ist schon beim einfachen Recht falsch. Erst recht gilt es für das Völkerrecht, dessen Bruch in den letzten 100 Jahren Teil seiner eigenen Realität war. Doch für M. Sohn ist das Völkerrecht ohne Staaten undenkbar. Die Staaten zerfallen. Als Beispiel nennt er Afghanistan, Irak, Libyen und die Ukraine. Die einfache Frage, ob diese Staaten implodierten oder von außen durch andere Staaten zu Fall gebracht wurden, stellt er erst gar nicht, obwohl sie durchaus naheliegt.

Es gibt dieser Tage aber auch andere Enttäuschte. Das zeigt sich etwa in der Debatte zum Streikrecht. Da sind viele kritische Geister unterwegs. Sie verbreiten in ihren Gazetten oder in sozialen Netzwerken die These: »Es gibt gar kein Streikrecht!« Man müsse es erst erkämpfen. Es gebe nur ein »Arbeitskampfrecht«. Das könne man feststellen, wenn man nur ins Grundgesetz schaue. Da stehe nichts von einem Streikrecht. (Erik Alfredsson: »Zum Streikrecht in Deutschland«, in: »9 Monate Streik bei Neupack«, hg. von den Mitgliedern des Soli-Kreises Neupack, 2014)

Mal abgesehen davon, daß diese kritischen Geister jenen, die vor Gericht um ihr Streikrecht kämpfen, schlicht in den Rücken fallen: Ihr Standpunkt ist derselbe wie jener der reaktionärsten Arbeitsrechtsjuristen unseres Landes: Der Altnazi Hans Carl Nipperdey hatte als Präsident des Bundesarbeitsgerichts im Jahre 1954 als erster die Idee, den Streik als einen Eingriff in den eingerichteten Gewerbebetrieb zu betrachten und das Grundrecht der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz einfach zu übergehen. Es dauerte sehr lange, bis das Bundesarbeitsgericht gut 30 Jahre später zu dem Ergebnis kam, daß das Streikrecht sich sehr wohl aus dem § 16 Koalitionsgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 [PdF] ergäbe.

Bekanntlich gab es erst Streiks, dann Gewerkschaften und schließlich die Anerkennung der Koalitionsfreiheit. Die ursprüngliche Form der Koalition ist der Streik. Zwischen Streik und Organisation besteht also allenfalls ein gradueller, aber kein grundsätzlicher Unterschied. Hinzukommt, daß das Streikrecht in einer Vielzahl von völkerrechtlichen (!) Bestimmungen garantiert ist. Es ist deshalb schon grotesk, daß ausgerechnet nun von vielen linken Kritikern des hiesigen Arbeitsrechtssystems das Fehlen eines Streikrechts angeprangert wird.
 

Es gibt sogar eine Initiative, die die »Legalisierung« des Generalstreiks oder aber des politischen Streiks verlangt. Die ganz einfache Erkenntnis, daß die Forderung nach Legalisierung deren aktuelle Rechtswidrigkeit belegt, kommt nicht in den Sinn. Wer vom Gesetzgeber die Schaffung eines Rechts fordert, kann nicht gleichzeitig behaupten, daß das Recht bereits existiert. Umgekehrt: Wer behauptet, daß ein Recht nicht existiert, denunziert jene, die dieses Recht wahrnehmen, als Rechtsbrecher. Das ist ebenso einfach wie logisch, wird aber in den aktuellen Debatten praktisch nie beachtet. Hier zeigt sich, wohin es führt, wenn man vorschnell die faktische Nichtgewährung von Rechten oder massenhaften Rechtsbruch gleichsetzt mit der Abschaffung eines Rechts.

In einem Land, in dem Rechtsgläubigkeit und Gesetzesgläubigkeit sehr hoch angesetzt sind und sogar politische Entscheidungen determinieren, ist jede Art von Rechtsnihilismus kontraproduktiv und gefährlich. Schlimmer noch: Sie ist im Ergebnis reaktionär. Man sollte bei der Beschreibung und Analyse eines Rechts immer auch an jene denken, die täglich dieses Recht wahrnehmen wollen. Rechtsanalyse passiert nie im luftleeren Raum. Rechtsnihilismus kann verheerende Folgen haben, weil er jenen in die Hand spielt, die Recht brechen oder erst gar nicht anerkennen wollen.

Rolf Geffken



Quelle:  Erschienen in Ossietzky, der Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft - Heft 24/2014 > zum Artikel

Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, wurde 1997 von Publizisten gegründet, die zumeist Autoren der 1993 eingestellten Weltbühne gewesen waren – inzwischen sind viele jüngere hinzugekommen. Sie ist nach Carl von Ossietzky, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1936, benannt, der 1938 nach jahrelanger KZ-Haft an deren Folgen gestorben ist. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte er die Weltbühne als konsequent antimilitaristisches und antifaschistisches Blatt herausgegeben; das für Demokratie und Menschenrechte kämpfte, als viele Institutionen und Repräsentanten der Republik längst vor dem Terror von rechts weich geworden waren. Dieser publizistischen Tradition sieht sich die Zweiwochenschrift Ossietzky verpflichtet – damit die Berliner Republik nicht den gleichen Weg geht wie die Weimarer.

Wenn tonangebende Politiker und Publizisten die weltweite Verantwortung Deutschlands als einen militärischen Auftrag definieren, den die Bundeswehr zu erfüllen habe, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Flüchtlinge als Kriminelle darstellen, die abgeschoben werden müßten, und zwar schnell, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Demokratie, Menschenrechte, soziale Sicherungen und Umweltschutz für Standortnachteile ausgeben, die beseitigt werden müßten, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie behaupten, Löhne müßten gesenkt, Arbeitszeiten verlängert werden, damit die Unternehmen viele neue Arbeitsplätze schaffen, dann widerspricht Ossietzky – aus Gründen der Humanität, der Vernunft und der geschichtlichen Erfahrung.

Ossietzky erscheint alle zwei Wochen im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin – jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen die Gewöhnung an den Krieg und an das vermeintliche Recht des Stärkeren.
 

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Völkerrecht - Kapitalismus

 

Noch einmal zum Völkerrecht

von Dr. Manfred Sohn (. . via Email)

Zu dem Artikel über das Völkerrecht, den ich letztes Jahr im Ossietzky veröffentlichen durfte, hat es eine vielfältige, schriftlich überwiegend kritische Resonanz gegeben.  Auf einige in verschiedenen Artikeln – zum Teil sind sie im „Kritischen Netzwerk" veröffentlicht – aufgeführte Argumente will ich in aller gebotenen Kürze eingehen.

Rolf Geffken schwankt zwischen Linguistik und Psychologie.  Natürlich hat er recht, wenn er schreibt, „Rechtsbruch ohne Recht kann es nicht geben.“ Damit wird aber die Problematik einer untergehenden Rechtsordnung genauso wenig erfaßt wie mit seiner furchtbaren Schelte, andere Positionen als die der Verteidigung des bestehenden „Völkerrechts“ seien politisch „folgenlos“ oder der Überschrift seiner Replik, die „Wider den Rechtsnihilismus“ lautet. Es gibt kein für alle geschichtlichen Zeiten geltendes, also überhistorisches Recht. Es gab Jahrtausende lang funktionierende Rechtssysteme in den Zeiten des Matriarchats, denen das heutige Eigentumsrecht genauso fremd war wie Gefängnisstrafen oder ein Völkerrecht. Es gab das Recht der Sklavenhaltergesellschaften, die einige Menschen auf den Rang sprechender Werkzeuge und damit von Sachen stellte. Diese Rechtssysteme sind vergangen und haben – häufig nach blutigen Jahrzehnten und Jahrhunderten – anderen Rechtssystemen Platz gemacht. Es zeigt die Borniertheit selbst aufgeklärter Linker, sich kein anderes Rechtssystem und keinen politischen Kampf außer auf dem Boden dieses Rechtssystem vorstellen zu können. Es geht nicht um Rechtsnihilismus, es geht um die Anerkennung der Tatsache, daß vor unseren Augen die bürgerliche Welt mit ihren Gewißheiten zerfällt und mit ihr ein Rechtssystem, das irrtümlich viele für natur- oder gottgegeben halten.

Der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Debatte ist die Frage der Nationalstaaten. Sie sind – wie jüngst der Streit um Krim, Donbass und Ukraine erneut erhellt – die zentralen Subjekte des Völkerrechts. Wer bei den Versuchen, über den Kapitalismus hinaus zu denken und zu wirken, in den Strukturen bürgerlicher Staaten verbleibt, verbleibt aber letztlich im Kapitalismus, der diese bürgerlichen Staaten erst hervorgebracht hat. Es gehört zu der in der Linken nicht zu Ende debattierten Frage des Scheiterns des großen Versuchs von 1917-1989 (mit seinem Nachtrab in China, Venezuela und einigen anderen Ländern, die es abermals mit einer aufholenden Modernisierung versuchen), wie denn eine Befreiung aus kapitalistischen Zwängen gelingen kann, wenn die grundlegenden Kategorien dieses Zwangssystems anerkannt werden: Markt, Austausch von Waren und der per gesetzlichem Zwang den Markt und diesen Austausch regulierende Staat.

Natürlich hat Jürgen Meier recht, wenn er konstatiert, daß der Kapitalismus „nicht einfach“ abtrete. Er irrt aber, wenn er fortfährt, „er muss von jenen gestürzt werden, die er ausbeutet, unterdrückt und zerstört“. Woher kommt dieses „muss“? Wenn es kein moralisches „muss“ ist, dann kann dahinter denklogisch nur die Erwartung stehen, Kapitalismus könne – wenn er denn nicht „gestürzt“ werde – ewig weiter existieren. Das aber kann er eben nicht, weil er aufgrund seiner von Marx offengelegten Gesetze Arbeit nur in Wertform organisieren kann, also nur, wenn er aus ihrer Vernutzung Profit erzeugen kann. Je produktiver er wird, desto weniger Wert ist in einer hergestellten Ware enthalten, desto mehr Arbeit wird im kapitalistischen Sinne unverwertbar, also überflüssig.

Also sammeln sich systematisch in immer mehr Regionen der Welt kapitalistisch Überflüssige an und die diese weltumspannende kapitalistische Verwertungsmaschine zwanghaft zusammenhaltenden Staaten werden ebenso systematisch immer zwanghafter und hilfloser zugleich. Damit aber zerfallen die zentralen Subjekte des bürgerlichen Völkerrechts, höhlen es aus und bringen es über kurz oder lang zum Zerfall. Wenn er also nicht gestürzt wird, tritt er nicht einfach aber mutiert zu Barbarei, deren Vorboten die marodierenden Banden sind, die immer größere Teile der Welt anstelle zerbrechender bürgerlicher Staatsmaschinen zu prägen beginnen.

Das Irre an der innerlinken Diskussion ist, daß sich ausgerechnet die Linke in dem Moment, wo Kapitalismus sich vor unseren Augen immer mehr als eine überlebte Ordnung enthüllt, wie ein Ertrinkender an diese untergehende Welt klammert: Yanis Varoufakis beschwört die Marxisten, doch bitte den Kapitalismus zu retten und Rolf Geffken flüchtet sich in Klientenschelte.

Helfen wird das alles nichts – weder dem Kapitalismus noch dem Völkerrecht noch der Linken hier oder anderswo. Helfen wird nur, den Dreiklang zu entwickeln, der über die jetztige Wirtschafts- und Rechtsordnung hinausweist: Widerstand gegen Markt und Staat vor Ort, Teilen statt Tauschen, Dezentralität statt Zentralismus in Produktion und Reproduktion unseres Lebens.

Die Kämpfe um’s sogenannte Völkerrecht überlassen wir getrost denen, die die alte Welt retten statt die neue erschließen wollen.

Dr. Manfred Sohn

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Dr. Giannis Varoufakis, (* 24. März 1961 in Athen). Er ist Verfasser mehrerer Sachbücher und aktiver Blogger. Bei der Parlamentswahl 2015 wurde er für SYRIZA ins griechische Parlament gewählt und ist seit dem 27. Januar 2015 Finanzminister im Kabinett Alexis Tsipras. Foto: Jörg Rüger. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

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