Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus (PAUL MATTICK)

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Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus (PAUL MATTICK)
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Business as usual.   Krise und Scheitern des Kapitalismus


Autor: Paul Mattick   / aus dem Englischen von Felix Kurz

Verlag: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg (dt. Erstausgabe 2/2012) -   zur Verlagsseite

ISBN  978-3-89401-754-5

Broschur, EUR 12,90 - auch als epub oder pdf in Ihrem eBook-Shop erhältlich.


Die derzeitige Wirtschaftskrise ist die Folge eines aus den Fugen geratenen Finanzkapitalismus, so der allgemeine Konsens, verschärft durch hohe Verschuldung und verantwortungslose Spekulation. Man gibt die Schuld dem wachsenden Ungleichgewicht zwischen Ländern mit geringen Investitionen und hohem Konsumniveau wie den USA und sich schnell entwickelnden Wirtschaftsregionen wie China und Südasien.

In Business as usual erklärt Paul Mattick die aktuelle Lage verständlich und gänzlich jargonfrei. Er stellt sie in Zusammenhang mit der Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg und vor allem in den Zyklus von Krise und Erholung, wie er den Kapitalismus seit dem frühen 19. Jahrhundert charakterisiert. Die heutige Krise ist Symptom eines von enormer Profitgier getriebenen Kapitalismus.

Mattick macht die Grenzen jeglicher Versuche der Politik, die Wirtschaft zu beeinflussen und zu stabilisieren, deutlich. Er legt dar, dass die heutige Rezession nicht eine Folge der Finanzkrise ist, sondern ein Merkmal der wahren Natur des sozialen und wirtschaftlichen Sys­tems, in dem wir leben. Wer dieses Buch gelesen hat, kann nicht mehr an Rettungsschirme glauben.


Pressestimmen:


»Seit Anfang März ist dieses Buch auch auf Deutsch zu lesen und nicht nur den Lesern zu empfehlen, die dem Kapitalismus schon immer mangelnde Selbstreflexion und völlige Realitätsferne vorgeworfen haben. Wie in einem kleinen, auch für Anfänger geeigneten Kompendium der politischen Ökonomie erklärt uns der Autor die wichtigsten Grundfehler dieses Gesellschaftssystems und verdeutlicht so, warum der Kapitalismus nicht funktionieren kann. (...) Matticks Buch ist eine unbedingt zu empfehlende Alternative zu den aktuellen Krisenlösungsphantasien des Mainstream-Ökonomismus.«
Dirk Farke, Vorwärts

»Mit historischer Tiefe und durchdringender Analyse zeigt Mattick, was an der herkömmlichen Sichtweise auf die Krise falsch ist.«
Noam Chomsky

»Mattick nun argumentiert mit einer verblüffenden Einfachheit, dass das Ungleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion systemimmanent sei, weil im Kapitalismus der Gesamtwert aller produzierten Güter auf jeden Fall größer als die Summe aller Löhne sein müsse, denn nur so würden Profite erzeugt. Krisenphänomene wie Überproduktion, Arbeitslosigkeit, mangelnde Kaufkraft sind so gesehen reguläre Prozesse in einem profitgetriebenen System, in dem Geld eben nicht eingesetzt wird, um etwas zu produzieren, sondern um daraus mehr Geld zu machen. Dieser Sachverhalt, der freilich auch bei Mattick komplizierter ist, auch abgeleitete Profitformen wie Zins und Rente werden berücksichtigt, werde aber nach wie vor ausgeblendet. Stattdessen sei der Wachstumsbegriff immer mehr in den Vordergrund ökonomischen Wissens gerückt, mit dem sich auf das gesellschaftliche Allgemeinwohl abstellen, die treibende Kraft des Kapitals aber, die Profitabilität als sein Selbstzweck, aus dem Sucher schieben ließ.«
Barbara Eisenmann, SWR2 Buchkritik


Leseprobe: Vorwort zur deutschen Ausgabe

Als Ende 2007 das amerikanische Finanzsystem zu kollabieren begann und Billionen Dollar in Rauch aufgingen, waren sich nicht nur Politiker, sondern auch die meisten Experten an den Universitäten und in den Wirtschaftsredaktionen darüber einig, dass die Lage zwar ernst sein möge, Vergleiche mit der Großen Depression aber deplatziert seien. Wenige Monate später jedoch war dieser Vergleich allgegenwärtig, und sei es nur als Folie für die Beteuerung, dass sich die Abwärtsspirale diesmal kontrollieren lasse – sofern die Regierungen das Richtige täten, und zwar schnell. Andernfalls, so der damalige Führer der freien Welt, »this sucker’s going down«. Drei Jahre später schien es tatsächlich, als sei das Schlimmste verhindert worden. Als im Frühjahr 2011 die englische Ausgabe dieses Buches erschien, galt die Rezession als beendet; Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Finanzexperten behaupteten zuversichtlich, der Aufschwung, wenn auch »fragil«, habe bereits eingesetzt.

Bereits im Herbst 2011 jedoch zeigten sich Ökonomen, um nur einige wenige Sätze aus der New York Times zu zitieren, angesichts des ausbleibenden Wirtschaftswachstums »sprachlos« und galt die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit nicht zurückging, als »Signal für wirtschaftlichen Stillstand und die erheblichen Gefahren, die eine Untätigkeit auf Seiten der Politik birgt«, während amerikanische Städte und Bundesstaaten von Bankrott bedroht oder bereits betroffen waren und Rentenpläne, Arbeitslosenunterstützung und zahlreiche Stellen im öffentlichen Sektor kürzten. Am 19. September prognostizierte die Zeitung »ein nachlassendes Wachstum in Europa und wahrscheinlich auch in den Vereinigten Staaten, gewaltige Verluste großer europäischer Banken, weltweit fallende Börsenkurse und eine Kreditverknappung, die es für viele Schuldner schwierig machen wird, neue Darlehen zu bekommen«. Die Eurozone taumelte unterdessen von einer Staatsschuldenkrise zur nächsten und bedrohte Woche um Woche die Stabilität des globalen Finanzsystems. Im November entging Griechenland nur knapp dem Staatsbankrott und beschleunigte damit die Kreditflucht aus Italien und Spanien, die als die nächsten Kandidaten auf der Liste gefährlich überschuldeter Staaten galten, während Frankreich das AAA-Rating für seine Staatsanleihen zu verlieren drohte und Deutschland, die feste Burg [im Orig.dt.] des europäischen Kapitalismus, bei einer Auktion am 24. November 30 Prozent der angebotenen Bundesanleihen nicht verkaufen konnte. So breiteten sich Spekulationen aus, dass der Euro, einst stolzer Rivale des Dollar, mit weitreichenden Folgen für das globale Finanzwesen zusammenbrechen könnte.

Wie gravierend diese Entwicklungen sind, wurde auch in anderer Weise deutlich: nämlich in der Welle von Protesten und sozialen Bewegungen, die um den Globus rollte, vonAthen nach Kairo und in andere arabische Länder, nach Madrid, Tel Aviv sowie zuletzt – und am überraschendsten – in die Vereinigten Staaten, wo Tausende von jungen Menschen öffentliche Plätze im Namen jener »99 Prozent« der Bevölkerung besetzten, die aus ihrer Sicht von dem Ökonomie wie Politik beherrschenden »1 Prozent« wirtschaftlich unterdrückt werden. Ein erstaunliches Merkmal dieser Proteste bestand vielerorts in einem Niedergang des Glaubens an die konventionelle Politik, einer Abkehr von der Vorstellung, der Walzer der Wahlparteien könne zu besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen führen. Die Bewegung in den Vereinigten Staaten, die mit einem Aufruf zur Besetzung der Wall Street begann, erwies sich für Politiker und Journalisten als frustrierend, da sie sich weigerte, Forderungen zu stellen, und stattdessen einfach ihre Empörung und Wut über die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zum Ausdruck brachte. Diese Abwesenheit von Forderungen an Lokalund Bundespolitiker bezeugte zugleich die Bedeutungslosigkeit traditioneller linker Gruppen in der Bewegung, die ihre Programme meist als politische Forderungskataloge formulieren – eine Bedeutungslosigkeit, die ich im letzten, vor diesen Ereignissen geschriebenen Kapitel erkläre.

Angesichts dieser ökonomischen und politischen Entwicklungen kann man sich kaum der Schlussfolgerung entziehen, dass die Wirtschaftskrise, die mit einem lokalen Ereignis – dem Zusammenbruch des amerikanischen Hypothekenmarktes – anfing, ein bedeutendes Kapitel in der Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft darstellt. Um sie zu begreifen, müssen herkömmliche Vorstellungen über den Charakter dieser Gesellschaft überdacht werden.

Noch vor wenigen Jahren gewannen Ökonomen, die erklärten, dass die Marktwirtschaft ein rationales, effizientes und sich selbst korrigierendes System sei, den Nobelpreis; andere wiederum, die diese Auffassung nicht teilten, waren gleichwohl davon überzeugt, durch die richtige Politik lasse sich jede Wachstumsschranke überwinden, auf die der Kapitalismus womöglich stoßen könnte. Beide Spielarten wirtschaftswissenschaftlicher Orthodoxie haben an Glaubwürdigkeit verloren, seitdem die Gewinne der vergangenen Jahre dahingeschmolzen sind wie Gletscher unter den Folgen der globalen Erwärmung – große Vermögen lösten sich an den Börsen in aller Welt in Nichts auf, die neun größten US-amerikanischen Banken verloren Anfang 2008 binnen drei Wochen mehr Geld, als sie in den drei Jahren davor verdient hatten, und die Regierungen hatten unterdessen damit zu kämpfen, den Schaden einzudämmen.

Doch obwohl Zeitschriften wie der Economist überraschenderweise durchaus bereit waren, in den gegenwärtigen Störungen eine ernsthafte Gefährdung des Wirtschaftssystems zu sehen (seine Titelgeschichte vom 18. Oktober 2008 hieß »Capitalism at Bay«, »Kapitalismus in Bedrängnis«), scheint es immer noch schwer begreiflich zu sein, dass die derzeitige Krise nicht bloß das Ergebnis von Gier, unternehmerischer Verantwortungslosigkeit und der Deregulierung der Finanzmärkte ist. Gier und unternehmerische Verantwortungslosigkeit sind schwerlich neue Züge der kapitalistischen Gesellschaft. Und wenn der Abbau der Regulierungen, die in den Vereinigten Staaten während und nach der Großen Depression zur Eindämmung exzessiver Finanzgeschäfte eingeführt worden waren, auch dem Schwindel und einem untragbaren Wachstum der Spekulation den Weg gebahnt hat, ermöglichte er zugleich die ungeheure Kreditausweitung, von der das Wohlstandsniveau der letzten zwei Jahrzehnte abhängig war. Um die Große Rezession zu verstehen, darf man nicht bei der Frage stehen bleiben, welchen Anteil an dem Debakel die Instabilität neuartiger Finanzinstrumente – etwa der mittlerweile berüchtigten »Collateralized Debt Obligations« (CDOs, besicherte Schuldverschreibungen) und der »Credit Default Swaps« (CDS, Kreditausfallversicherungen) – sowie deren Duldung durch die Regierungen hatten, und muss den Blick auf die langfristige Dynamik des Kapitalismus selbst richten.

Das vorliegende Buch versucht die gegenwärtige Situation zu begreifen, indem es sie in den Kontext dieser langfristigen Dynamik stellt. Dazu muss natürlich beurteilt werden, welche Aspekte der Vergangenheit am relevantesten sind, um die Gegenwart zu verstehen und über die Zukunft zu spekulieren. Das Unvermögen der Wirtschaftstheorie, das bisherige Geschehen vorauszusehen oder auch nur zu erklären, sollte uns, gelinde gesagt, einen Moment innehalten lassen, bevor wir die Verlautbarungen der miteinander im Streit liegenden Ökonomen allzu ernst nehmen. Deshalb geht der hier vertretene Ansatz von dem Schluss aus, zu dem James K. Galbraith kürzlich aufgrund breiter Kenntnis seiner akademischen Zunft gelangte: Es sei »sinnlos, Diskussionen weiterzuführen, die sich auf die konventionelle Wirtschaftswissenschaft stützen«.1 Stattdessen beziehe ich mich auf das Denken von Karl Marx, der sich nicht als Ökonomen, sondern als Kritiker der ökonomischen Theorie bezeichnete.

Marx’ Lebzeiten liegen lange zurück, und der Kapitalismus hat bedeutende Veränderungen durchlaufen, seitdem Marx Schriften über ihn verfasste. Seine Theorie bewegte sich allerdings auf einem so hohen Abstraktionsniveau, dass sie für das Wirtschaftssystem, in dem wir heute leben, noch immer von Belang ist.2 Zudem sind Marx’ Abstraktionen anderer Natur als die der konventionellen Wirtschaftswissenschaft, die eine überhistorische Gültigkeit beanspruchen: Er betonte gerade die Züge der modernen Gesellschaft, die den Kapitalismus von anderen sozialen Systemen unterscheiden. Deshalb hob er die Rolle des Geldes in der Wirtschaft und insbesondere die Tatsache hervor, dass Unternehmen Profite erzielen müssen. Wie wir sehen werden, ist dies nicht nur für ein allgemeines Verständnis des Wechsels von Prosperität und Depression zentral, sondern auch, um die Grenzen der politischen Maßnahmen zu begreifen, mit denen sich Regierungen – wie zurzeit – darum bemühen, eine angeschlagene Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zu bringen. Mein Vertrauen in diese Art der Analyse ist durch die Tatsache gestärkt worden, dass ich seit Beginn der Krise im Jahr 2007 im Gegensatz zu den meisten Kommentatoren in der Lage war, ihre weitere Entfaltung vorauszusehen, obwohl ich über weniger Zugang zu Daten verfüge als das Gros der Ökonomen. Der Grund dafür ist nicht etwa, dass ich gewitzter wäre als andere; vielmehr geht es darum zu wissen, wie man über das Zeitgeschehen nachdenkt. Dieses Wissen ist es, das ich mit den Lesern teilen möchte.

Während Theorie im vorliegenden Buch nicht vermieden wird, da sich die Wirklichkeit ohne sie nicht begreifen lässt, habe ich mir Mühe gegeben, jeglichen Jargon zu vermeiden. Ich setze auf Seiten der Leser weder große Kenntnisse der Wirtschaftswissenschaften noch umfangreiches Wissen über die Wirtschaftsgeschichte voraus; beides soll lediglich so weit vermittelt werden, wie zum Verständnis der aktuellen Ereignisse erforderlich. Mit den vorherrschenden Spielarten der ökonomischen Theorie befasse ich mich in dem Maß, wie sie die Wirtschaftspolitik beeinflusst haben; darüber hinaus gebe ich der Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen wenig Raum (notwendige oder unwiderstehliche Anmerkungen dieser Art sind weitgehend in die Fußnoten verbannt). Historische Daten stammen größtenteils aus offiziellen Quellen. Die Grenzen der Exaktheit solcher Daten sind allgemein bekannt, oder sollten es zumindest sein; obwohl wir sie verwenden müssen, da wir über keine anderen verfügen, sind genaue Zahlen etwa für Wachstumsraten und Arbeitslosigkeit grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen3

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