CETA und die nationalen Parlamente – freut Euch nicht zu früh!

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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
CETA und die nationalen Parlamente – freut Euch nicht zu früh!
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CETA und die nationalen Parlamente – freut Euch nicht zu früh!

von Jens Berger / NDS

Nun soll das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA also doch „von den nationalen Parlamenten“ verabschiedet werden. Für viele freihandelskritischen Beobachter ist dies ein Grund zur Freude. Vor allem die Grünen haben bereits angekündigt, aus ihrem Widerstand gegen CETA eine Kampagne zu machen und „CETA zu stoppen“. Das wäre natürlich wunderbar; nur leider scheint Optimismus hier fehl am Platze zu sein. Es ist nämlich noch offen, über was die nationalen Parlamente eigentlich konkret abstimmen sollen und was passiert, wenn ein Staat CETA nicht ratifiziert. Am Ende könnte gar ein Szenario stehen, bei dem Nägel mit Köpfen gemacht werden, während die Gegner noch ihren Widerstand planen.

28 nationale und 14 regionale Parlamente müssen nun auf europäischer Seite „über CETA“ abstimmen. Doch über was genau dürfen die Parlamentarier entscheiden? Über das gesamte Abkommen? Oder nur über den kleinen Teil, der keine EU-Belange, sondern lediglich rein nationale Belange betrifft? Experten schätzen diesen Anteil übrigens auf 5% bis 10% des gesamten Abkommens.

In den deutschen Medien wird diese Unterscheidung seltsamerweise gar nicht vorgenommen. Hier ist CETA ein monolithischer Block, der entweder komplett „EU-only“ ist und ausschließlich in Brüssel verabschiedet werden kann oder ein gemischtes Abkommen, bei dem dann die 42 nationalen bzw. regionalen Parlamente dem gesamten Abkommen zustimmen müssen. Diese Rechtsauffassung teilen die Kanadier aber beispielsweise nicht. Dort heißt es in der angesehenen Zeitung THE GLOBE AND MAIL:

„Die EU hat erklärt, dass der Vertrag […] vom Charakter her ein gemischtes Abkommen ist, das sowohl der EU- als auch der nationalen Zuständigkeit unterliegt. Aber es ist dennoch möglich, dass der Großteil des Vertrags – die Inhalte, die unter EU-Zuständigkeit fallen – bereits „provisorisch“ in Kraft treten, bevor die nationalen Parlamente abstimmen. Wenn das Abkommen erst einmal vom Europäischen Rat […] verabschiedet ist, können 90% bis 95% des Vertrags in Kraft treten.

Das heißt, dass die Parlamente in Staaten, in denen es umfassende Bedenken gibt, so wie Rumänien und Belgien, nur einen Teil von CETA innerhalb ihrer eigenen Grenzen stoppen können. Sie verfügen nicht über ein Vetorecht.“

Demnach vertritt die kanadische Seite die Position, dass die nationalen Parlamente nur über kleine Teile von CETA abstimmen dürfen und diese Interpretation werden die Kanadier sich ja nicht ausgedacht haben. Seltsam nur, dass die europäischen Medien kaum über diesen eminent wichtigen Punkt berichten. Denn wenn die Interpretation von Globe and Mail zutrifft, ist das Zugeständnis, CETA „von den nationalen Parlamenten“ verabschieden zu lassen, nichts als eine Blendgranate. Wenn CETA am 27. Oktober auf dem EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet wird, ist das Handelsabkommen dann in trockenen Tüchern und kann zu 90% bis 95% in Kraft treten. Im nächsten Jahr „dürfen“ die Parlamente dann über unwichtige Teilaspekte abstimmen, die dann auch nur ihr eigenes Land betreffen. So wird niemand CETA stoppen können.

Auch ein zweiter Aspekt wird gern vergessen. Es ist ja unstrittig, dass der Großteil des CETA-Abkommens nach der Verabschiedung durch den Europäischen Rat bereits „provisorisch“ in Kraft treten soll. Was aber heißt in diesem Kontext „provisorisch“? Klar, wenn alle nationalen Parlamente „ihre“ Vertragsteile auch noch ratifiziert haben, wird aus dem „provisorischen“ ein reguläres Vertragswerk.

Aber was passiert, wenn ein Staat den Vertrag nicht ratifiziert? Nun, dass ist vollkommen offen. Das „Provisorium“ hat nämlich kein Verfallsdatum. Sollten beispielweise – wovon momentan auszugehen ist – Belgien, Bulgarien und Rumänien den Vertrag nicht ratifizieren, dann hat dies keine Auswirkungen auf den EU-Teil des Abkommens. CETA würde dann halt bis zum Sanktnimmerleinstag in drei Staaten mit 90% bis 95% und im Rest der EU mit 100% in Kraft bleiben. Auch in diesem Falle wäre die Abstimmung ein reiner Bluff, die demokratische Mitsprache der nationalen Parlamente eine Blendgranate.

Mit diesen Zweifeln will ich keineswegs als Spielverderber dastehen. Wenn die Politiker und Aktivisten, die sich momentan so lautstark über die Beteiligung der Parlamente freuen, mehr wissen als ich, dann würde ich mich liebend gerne öffentlich korrigieren. Ich bezweifele nur, dass dies geschehen wird. Leider.

Jens Berger
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CETA – Der gefährliche Bruder von TTIP - Attac-Palaver 29.02.2016 (Dauer 1:23:41 Std.)

Sabine und Michael Köhler legen die Bedrohung unserer Demokratie durch das Freihandelsabkommen EU-Kanada dar. In der öffentlichen Wahrnehmung geht es häufig nur um TTIP, es wird dabei leicht übersehen, dass CETA zur Zeit die größere Gefahr ist, da dieses Abkommen schon fertig verhandelt wurde. Bei dem Vortrag und der anschließenden Diskussion wird es um den aktuellen Verfahrensstand von CETA, den Investorenschutz und Sonderklagerechte für Konzerne, die Regulatorische Kooperation, den Negativlistenansatz und die Ratchet-Klausel gehen. Zudem wird die Gefahr der vorläufigen Anwendung von CETA an den Parlamenten vorbei aufgezeigt und auf verfassungsrechtliche Bedenken hingewiesen.

Referenten: Sabine Köhler, Gymnasiallehrerin i.R. und Michael Köhler, Sozialwissenschaftler, Attac München



Quelle:  Dieser Text erschien zuerst auf den „NachDenkSeiten – die kritische Website“ > Artikel.

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Bild- und Grafikquellen:

1. F*CK CETA - F*CK EU KOMMISSION! Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).    2. STOPP CETA! Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).