Das Auto als Ich-Krücke und Symbol wirtschaftlicher Macht

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Das Auto als Ich-Krücke und Symbol wirtschaftlicher Macht
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Das Auto als Ich-Krücke und Symbol wirtschaftlicher Macht



Anläßlich der Eröffnung einer IAA (Internationale Automobilausstellung) in Frankfurt las ich einmal folgendes Zitat von Welt-Kolumnist Ulf Poschardt:


„Eine ausdifferenzierte, freie Gesellschaft entfaltet ihren Charme und ihre Konflikte auch auf den Straßen.“

 

Diese Aussage hat mich doch erstaunt und länger beschäftigt. Wir alle müßten doch aus persönlicher Erfahrung wissen, auf welche brutale und gefährliche Art und Weise Autofahrer oftmals ihre beruflichen oder zwischenmenschlichen Konflikte auf den Straßen austragen, so daß diesem Verhalten der Charme total abgeht. Autobahnen hierzulande haben auch den bedenkenswerten Ruf, es handele sich um Deutschlands größter Psychiatrie. Man kann gelegentlich annehmen, inmitten eines stark frequentierten Macho-Wettbewerbs zu sein, bei dem jeder beweisen will, daß er der/den Stärkste(n) und Schönste(n) ist/hat. Eine kultivierte Gesellschaft, die sich rühmt ausdifferenziert und frei zu sein, benötigt doch andere Ausdrucksformen - nicht wahr?

Es ist keineswegs beabsichtigt, das Auto und deutsche Autofahrer grundsätzlich zu verteufeln. Auch in meinem Leben bin ich einige Male den Reizen des Automobils erlegen und bringe deshalb dafür auch Verständnis auf - zumindest in Maßen. Heute habe ich „gut reden“. Aus finanziellen Gründen kann ich mir kein Auto mehr leisten. Dafür besitze ich Zeit und die nötige Distanz, mir über den Status des Autos, seine Rolle für den Menschen, seine zukünftigen Stellenwert und selbstverständlich auch meinen eigenen Umgang damit, Gedanken zu machen.

Mir ist keineswegs entgangen, daß das Auto für viele Zeitgenossen mangels fehlender Infrastruktur oder preiswerter öffentlicher Verkehrsmittel noch immer unentbehrlich ist. Auch gewisse Vorteile bis hin zu mehr Flexibilität und Lebensqualität sind nicht kategorisch zu negieren. Nicht-Autofahrer zu sein qualifiziert niemand automatisch auch ein vorbildlicher Umweltschützer zu sein, auch wenn es ein erster Schritt sein könnte, wenn man nur an den Ressourcenverbrauch denkt, er für den Bau und die Entsorgung eines einzigen Fahrzeuges geopfert wird.

Wie das obige Zitat zeigt, wird das Auto allgemein als Symbol der Freiheit schlechthin angesehen. Wir sind heute noch teilweise von den Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs der 50er – 70er Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt, in den der eigene „Volkswagen“ der Traum aller geworden ist. Man sparte sich das Geld einige Jahre quasi "vom Munde ab" an, um sich (s)einen "Traum auf vier Rädern" realisieren zu können. Wer erinnert sich nicht gerne an den knuffigen Käfer? Oder den R4, die Ente? Man schaue sich nur an, welche Rolle der Trabi in der DDR noch viel später gespielt hat.
 

In unserem heutigen Konsumdenken nimmt das Auto nicht mehr die allein dominierende Rolle ein, die es in den damaligen (Nachkriegs-)Zeiten des Nachholens von Bedürfnissen innehatte. Dafür haben wir heutzutage zu viele Artikel im Angebot der Werbung, die sich die Vorreiterrolle streitig machen. Wenn man in das Thema einsteigt, merkt man, daß es sehr vielschichtig ist. Nachfolgend stichpunktartig einige Ansätze, über die sich eine intensivere Beschäftigung lohnt:

  •     das Auto als ökologische Belastung bzgl. der verursachten Emissionen,
  •     das Auto als "Landfresser" wegen des stetig erweiterten Straßenausbaus,
  •     Elektroauto und andere energiesparendere oder ökologische Alternativen,
  •    die Frage nach dem Ausbau öffentlicher und bezahlbarer Verkehrsmittel im Nah- und Fernbereich,
  •   die Notwendigkeit, trotz technologischer Fortschritte, eine Reduzierung des Autoverkehrs zu erzielen,
  •    den verstärkten Ausbau von Mitfahrerparkplätzen und eine flächendeckende Einführung von Carsharing.

 

► Das Auto als Ich-Krücke

Hier handelt es sich um die psychologische Komponente, die dem Auto besonders für Männer eine Faszination verleiht. Das Auto steht stellvertretend für Kraft, Stärke, Macht, Potenz, Überlegenheit und kann dem Besitzer/Fahrer ein Selbstbewußtsein verleihen, das er sich aus eigenem Vermögen nicht schaffen kann. Mit dem Auto ist er in der Lage, sich ein fremdes, nicht aus eigener Kraft entstandenes Potenzial zu kaufen, das er als Ersatz – eben als Ich-Krücke – für fehlende innere persönliche Stärke verwenden kann. Dieser Verführung können insbesondere schwache Menschen kaum widerstehen.

Mit anderen Worten: das Auto besitzt die Anreizfunktion, eine erwünschte nach außen abstrahlende Charaktereigenschaft ohne Vorleistung außer eines finanziellen Obolus zu erwerben, die dann zu Statuszwecken und für Imponiergehabe benutzt werden kann. Will man hingegen seine Persönlichkeit mit Hilfe des eigenen Potenzials weiter entwickeln, was einzig zu einem nachhaltigen Zufriedenheitsgefühl führt, dann ist dies aber ohne Anstrengung, Mühe und damit verbundene Rückschlägen kaum möglich. Davor scheut jedoch der auf kurzfristige Befriedigung erpichte Selbstdarsteller zurück.


► Das Auto als Symbol von nationaler und internationaler wirtschaftlicher Bedeutung

Bei der Eröffnung der letzten IAA lobte Angela Merkel die Autobranche, sie sei „eine zentrale Stütze unserer Volkswirtschaft“ und „Sie erwirtschaftet knapp ein Viertel des Umsatzes der deutschen Industrie, knapp 20 Prozent der Exporte entfallen auf sie, und sie tätigt ein Drittel der Ausgaben deutscher Unternehmen für Forschung und Entwicklung.“ Diese Aussagen sind nicht zu bezweifeln, allerdings drücken sie auch die Abhängigkeit aus, in die wir uns begeben haben. Wir sollten uns keine Illusionen machen, denn Länder wie China und Indien, die jetzt noch als Erfolgsgarant für den Export gelten, werden unserer Autoindustrie bald den Rang abgelaufen haben. Dort wird technisches Know-How kopiert, was das Zeug hält. Man lernt schnell dazu und wird den Weltmarkt mit preiswerten Eigenerzeugnissen überschwemmen.

Bei den Produktvorstellungen deutscher Premiumhersteller dominieren Attribute wie Leistungsstärke, Komfort und tonnenschwere Masse (z.B. SUVs und Geländewagen). Kleinere und vor allem preiswerte Fahrzeuge mit intelligenter Einspartechnik und verringertem Komfort stehen – zumindest bei deutschen Herstellern – nicht oben auf der Rangliste. Die Werbung hat sich mit Hilfe der neuesten psychologischen Erkenntnisse völlig auf die Ich-Krücken-Vermittlung eingeschossen. Im Vordergrund steht die emotionale Beeinflussung der Käufer, die auf Rationalisierung von Kaufentscheidungen aus ist, während Rationalität weniger gefragt ist.

Zur Zeit ist zu beobachten, wie Deutschland als wirtschaftliche Großmacht gepuscht wird und die Interessen anderer Länder dabei gezielt untergebuttert werden – frei nach dem Motto: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ In diesem Zusammenhang hat die Automobilindustrie neben anderen Wirtschaftszweigen eine Leitfunktion. Hochglanzpolierte Produkte wie die deutsche Automobil-Oberklasse, die mit Technik und Elektronik vollgestopft ist und dabei mit Motorenstärke protzt, dienen dazu, das Streben nach internationaler Vormachtstellung zu unterfüttern.


MfG Peter A. Weber

 


 

Bildquellen:


1. Protzige PS-Boliden mit elektronisch abgeriegelten 250km/h dienen einigen Menschen als Viagra-Ersatz zur Steigerung vermeintlicher Potenz, wirtschaftlichem Erfolg und / oder gesellschaftlicher Anerkennung. Foto: Jan Stockmann. Quelle: Pixelio.de

2. Der VW Käfer mit luftgekühltem Vierzylinder-Boxermotor und Heckantrieb wurde von 1938 bis 2003 gebaut wurde. Mit über 21,5 Millionen Fahrzeugen war er das meistverkaufte Automobil der Welt, bevor ihn im Juni 2002 der VW Golf übertraf. Foto: Rudolpho Duba. Quelle: Pixelio.de

3. Automobildesign und Potenz wecken Kaufbegierde.  Foto: Günter Hamich. Quelle: Pixelio.de