Das globale Finanzsystem: Die Titanic auf Eisberg-Kurs

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Ernst Wolff
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Verbunden: 17.02.2015 - 23:40
Das globale Finanzsystem: Die Titanic auf Eisberg-Kurs
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Das globale Finanzsystem:


Die Titanic auf Eisberg-Kurs


Es ist zurzeit so gut wie unmöglich, sich im Gestrüpp der unendlich vielen verwirrenden Wirtschafts- und Finanzmeldungen in den Mainstream-Medien zurechtzufinden. An einem Tag wird die Apokalypse beschworen, am nächsten heißt es, die Welt sei in bester Ordnung und es gebe keinen Grund zur Beunruhigung.

Auch die Ökonomen verschiedenster Richtung sind ratlos, weil keine der herkömmlichen Theorien die vielen Widersprüche an den Märkten mehr erklären kann. Aktienkurse steigen, während die Realwirtschaft stagniert. Der Goldpreis fällt, obwohl das Geld in nie dagewesener Weise entwertet wird. Trotz einem immer schneller wachsenden globalen Schuldenberg werden Investoren vor allem in Schwellenländern zu immer größerer Schuldenaufnahme animiert.

 


Was steckt dahinter?

Ganz einfach: Die Einstufung von großen Finanzinstitutionen als „Too big to fail“ (englisch: „Zu groß, um zu scheitern“) ist von ihren Investoren als Freibrief genommen worden, um noch hemmungsloser als vor 2007 zu spekulieren. Mit Unterstützung der Zentralbanken haben sie die Märkte mittlerweile so exzessiv manipuliert, dass sie gar keinem rationalen Verhaltensmuster mehr folgen können.

So schießen Aktienkurse nicht deswegen in die Höhe, weil Unternehmen am Markt Erfolge vorweisen, sondern weil das Management billiges Geld einsetzt, um eigene Aktien zurückzukaufen und ihren Kurs in die Höhe zu treiben. Weder der Preis von Staatsanleihen, noch ihr Zinsniveau spiegeln den wirtschaftlichen Zustand des Ausgeberlandes wider, da sie zur Stabilisierung des Systems von den Zentralbanken blind aufgekauft werden. Auch der Preis von Edelmetallen entspricht nicht einmal annähernd ihrem wahren Wert, da sie überwiegend nicht in physischer Form, sondern in Papierform und damit in einem Volumen, das weit über ihren tatsächlichen Bestand hinausgeht, gehandelt werden.

Die Gelder, die die Zentralbanken seit 2008 ins System pumpen, haben zu riesigen Blasen an den Aktien- Anleihen- und Immobilienmärkte geführt, die jederzeit zu platzen drohen. Statt sich diesem Trend durch eine Erhöhung der Zinsen entgegenzustellen, schieben die Zentralbanken – allen voran die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) - seit Jahren eine Anhebung der Zinsen vor sich her. Warum? Weil selbst die geringste Anhebung fatale Konsequenzen fürs Gesamtsystem haben würde, da das Volumen zinsgebundener Derivate nach Informationen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ; englisch Bank for International Settlements,) den unvorstellbaren Betrag von über 500 Billionen US-Dollar erreicht hat. Auf dem Höhepunkt der Subprime-Hypothekenkrise genügten ganze 1,2 Billionen solcher Derivate, um das globale System ins Wanken zu bringen...

Während die finanzielle Zeitbombe im Derivate-Sektor vor sich hin tickt, häufen sich in der Realwirtschaft im siebten Jahr nach 2008 die Hiobsbotschaften: Der Abschwung in China, die Stagnation in den USA, der Rückgang der Rohstoffpreise, die nachlassende Nachfrage nach Investitionsgütern, ein immer schwächerer Konsum wegen stagnierender oder sinkender Reallöhne und die kostspieligen Folgen des Klimawandels werden schon bald weitere Maßnahmen zur Stützung des Systems erforderlich machen. Das aber wird schwierig werden, denn die wichtigste der bisherigen Maßnahmen – das Gelddrucken - zeigt immer weniger Wirkung, während die zweitwichtigste – die Senkung der Leitzinsen - fast ausgereizt ist.


Hierzu ein Blick auf Europa:

Obwohl die Europäische Zentralbank (EZB; englisch European Central Bank, seit März 2015 pro Tag 2 Milliarden Euro aus dem Nichts schöpft und ins System pumpt, um ein Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen,  lag die jährliche Inflationsrate im September bei minus 0,1 Prozent. D.h.: Trotz der bis zum Herbst 2016 vorgesehenen Geldspritze in Höhe von insgesamt 1,2 Billionen Euro rutscht Europa derzeit in eine Deflation - bei einer Schuldenlast von insgesamt 9,4 Billionen Euro eine verheerende Entwicklung, denn Deflation bedeutet: Die Einnahmen von Staat und Unternehmen sinken, während Schulden und Zinsen auf ihrem hohen Niveau verharren.


Nicht viel besser sieht es im Bereich der Zinsen aus:

Bei einem derzeitigen Eurozonen-Leitzins von 0,05 Prozent bleibt den Verantwortlichen nur noch der Griff zu Null- oder Negativzinsen. Negativzinsen aber führen, wie das Beispiel Schweiz zeigt, zur Verteuerung von Krediten und Hypothekenzinsen und schwächen die Wirtschaft. Außerdem müssen sie, wenn sie den Euro betreffen, durch Maßnahmen begleitet werden, die eine Massenflucht aus der Währung verhindern. Hierzu wird derzeit auf breiter Front die Abschaffung des Bargeldes vorangetrieben (in Frankreich liegt die die Obergrenze für Barzahlungen seit dem 1. September bei 1.000 Euro), doch die flächendeckende Umsetzung der Maßnahme kostet Zeit und die läuft den Verantwortlichen momentan davon...

Sind Finanzindustrie und Politik also am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen? Steht der Crash unmittelbar bevor? Die Vorbereitungen sind jedenfalls getroffen: So ist inzwischen fast überall das Prinzip des Bail-In gesetzlich verankert. Mit ihm werden Finanzinstitutionen nicht mehr wie beim Bail-out durch Steuergelder, sondern durch das Heranziehen der Vermögen von Anlegern, Sparern und Aktionären gerettet.
 

 

Was aber, wenn die vorhandenen Summen nicht ausreichen, um die betroffenen Institute zu stützen? Was, wenn den betroffenen Staaten keine Staatsanleihen mehr abgekauft werden, weil die finanziellen Möglichkeiten der Zentralbanken erschöpft sind? Auch für diesen Fall gibt es bereits ein Szenario. In ihm spielt der Internationale Währungsfonds (IWF; englisch International Monetary Fund, IMF;) die entscheidende Rolle.


Sonderziehungsrechte des IWF:

Seit dem Ende der Sechziger Jahre verfügt der IWF mit den Sonderziehungsrechten (SZR; englisch Special Drawing Right, SDR) über eine Reservewährung, die bereits 2009 im Umfang von ca. 250 Mrd. Dollar zur Rettung des Systems eingesetzt wurde. Bei den SZR handelt es sich um eine nicht frei handelbare Währung, die der IWF einzelnen in Schwierigkeiten geratenen Ländern zuteilen und mit der er Liquiditätsengpässe in diesen Ländern beheben und die Inflation anheizen kann. Angesichts der gigantisch anschwellenden Schuldenlawine, die auf die Welt zukommt, müsste dieses Mittel aber in einem erheblich größeren Ausmaß als 2009 eingesetzt werden und würde mit Sicherheit die Gefahr einer Hyperinflation heraufbeschwören.   

Außer dem Einsatz der SZR käme nach jetzigem Stand der Dinge nur noch die (vom IWF bereits vorgeschlagene) direkte Enteignung von Bürgern mittels einer einmaligen „Vermögensabgabe“ oder einer Vermögenssteuer als Maßnahme in Frage. Sie wäre allerdings schwer durchzusetzen, da sie mit Sicherheit auf großen sozialen Widerstand stoßen würde.

Sollte dieser Widerstand tatsächlich überwunden werden, so bliebe dennoch die Tatsache, das beide Maßnahmen – der Einsatz der SZR oder die kalte Enteignung der Bürger - den Zusammenbruch schlussendlich nur aufschieben, nicht aber aufhalten oder gar abwenden können. Das wiederum wirft ein bezeichnendes Licht auf den tatsächlichen Zustand des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems. Vergliche man seine gegenwärtige Phase mit der letzten Fahrt der Titanic, so müsste man feststellen: Die Kapelle spielt und die Passagiere tanzen, aber das Schiff ist dem Eisberg bereits so nah, dass auch das kühnste Manöver des Kapitäns den Zusammenprall nicht mehr verhindern kann...  

Ernst Wolff, Berlin
 

 


 

 Artikel-Lesetipp:  Geld neu denken. Die schmerzlose Beseitigung der perversen Geldwirtschaft - weiter


Bild- und Grafikquellen:


1. ZIPPO-Feuerzeug auf 5-EURO-SCHEIN. Aktienkurse steigen, während die Realwirtschaft stagniert. Der Goldpreis fällt, obwohl das Geld in nie dagewesener Weise entwertet wird. Foto: © Andreas Theis, Siegen. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0).

2. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ; englisch Bank for International Settlements, französisch Banque des règlements internationaux, italienisch Banca dei Regolamenti Internazionali, spanisch Banco de Pagos Internacionales) ist eine Internationale Organisation des Finanzwesens. Die BIZ wurde am 17. Mai 1930 im Rahmen einer Neuregelung der deutschen Reparationsverpflichtungen gegründet. Sie ist die weltweit älteste internationale Finanzorganisation.

Eine Mitgliedschaft ist Zentralbanken oder vergleichbaren Institutionen vorbehalten. Die Deutsche Bundesbank zählt zu den gegenwärtig 60 Mitgliedern. Die BIZ gilt als „Bank der Zentralbanken“ und nimmt eine Schlüsselrolle bei der Kooperation der Zentralbanken und anderer Institutionen aus dem Finanzbereich ein. So hält sie regelmäßige Sitzungen auf Ebene der Zentralbankgouverneure ab, auf deren Tagesordnung vor allem Fragen der Konjunktur- und Finanzmarktlage sowie der internationalen Währungs- und Finanzstabilität stehen. Ebenso ist das Sekretariat des Financial Stability Board (FSB) und der nach dem Zusammenbruch der Kölner Herstatt-Bank gegründete Basler Ausschuss für Bankenaufsicht bei der BIZ angesiedelt.

Hauptsitz der BIZ ist das schweizerische Basel. Aufgrund eines Abkommens mit dem Schweizer Bundesrat unterliegen die Grundstücke, Gebäudeteile sowie die Bediensteten der BIZ der schweizerischen Hoheitsgewalt nur eingeschränkt. Repräsentanzen der BIZ befinden sich in Hongkong und Mexiko-Stadt. Mitglieder des Verwaltungsrats sind derzeit u.a. EZB-Präsident Mario Draghi, der Bundesbankpräsident Jens Weidmann, die Präsidentin der US-Zentralbank Federal Reserve Board, Janet Yellen sowie der Gouverneur der Chinesische Volksbank, Zhou Xiaochuan.

Foto: Taxiarchos228 / Wladyslaw Sojka, Lörrach - www.sojka.photo. Quelle: Wikimedia Commons. Copyleft: Dieses Kunstwerk ist frei, es darf weitergegeben und/oder modifiziert werden entsprechend den Bedingungen der Lizenz „Freie Kunst“.

3. Graffito: "Where is my fucking BAILOUT ???" Foto: Flickr-user Conrad from Long Island / USA). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

4. Finanzkapitalismus: Wir leben in einem totalitären System des Finanzkapitalismus. Dieses regiert nicht mittels offener Gewalt, sondern raffinierter Disziplinierungstechniken. Ständig wird uns eingeredet, wir hätten von irgendwas zu wenig - dabei ersticken wir in blindem Konsum! ABER: WIR SIND NICHT DAS WAS WIR HABEN, SONDERN WAS WIR TUN! Foto: Flickr-user "kellerabteil". Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

5. Cover: "WELTMACHT IWF - Chronik eines Raubzugs" von Ernst Wolff. Wolff im Interview mit KenFM - weiter und zur Buchvorstellung.

6. PROFIT TÖTET - der Raubtierkapitalismus fordert und findet seine Opfer. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa) / QPress.