Debatte um den Spitzensteuersatz

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R.K.
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Debatte um den Spitzensteuersatz
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Immer raus mit der Mutter!

Verdumpft, verengt, verpennt, blockiert,
so geht das seit zehn Jahren.
Wie sind die Deutschen dezimiert,
die einst von Goethe waren,
ein Mittel gibt’s – und das ist rar,
Das Mittel, das ist dies:
Mensch einmal auf den Boulevard,
Mensch einmal in Paris…..

So oder ähnlich hätte sich mein nie erreichbares grosses Vorbild Kurt Tucholsky geäussert, wenn er die Debatte um die französischen und deutschen Steuersätze noch hätte miterleben dürfen.

Da kräht das François Mitterand-Imitat Hollande, der in Ermangelung anderer zündender Wahlkampfideen, die himmelschreiende Ungerechtigkeit im französischen Steuersystem zum Schlager überhöhen möchte, dass die die vielen Millionäre und Milliardäre Frankreichs nun endlich mindestens 75% Steuern bezahlen müssten. Bravo! Die Sache hat jedoch einen Haken, wie jeder einigermassen gebildete Franzose weiss.

Le Bouclier fiscal! Es ist egal, wie hoch der Steuersatz in Frankreich ist, denn das anrechenbare Vermögen ist plafoniert, das heisst, es kommt vor, dass ein Milliardär nicht mehr Steuern bezahlt als ein mittelständischer Unternehmer mit cirka 500 Mitarbeitern. Bevor man also den Steuersatz erhöht, sollte man diese Plafonierung aufheben und das gesamte nationale und internationale Vermögen zur Besteuerung heranziehen. Auch muss mit der Unsitte aufgehört werden, dass Prominente, die sich trotz der Plafonierung noch zu hoch besteuert fühlen, einfach in das monströse französische Finanzministerium in Paris - Bercy hineinspazieren und auch noch um den totalen Erlass der Steuerschuld feilschen können. Und dies meist mit Erfolg!

Das alles weiss der französische Präsidentschaftskandidat der Sozialisten, François Hollande, da er eine der elitärsten Kaderschmieden Frankreichs, die ECOLE NATIONALE D’ADMINISTRATION (ENA) absolviert hat, wie die meisten französischen Politiker und hochrangigen Funktionäre der Grande Nation.  Ergo ist es als das einzuordnen, was immer bei Wahlkämpfen halt so hinaus proletet wird: Wahlkampfgewäsch ohne jeden Realitätsbezug und ohne jede sachliche Basis!

[Der Ausdruck "Grande Nation" ist spachlicher Unfug! Er hat etwas Verletzendes und gar Beleidigendes. Man sollte den Leuten, dies gilt auch unter Völkern, nicht Selbsteinschätzungen unterstellen, die erstens abwegig sind und die sie zweitens gar nicht haben. Niemand in Frankreich verwendet diesen Ausdruck, die Wendung ist unbekannt. Das Ärgerliche ist aber, daß wir, indem wir sie gerade in französischer Sprache verwenden, dadurch suggerieren: so verstehen sich die Franzosen selbst, so sagen sie selbst zu sich selbst! (>> Vortrag von Sprachwissenschaftler Prof. em. Dr. Hans-Martin Gauger). Helmut Schnug].

Wenn François Hollande auf den Neidfaktor der Franzosen gesetzt hätte, dann wäre er von seinem deutschen Homologe Siegmar Gabriel falsch beraten. Denn der hat von Frankreich soviel Ahnung wie die Kuh vom Tango tanzen. Der Franzose ist nicht neidisch, dieses Gen geht ihm vollkommen ab. Er erinnert sich nur zu gerne an die Worte des Bürgerkönigs Louis Philippe „ enrichissez vous „! (Bereichert Euch)

Und das genau machen alle Franzosen, ob gross ob klein, ob arm, ob reich! Volkssport Nummer eins in Frankreich ist: „ Wie bescheisse ich das Finanzamt? „ Der Milliardär bedient sich dabei des Bouclier fiscal und in besonders „grausamen“ Fällen macht er sich auf den wenig beschwerlichen Weg nach Paris-Bercy, um ein „Gespräch“ mit dem französischen Finanzminister zu führen. Die kleinen Sans - Culottes arbeiten eben mit zwei Buchführungen, eine für die Vitrine (Finanzamt), eine für seine eigene Tasche!

Doch schon hallt es aus Deutschland: „Jawoll, ein toller Mann, der François Hollande, endlich schlägt ein mutiger Politiker diesen verhassten Millionären die Köpfe ab. Wir verlangen in Deutschland auch einen Spitzensteuersatz von 75%!“ Mein Gott Walter, hätte Mike Krüger gesungen. Die Deutschen, ungetrübt von irgend einem Schimmer Ahnung über das französische Steuerrecht, geschweige denn von ihrem eigenen, sind eine von Hass und Neid erfüllte Gesellschaft, der jegliches savoir vivre und jegliches Verständnis für die Mentalität der Gallier vollkommen abgeht.  Es gebricht ihnen förmlich daran!

Sonst wüssten sie nämlich, dass das französische Steuerrecht das frechste dieser Welt und das deutsche Steuerrecht das dümmste dieser Welt ist. Deutschland ist mit einem in der Welt einmaligen Steuergesetz mit 70.000 Einzelvorschriften und Ausnahmeregelungen zum Mekka von Fiscal – Absurdistan avanciert! Man  kann in Deutschland jeden beliebigen Steuersatz beschliessen, Neid- und Reichensteuern erheben, niemand bezahlt diese von ahnungslosen Politikern beschlossenen Steuersätze. Ganze Heerscharen von Steuerberatern leben davon, ihre Clientel unter Ausnutzung dieser 70.000 Einzelvorschriften und Ausnahmeregelungen arm zu rechnen.

Selbst die grössten „Helden“ Deutschlands wie der Fussballkaiser Franz Beckenbauer und der Seifenkistenrennen fahrende Michael Schumacher zahlen keinen Cent Steuern in Deutschland. Sie geniessen zwar gerne den Schutz der deutschen Staatsbürgerschaft, lassen sich in Deutschland als Nationalhelden feiern und fabulieren auch gerne über die Schönheit Deutschlands, doch Steuern, nein, Steuern wollen sie keine bezahlen für ihr Heimatland, dem sie längst den Rücken gekehrt haben.

Und deshalb ist diese ganze Debatte um den Spitzensteuersatz grober Unfug!

Rainer Kahni

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Helmut S. - ADMIN
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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Spitzensteuersatz - Steuerflüchtlinge - Zahlungsmoral

 

Lieber Rainer Kahni

Wer in der Schweiz offiziell keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, wird bisher nicht wie ein normaler Steuerzahler auf der Basis des Einkommens und Vermögens besteuert. Für die Steuerberechnung von M. Schumacher und anderen Spitzenverdienern wurden ihre pauschal erfassten Lebenshaltungskosten in der Schweiz herangezogen. Sie zahlen der amtlichen Statistik zufolge pro Jahr im Durchschnitt etwa 100 000 Euro Steuern, während reiche Schweizer wie etwa die Chefs der Großbanken dem Fiskus Millionen abliefern müssen.

Seit dem Unfall beim 24H von Le Mans/F 1955 sind Autorennen in der Schweiz verboten. Daher bietet die Schweiz Rennfahrern ein wohl weltweit einmaliges Steuerkonstrukt für Rennfahrer: sie gelten faktisch als arbeitslos und zahlen eine Pauschalsteuer. Es gibt aber mittlererweile in der Schweiz auch Kantone wie z.B. Zürich, in denen ausländische Superreiche künftig keine Steuerprivilegien mehr genießen. Die Züricher stimmten überraschend für eine Volksinitiative zur Abschaffung der sogenannten Pauschalbesteuerung - für den Beschluss stimmten immerhin 52,9 Prozent.

Klar – von dieser Regelung hat der deutsche Fiskus immer noch nichts, aber der deutsche Bundestag bräuchte ja nur in der Vergangenheit beschlossene, nationale Gesetze zu ändern und auf international bestehende Regelungen einzuwirken. Grundsätzlich hat die Person das sogenannte Welteinkommen zu versteuern an dem Ort, an dem er seinen Lebensmittelpunkt hat, also in der Regel mehr als 180 Tage im Jahr verbringt – im Falle Michael S. ist das nunmal die Schweiz. Das sich dann deutsche Politiker wie der ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) – Teilnehmer am Bilderbergertreffen 2011 - scheinheilig darüber brüskieren, daß das von ihnen beschlossene Gesetz (im speziellen das Doppelbesteuerungsabkommen) nicht auch konsequent umgesetzt wird, ist doch die reinste Volksverdummung.

Michael S. zahlt aber für einige ihm gehörende Unternehmungen mit Sitz in Deutschland ganz regulär Steuern, so z.B. die Gewerbesteuer für die Kartbahn in Kerpen und natürlich auf alle erzielten Gewinn eine Einkommenssteuer von derzeit 42%. Klar ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber wo das deutsche Fiskalgesetz greift, zahlt er auch!

Solange in Deutschland mehr die Erträge als die Umsätze besteuert werden, wie in anderen Ländern, wird es diese Ungerechtigkeiten weiterhin geben. Ob man spitzenverdienenden Steuerflüchtlingen aus den Bereichen Sport, Entertainment etc. einen Mangel an Moral und Empathie vorwerfen kann, mag jeder selbst entscheiden. Ihre Bürgerpflicht verletzten sie m.M.n. in jedem Fall.

Fakt ist…

…daß auch deutsche Spitzenverdiener mit Wohnsitz in Deutschland ihre Steuerschuld aufs Übelste runterrechnen, neoliberale Parteien bespenden oder das Geld lieber gleich in sinnfreien Stiftungen parken. Man mag über einige Superreiche und ihr Verhalten herziehen – damit hab ich kein Problem – aber man darf auch nicht vergessen, daß der deutsche Staat von den Bürgern mit mittlereren und höheren Einkommen in der Gesamtsumme deutlich höher „beschissen“ wird, als dies etwa durch die paar superreichen Steuerflüchlinge der Fall ist.

Die Masse macht es – unmoralisch verwerflich ist natürlich beides, doch jeder sucht auf seine Weise und im Rahmen seiner Möglichkeiten unter Ausschöpfung gesetzlicher Defizite seinen persönlichen Vorteil. Wenn sich alle Deutschen, die den Staat schon mannigfach beschissen haben, einen Tag lang öffentlich auf der Straße an die eigene Nase packend, rumlaufen müssten, ergäbe das ein  sehr befremdliches Bild über den achso anständigen, ehrlichen und moralgefestigten Deutschen.  

Mal ehrlich…

- Deutschland liefert als drittgrößter Waffenlieferant Flugzeuge, Kampfhubschrauber, Atom-U-Boote, Landfahrzeuge, Kleinwaffen und elektronische Baustelle in die Krisenherde dieser Welte (z.B. Israel).

- Deutschland führt gegen Afghanistan einen Angriffskrieg, den die Mehrheit der Deutschen ablehnt.

- In Deutschland verdienen Frauen ca. 20% weniger Lohn / Gehalt bei gleicher Arbeitsleistung als Männer.

- In Deutschland verdienen Menschen in den "neuen Bundesländern" weniger als im Westen

- Deutschland zahlt einem Lügner, Betrüger und Fälscher Abgeordnetengehalt und Entschädigungen

- Deutschland zahlt einem Vertuscher einen lebenslangen Ehrensold von 200.000 € und zieht aus aktuellem Fall nicht mal Konsequenzen.

Also wenn ich selbst über viele Millionen Euro Kapital und / oder Einkommen verfügen würde – wird nie passieren, keine Sorge - müßte ich mir ehrlicherweise auch die Frage stellen, ob ich mein Geld nicht sinnvoller ausgeben und verteilen würde, statt ein auf allen Ebenen korruptes, von Lobbyisten durchtriebenes System durch Steuern mitzufinanzieren, daß nicht mal über eine ordentliche Verfassung verfügt. Meine (eingesparten) Steuermillionen bekämen privat organisierte vor Ort arbeitende Hilfsorganisationen - hierzuland z.B. Frauenhäuser und rollende Arztpraxen für Obdachlose, die Opferhilfe "Weisser Ring" etc., um deren finanzielle Misere etwas zu mildern.

Das François Hollande den Spitzensteuersatz in Frankreich auf 75% anheben will, ist natürlich "ridicule" - also lächerlich.. So treibt man jeden noch halbwegs zahlungswilligen Reichen in die Steueroasen dieser Welt. Hierzulande wurde der Spitzensteuersatz in der Vergangenheit mehrfach "angepasst". In den 80er Jahren lag er noch bei 56%, in den 90er Jahen bei 53%. Seither wurde er mehrfach in kürzeren Abständen gesenkt. Von 51% im Jahr 2000 auf 48,5% im Jahr 2001. Und zuletzt von 45% im Jahr 2004 auf aktuell 42%, die seit 2005 zu zahlen sind. So werden Reiche immer reicher - Klientelpolitik sei Dank. Allein die Anhebung des Spitzensteuersatzes löst natürlich keine Finanzierungsprobleme, vielmehr sollten unsinnige Subventionen und Sondervereinbahrungen gestrichen, Schlupflöcher geschlossen und die zwangspensionierten, wirkungsvoll arbeitenden Steuerfahnder wieder eingestellt bzw. deren Bestand aufgestockt werden.  

Statt eine strastische (Wieder)Anhebung des Steuersatzes zu fordern, muß ein ökonomisches, ökosoziales Finanzsystem, das seine Wertschöpfung alleine aus der ökonomischen Kraft des eigenen Volkes trifft, geschaffen werden. Der Staat muß wieder die Hoheit über seine Währung erhalten. Eine gemeinschaftliche europäische Leitwährung zur besseren Abwicklung von Transfers ist dabei durchaus denkbar. Der völlig wahnsinnige Finanzmarkt mit seinen krankhaften Wucherungen genauso seine Grenzen finden wie Finanzzockerei, Spielkasinomentalität oder „Bankgeschäfte“. Die Geldschöpfung erfolgt ausschließlich durch die Zentralbank und nicht mehr durch jede beliebige Bank mittels Kreditvergabe. Das Grundübel des völlig überzogenen Zinseszinssystems wird eliminiert. Offensichtlich scheint nur die ddp in der Lage zu sein, diese Notwendigkeiit zur Umkehr zu erkennen und in ihrem Programm festzuschreiben.

Helmut Schnug

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