Demokratische Schule X - ist das schon Anarchie?

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Rene Wolf
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Demokratische Schule X - ist das schon Anarchie?
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Die "Demokratische Schule X" in Berlin stellt sich vor. Siehe hier
 
 
 
Wer sich jetzt fragt, was das heißen soll- "demokratische Schule"- haben wir nicht eine Demokratie? Sind Lehrpläne nicht demokratisch abgestimmt, werden Lehrer nicht von demokratisch gewählten Gremien berufen?- der fragt ein wenig spät.
 
Die Schule ist in Deutschland eben klar ein Zeichen dafür, das es keine Demokratie gibt- weder in der Schule, noch in Betrieben.
  • Oder können die Mitarbeiter eines Betriebes entscheiden, was sie produzieren, und zu welchen Bedingungen?
  • Demokratie in der Familie?
  • Haben die Deutschen deshalb so wenig Kinder?
Es ist bemerkenswert, welches Konzept die "demokratische Schule X"  vertritt. Kinder können sich aussuchen, was und wie sie lernen. Wo gibt`s denn sowas?
Ist das nicht Anarchie? Ja, ist es. Und das ist gut so. (ob es freilich "demokratisch" ist, und warum eigentlich nicht gleich "anarchisch", mag zu diskutieren sein.)
 
 
Aus dem Konzept dieser Schule:
 
"Was ist die Demokratische Schule X?
 
Kinder sind von Natur aus neugierig. Kinder wollen lernen. Sie wollen die Welt, die sie umgibt, begreifen und sich in ihr zurechtfinden. Deshalb ist es weder nötig noch sinnvoll, Kinder zum Lernen zu zwingen oder zu überreden. An der Demokratischen Schule X entscheidet jeder Schüler selbst, was, wann und wie er lernt.
 
Denn Lernen und Unterrichtet- Werden sind zwei verschiedene Dinge. Lernen ist eine aktive Tätigkeit des Lernenden, während Unterricht eine Veranstaltung des Lehrers ist. Unterrichtetwerden führt nicht automatisch zu Lernen und Lernen findet bei weitem nicht nur durch Unterricht statt. Ein Großteil des Lernens findet außerhalb und unabhängig von Unterrichtssituationen statt, beim Spielen, durch Gespräche über alle möglichen Themen, durch Bücher, Zeitschriften und anderen Medien oder indem Kinder etwas ausprobieren, anderen zuschauen, sich etwas von ihnen erklären lassen oder etwas mit ihnen gemeinsam machen. Lernen ist nicht vom sonstigen Leben getrennt, sondern findet in Alltagssituationen statt.  Unterrichtskurse spielen an der Demokratischen Schule X deshalb keine so herausragende  Rolle wie an herkömmlichen Schulen. Sie sind eine Lernmöglichkeit neben vielen anderen.
 
Die Erwachsenen an der Demokratischen Schule X verstehen sich nicht in erster Linie als Lehrende. Sie sind eher Lernbegleiter. Die Erwachsenen stehen nicht über den Schülern, sondern auf einer Ebene mit ihnen. In der Demokratischen Schule X hat jeder Schüler einen Mentor, d.h. einen Erwachsenen als persönlichen Ansprechpartner, mit dem er sich regelmäßig austauscht.
 
Wie auch im sonstigen Leben findet in der Demokratischen Schulen X keine strikte Aufteilung der Schüler nach Altersjahrgängen statt. Kinder und Jugendliche lernen, spielen und unternehmen etwas gemeinsam, weil sie ein gemeinsames Interesse haben – nicht weil sie das gleiche Alter haben. Oft ist es für Kinder leichter, von anderen Kindern zu lernen, die ihnen zwar auf einem bestimmten Gebiet ein Stück voraus sind, aber auf anderen Gebieten mit den gleichen Schwierigkeiten wie sie selbst zu kämpfen haben oder noch vor kurzem zu kämpfen hatten. Erwachsene sind den Kindern oft so weit voraus, dass sie schon nicht mehr dieselbe Sprache sprechen.
 
An der Demokratischen Schule X gibt es kein Sitzenbleiben und keine Noten. Es gibt keine verpflichtenden Leistungstests oder Prüfungen. Durch Gespräche und den Austausch mit anderen Schülern lernt der Einzelne jedoch ziemlich genau seine Fähigkeiten einzuschätzen. Am Ende der Schulzeit ist es jedoch möglich, Schulabschlüsse durch die Teilnahme an den staatlichen Abschlussprüfungen zu erwerben. Zur Orientierung und für die Vorbereitung auf Abschlussprüfungen stehen Kompetenzraster für alle herkömmlichen Schulfächer zur Verfügung, mit deren Hilfe sich die Schüler selbst einschätzen können.
 
In der Demokratischen Schule X gibt es als zentrales Entscheidungsgremium die Schulversammlung, die wöchentlich tagt. Dort wird u.a. über die Einführung oder Änderung von Schulregeln entschieden sowie nahezu über alles andere, was den Schulalltag betrifft. In der Schulversammlung hat jeder Schüler und jeder Mitarbeiter eine gleichwertige Stimme. Da es mehr Schüler als Erwachsene gibt, haben effektiv die Schüler die Kontrolle über ihre Schule."
 
 
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Helmut S. - ADMIN
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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Demokratische Schule X - Bildungskonzept und Grundsätze

Lieber R. W.

herzlichen Dank für diesen interessanten Hinweis.

Nach Schätzungen von "European Democratic Education Community" (EUDEC) gibt es mehr als 70 Demokratische Schulen in Europa und Hunderte weitere Schulen, die den Schülern möglichst viel Mitsprache geben und selbstbestimmtes Lernen ermöglichen wollen und sich auf den Weg gemacht haben, Demokratische Schulen zu werden. Möglichst viele Belange des schulischen Zusammenlebens werden basisdemokratisch geregelt, wobei jedes Mitglied der Schulgemeinschaft eine Stimme hat.

Die älteste und bekannteste ist Summerhill in Leiston (Suffolk, England). Sie wurde 1921 von dem schottischen Pädagogen Alexander Sutherland Neill gegründet. In ihrem Konzept am weitgehendsten ist die 1968 gegründete Sudbury Valley School in Framingham (Massachusetts, USA). Mittlerweile gibt es mehr als 40 Sudbury-Schulen, von denen sich die meisten in den USA befinden.

Jedes Jahr werden neue Schulen gegründet. Die größte Zahl Demokratischer Schulen gibt es in den USA, Israel und in den Niederlanden. Weitere befinden sich in Australien, Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Indien, Großbritannien, Japan, Kanada, Neuseeland, Peru, Russland, Spanien und Südafrika.

Habe mich auf der Webseite der Demokratischen Schule X in Berlin intensiver umgesehen und werde am Mo mit dem Vorstand Kontakt aufnehmen. Ich hoffe sehr, daß dieses mutige, fortschrittliche und längst überfällige Schul- und Bildungskonzept von vielen Eltern dankbar angenommen wird, es dadurch bundesweit "Schule macht" und die antiquierten, verstaubten Lern- und Bildungsprozesse zum Wohle und Nutzen unserer Gesellschaft gründlich aufmischt.. Zum Thema "Grundsätze" habe ich die folgenden Aussagen auf deren Webseite gefunden:

 



► Grundsätze


Die Grundsätze, nach denen die Demokratische Schule X funktioniert, sind in der Vereinssatzung festgeschrieben, welche hier komplett nachgelesen werden kann. Folgende Grundsätze bilden einen wichtigen Pfeiler des gesamten Konzeptes:



► Aufnahmealter


Im Rahmen ihrer räumlichen, finanziellen und personellen Kapazität steht die Schule allen Schülern und Schülerinnen offen, die die hier dargelegten Grundsätze akzeptieren. Eine Beschränkung des Aufnahmealters ist möglich.



► Mitarbeiter


Mitarbeiter im Sinne dieser Satzung sind insbesondere: für den Schul- oder Hortbetrieb Angestellte; Honorarkräfte, geringfügig Beschäftigte und dergleichen, die mindestens fünf Stunden pro Woche für die Arbeit mit Schülern bezahlt werden; Praktikanten, die ein mindestens vierwöchiges Praktikum an der Schule absolvieren; Zivildienstleistende und Menschen, die ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr an der Schule ableisten. Darüberhinaus kann die Schulversammlung beschließen, weitere Personen als Mitarbeiter anzuerkennen. Zu den Aufgaben der Mitarbeiter zählen die Unterstützung der Lernprozesse der Schüler sowie verwalterische und organisatorische Arbeiten. Die Mitarbeiter erledigen sämtliche Arbeiten, die für das alltägliche Schulleben und zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs notwendig sind, soweit diese nicht von Schülern auf freiwilliger Basis übernommen werden. Die Mitarbeiter sind dafür verantwortlich, dass gesetzliche Vorgaben und Verträge eingehalten werden. Die Mitarbeiter sorgen für eine entspannte Atmosphäre, in der die Kinder sich wohlfühlen und möglichst stressfrei lernen und arbeiten können.



► echte Gleichberechtigung


Alle Beteiligten haben unabhängig von ihrem Alter die gleichen Rechte. Ausnahmen sind nur zulässig für das Alter für die Aufnahme von Schülern oder soweit gesetzliche Regelungen dies als unabdingbar vorschreiben. Insbesondere ist die Stellung der Schüler weder der Stellung der Mitarbeiter noch der Sorgeberechtigten oder anderen mit Erziehungsfragen beauftragten Personen nachgeordnet.



► keine Diskriminierung


Jede Diskriminierung ist unzulässig. Insbesondere darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft, seiner Behinderung, seiner sexuellen Orientierung, seiner Lebensgewohnheiten, seines Aussehens, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder wegen seiner früheren schulischen Leistungen benachteiligt oder bevorzugt werden.



► Freiheit


Jeder einzelne Schüler bestimmt Art und Umfang seines Lernens selbst. Dabei wird Lernen als Prozess angesehen, der sich aus den Interessen des jeweiligen Schülers, wie er selbst sie definiert, ergibt und nur durch diesen Schüler gesteuert werden darf. Es ist dabei unerheblich, ob andere als dieser Schüler die jeweiligen Handlungen und Entscheidungen für sinnvoll oder förderlich bzw. überhaupt für Lernen halten oder nicht.
Bewertung

Ebenso bestimmt der Schüler selbst, ob er eine Bewertung seines Lernens bzw. seiner Fähigkeiten bzw. Eigenschaften wünscht, und wem eine solche Bewertung mitgeteilt werden darf. Dies gilt auch den Eltern bzw. den Sorgeberechtigten gegenüber.



► Autonomie


Eine vom Schüler nicht erwünschte versuchte Einflussnahme durch Mitarbeiter und Vereinsmitglieder auf seine Entscheidungen zu e) (Freiheit) und f) (Bewertung) ist unzulässig.



► Jahrgangsstufen


Die Schule wird weder in Klassen noch Jahrgangsstufen oder dergleichen gegliedert.



► Demokratie und Schulversammlung


Alle Angelegenheiten der Schule werden von einer demokratisch arbeitenden Schulversammlung geregelt, die sich eine Geschäftsordnung gibt. Die Schulversammlung besteht aus allen Schülern und Mitarbeitern. Jeder Schüler und Mitarbeiter ist in der Schulversammlung stimmberechtigt. Jeder hat gleich viele Stimmen, die jeweils das gleiche Gewicht haben. Beschlüsse werden durch Mehrheitsentscheidungen gefällt, die in der Geschäftsordnung geregelt sind. Schulversammlungen finden regelmäßig statt – in der Regel wöchentlich. Zudem sind außerordentliche Schulversammlungen möglich. Schulversammlungen müssen rechtzeitig bekannt gemacht werden. Die Schulversammlung erhält vom Verein ein eigenes Budget in hinreichender Höhe zugewiesen, über das sie frei verfügen kann. Die Schulversammlung verwaltet darüber hinaus jene Teile des Haushalts der Schule, die ihr zu diesem Zweck von der Mitgliederversammlung des Vereins zugewiesen wurden. Beschlüsse der Schulversammlung dürfen dieser Satzung nicht widersprechen.
Neueinstellung von Mitarbeitern

Die Mitglieder der Schulversammlung entscheiden über die Neueinstellung, Weiterbeschäftigung und Kündigung von Mitarbeitern der Schule. Diese Entscheidungen müssen sich im Rahmen des von der Mitgliederversammlung des Vereins gemäß § 7 Abs. 1 d beschlossenen Haushalts bewegen. Zudem sind die rechtlichen Vorgaben an die formale Qualifizierung von Lehrern und anderen pädagogischen Mitarbeitern einzuhalten.



► Schulregeln


Die Schulversammlung entscheidet darüber, ob Regeln oder Sanktionen nötig sind und wenn ja, welche. Sie entscheidet auch über die Art und Weise, wie mögliche Regeln und Sanktionen dokumentiert werden. Die Schulregeln müssen den in dieser Satzung dargelegten Grundsätzen entsprechen.



► Umgang mit Regelverletzungen


Jeder Schüler und jeder Mitarbeiter kann bei einer dafür zuständigen Stelle Beschwerden über die Verletzung einer Schulregel einreichen. Die Schulversammlung entscheidet über Art, Zusammensetzung und Vorgehen, Regeln dieser Stelle. Die Schulversammlung kann auch alternative Verfahren, um mit Konflikten umzugehen, beschließen. Diese Stelle ist berechtigt, Konsequenzen wie Sanktionen, Strafen, Wiedergutmachungen oder Entschädigungen zu verhängen. Voraussetzung für die Verhängung von Konsequenzen ist, dass dem Beschuldigten die Verletzung mindestens einer zum Zeitpunkt der Regelverletzung bestehenden Schulregel nachgewiesen worden ist oder der Beschuldigte die Regelverletzung einräumt. Entscheidungen über Konsequenzen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Suspendierungen von der Schule sind nur nach schweren Regelverletzungen zulässig. Der Ausschluss aus der Schule ist nur nach wiederholten schwersten Regelverletzungen, die ein künftiges friedliches Zusammenleben in der Schule nicht mehr erwarten lassen, zulässig. Gegen Entscheidungen der für Beschwerden zuständigen Stelle ist die Berufung gegenüber einem Gremium, das durch die Schulversammlung eingesetzt werden kann, möglich.



► Freie Meinungsäußerung


Das Recht auf freie Äußerung der Meinung wird gewährleistet; es findet seine Grenzen jedoch in den Persönlichkeitsrechten.

 

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Christoph Messner
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Verbunden: 25.01.2011 - 11:28
Demokratische Schule? Anarchische Schule? Freie Schule?

Hier zum Vergleich noch ein Link zur Bielefelder Laborschule des berühmten Pädagogen Hartmut von Hentig, geb. 1925: hier bitte weiterlesen

Auch einige Evaluationen zum Montessori- oder Waldorf-Schulkonzept sind in diesem Zusammenhang von Interesse:


► Waldorfschule - klick

► Montessoripädagogik - klick


Als Diplom-Pädagoge finde ich, "demokratisch" oder "anarchisch" oder "frei", das sind alles nur Schlagworte in diesem Zusammenhang hier, die so in der pädagogischen Praxis nicht existieren. Unsere Welt funktioniert nun einmal nicht rein demokratisch, anarchisch oder frei, sondern in ihr gibt es Dinge, die wir tun müssen, um erst einmal überhaupt existieren und dann eventuell auch noch Kinder großziehen zu können. Erst danach ist so einiges wählbar, anderes wieder nicht, wobei wir uns immer wieder die Frage stellen dürfen: Sind wir nicht viel freier, wenn wir uns an Regeln halten und Dinge beherrschen, als wenn wir auf Chaos und Zufall machen und immer geradewegs nach unserer Lust und Laune gehen und sofort die Leine ziehen, wenn bei einer notwendigen Arbeit mal Unlustgefühle aufkommen.

So ist es natürlich auch bei der Aufzucht der Kinder, im Verhältnis Lehrer-Schüler, in der Organisation einer Schule nie so, daß hier alle gleichberechtigt wären oder ohne Noten automatisch gute Kinder und mit Noten automatisch angepaßte Streberleichen herauskommen. Es ist wichtig, daß diejenigen, die auf irgendeinem Gebiet etwas sehr viel schlechter können, mindestens in Sachen auf diesem Gebiet auf diejenigen hören und denen auch mal folgen, die auf dem Gebiet sehr viel besser sind. Um ausreichend auf einem Gebiet gut zu werden, egal auf welchem, muß man auch mal über einige Zeit mit Ausdauer, Unlustüberwindung, Experimentierendürfen, Spaß und Folgenmüssen dabeibleiben, und für den besten Lern- und Leistungserfolg sind wahre Autoritäten, also Könner die mit Herz und Hingabe lehren und die Kinder im richtigen Moment frei und spielen lassen und im richtigen Moment wieder fordern bis zwingen, die besten Zugpferde.

Darum finde ich, sollten wir die Regelschule nicht pauschal verunglimpfen und Experimentierschulen nicht pauschal hochjubeln. Es kommt immer darauf an. Auf die Lehrer, auf die Schüler, auf die Mittel, auf die Ziele, auf das Talent, auf das Bemühen, ....

Genauso wie in der Politik ...

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Rene Wolf
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Verbunden: 19.05.2012 - 09:03
Welche Schule ist frei? Das Polylemma des Diplom- Pädagogen

Unterschied demokratische Schule ./. Regelschulen

Der wesentliche Unterschied zwischen der demokratischen Schule und Regelschulen sowie allen anderen nicht- demokratischen Schulen besteht in Folgendem: das Fehlen einer Hierarchie. Schülerinnen in der demokratischen Schule haben das gleiche Stimmrecht wie Erwachsene.

Es gibt auch in freien Schulen Ansätze von Selbstbestimmung. Etwa in der Freiarbeit der Montessori- Schulen. Dennoch bleibt in allen Schulen- außer der demokratischen- das Prinzip bestehen: es gibt einen Lehrplan. Es gibt eine Hierarchie.

Selbstgestellte Ansprüche wie "wir behandeln jedes Kind nach seiner Individualität" funktionieren hauptsächlich in der Theorie und erfordern ein kaum bezahlbares Lehrerkollegium mit einer Unmenge an Psychologen. Für Kinder- und für Lehrer. Tatsächlich gibt es einen festen Rahmen, inhaltlich nach dem vermittelten Stoff- und äußerlich: Schul- Stunden und Klassenräume. Damit ist ein zeitlicher, räumlicher und inhaltlicher Zwang gesetzt. Kinder lernen, zu funktionieren. Sie können nicht wählen, was und wie sie lernen.
 
Ein inhaltliches Beispiel für die Zurichtung von Kindern ist der Religions- Unterricht. Was wird da gelehrt? Natürlich Bibel- Inhalte. Oder Texte aus anderen Religionen. Also Märchen. Kinder können noch nicht völlig begreifen, was Fiktion bedeutet. Sie lesen religiöse Texte nicht in ihren gesellschaftlichen und poltischen Kontexten. Wenn sie der LehrerIn vertrauen, glauben sie, was sie lernen. Oder wird im Religions- Unterricht Wissen vermittelt, das historisch verbürgt ist? Religions- Geschichte, mit all den Verbrechen, die im Namen der Religion begangen wurden?

Religion ist ein Herrschaftsinstrument. Sie dient der Unterdrückung. Wollen wir, dass unsere Kinder unterdrückt werden?

 
Was ist eine FREIE Schule?

Zunächst ist es löblich, wenn der Inhalt des Schulstoffs nicht von Institutionen wie Bertelsmann oder Beamten im Ministerium erarbeitet wird. Dies geschieht nämlich in den sogenannten normalen Schulen- und auch in Universitäten.
"... wenn nun einer der mächtigsten und politisch einflussreichsten Konzerne den Hochschulen sagt, was sie zu tun haben, dann ist das von den Hochschulen ganz selbstverständlich und ohne Murren hingenommen worden." siehe hier
 
Was aber bestimmend ist für die Umsetzung des Anspruchs, frei zu sein, das ist die ideologische Ausrichtung.

  • An welcher deutschen Schule wird Staats- Kritik geübt?
  • Wo wird vermittelt, wie unser Wirtschaftssystem funktioniert?
  • Warum es so viel Elend und Hunger auf der Welt gibt?
  • Warum die Natur zerstört wird?

Es mag einzelne Lehrer geben, die hier und da auf Missstände hinweisen. Das aber ist kein Konzept. Es widerspricht dem allgemeinen Konzept, oder besser dem Wunschtraum, wir lebten in einem demokratischen, freien, gerechten Land. Fragen wir Schüler nach ihrer Meinung zur Gesellschaft, so hören wir meist erschreckend Naives.  In Politik- Foren sammeln sich solche völlig verqueren Ansichten von der Welt. Da gibt es kaum etwas, das nicht dem entspricht, was Bertelsmann, Springer und Co vorgeben. Wo sind sie denn nun, die Kinder des aufgeklärten Zeitalters?

Wie kommt es, dass ein Diplom- Pädagoge- ich meine den hier mitagierenden Christoph Messner- von "Aufzucht der Kinder" spricht, so, als wären Kinder Tiere? Messner widerkäut all das, was ihm in seiner Ausbildung eingetrichtert wurde. Vom "besten Lern- und Leistungserfolg" bis zum "fordern bis zwingen". Das hätte ein FDP- Politiker nicht klarer ausdrücken können.
 
Was, mag mensch fragen, soll denn nun durch die demokratische Schule anders werden? Sind AbgängerInnen solcher Schulen allesamt Anarchisten, Aktivisten, Verweigerer von Erwerbsarbeit, Umstürzler? Mit anderen Worten: "Gibt es ein richtiges Leben im falschen"?
Noch einmal: in der demokratischen Schule bestimmt die SchülerIn, WAS und WIE sie lernt. Ein unheimlicher Gedanke, nicht wahr?

Das führt zu der Frage, ob der Mensch eigentlich, ursprünglich ein konstruktives, also gutes Wesen ist. Oder ob er immer wieder Zwang und Zurichtung braucht. Die Ergebnisse all dieses Zwanges, den wir ruhig Unterdrückung oder Herrschaft nennen dürfen und welcher seit etwa 5000 Jahren dominiert, diese Ergebnisse sehen wir täglich. Obwohl die Welt imstande ist, 12 Milliarden Menschen zu ernähren, also weit mehr, als es jetzt Menschen gibt, leben etwa ein Viertel der Menschen am Existenz- Minimum. Die Zerstörung der Umwelt ist bekannt. Kriege, die vorsätzlich inszeniert werden- bis zum Risiko völliger atomarer Welt- Zerstörung- das alles ist für uns normal geworden. Ohne Herrschaft hätten wir all diese Probleme nicht. Eine gewagte These? Wer wagt mehr?
 
Zum demokratischen Schulkonzept könnte "mensch" auch sagen, es ist ein anarchisches Konzept. Denn: "Warum müssen Schulen in demokratischen Gesellschaften undemokratisch und hierarchisch sein? Müssen sie gar nicht." Laut EUDEC, siehe hier
 
Was bedeutet das? Wenn es keine Vorgaben der Erwachsenen gibt, weder inhaltlich noch formell, dann müsste sich doch herausbilden, was in den einzelnen Schülern tatsächlich nach Entfaltung drängt, ganz natürlich. Nicht absolut, zugegeben. Einflüsse der Eltern und der Umwelt außerhalb der Schule spielen da mit. Doch die Möglichkeiten der natürlichen Selbstentfaltung sind unter solch freien Bedingungen weit größer.

Die meisten Menschen in unserer Umgebung können sich das sicher kaum vorstellen. Das ist kein Wunder. Sie wurden bereits "zugerichtet". Interessant ist hier vielleicht ein Vergleich mit einer Umfrage zum "Bedingungslosen Grundeinkommen". Befragt, ob sie sich vorstellen könnten, mit einem leistungslosen Einkommen von etwa 1000 Euro monatlich noch weiterzuarbeiten, sagten 80 % JA. Befragt danach, wie vielen ihrer Mitmenschen sie zutrauen, in diesem Fall auch weiter zu arbeiten, wurde bei den meisten Befragten von 20 % ausgegangen. Wir glauben also an uns selbst, aber nicht an die anderen. Seltsam, nicht wahr?

Dabei ist das nur ein Ergebnis künstlich gezüchteten Misstrauens und des Teile- und Herrsche- Prinzips. Die Gesellschaft ist eigentlich schlecht, also muss sie beherrscht werden. Dabei gibt es Herrschaft, wie wir sie kennen, erst seit relativ kurzer Zeit. Aber wer erinnert sich schon daran, was vor 5000 Jahren war?
 
Wenn Menschen gelernt haben, wirklich oder weitestgehend frei zu denken, fällt es ihnen freilich schwer, ein Leben im allgemein anerkannten Hamsterrad zu führen; "normal" arbeiten zu gehen; Waren zu kaufen, die sie nicht brauchen und deren Herstellung mit Kinderarbeit, Umweltzerstörung und Ausbeutung verbunden ist. Deshalb müssen sie noch längst keine "Revoluzzer" werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie das System ablehnen, ist jedoch groß.

Welches Interesse sollten Staat und Konzerne an solchen Menschen haben? Das sind spannende Fragen. In Deutschland gibt es bislang acht demokratische Schulen. Das fällt noch nicht weiter auf. Doch es lohnt sich, das Thema zu verfolgen.
 

Nu pogodi!

René L. Wolf

 

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