Der Kapitalismus und die Verelendung Afrikas

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Peter Kern
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Verbunden: 15.12.2011 - 11:30
Der Kapitalismus und die Verelendung Afrikas
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Der Kapitalismus und die Verelendung Afrikas    


Angesichts des Elends in der Welt verstricken wir uns durch unser Schweigen in eine Zustimmung zu diesem Elend, das wir nie dulden würden, wären wir selbst betroffen. Wir sind deshalb aufgerufen zu protestieren. Ursprünglich heißt protestari, das Schweigen vor Zeugen brechen, damit das Schweigen nicht als Zustimmung missdeutet werden kann.

Legen wir also Zeugnis ab, brechen wir unser Schweigen und protestieren wir jederzeit und überall gegen das von Menschen gemachte Unrecht in dieser Welt!
 

Meine nach innen gekrümmte Empörung findet täglich neue Anlässe. Die Umweltzerstörung und die Missachtung der Menschen im Niger-Delta ist einer davon. Multinationale Ölkonzerne – Shell, Exxon-Mobil, Total, Eni – haben eine Flussmündung von der Größe Bayerns in eine ölverschmierte Kloake verwandelt.

Nigeria ist durch das Öl reich geworden. Nigeria ist durch das Öl arm geblieben. Korruption und Misswirtschaft lassen die Milliarden in den Taschen Weniger versickern. Deshalb holen sich im Sumpfgebiet des Niger-Deltas Banden, bis zu den Zähnen bewaffnet, das schwarze Gold durch Diebstahl. Jeden Tag verschwindet illegal eine Menge, die ausreichen würde, ein Land wie Dänemark mit Öl zu versorgen.

Illegal? Im Horizont der herrschenden Rechtsverhältnisse, ja. Doch sind diese Rechtsverhältnisse gerecht?

Die Pastorin Jemimah Mbaya, die mehrere Jahre im Niger-Delta arbeitete, hat dazu ihre eigene Meinung. „Die Leute im Delta sähen jeden Tag die Shell-Lastwagen vorbeirollen, und bei ihnen komme einfach nichts an. Keine Jobs, kein Geld, nichts.“ „Shell sagt, das sind Diebe. Aber die Leute im Delta betrachten das Öl als ihr Eigentum, und Shell ist für sie das Unternehmen, das es ihnen wegnimmt.“

Beide, legale fremde Öl-Diebe und illegale einheimische Öl-Diebe, haben das schwarze Gold zum Gift werden lassen. Über Jahrzehnte hinweg haben Tausende von großen und kleinen Ölaustritten aus den Pipelines das Trinkwasser und die Fischgründe ruiniert. Die Gesundheit und die Lebensgrundlage von 30 Millionen Menschen stehen auf dem Spiel.

Das sei eben der Preis des Fortschritts, kommentiert ungerührt der Zyniker. Fortschritt? Nein, das ist der Preis für Dummheit, Ignoranz, Raffgier und grenzenlosen Egoismus. Es ist der Preis, den die Menschen im Niger-Delta zahlen müssen, weil der energiehungrige Westen ihnen die Segnungen des Kapitalismus brachte.

Die schwarzen korrupten Eliten haben schnell gelernt, diesen Tiger Kapitalismus zu reiten, wild, ungezügelt, halsbrecherisch. Bevor dieser Gaul endgültig durchgeht, will sich Shell zurückziehen.

Wenn vor der Insel Lampedusa wieder einmal Afrikaner jämmerlich absaufen, hat ihr Tod „natürlich“ nichts mit den Machenschaften der multinationalen Ölkonzerne zu tun.

Meine nach innen gekrümmte Empörung sucht sich ihren physischen Ausdruck: Ich muss kotzen.

 



Diesen Beitrag habe ich zuvor auf meinem Blog veröffentlichtweiter

Vgl. Marcus Theurer: „Über Schattenreiche. Schon beim Flug wird die unglaubliche Umweltzerstörung im Niger-Delta sichtbar. Eine Fläche so groß wie Bayern ist vom Öl gezeichnet. Die Mafia zapft Großteile aus den Leitungen ab. Der Konzern Shell zieht sich zurück und hinterlässt Chaos. Im Dickicht der Anarchie bleibt die Frage, wer hier der Dieb ist.“ In: FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Nr.230 vom 04.10.2013, S.14