Die Bio-Illusion: Verkauf von Gefühlen

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Die Bio-Illusion: Verkauf von Gefühlen
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Die Bio-Illusion: Verkauf von Gefühlen


Heute abend habe ich mir die ARTE-Dokumentation „Die Bio-Illusion“ angesehen. Für Interessierte hier der Link dazu sowie zum dazugehörigen Dossier. Dieser Bericht hat mir einige wichtige Anregungen gegeben, um meinen Kommentar zu schreiben.


Mittlerweile habe ich den Eindruck, daß viele Konsumenten dem ökologischen Faktor beim Erwerb von landwirtschaftlichen Erzeugnissen immer weniger Bedeutung beimessen. Worauf es ihnen schwerpunktmäßig ankommt, das ist das gute Gewissen, das sie sich durch eine Illusion erkaufen. Sie lassen sich quasi durch die positiven Gefühle korrumpieren, die sie glauben, rechtmäßig dadurch verdient zu haben, daß sie ihr Geld für Waren mit einem grünen Etikett ausgegeben haben.


Landwirtschaftliche Produkte werden dabei über den gleichen Kamm geschoren, wie x-beliebige andere Waren. Man läßt sich von der Werbung  leiten und kupfert das Verhalten von Bekannten ab, um mitzuhalten. Trendy zu sein ist in unserer Event- und Konsumgesellschaft erstrebenswert  - und diesen Status erlangt man dadurch, daß man der Mode folgt. Und wenn die Mode derzeit auf „Bio“ steht, dann ist eben „Bio“ in! Von einer inneren Überzeugung, sich, seinen Mitmenschen und der Natur insgesamt nützlich und förderlich zu sein, keine Spur.


Meine These ist daher folgende: Die biologische Landwirtschaft hat sich größtenteils dem marktwirtschaftlichen System unterworfen und ist zur reinen Geldmacherei verkommen! Es handelt sich in Wirklichkeit um eine industriell betriebene „biologische“ Landwirtschaft, die die konventionelle nur kopiert und sich proforma mit Biosiegeln absichert. Die Methoden der konventionellen industriellen Landwirtschaft werden übernommen – ökonomisch bedingte und strategische Anpassungen werden dabei nur bedingt zugelassen, um die nötigen Zertifikate zu erlangen. Dabei wird nicht vor Betrug und Korruption zurückgeschreckt.


Im Übrigen stammt die Methodik der Zertifizierung bekanntlich aus der Industrie. Kleine Zwischenfrage: Wie soll ein natürlicher, ökologischer und originärer landwirtschaftlicher Anbau funktionieren, wenn dieser bis ins Detail von Zertifizierungen bürokratisch gemaßregelt wird, der die praktische Berufsausübung eines motivierten Bauern unterminiert? Oder wie ist es mit wahrhaft ökologischer Gesinnung vereinbar, wenn qualitativ einwandfreie Lebensmittel aussortiert und vernichtet werden, nur weil sie in Form und Farbe nicht einer willkürlich festgesetzten irrationalen Schönheitsnorm entsprechen? Wenn folgende Phänomene heutzutage bei einem Großteil der Bioerzeugung zutreffen – mit zunehmender Tendenz -, dann können wir uns den Selbstbetrug mit diesem Gefasel von gesunder biologischer Landwirtschaft ersparen:

  • Massenproduktion von Agrarerzeugnissen in Monokulturen.
  • Massentierhaltung fast ohne Einschränkungen.
  • Beibehaltung der Konzentrationsprozesse der industriellen Betreiber mit Hilfe der Kapitalwirtschaft.
  • Verdrängung der Kleinbauern und des Mittelstandes.
  • Systematische Zerstörung von kleineren, gewachsenen traditionellen landwirtschaftliche Strukturen sowie der  Artenvielfalt.
  • Verhinderung von Regionalisierung und Deindustrialisierung der Landwirtschaft.

Kleinbauern weltweit geraten unter die Räder der Bio-Geschäftemacherei. Ihre Traditionen werden untergepflügt, ihr Land wird billig aufgekauft, meistens noch staatlich oder von (EU-)Subventionen unterstützt. Durch die Hintertür wird der Agrarchemie doch wieder der Zutritt gestattet und selbst genmanipulierte Produkte werden durch Zufütterung oder Dünger in den Kreislauf gebracht. Massentierhaltung wird teilweise als ökologische Tierhaltung  deklariert. Die biologische Landwirtschaft gräbt sich ihr eigenes Grab, weil sie zunehmend unglaubwürdig wird und die Verbraucher belogen werden.


In China kann man beispielsweise Bio-Zertifikate für ca. 200 € erwerben. Dort ist ökologische Landwirtschaft unter den Bedingungen von Wassermangel, Einsatz von vergiftetem oder verschmutztem Wasser  oder durch Überdüngung gang und gebe. Trotzdem – oder sogar gerade deswegen – ist China der größte Hersteller von Bioware. Und wir in Deutschland und Europa biedern uns den Chinesen geradezu als Kunden an. Welche Scheinheiligkeit!


Auch Südspanien, die Region Almeria, die die größte landwirtschaftliche Anbaukonzentration Europas aufweist, ist ein besonders abschreckendes Beispiel für die Verwurstung von „Bio“. Dort wird inmitten einer gigantischen herkömmlichen industriellen Erzeugung unter Einsatz von fraglichen Methoden angeblich biologischer Anbau betrieben. Wie soll es da mit rechten Dingen zugehen?


Unter Millionen  von m² Plastikfolie wird Massenproduktion in Monokulturen unter absoluter Kostenminimierung praktiziert. Arbeiter und Pflanzen erblicken niemals das freie Licht der Sonne. Bei Almeria handelt es sich um eine der ödesten und wasserärmsten Gegenden Europas. Trotzdem wird für die landwirtschaftliche Erzeugung  das spärlich vorhandene Grundwasser angebohrt – der Grundwasserspiegel sinkt dadurch ständig. Für 1 kg Tomaten wird z. B. 180 Liter Wasser benötigt, während die angeheuerten afrikanischen Beschäftigten ausgebeutet werden, unter den erbärmlichsten Bedingungen hausen müssen und noch nicht einmal Trinkwasseranschluß besitzen.


Statt unseren boden- und mittelständigen Biobauern in Deutschland eine Existenzsicherung zu gewährleisten, erschließen sich die Großhandelskonzerne und Discounter billige Einkaufsquellen im Ausland, um die Kosten zu minimieren und die Gewinne zu maximieren. Die Verbraucher spielen das böse Spiel skrupellos und ungehemmt mit, um ein paar Cent zu sparen. Lange Transportwege bis zum Konsumenten, ob aus Almeria, China oder Thailand werden anstandslos in Kauf genommen. Wer die externen  Transportkosten und damit verbundenen Umweltschäden bei seiner Einkaufsentscheidung berücksichtigt, müßte solche Produkte eigentlich strikt ablehnen und boykottieren.


Es handelt sich beim Bioboom mittlerweile um eine internationale Seuche, die die traditionale Landwirtschaft ruiniert. Den ansässigen Bauern wird das Land von ausländischen Investoren unter Ausspielung ihrer ökonomischen Machtmittel und politischen Verbindungen unter dem Hintern weggekauft: letztendlich sind diese Praktiken nicht viel besser als Landraub. Meine Schlußfolgerung aus den geschilderten Mißständen lauten daher:

  • Ein marktwirtschaftliches System läßt keine echte biologisch-ökologische Landwirtschaft zu.
  • Eine generelle Umstellung ohne Ausnahmen auf biologische Kreislaufwirtschaft ist unerläßlich.
  • Dies darf jedoch keine Übernahme der alten Produktionsmethoden bedeuten.
  • Das in der Marktwirtschaft vorherrschende ungehemmte Profitstreben ist konterkarierend und nicht mit echter biologischer Landwirtschaft in Einklang zu bringen.
  • Eine Chance zur Umsetzung besteht nur unter der Voraussetzung der Verfolgung von Idealen, die den Profit  als zweitrangig einstufen.
  • Oberstes Ziel muß die Herstellung von landwirtschaftlichen Produkten sein, die dem Leben der Menschen, der Gesundheit und der Ökologie dienen, wobei die Diversivität von Arten und Lebensformen im Vordergrund steht, die einen Erhalt des natürlichen Kreislaufs sichern.

All dies ist jedoch nur möglich, wenn wir nicht nur unser Wirtschaftssystem sondern auch unser Wertesystem ändern. Ansonsten werden jegliche Bestrebungen, eine flächendeckende ökologische Landwirtschaft zu betreiben, die ihren Namen auch verdient, Makulatur bleiben. Wie degeneriert sind wir eigentlich, wenn wir diese Verhältnisse weiter zulassen und unterstützen?



MfG Peter A. Weber