Die Legende von der Machbarkeit des ewigen Wachstums
Im nachfolgenden bringe ich einige Auszüge aus obigem Artikel, den ich quasi zur Pflichtlektüre erheben möchte, weil er wirklich grundlegende Voraussetzungen für das intakte Funktionieren unserer (Wirtschafts-) gesellschaft anführt, die man in dieser zwingenden Logik selten hört. Die geschilderte Problematik ist wirklich themenübergreifend und betrifft nicht nur den Wachstumswahn, sondern assoziiert gleichzeitig auch mit folgenden Punkten aus unserem Forum wie:
- Grundlagen des Neoliberalismus / Kapitalismus
- Energie + Ökologie mit sämtliche Unterthemen
- Wachstumsideologie als Krankheit
- Konsumkritik, Konsumzwang und Konsumverzicht
- Technologiekritik
- Verkehr, Landschafts- und Stadtentwicklung
Bitte kommt meiner Empfehlung nach und lest einen hochinteressanten Artikel von Niko Paech aus Le Monde Diplomatique vom 10.9.2010. Hier ein Textauszug:
„….Oft wird behauptet, die gegenwärtige parallele Nutzung fossiler, atomarer und erneuerbarer Kapazitäten sei nur eine vorübergehende Phase. Das könnte sich jedoch als Irrtum erweisen. Denn durch die Erneuerbaren steigt das Elektrizitätsangebot insgesamt. In der Folge sinkt der Marktpreis für Strom, und die Nachfrage nimmt zu. Da die moderne Konsumgesellschaft darauf ausgelegt ist, immer mehr Funktionen und Gerätschaften zu mechanisieren, zu automatisieren, zu digitalisieren und damit unweigerlich zu elektrifizieren, werden sich noch mehr Menschen an einen noch energieintensiveren Lebensstil gewöhnen. Eine spätere Rückkehr auf das Verbrauchsniveau vor Einführung der Erneuerbaren würde ihnen einen Verzicht auf Konsumansprüche abverlangen. Aber dazu wird es nicht kommen, denn derlei Lebensstildebatten sind unbequem, wer dem Credo der ökologischen Modernisierung folgt, vermeidet oder verdrängt sie besser von vornherein.
Einer solchen unumkehrbaren Entwicklung wäre vorzubeugen, indem der Aufbau neuer Kapazitäten an den sofortigen - oder sogar vorherigen - Rückbau alter Energieanlagen gebunden wird. Der resultierende Wertschöpfungssaldo aus Rück- und Neubau dürfte sich kaum mit ökonomischem Wachstum vereinbaren lassen. Es kann sogar insgesamt zur Schrumpfung kommen, wenn der fossile Sektor mehr Wertschöpfung verliert als im regenerativen Sektor langfristig entstehen kann.
Es ist also falsch, anzunehmen, dass sich ökonomisches Wachstum und Ressourcenverbrauch durch Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen entkoppeln ließe. Ganz im Gegenteil gilt, dass Effizienz und Konsistenz die Umweltbelastung nur dann senken werden, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst. "Entkopplung" kann es nach dieser Logik nicht geben.
Abschied von der Vorstellung, das Neue wäre sicher besser
Gerade weil die sogenannte Exnovation (Beseitigung) alter Technologien und Produkte eine Voraussetzung für Nachhaltigkeit ist, lässt sich die ökologische Vorteilhaftigkeit des Wandels nicht leicht ermitteln. So wäre von den Vorteilen des Passivhauses im Vergleich zum Altbau der Ressourcenaufwand sowohl für die Entsorgung als auch für den Neubau zu subtrahieren. Noch schwieriger wird die Abwägung, weil auch alle möglichen Neben- und Spätfolgen der neuen Lösung einzukalkulieren sind. Wie soll die Verringerung von Emissionen gegen den Verbrauch von Fläche bilanziert werden? Dass dieses Dickicht aus Unwägbarkeiten unweigerlich zur Achillesferse der ökologischen Modernisierung wird, liegt an deren bedingungsloser Innovationsfixierung.
Ohne Innovation kein technischer Fortschritt. Innovation bedeutet, dass der Bestand an vorhandenen Optionen um neue Lösungen erweitert wird. Wann immer aber neue, bislang unbekannte Lösungen für den Fortschritt nutzbar gemacht werden, handelt es sich zunächst um reine Addition. Die Innovationsorientierung stemmt sich gegen jede Genügsamkeit oder Zurückhaltung, die den Selbstverwirklichungsansprüchen quantitative Grenzen setzen könnte.
[.....] Sie beschwört das gigantische Wüstenstromprojekt Desertec, träumt von der Einlagerung schädlicher Treibhausgase in unterirdischen Gesteinsschichten und treibt sowohl Kernfusion als auch den Ausbau von Bioenergie und Offshore-Windparks voran, statt zu kreativem Stromsparen einzuladen - und die Hälfte aller Kohlekraftwerke einfach ersatzlos stillzulegen. Nur auf der Grundlage eines solchen expansiven Verständnisses von Innovation lässt sich eine nachhaltige Entwicklung überhaupt als wachsende Wirtschaft vorstellen.
Der innovationsgetriebene Fortschritt - auch der zwecks Nachhaltigkeit forcierte - löst soziale und kulturelle Veränderungen aus, die im vorhinein schwer einzuschätzen, oft kontraproduktiv und außerdem unkorrigierbar sind. Vor allem aber ist die Innovationsorientierung im Kern strukturkonservativ. Umweltfreundliche Produkte und Technologien wie der Dreiwegekatalysator, der Hybridantrieb, der Brennstoffzellenantrieb oder die Elektromobilität immunisieren maßlose Mobilitätsansprüche gegen jede Kritik. Passivhäuser legitimieren das unausgesprochene "Menschenrecht", nach Lust und Laune Einfamilienhäuser in die Landschaft zu bauen. Und dass die Erneuerbaren emissionsfrei sind, wird als Rechtfertigung herangezogen, um unbequemes Energiesparen zu vermeiden“.
Den vollständigen Artikel könnt Ihr hier weiterlesen