Die Mär von der Pressefreiheit

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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Die Mär von der Pressefreiheit
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Die Mär von der Pressefreiheit

Der Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten!

von Georg Rammer

Staatenlenker marschieren und posieren für Pressefreiheit. Morde werden umgehend benutzt zur Durchsetzung einer kontrollierten Gesellschaft mit noch mehr Überwachung. Damit werden Werte und Rechte, die die versammelten Politiker so hoch halten, zur Worthülse: Politik als Inszenierung, demonstrative Gefühle als PR. Bundeskanzlerin Merkel sieht in den Morden von Paris laut Presse- und Informationsamt der Bundesregierung einen »Angriff« auf ein »Kernelement unserer freiheitlich-demokratischen Kultur«, nämlich auf die Pressefreiheit, einen »der größten Schätze unserer Gesellschaft«. Wie ist es um diesen Schatz bestellt?

In Frankreich etwa wird die Presse von Serge Dassault dominiert. Er ist Multimilliardär, Rüstungsindustrieller und Politiker. Der Staat ist der beste Kunde seiner Waffen. Der Mann, der sein Vermögen durch Einkünfte aus Zeitungen (Le Figaro und viele andere), Rüstungsgütern (Dassault Aviation, unter anderem dem Militärflugzeug Mirage) und Anteilen an anderen Konzernen (Veolia) mehrt, wurde in Belgien wegen Bestechung verurteilt; in Frankreich sind Anklagen wegen Korruption, Verdacht auf politischen Stimmenkauf, Geldwäsche und Veruntreuung erhoben worden.

In Großbritannien herrscht Rupert Murdoch als Medienunternehmer. Er kontrolliert 37 Prozent des britischen Zeitungsmarktes, dazu das englische Satellitenfernsehen, die Filmfirma 20th Century Fox und den Nachrichtensender Fox News in den USA sowie viele andere Medien. Premierminister David Cameron hatte in 14 Monaten 26 private Treffen mit Murdoch oder seinen Abgesandten. Murdoch suchte die Nähe, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Was suchte Cameron?

Silvio Berlusconi, Italien: viermal Ministerpräsident, Vermögen von umgerechnet 7,8 Milliarden US-Dollar, Verlage, Fernsehsender in seinem Besitz. Laut Wikipedia kontrolliert er 90 Prozent des italienischen Fernsehmarktes. Übrigens liefen gegen ihn über 100 Strafverfahren. Die Verbindung politischer und medialer Macht und die Verquickung öffentlicher und privater Interessen ist bei allen diesen Politik-Unternehmern manifest.
 

»Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika« und »Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft« – so lauten zwei der fünf weltanschaulich-politischen Unternehmensgrundsätze u. Leitlinien, auf die der Axel-Springer-Medienkonzern jeden Mitarbeiter verpflichtet. Als eines der größten Verlagshäuser Europas hat Springer den Zusammenbruch der realsozialistischen Länder schnell zur Expansion seines Imperiums genutzt – entsprechend diesen Grundsätzen. Zusammen mit dem Schweizer Konzern Ringier besitzt er in Polen, Tschechien, Ungarn, Serbien und der Slowakei 100 Printtitel und 70 Online-Angebote.

Ist das die Meinungs- und Pressefreiheit, die die Politiker verteidigen? Ist das die Umsetzung des Art. 5 Grundgesetz und des Art. 11 der Grundrechte-Charta der EU?

Artikel 5 GG

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Artikel 11 GRCh - Freiheit der Meinungsäußerung, Informationsfreiheit, Freiheit und Pluralität der Medien

(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.

(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.

Die skizzierten Beispiele großer europäischer Zeitungsverlage und Medienkonzerne sind eher geeignet, die in der Bevölkerung vorherrschende Skepsis gegenüber der real existierenden Pressefreiheit zu bestätigen und zu bestärken. Der Politik geht es anscheinend nicht um die Verwirklichung der Meinungs- und Informationsfreiheit, sondern um die Vermarktung von Freiheit, Meinung und Information. Zwischen der Politik, den Pressekonzernen und der Wirtschaft besteht eine Symbiose, die alle Beteiligten für sich zu nutzen trachten. So waren sich etwa Vertreter von EU-Kommission und Mitgliedsstaaten schnell einig, daß es beim Freihandelsvertrag TTIP [hier und hier] darum gehe, »die Erzählung der Mainstream-Medien zu den Verhandlungen im Griff« zu behalten, wie Corporate Europe Observatory aus der geleakten Kommunikationsstrategie [siehe Artikel] der Europäischen Kommission für die Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP zitiert.
 

Die Bevölkerung schätzt die Meinungs- und Pressefreiheit als hohes Gut der Demokratie ein. In der Studie »Demokratie in Deutschland 2011« gaben 46 Prozent der Befragten an, es sei sehr wichtig für die Demokratie, daß »Bürger politisch so informiert werden, daß sie sich an der Politik beteiligen können«. Die Einschätzung der realen Verhältnisse steht dazu allerdings im harten Kontrast: Nur neun Prozent waren der Meinung, daß diese Erwartung an die Demokratie voll verwirklicht werde. Die Kluft zwischen garantierten Grundrechten und Politiker-Statements einerseits und den Eindrücken und Erfahrungen der Bevölkerung andererseits scheint tief und kaum überbrückbar zu sein. [zur FES-Studie 2011, PdF = etwas Ladezeit!]

Was sagen denn diejenigen, die die Nachrichten und Berichte verfassen, also die Zeitungsjournalisten?

  • 60 Prozent der Befragten berichten über persönliche Erfahrungen mit Behinderungen ihrer Arbeit und über wirtschaftlichen Druck, durch den Recherchen behindert oder sogar tendenziöse Artikel nahegelegt werden.
  • 79 Prozent, also eine große Mehrheit von ihnen, sehen die Grenzen zwischen Journalismus und PR verschwinden.
  • Viele Journalisten betrachten inzwischen die weltweite Ausforschung und geheimdienstliche Bespitzelung als die größte Bedrohung der Pressefreiheit. Sie könnte durch die Vorratsdatenspeicherung noch bedrohlichere Ausmaße annehmen.

Die Nähe der Konzernmedien zur herrschenden Elite ist offensichtlich. Uwe Krüger hat in »Meinungsmacht« den Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten untersucht und beschrieben, wie Elite-Netzwerke funktionieren. Ressortleiter bei Zeitungen entwickeln elite-kompatible Haltungen, große überregionale Tageszeitungen und Zeitschriften bedienen über Werbung für Luxusprodukte im Hochpreissegment ein einflußreiches Publikum und machen sich so nach zwei Seiten abhängig.

Die enge Verbindung von »Alpha-Journalisten« der FAZ, der Zeit, der SZ und der Welt zu einem dichten Netzwerk transatlantischer, US- und NATO-freundlicher Gesellschaften spiegelt sich im Stil ihrer Artikel: Sie sind gut geeignet, das weltweite militärische Engagement Deutschlands unkritisch und eindimensional zu pushen. Krüger weist nach, daß sie »in ihren Artikeln den Diskurs der Eliten abbilden, deren Argumente verbreiten und für mehr militärisches Engagement werben«. Die Perspektive der Eliten »fließt in Kommentare und Leitartikel ein, von denen man glaubt, sie seien von unabhängigen und kritischen Journalisten verfaßt« zitieren ihn die NachDenkSeiten.

Es gibt in Deutschland gute Zeitungen und investigative Berichte. Das Problem besteht darin, daß Nachrichten und Informationen wie alles andere im Kapitalismus auch eine Ware sind, mit der Profit gemacht werden kann. Zwar ist das »Recht, seine Meinung … frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten« formal im Grundgesetz gewährleistet, faktisch aber ausgehöhlt und deformiert.

Die Ware Information verleiht ihren Besitzern und Profiteuren eine Macht, die von der Politik nicht eingeschränkt, vielmehr für eigene Ziele genutzt wird – und die Besitzer werden sich hüten, eine Politik in Frage zu stellen, solange sie mit ihren Interessen übereinstimmt.

Wir wissen, wie gefährlich es ist, dem globalen Herrschaftsanspruch eines kapitalistischen Imperiums mit Aufklärung beizukommen. Julian Assange, Chelsea Manning, Edward Snowden und viele andere haben es gewagt: Sie haben Verbrechen aufgedeckt und werden dafür in ihrer Existenz bedroht. Solidarisch sind wir deshalb nicht mit der »freien« Presse à la Dassault, Murdoch, Springer und Berlusconi, sondern mit denen, die Haltung und Handeln dieser Elite aus Wirtschaft, Politik und Medien hinterfragen und mit ihrer Feder angreifen.

Georg Rammer

bitte unten die Buchvorstellung und darunter das Inhaltsverzeichnis und die Einleitung als PdF beachten.



Quelle:  Erschienen in Ossietzky, der Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft - Heft 3/2015 > zum Artikel

Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, wurde 1997 von Publizisten gegründet, die zumeist Autoren der 1993 eingestellten Weltbühne gewesen waren – inzwischen sind viele jüngere hinzugekommen. Sie ist nach Carl von Ossietzky, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1936, benannt, der 1938 nach jahrelanger KZ-Haft an deren Folgen gestorben ist. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte er die Weltbühne als konsequent antimilitaristisches und antifaschistisches Blatt herausgegeben; das für Demokratie und Menschenrechte kämpfte, als viele Institutionen und Repräsentanten der Republik längst vor dem Terror von rechts weich geworden waren. Dieser publizistischen Tradition sieht sich die Zweiwochenschrift Ossietzky verpflichtet – damit die Berliner Republik nicht den gleichen Weg geht wie die Weimarer.

Wenn tonangebende Politiker und Publizisten die weltweite Verantwortung Deutschlands als einen militärischen Auftrag definieren, den die Bundeswehr zu erfüllen habe, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Flüchtlinge als Kriminelle darstellen, die abgeschoben werden müßten, und zwar schnell, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Demokratie, Menschenrechte, soziale Sicherungen und Umweltschutz für Standortnachteile ausgeben, die beseitigt werden müßten, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie behaupten, Löhne müßten gesenkt, Arbeitszeiten verlängert werden, damit die Unternehmen viele neue Arbeitsplätze schaffen, dann widerspricht Ossietzky – aus Gründen der Humanität, der Vernunft und der geschichtlichen Erfahrung.

Ossietzky erscheint alle zwei Wochen im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin – jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen die Gewöhnung an den Krieg und an das vermeintliche Recht des Stärkeren.
 

Redaktionsanschrift:

Redaktion Ossietzky
Haus der Demokratie und Menschenrechte

Greifswalderstr. 4, 10405 Berlin

redaktion@ossietzky.net

http://www.ossietzky.net/


► Bild- und Grafikquellen:

1. "Ware" Demokratie ist, wenn Politker den Willen von Konzernen und deren Lobby politisch gesetzlich durchsetzen und sich zum Ausgleich dafür von den Bürgern wählen und bezahlen lassen!" Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress

2. Mainstream-Journalismus (Schreibtischtäterhandwerk, Propaganda, Lüge) "Reiche Menschen bezahlen reiche Verleger dafür, dass sie die Mittelschicht glauben machen, die Armen und Mittellosen seien an allem Schuld" Grafik: Elias Schwerdtfeger Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)

3. "WIR SIND BILDfrei" - #BILDboykott. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.

4. Das Foto entstand während der Demo "TTIP-stoppen" zum G7-Treffen (04.06.2015 in München) Fotograf: © Frederick Dietze > seine Webseite: www.southvibez.de > Facebook. Die Rechte verbleiben beim Fotograf! Herzlichen Dank für die freundliche Freigabe zur Veröffentlichung im KN.

5. Buchcover: "Meinungsmacht - Der Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten - eine kritische Netzwerkanalyse" von Medienforscher und Journalist Uwe Krueger. HALEM-Verlag 2013. Broschur ISBN 978-3-86962-070-1, eBook ISBN 978-3-86962-124-1

Verlagstext:

Die Interaktionen zwischen Journalisten und Eliten wurden bislang meist vor systemtheoretischem Hintergrund und durch Befragung von Akteuren erforscht, wobei die Ergebnisse anonymisiert wurden. Diese Arbeit wählt theoretisch und methodisch einen anderen Ansatz, um Eliten-Einflüsse auf journalistische Inhalte zu lokalisieren.

Es wird ein theoretisches Modell entwickelt, das Medienverhalten mit Hilfe von Pressure Groups und sozialen Netzwerken erklärt und das vorhersagt, dass Leitmedien mehr oder weniger den laufenden Diskurs der Eliten reflektieren, aber dessen Grenzen nicht überschreiten und dessen Prämissen nicht kritisch hinterfragen.

Im empirischen Teil fokussiert eine Netzwerkanalyse zunächst die soziale Umgebung von 219 leitenden Redakteuren deutscher Leitmedien. Jeder Dritte unterhielt informelle Kontakte mit Politik- und Wirtschaftseliten; bei vier Außenpolitik-Journalisten von FAZ, Süddeutsche Zeitung, Die Welt und Die Zeit finden sich dichte Netzwerke im US- und NATO-affinen Elitenmilieu.

Eine anschließende Frame-Analyse fragt, inwieweit der Output dieser vier Journalisten in den umstrittenen Fragen der Definition von Sicherheit („erweiterter Sicherheitsbegriff“) und Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr auf der Linie der ermittelten Bezugsgruppen liegt. Abschließend werden die Berichte über die Münchner Sicherheitskonferenz und deren Gegner in fünf Tageszeitungen inhaltsanalytisch untersucht. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Eliten-nahen Leitmedien FAZ, Welt und Süddeutsche den auf der Sicherheitskonferenz laufenden Elitendiskurs ausführlich abbilden, dabei aber die Proteste und die Gegenveranstaltung „Münchner Friedenskonferenz“ marginalisieren und delegitimieren.

Uwe Krüger, geb. 1978, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Er promovierte am Institut für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung in Leipzig (IPJ) und betreute mehrere Jahre lang als Redakteur das Journalismus-Fachmagazin Message. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Journalistische Recherche, Journalismus und Social Media, Journalismus und Psychologie. ... (Foto: © Uwe Krüger / Halem-Verlag)