Die Ursprünge des modernen Kapitalismus (HENRI SEE)

1 Beitrag / 0 neu
Bild des Benutzers Helmut S. - ADMIN
Helmut S. - ADMIN
Offline
Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Die Ursprünge des modernen Kapitalismus (HENRI SEE)
DruckversionPDF version

Die Ursprünge des modernen Kapitalismus  –  ein historischer Grundriss

Titel der Originalausgabe: Les Origines du Capitalisme Moderne (Librairie Armand Colin, Paris, 1926)

Autor: Henri Eugène Sée (*1864, † 1936)

Verlag: Humboldt Verlag, Wien (1948)


Klappentext:

Seit Werner Sombarts berühmter Darstellung hat es viele Autoren gereizt, das eigenartige Phänomen des Kapitalismus entwicklungsgeschichtlich oder systematisch zu erklären. Und in der Tat gibt es kaum ein reizvolleres wirtschaftsgeschichtliches Thema als dieses, das uns dem Verständnis unseres heutigen Wirtschaftssystems näher zu bringen verspricht.

Der Verfasser behandelt sein Thema rein historisch und entwirft die Geschichte des Kapitalismus von seinen ersten Äußerungen im Altertum bis zu seiner Hochblüte im 19. Jahrhundert. Das Schwergewicht der Darstellung liegt im Wirtschaftlichen, doch werden die sozialen Aspekte ebenfalls berücksichtigt.


Vorwort:

Dieser Grundriss will keineswegs eine allgemeine Geschichte des Kapitalismus sein. Noch weniger hatten wir die Absicht, eine soziologische Studie zu unternehmen. Bedarf es noch der Erwähnung, dass dieser bescheidene Versuch keinesfalls darauf Anspruch erheben kann, mit dem Standardwerk Professor W. Sombarts »Der moderne Kapitalismus« zu wetteifern, das sich trotz stellenweisen Mangels an Klarheit durch seinen so umfassenden Tatsachenreichtum und vor allem durch seine interessanten und anregenden Anschauungen auszeichnet?

Unsere Absicht war lediglich, eine gewisse Anzahl historisch wirklich feststehender Tatsachen synthetisch zusammenzufassen, welche vor allem im Hinblick auf ihren Nutzen für die Soziologie und die politische Ökonomie herausgearbeitet wurden. Mit einem Wort, es ist eine Synthese und eine vergleichende Geschichtsstudie, welche ohne irgendein politisches oder soziales Vorurteil geschrieben ist. Wir haben versucht, uns über die großen Linien der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Klarheit zu verschaffen, die im 19. Jahrhundert zum Sieg des Kapitalismus und der Großindustrie geführt hat.

Es ist jedoch wichtig, dass wir die von uns dabei befolgte Methode aufzeigen. Denn wenn es auch unsere Absicht war, der Soziologie und der politischen Ökonomie geschichtliches Material zu liefern, so lag es uns indessen fern, uns der Methoden jener beiden Wissenschaften auch nur im mindesten zu bedienen.

In der Tat spielen Raum und Zeit in der Soziologie nur eine untergeordnete Rolle; die vornehmste Aufgabe dieser Wissenschaft ist die Darstellung der Organisation der Gesellschaften in abstracto. Für uns sind aber die beiden Faktoren Zeit und Raum wesentlich, denn wir befassen uns vornehmlich mit der Entwicklung der wirtschaftlichen Phänomene, und zwar innerhalb bestimmter Gebiete. Was die politische Ökonomie anbetrifft, so beabsichtigt sie, die Gesetze der Produktion, der Verteilung und des Verbrauchs der Güter zu studieren, ohne dabei das Zufällige allzu sehr in Betracht zu ziehen, wenn auch der Entwicklungsgedanke sie allmählich durchdringt und sie die geschichtlichen Tatsachen immer mehr berücksichtigt. Die Geschichte muss sich aber gerade mit diesen Zufälligkeiten in ganz besonderer Weise befassen. Dies will indessen nicht besagen, dass wir aus dem Umgang mit Soziologen und Nationalökonomen keinen großen Nutzen gezogen hätten. Diese befassen sich in erster Linie mit der Beobachtung der modernen Gesellschaft. Der Historiker braucht jedoch die Kenntnis und das Verständnis der Gegenwart, um die Vergangenheit zu verstehen. Hätten wir nicht eine Gesellschaft vor Augen, die zum großen Teil durch die kapitalistische Organisation beherrscht wird, so wären wir nicht auf den Gedanken gekommen, die Entstehung dieser letzteren zu studieren.

Bei unserer Arbeit schien uns die vergleichende Methode die richtigste und fruchtbarste zu sein. Da wir die Anfänge des Kapitalismus nicht in einem einzigen Land, sondern überall, wo man sie erfassen kann, studieren wollten, drängte sich die vergleichende Methode umso mehr auf. Wir mussten uns ihrer sowohl in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht bedienen, denn die Akkumulation des Kapitals - die notwendige Voraussetzung des Kapitalismus - erfolgte im Mittelalter nicht in derselben Weise wie heute, und die noch sporadische und nur im Keim existierende kapitalistische Organisation des Mittelalters unterscheidet sich stark von derjenigen des 18. und 19. Jahrhunderts. Es sind hauptsächlich diese Unterschiede, welche uns erlauben, den Sinn der Entwicklung zu begreifen und das Wesen der modernen kapitalistischen Gesellschaft zu bestimmen.

Wir haben uns immer bemüht, konkrete Tatsachen heranzuziehen. Nichtsdestoweniger mussten wir, um eine synthetische Arbeit zu schreiben, oft verallgemeinern und konnten, da Verallgemeinerung und Abstraktion eng miteinander verwandt sind, nicht jede Abstraktion vermeiden.

Eine solche Arbeit hat auch noch einen anderen Nachteil. Man ist nämlich gezwungen, Tatsachen, die zu einer anderen Ordnung gehören, politische, religiöse oder geistige Erscheinungen, im Dunkel zu lassen. Wir geben jedoch zu, dass diese in vielen Fällen auf die Entstehung des Kapitalismus einen bedeutenden Einfluss ausgeübt haben. Die Persönlichkeiten treten ebenfalls völlig in den Hintergrund; hatten diese nun aber gar keinen Einfluss auf die Entwicklung der von uns betrachteten ökonomischen Tatsachen? Hat das Werk Colberts zum Beispiel, wenn man auch seine Bedeutung oft überschätzt hat, nicht zur Entwicklung des Kapitalismus, zumindest in Frankreich, beigetragen?

Mit einem Wort, alle individuellen Tatsachen, welche das Gewebe der allgemeinen Geschichte bilden, werden geopfert, und zwar in einer zweifellos übertriebenen Weise. Kann indessen ein Versuch der Synthese und der vergleichenden Geschichte wie der von uns unternommene nicht sogar dieser allgemeinen Geschichte einige Dienste leisten? Kann er nicht zur Erklärung gewisser Erscheinungen anderer Art und zur Aufzeigung ihrer Verbundenheit beitragen? Man kann zweifellos behaupten, dass lediglich das Individuelle wirklich ist; das Allgemeine ist jedoch leichter zu erkennen als das Besondere, und so kann seine Betrachtung dazu beitragen, jene Kategorie von Erscheinungen besser zu verstehen, die in gewisser Weise einmalig und, solange sie isoliert bleiben, der Wissenschaft schwer zugänglich sind.

Das kleine äußerst empfehlenswerte Büchlein findet man antiquarisch für ca. 4 - 10 € am besten bei booklooker.de .

_____________________________

► Inhaltsübersicht:


Einleitung

ERSTES KAPITEL: Die ersten Äußerungen des Kapitalismus im Mittelalter

1. Der Kapitalismus im Altertum

2. Das Feudalsystem und die Fortschritte des Individualismus

3. Die kapitalistischen Erscheinungen in Florenz

4. Der Kapitalismus in den Niederlanden

5. Erste Symptome in Frankreich

6. Der Kapitalismus in England

7. Der Finanzkapitalismus

8. Die Finanzmächte im Mittelalter

9. Kein Industriekapitalismus im modernen Sinn Wortes

Bibliographie


ZWEITES KAPITEL: Der Kapitalismus zu Beginn der Neuzeit

1. Sombarts Theorie der Entstehung des Kapitalismus

2. Die großen Finanzmächte in Italien und Deutschland. Die Börsen

3. Die Kapitalspekulation

4. Die Entwicklung des öffentlichen Kredits und die Finanzkrisen

5. Die Entwicklung der Banken

6. Überwiegender Einfluss des ebenfalls eine Quelle des Finanzkapitalismus bildenden Handelskapitalismus

7. Das Zinsdarlehen: Die kirchliche Lehre und die neue Praxis

8. Einfluss der kalvinistischen Reformation

Bibliographie


DRITTES KAPITEL: Der große Überseehandel. Die kolonialen Niederlassungen und die Fortschritte des Kapitalismus im 16. Jahrhundert

1. Die wirtschaftlichen Folgen der großen Entdeckungen

2. Die Portugiesen und Spanier in Antwerpen

3. Das Gold und das Silber der Neuen Welt

4. Das spanische Kolonialsystem

5. Die Rolle der Ausländer im Handel von Spanisch-Amerika

6. Der Zustrom der Edelmetalle und die Währungskrise

7. Die wirtschaftliche Entwicklung der Seemächte (Frankreich, Holland, England)

8. Ursprung der Aktiengesellschaften

Bibliographie


VIERTES KAPITEL: Der Handels- und Finanzkapitalismus im 17. Jahrhundert

1. Fortschreitende Ausschaltung des spanischen Handelsmonopols in Amerika

2. Die merkantile Politik

3. Die kommerzielle und finanzielle Vormachtstellung Hollands

4. Die Niederländisch-ostindische Compagnie und die Bank von Amsterdam

5. Die Rolle Englands, seine maritime und koloniale Ausdehnung

6. Fortschritte des englischen Finanzkapitalismus

7. Relativ untergeordnete Rolle Frankreichs

8. Maritime und koloniale Expansion Frankreichs

9. Schwäche der finanziellen Organisation

10. Besonderheiten des Kapitalismus in Frankreich: Die Finanzleute und ihre Geschäfte

Bibliographie


FÜNFTES KAPITEL: Entfaltung des Handels- und Finanzkapitalismus im 18. Jahrhundert

1. Wirtschaftlicher Niedergang Hollands

2. Englands Vormachtstellung zur See und sein kommerzieller Aufschwung

3. Entwicklung des Finanzkapitalismus in England

4. Weniger starke und langsamere Fortschritte des Kapitalismus in Frankreich

5. Der Finanzkapitalismus in Frankreich

6. Die Theorie W. Sombarts

7. Die Mobilisierung des Wirtschaftslebens. Spekulation und Reklame

8. Die Preissteigerung

Bibliographie


SECHSTES KAPITEL: Die Lockerung des Kolonialpaktes als Anzeichen und Folge der Fortschritte des Kapitalismus

1. Der spanische Kolonialpakt im 18. Jahrhundert

2. Der englische Kolonialpakt in Nordamerika

3. Englische Handelspolitik

4. Die wirtschaftlichen Ursachen des Unabhängigkeitskrieges

5. Schwächung des Monopols in Frankreich

6. Die tieferen Ursachen der kolonialen Befreiung

Bibliographie


SIEBENTES KAPITEL: Die Anfänge des Industriekapitalismus und der Großindustrie

1. Die »industrielle Umwälzung« als Folge der Industrieexpansion

2. Die Phase der ländlichen und der Hausindustrie

3. Die Konzentration des Handels

4. Die Manufakturen

5. Technik und industrielle Konzentration

6. Die Einführung der Maschinen und ihre Folgen

7. Besonderheit des Industriekapitalismus

Bibliographie


ACHTES KAPITEL: Herrschaft des kapitalistischen Systems im 19. Jahrhundert

1. Rasche Fortschritte des Kapitalismus in England

2. Langsamere Fortschritte in Frankreich

3. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg Belgiens

4. Fortbestehen der alten Wirtschaftsformen in Mittel-, Ost- und Südeuropa

5. Der Kapitalismus in den Vereinigten Staaten

6. Die Umgestaltung der Verkehrsmittel als Wegbereiter für den Sieg des Kapitalismus

7. Schwacher Einfluss des Kapitalismus in der Landwirtschaft

8. Schlussfolgerung

Bibliographie


NEUNTES KAPITEL: Die sozialen Auswirkungen der kapitalistischen Entwicklung

1. Einfluss des Kapitalismus auf den Grundbesitz und auf die Agrarverfassung (England, Frankreich, die Baltischen Länder)

2. Der Kapitalismus und die Abschaffung der Sklaverei

3. Einfluss des Kapitalismus auf die Umgestaltungen der arbeitenden und handeltreibenden Klassen

4. Die Arbeiterfrage

5. Infolge des Kapitalismus werden die juristischen Grundlagen der sozialen Schichtung durch wirtschaftliche ersetzt

Bibliographie

Schlusswort

Allgemeine Bibliographie

_____________________________

► Buchbesprechung von Dr. Heinz-Joachim Heydorn: (*Juni 1916, † Dezember 1974)

„Dieses kleine Buch bereichert die Sammlung „Universitas“ in einer außerordentlich wertvollen Weise. Es erhebt nicht den Anspruch, mit einer neuen Theorie eine veränderte Sicht der kapitalistischen Entwicklung zu begründen oder mit den großen standardwerken in Konkurrenz zu treten. Grundsätzliche Betrachtungen über die wirkenden Ideen werden nur sehr knapp und äußerst kritisch dargeboten, die geschichtsphilosophische Interpretation tritt bewußt in den Hintergrund.

Die Absicht des Verfassers bestand lediglich darin, einen knappen und an den reinen Tatsachen orientierten Überblick über die Ursprünge des modernen Kapitalismus zu vermitteln. Diese Absicht ist vorzüglich gelungen. Der Leser vermag sich in einer höchst einfachen Weise sachgerecht zu informieren, eine laufende Bibliographie gibt zugleich überall, wo es notwendig ist, den Hinweis auf die bedeutendsten Publikationen, zu denen man, wenn sich der Wunsch nach einem vertieften Studium eines bestimmten Zeitabschnittes regt, greifen muß.

Die Übersichtlichkeit dieses Buches, seine einfache allgemeinverständliche Sprache verdienen hohes Lob. Die Rolle der einzelnen Länder, ihr Anteil an der modernen ökonomischen Entwicklung wird eindrucksvoll herausgestellt.

Besondere Bedeutung wird auch den wichtigsten äußeren Daten dieses Vorganges zugewiesen, so daß sich schon sehr bald beim Lesen dieser Arbeit eine feste chronologische Übersicht ergibt, die den gesamten Inhalt gliedert und ihn vor allem für den wissenschaftlichen Laien vereinfacht.

Die Entwicklung des Kapitalismus wird von seinen Anfängen bis zu seinem endgültigen Siege im 19. Jahrhundert dargestellt, auf eine Verdeutlichung seiner modernen Phänomene wird auf Grund des historischen Charakters der Arbeit verzichtet. Wer jedoch eine wirklich gute Einführung in die europäische Wirtschaftsgeschichte sucht, wird dieses Buch mit Gewinn und Vergnügen lesen.“

__________________

Das kleine äußerst empfehlenswerte Büchlein findet man antiquarisch für ca. 4 - 10 € am besten bei booklooker.de .