Dolly ist tot: Biotechnologie am Wendepunkt (CHRISTOPH THEN)

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Marie-Luise Volk
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Dolly ist tot: Biotechnologie am Wendepunkt (CHRISTOPH THEN)
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Dolly ist tot: Biotechnologie am Wendepunkt


Autor: Christoph Then

Verlag: Rotpunktverlag, Zürich (1. Auflage 4/2008) zur Verlagsseite

ISBN-10: 3-85869-368-5 ../.. ISBN-13: 978-3-85869-368-6

kartoniert, Tb, 288 Seiten, Preis: 22 €

Ein Lebewesen ist viel mehr als die Summe seiner Gene. Die Biotechnologie, wie wir sie heute kennen, ist wissenschaftlich überholt. Es geht darum, zu verhindern, dass sie weitere Schäden anrichtet.

 

Informationen zum Autor:

Christoph Then, geboren 1962, studierte Tiermedizin und ist seit Jahren im Umfeld von Gen- und Biotechnologie aktiv. Er begründete in Deutschland die Initiative »Kein Patent auf Leben!« und arbeitete für die Grünen und für Greenpeace. 2008 startet sein neues Projekt »scouting-biotechnology«, mit dem unter anderem unabhängige Risikoforschung unterstützt werden soll. Mitarbeit bei foodwatch, beim Gen-ethischen Netzwerk und bei der Gesellschaft für ökologische Forschung.


Klappentext:

Die biotechnische Illusion

Gentechnik und Biotechnologien boomen. Weltweit nimmt der Anbau von Gensaaten immer weiter zu. Das menschliche Erbgut ist entschlüsselt und zu großen Teilen zum Patent angemeldet. Doch Illusionen sind fehl am Platz: Die derzeitigen Biotechnologien sind als »Dinosauriertechnologien« wissenschaftlich bereits überholt, stellt Christoph Then in diesem Buch fest. Mit ihrem größten Triumph, der Entschlüsselung des Genoms von Mensch, Tier und Pflanze, scheitern das »Genesis-Programm« und die Vorstellung von einer Kontrollierbarkeit des Lebens auf grandiose Weise. In der Fülle der vielen erfolgreich analysierten Details zeigt sich immer klarer, dass sich die Komplexität des Lebens dem Anspruch der Technologen entzieht.

Das Buch bietet einen gerafften Überblick über die Geschichte der Biotechnologie und Biopolitik der letzten 100 Jahre ebenso wie eine Übersicht über die aktuellen Kontroversen in Bereichen wie der Agrogentechnik, der Patentierung von Leben und der Stammzellenforschung. Der Autor fordert eine Emanzipation von bisherigen Vorstellungen der Biologie, die den Menschen als Sklaven seiner Gene erklären und die belebte Natur zum Spielball von Konzerninteressen machen.

Inhalt:

Einleitung ..9


1. Der Traum vom »gemachten« Leben ..15

  • Das Genesis-Projekt ..15
  • Geld, Macht und Innovation ..19
  • Kulturen des Nichtwissens ..22
  • Gefährdungspotenzial: Drei Szenarien ..24

2. Darwin, Bernard und Loeb ..33

  • Pioniere der Biotechnologie: Darwin und Bernard ..33
  • Jacques Loeb: Experimente in der Hirnforschung ..38
  • Loebs »Technik der lebenden Wesen« ..40
  • Erfolge in der Jungfernzeugung ..44
  • Alterung, Verlängerung des Lebens, Unsterblichkeit ..49
  • Moderne Konzepte der Vererbung ..52
  • »Das Leben« ..54
  • Loebs Erbe ..59

3. Gen und Keimzelle ..61

  • Die Entwicklung der Synthetischen Evolutionstheorie ..61
  • Die Entdeckung der Keimzellen ..65
  • Fragen der Menschenwürde ..68

4. Der Mensch als Produkt ..73

  • Anfänge der Menschenzucht ..73
  • Eugenik ohne Rassismus: Serebrovskij, Muller, Cohen ..79
  • Militarisierung und Instrumentalisierung der Erbanlagen ..83

5. Die Ausweitung des Operationsfeldes ..89

  • Ethische Normen im Wandel ..89
  • Der Mensch als solcher ..94
  • Giorgio Agamben und das »nackte Leben« ..100

6. Produktion und Monopol ..105

  • Der rechtliche Schutz für biotechnologische Erfindungen ..105
  • Patienten im Netz der Pharmalobby ..107
  • Die Entwicklung des modernen Patentrechts ..112
  • Von Genpflanzen zur natürlichen Vielfalt ..118
  • Moderne Leibeigenschaften ..122
  • Protokolle der Menschenzucht ..128

7. Was ist ein Gen? ..135

  • Vom Baukasten zu neuer Komplexität ..135
  • Das Human-Genom-Projekt und Craig Venter ..137
  • Das ENCODE-Projekt ..143
  • Genübertragung und die Illusion vom »industriellen Gen« ..149

8. Genpflanzen: Das unterschätzte Risiko ..155

  • Pflanzen: Meister der Anpassung ..155
  • Leitplanken von Evolution und Vererbung ..158
  • Mit Schrotschuss ins Genom ..162
  • Risiken und Nebenwirkungen bei genmanipulierten Pflanzen ..165
  • Wie viel Risiko ist akzeptabel? ..175
  • Innovation ohne Genmanipulation ..178

9. Dolly, Polly und Co ..183

  • Blackbox Dolly-Verfahren ..183
  • Technische Erfolge ohne wirklichen Fortschritt ..188
  • Unbegrenztes Therapiepotenzial mit embryonalen Stammzellen? ..192

10. Die Synthetische Biologie ..197

  • Die Komplexität beseitigen ..197
  • Aktuelle Strategien zur Schaffung künstlicher Lebensformen ..199
  • Biomechanik außer Kontrolle ..203
  • Risiken der neuen Technologie ..207

11. Zeitenwende ..211

  • Zwei Sonnen - ein Planet ..211
  • Die Theorie der Entwicklungssysteme ..214
  • Epigenetik als neuer Schlüsselbegriff ..222
  • Die neue Evolutionstheorie: Evolutionary Development Biology ..226
  • Die »biologische Unschärferelation« ..235

12. System versus Maschine: Ein Schlusswort ..245

  • Kann Biotechnologie kontrolliert werden? ..248
  • Eine neue Emanzipation ..250
  • Jacques Loeb: »Das Leben« (1911) ..255

Anmerkungen ..280
Ausgewählte Literatur ..287


Rezension von Journalist und Buchautor Sandro Mattioli: seine Homepage

»Then hätte mit den üblichen Ängsten argumentieren, hätte über misslungene Genkreuzungen und Monsterwesen herziehen können. Doch es geht ihm um ein tiefer liegendes Problem: um die Annahme dass der Mensch in der Lage sei, seine Eingriffe in das komplexe System Leben zu kontrollieren. Diese Tiefe macht das Buch lesenswert, und sie macht es zu einer kritischen Schrift gegen den weit verbreiteten Reduktionismus in der Forschung.«


Rezension von Winfried Stanzick: (Ober-Ramstadt, Hessen) – TOP 4 Rezensent bei Amazon.de

Gerade scheint in den letzten Jahren der Zeitpunkt erreicht zu sein, dass die Gefahren und die Risiken der Biotechnologie in das Bewusstsein nicht nur der Politiker, sondern -populär übersetzt - auch weiter Teile der Bevölkerung gelangt sind, da wird schon wieder Halali geblasen.

Der Kampf ist eigentlich vorbei, weil die mit Milliarden geförderte Suche nach den einfachen Strukturen in den Lebewesen, die in der Hoffnung unternommen wurde, Leben zu kontrollieren und -natürlich mit Gewinn - zu (re)produzieren, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in den letzen Jahren also, zu einem für alle Forscher überraschenden Ergebnis geführt hat.

Die erfolgreich durchgeführte Analyse auch des menschlichen Genoms hat gezeigt, dass sich Lebensprozesse nicht auf einzelnen Bestandteile reduzieren lassen. Christoph Then beschreibt einen regelrechten Paradigmenwechsel, der innerhalb nur weniger Jahre stattgefunden hat:

"Innerhalb der Life Sciences gibt es eine immer breiter werdende Strömung, die nach Ansätzen sucht, um die aktuellen Erkenntnisse der Grundlagenforschung in einen neuen umfassenden theoretischen Kontext einzubetten. Ähnlich wie die Quantenphysik zu Beginn des 20.Jahrhunderts zu einer völlig neuen Vorstellung dessen führte, was die Welt im Innersten zusammenhält, führen die jüngsten Erkenntnisse der Biotechnologie zu einer weitgehenden Entgrenzung dessen, was bisher unter Vererbung verstanden wurde: Der Reduktionismus, der zur Idee der isolierbaren Genbausteine geführt hatte, kommt dort an seine Grenzen, wo Molekulargenetik und Biologie auf Phänomene von nichtreduzierbarer Komplexität treffen.

Das alte Paradigma kippt: Bisher konnte man von der Annahme ausgehen, dass es mit steigendem Wissen über die 'Natur des Lebens' immer einfacher werden würde, Prozesse wie Wachstum und Fortpflanzung der Lebewesen zu kontrollieren. Lebensprozesse wurden als komplizierte Mechanismen angesehen, deren Funktion man durch Analyse ihrer einzelnen Bestandteile analysieren konnte. Doch kann inzwischen nicht mehr erwartet werden, dass durch die Forschung ganz automatisch auch das Wissen über technisch determinierbare Prozesse zunehmen wird. Im Gegenteil, durch das Bekanntwerden immer neuer Details nimmt die Komplexität der beobachteten Phänomene so sehr zu, dass inzwischen klar ist, dass die bisherigen Modelle zu ihrer Erklärung nicht ausreichen. Die Phänomene des 'Lebens' und der 'Evolution' folgen nichtlinearen, hochkomplexen Regeln, die sich einer Vorhersagbarkeit und Beherrschbarkeit weitgehend entziehen. Der reduktionistische Ansatz, der in den letzten hundert Jahren der Biologie weit im Vordergrund stand, führt seine eigenen Erfolge ad absurdum: Auch wer alle Gene kennt, weiß nicht, was 'Leben' ausmacht. Aus einer komplizierten Maschine wird eine komplexes System, dessen einzelne Teile keinen Rückschluss auf die Funktion des Ganzen erlauben."

Then zeigt auf, dass die Biotechnologie bisher von völlig falschen Voraussetzungen ausging, denn eine Technologie, die darauf setzt, dass Lebensformen in Bezug auf die Zukunft kontrollierbar sind, ignoriert die eigenen Lebensgrundlagen. Manche Wissenschaftstheoretiker sprechen mittlerweile von einer regelrechten "Kultur des Nichtwissens", in der man jederzeit mit dem Unerwarteten rechnen müsse.

Nachdem er sehr aufschlussreich und verständlich die Geschichte der Biologie und Biotechnologie der letzten Jahrzehnte beschrieben hat, kommt Then auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. Es sei nötig, die neuen Erkenntnisse, insbesondere die Entdeckung der biologischen "Unschärferelation" umzusetzen.

Das soll geschehen durch ein gut begründbares Verbot der Freisetzung genmanipulierter oder künstlich konstruierter Organismen. Weiterhin sei nötig, sich dem Druck kommerzieller Verwertung zu entziehen. Eine Neudefinition der Rolle der Wissenschaft als unabhängiger Wächterin und kritischer Kontrolleurin steht an. Und: "Die Vorstellung von patentierbaren Genen und Organismen beruhen auf falschen wissenschaftlichen Vorstellungen, sind ethisch bedenklich und wirtschaftlich kontraproduktiv."

Eben weil die Gene sich nicht so verhalten, wie sie sollen. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen mehr denn je, dass der Mensch das Produkt genetischer Prozesse ist. Aber auch, dass diese Prozesse mit vielen Freiheitsgraden ausgestaltet sind. Sie bilden ein offenes System, in dem keineswegs alles vorbestimmt ist.

Ganz im Gegenteil: Forscher sprechen davon ,dass der Mensch ein Mosaik sei, seine Identität und Gesundheit ein instabiler Zustand, in dem die Egoismen der Mosaiksteine der DNA in Schach gehalten werden. Angesichts einer wahren Flut von noch weithin mysteriösen Befunden, z.B. über die chaotische Kreativität des sogenannten Gen-Mülls, ergeht es den Genforschern ganz ähnlich wie den Kosmologen, die seit einigen Jahren nach der geheimnisvollen "dunklen Materie" im Universum forschen. Auch die Biowissenschaftler rätseln nun über "the dark matter of the genome", die dunkle Materie des Erbgutes.

Angesichts der Komplexität und Unbestimmbarkeit der genetischen Prozesse entlarven sich nun viele Visionen vom optimierten Designmenschen, aber auch manche Warnungen vor den Gefahren der Genforschung als arg vereinfachter Vulgärbiologismus. Das Basteln am Genom erweist sich als wesentlich komplizierter als gedacht. Und die Fantasie, man können durch Klonen begnadete Künstler, geniale Forscher oder einfach nur einen geliebten Menschen in idealer Form wieder auferstehen lassen, wird wohl auf ewig Wunschdenken bleiben.

Es ist das große Verdienst des vorliegenden Buches, dies sachkundig und verständlich aufgezeigt zu haben. Der sich selbst als Christ definierende Rezensent schmunzelt als Theologe innerlich darüber und denkt daran, dass das alles auch für die Rede von Gott als dem Schöpfer gilt. Vielleicht wäre einfach mehr glaubende Ehrfrucht vor diesen unglaublichen" Wunder angebracht ? (W. Stanzick)