Ansätze bzgl. Reformierung v. Wertvorstellungen sowie Systemwandel von Gesellschaft und Wirtschaft
Das Video “Story Of Stuff” entstammt dem Story Of Stuff-Project von Annie Leonard und Freunden. Ich möchte es an den Anfang der Überlegungen hinsichtlich eines angestrebten Wertewandels stellen, denn es beleuchtet die bisherigen Fakten und gibt Anlaß zu einem grundlegenden Umdenkungsprozeß.
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- Abkehr von der mechanistisch-materiell orientierten Lebensweise
In meinem Kommentar „Anmerkungen und Kritik“ zu einem Vortrag von Prof. Dr. Meinhard Miegel mit dem Titel „Wohlstand ohne Wachstum“ wurden wesentliche Stichpunkte genannt, die man leider bei bei Miegel vermissen konnte. Energieeinsparung, Steigerung der Effizienz und Ausnutzen des technologischen Fortschritts sind nur ein Teil der Medaille des Programms zur Ablösung der Wachstumsideologie. Der andere Teil besteht darin, daß wir auch Konsumverzicht leisten müssen. Wir sollten uns keine Illusionen machen – ohne Umsetzung dieses Aspektes haben wir kaum eine Chance, die uns gestellte Aufgabe zu meistern. Einen Trost gibt es jedoch: Konsumverzicht bedeutet nicht unbedingt Minderung der Lebensqualität – ganz im Gegenteil! Hier kommt es eigentlich nur auf die innere Einstellung an, oder anders ausgedrückt, auf die Wertigkeiten und Präferenzen, die wir für unser Leben wählen. Und diese sind veränderbar!
Die Technologiegläubigkeit, die wir uns in den letzten Jahrzehnten angeeignet haben, beinhaltet eine Reihe von destruktiven Auswirkungen. Nicht alles, was technisch machbar ist, muß auch umgesetzt werden, weil es vom Segen der Technik bis zur reinen Profitmacherei, Zweckentfremdung und dem Mißbrauch nur ein kurzer Weg ist. Wir bewegen uns dabei immer auf einem schmalen Grat und müssen verhindern, daß die Technik sich verselbständigt und wir sie wie einen Götzen behandeln.
Die Entgrenzung des Menschen u. a. durch die moderne virtuelle Technik (siehe Buch von Dr. Rainer Funk), die auch einen Ausdruck in der massenhaften Anwendung von Iphones, Ipods, Smartphones, Tablets etc. findet gipfelt als eklatantes Beispiel im Medienzirkus, der um den Tod des Applegründers Steve Jobs veranstaltet wurde. Die entsprechenden User haben weltweit eine Art religiöses Ritual inszeniert, bei der Steve Jobs mindestens als Halbgott angebetet wurde.
Da ich gerade „Die Anatomie der menschlichen Destruktivität“ von Erich Fromm (1973) lese und zufälligerweise beim Kapitel „Nekrophilie und Vergötterung der Technik“ angelangt bin, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, daraus zu zitieren. Zum Verständnis des Kontextes: Der homo consumens (ein von Fromm geprägter Begriff), der sich den Sozialcharakter eines Marketingcharakters (Fromm 1947) zugelegt hat und von Fromm auch als entfremdeter kybernetischer Mensch bezeichnet wird, neigt im weiteren Sinne zu einer Form der Nekrophilie (Liebe zum Tod und dem Toten/Nichtlebendigen) – Gegenteil Biophilie (Liebe zum Leben):
Marketingcharakter
„Für diesen Marketingcharakter verwandelt sich alles in Konsumware – nicht nur die Dinge, sondern auch der Mensch selbst, seine physische Energie, seine Fertigkeiten, sein Wissen, seine Meinungen, seine Gefühle, ja sogar sein Lächeln. Dieser Charaktertyp ist historisch gesehen eine neue Erscheinung, denn er ist das Produkt eines voll entwickelten Kapitalismus, in dessen Mittelpunkt der Markt steht – der Gebrauchsgütermarkt, der Dienstleistungsmarkt und der Personalmarkt – und dessen Prinzip es ist, durch günstigen Handel einen möglichst hohen Profit zu erzielen […]“
entfremdeter kybernetischer Mensch, mit Tendenz zu Nekrophilie, Narzißmus, Depressionen und Schizophrenie
„[...]Der kybernetische Mensch aber ist so entfremdet, daß er seinen Körper nur noch als Instrument für den Erfolg wahrnimmt. Sein Körper muß jugendlich und gesund aussehen; er wird auf dem Personalmarkt als ein höchst wertvoller Aktivposten narzißtisch erlebt […..]“
„Dieser neue Menschentyp […..] wendet sein Interesse ab vom Leben, von den Menschen, von der Natur und den Ideen – kurz, von dem, was lebendig ist; er verwandelt alles Leben in Dinge, einschließlich seiner selbst und der Manifestationen seiner menschlichen Fähigkeiten der Vernunft, des Sehens, des Hörens, des Fühlens und Liebens. Die Sexualität wird zu einer technischen Fertigkeit (zur Liebesmaschine); die Gefühle werden verflacht und manchmal durch Sentimentalität ersetzt; die Freude, Ausdruck intensiver Lebendigkeit, wird durch „Vergnügen“ oder Erregung ersetzt; und viel von der Liebe und Zärtlichkeit, die ein Mensch besitzt, wendet er seinen Maschinen und Apparätchen zu. Die Welt wird zu einer Summe lebloser Artefakte; von der synthetischen Nahrung bis zu den synthetischen Organen wird der ganze Mensch zum Bestandteil der totalen Maschinerie, welche er kontrolliert und die gleichzeitig ihn kontrolliert. Er hat keinen Plan, kein Lebensziel, außer daß er das tut, sich dem Zeitgeist anzupassen und den Leistungen des technischen Geistes zu frönen […]“
Die Welt des Lebens ist zu einer Welt des „Nichtlebendigen“ geworden; Menschen sind zu „Nichtmenschen“ geworden – eine Welt des Todes. Symbolisch sind nicht mehr unangenehm riechende Exkremente oder Leichen. Die Symbole des Todes sind jetzt saubere, glänzende Maschinen; die Menschen fühlen sich nicht mehr von übel riechenden Toiletten angezogen, sondern von Strukturen aus Glas und Aluminium. Aber die Wirklichkeit hinter dieser antiseptischen Fassade wird immer deutlicher sichtbar. Im Namen des Fortschritts verwandelt der Mensch die Welt in einen stinkenden, vergifteten Ort (und das nicht im symbolischen Sinn). Er vergiftet die Luft, das Wasser, den Boden, die Tiere – und sich selbst. Er tut dies in einem solchen Ausmaß, daß es zweifelhaft geworden ist, ob die Erde in hundert Jahren noch bewohnbar sein wird. Er kennt diese Tatsachen, aber wenn auch viele dagegen protestieren, so sind doch die Verantwortlichen auch weiterhin auf technischen „Fortschritt“ aus und gewillt, alles Leben dem Götzendienst an ihrem Idol zu opfern.
Auch in früheren Zeiten haben Menschen ihre Kinder oder Kriegsgefangene geopfert, aber nie zuvor in der Geschichte war der Mensch gewillt, alles Leben dem Moloch zu opfern – sein eigenes und das seiner Nachkommen. Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob er das absichtlich tut oder nicht. Wenn er die drohende Gefahr nicht kennen würde, könnte man ihn vielleicht von der Verantwortung freisprechen. Aber es ist das nekrophile Element in seinem Charakter, das ihn daran hindert, aus dem, was er weiß, die Konsequenz zu ziehen [….]“
Der Schlußsatz hat es in sich, denn es dreht sich um die Frage aller Fragen, die auch in diesem Report im Vordergrund steht:
Warum handelt der Mensch gegen seine eigenen Einsichten und begeht Handlungen, die ihm selbst und anderen schaden?
- neue Wertschätzung von Mensch, Leben und Natur
In meinen Essays über die Kelten habe ich mich des öfteren über die Weltsicht und Lebenseinstellung meiner Vorfahren ausgelassen. Die Essenz ihrer Einstellung paßt in diesen Kontext ganz hervorragend und ist auf die heutige Zeit übertragbar: „Alles was dem Leben und der Natur dient, ist heilig“ Dieser Begriff der Heiligkeit ist nicht identisch mit dem christlichen Verständnis, sondern ist weitgehender und umfassender als in der christlichen Theologie und hat eher etwas mit Wertschätzung zu tun.
Mensch und Natur müssen unangefochten wieder zum Mittelpunkt und Zweck unseres Denken und Tuns werden. Wirtschaft, Besitz und Geld dürfen nur Mittel zum Zweck sein! Und was den Menschen angeht: seine Würde ist unantastbar und kein Mensch ist gleicher als der andere – unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Religion, sozialer Stellung und finanzieller Ausstattung. Der Mensch darf sich nicht die Natur „untertan“ machen – dieser Spruch aus dem AT (der durch die vielen Übersetzungen und Interpretationen verfälscht ist) wird nicht wahrer dadurch, daß man ihn tausendmal wiederholt und daran glaubt. Eine solche Auslegung ist und bleibt nur eins: eine Hybris!
Als Bestandteil und Rädchen des Naturkreislaufes kann die Menschheit nicht auf Dauer ihre Unabhängigkeit leugnen und sich als Herr und Ausbeuter daneben benehmen, ohne dafür sanktioniert zu werden.
- Wohlstand und Glück / Zufriedenheit
Die wichtigste Fragestellung ist sicher die folgende, die ebenfalls von Zygmunt Bauman gestellt wird:
„Wie sollen wir leben? Worin besteht das Glück? In der flüchtigen Moderne wollen wir mit solchen Fragen am liebsten gar nicht behelligt werden. Wir wissen schließlich genau, worauf es ankommt: Mehr Geld heißt mehr Glück, und jeder einzelne ist für seinen Erfolg und sein Scheitern selbst verantwortlich. Zugleich stürzt uns die Frage in bodenlose Ratlosigkeit, denn worin wir morgen unser Glück erblicken werden, scheint völlig unvorhersehbar.“
Über den Sinn des Lebens und die Art und Weise des Glücklichwerdens haben seit Anbeginn der Zeit unzählige Philosophen und Poeten ihre Ansichten und Gefühle geäußert. Erich Fromm hat in seinem Werk „Haben oder Sein“ und anderen Schriften genau diesen Nerv getroffen und den Mensch als ein Wesen verstanden, das aus seinem eigenen menschlichen Potenzial heraus sein Leben evolutionär zu seinem Wohle gestalten kann. Karl Marx, für mich einer der bedeutendsten Philosophen, hat die beginnende Entfremdung des Menschen schon im 19. Jhdt. beschrieben, die sich in der Jetztzeit zusehend zuspitzt. Und Dr. Rainer Funk, der die Tradition Erich Fromms fortführt, hat in scharfsinniger Weise die Entgrenzung des modernen Menschen analysiert.
Ich fest überzeugt, daß wir die in dieser Abhandlung thematisierten Aufgaben von Abfall über Konsum zu Wohlstand und Glück nur in den Griff bekommen können, wenn wir auch diese Grundsatzprobleme anpacken:
- grundsätzliche Kehrtwende des radikal-marktwirtschaftlich geprägten globalen Wirtschaftssystems (inkl. Zins- und Eigentumspraktiken)
- qualitatives und geistiges Wachstum anstelle von ungebremstem zerstörerischen quantitativem Wachstum
Hier der Link zum Textbeitrag von SCOBEL vom 2. Februar 2012, dem ich bezüglich dieses komplexen Themas viel Motivation zu verdanken habe:
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