Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen (PETER STRUTYNSKI)

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Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen (PETER STRUTYNSKI)
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Ein Spiel mit dem Feuer.  Die Ukraine, Russland und der Westen


Autor:  Peter Strutynski (Hg.)

Verlag:  PapyRossa-Verlag, Köln - zur Verlagsseite

ISBN-13978-3-89438-444-9

216 Seiten, 1. Auflage August 2014, , Preis: 12,90 Euro

Ein neues Feindbild ist geschaffen: Russland und Wladimir Putin. Sie bedrohen, so heißt es, die Ukraine und den Frieden in Europa. Eigene Absichten, Ursache und Wirkung lassen sich damit gut verhüllen. Eine erschreckend gleichförmige mediale Berichterstattung sorgt dafür, dass dieser Schleier nicht zerreißt, und trägt dazu bei, die Spannungen noch zu verschärfen.

Gegen dieses Zerrbild wendet sich dieses Buch. Es fragt:

  • Wie kam es zur Protestbewegung auf dem Maidan und zu ihrer Kaperung durch rechtsextreme Formationen?
  • Welche Rolle spielte die westliche Einmischung beim Putsch in Kiew, durch den der gewählte Präsident gestürzt wurde?
  • Welche Folgen hatte er für den Konflikt mit der Ostukraine?
  • Welche Interessen verfolgen Deutschland, die EU, die NATO und die USA?
  • Was führte zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation?
  • Was liegt der russischen Politik zugrunde?
  • Und nicht zuletzt: Wie kann eine friedliche Lösung aussehen?

Mit Beiträgen von Erhard Crome, Daniela Dahn, Kai Ehlers, Uli Gellermann, Willi Gerns, Lühr Henken, Arno Klönne, Jörg Kronauer, Reinhard Lauterbach, Norman Paech, Ulrich Schneider, Eckart Spoo, Peter Strutynski, Jürgen Wagner und Susann Witt-Stahl.

Peter Strutynski, Dr. phil., geboren 1945, ist Politwissenschaftler. Er leitete die AG Friedensforschung an der Universität Kassel, ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und verfasste zahlreiche Publikationen zu friedenspolitischen Themen.


Aus dem Inhalt

Zur Einführung

Peter Strutynski: 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg: Imperialismus reloaded?

Die Ukraine und Russland

Reinhard Lauterbach: Vom Hoffnungsort zur Räuberhöhle: Aufstieg und Niedergang des Euro-Maidan

Daniela Dahn: Modell Maidan – illegal aber legitim? Über die Grundlagen politischer Macht

Willi Gerns: Die Wiedervereinigung der Krim mit Russland. Aktuelle, geschichtliche und sicherheitspolitische Hintergründe

Norman Paech: Wem gehört die Krim? Die Krimkrise und das Völkerrecht

Ulrich Schneider: Ukraine – Faschisten als Teil der Machtausübung

Kai Ehlers: Globaler Maidan? Liste häufig gestellter Fragen

Die Welt, Europa und Deutschland

Erhard Crome: Geopolitisches um die Ukraine

Jürgen Wagner: Expansion durch Assoziierung: Die Ukraine und EUropas neoliberal-imperiale Erweiterungsstrategie auf dem Weg zur Weltmacht

Jörg Kronauer: Die widersprüchlichen Imperative der deutschen Ostpolitik

Lühr Henken: Die Folgen der Ukraine-Krise: Auf- oder Abrüstung?

Die Ukraine, die Medien und die Folgen – Reaktionen

Arno Klönne: Wie man Revolution macht

Eckart Spoo: Medienkrieg gegen Russland

Uli Gellermann: Ukraine, ARD & ZDF

Susann Witt-Stahl: Unter falscher Flagge: Wie aus »Antifaschismus« Kriegspropaganda wird

Plus einem Autorinnen- und Autorenverzeichnis sowie der Dokumentation des Aufrufs: "Aus Sorge um den Frieden" (mit 100 ErstunterzeichnerInnen)
 



Leseprobe  S. 7-17

von Peter Strutynski

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg: Imperialismus reloaded?


Der Absturz (oder war es ein Abschuss?) eines malaysischen Passagierflugzeugs über ostukrainischem Gebiet am 16. Juli 2014 wird den Konflikt in der und um die Ukraine aufs Neue entfachen – und zwar ganz unabhängig von der Frage, wer denn nun die Verantwortung für dieses schreckliche Ereignis trägt. Für den Westen schien die Schuldfrage von Anfang an ohnehin geklärt zu sein. In Verlautbarungen aus dem Weißen Haus und aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel wurde postwendend Russland verantwortlich gemacht. In der entsprechenden Erklärung aus Washington hieß es u. a.: »Obwohl wir noch nicht über alle Fakten verfügen, wissen wir doch, dass dieser Zwischenfall im Kontext einer Krise in der Ukraine geschah, die durch die russische Unterstützung für die Separatisten befeuert wird, was Waffen, Material und Ausbildung einschließt.« (www.whitehouse. gov, 17.07.2014.) Und NATO-Generalsekretär Rasmussen tönte am selben Tag: »Vieles ist ungeklärt über die Umstände des Absturzes. Dennoch: Die Instabilität in der Region, verursacht durch von Russland unterstützte Separatisten, hat eine zunehmend gefährliche Situation heraufbeschworen.« (NATO-Press Release, 17.07.2014.)

Von diesen prompten Schuldzuweisungen unterschied sich die Reaktion der Bundesregierung nicht nur in Nuancen. In zwei Stellungnahmen (die erste vom 18., die zweite vom 19. Juli) forderte sie eine schnelle Aufklärung des Flugzeugabsturzes und einen beiderseitigen Waffenstillstand. Nicht Russland, sondern die »ukrainischen Separatisten« waren damit in die Pflicht genommen. Die zweite Erklärung war abgegeben worden, nachdem Bundeskanzlerin Merkel mit dem russischen Präsidenten am Morgen des 19. Juli telefoniert hatte. Beide waren sich »einig, dass es rasch ein direktes Treffen der Kontaktgruppe mit den Separatisten geben müsse, um einen Waffenstillstand zu vereinbaren.«

Das ist in der Tat ein anderer Ton, der hier an-, und eine in Teilen andere politische Richtung, die hier eingeschlagen wird. Die »Kontaktgruppe « besteht aus Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE; und die Kiewer Übergangsregierung hat es bis dato stets abgelehnt, mit den »Separatisten« zu verhandeln – auch der zuvor von Kiew angebotene »Runde Tisch« sollte ohne die Aufständischen aus dem Donbass tagen und war damit von Anfang an eine Alibiveranstaltung, die sich deshalb auch sehr schnell erübrigte. Die Bundesregierung spielt also ein mehrfaches Spiel: Einerseits war und ist sie im Ukraine-Konflikt stets Partei für die prowestlichen Kräfte um die Übergangsregierung, wobei sie weder deren verfassungswidriges Zustandekommen noch deren rechtsradikale und faschistische Unterstützung problematisierte. Damit setzt sie sich andererseits nolens volens in Widerspruch zum russischen Präsidenten, der im Ukraine-Konflikt aus sicherheitspolitischen und gewiss auch innenpolitischen Gründen eine weitere Ostverschiebung der EU und der NATO verhindern will. Zum Dritten ist sie seit Jahren treibende Kraft bei der Ausweitung ihres ökonomischen und politischen Einflusses in Südost- und Osteuropa: Die Zerschlagung der jugoslawischen Föderation in den 90er Jahren ging maßgeblich auf das Konto der deutschen Außenpolitik; aus der Osterweiterung der EU mittels Vollmitgliedschaften und Assoziierungsverträgen – neben Ukraine neuerdings auch mit Georgien und Moldau – kann Deutschland als stärkste ökonomische Macht der EU den meisten Honig saugen. Viertens aber muss Berlin – ebenfalls aus ökonomischen Gründen – an guten und stabilen Beziehungen zu Russland interessiert sein. Dabei geht es nicht nur um Energiesicherheit (die Gas- und Öl-Lieferungen aus Russland werden perspektivisch rückläufig sein), sondern auch um einen interessanten Absatzmarkt, der größer ist als alle seit den 90er Jahren in die EU aufgenommenen Staaten, und um ein großes Terrain für deutsche Direktinvestitionen.

Wenn man zudem berücksichtigt, dass Deutschland in vielfacher Hinsicht in das westliche Bündnissystem NATO mit ihrer Führungsmacht USA integriert ist und deshalb deren ausgeprägt antirussische Politik[1] zumindest nach außen mittragen muss, erklärt sich die vieldeutige deutsche Ukraine- und Russlandstrategie. Wirtschaftssanktionen gegen Russland? Ja, aber stets eine Stufe weniger als die USA vorgeben. Militärische Muskelspiele in den NATO-Randstaaten des Baltikums und Polen? Ja, aber nicht mit eigenen Truppen. Steigerung der »Verteidigungsbereitschaft« (sprich: Aufrüstung) der NATO-Mitgliedstaaten auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts? Kein öffentlicher Widerspruch aus Berlin, aber auch der Hinweis, dass Deutschland schon genug für die Verteidigung ausgebe (von der Zielmarke 2 % ist Deutschland mit gegenwärtig etwa 1,3 % weit entfernt). Wenden wir den Blick von den spezifischen Interessen Deutschlands ab und sehen auf die anderen Mitgliedstaaten von NATO und EU, dann haben wir eine noch viel unübersichtlichere Gemengelage an nationalen Interessen und Regierungs-Politiken, von den alten transatlantischen Differenzen ganz zu schweigen.

In zahlreichen Veröffentlichungen zur Ukraine-Krise wird vor einem Rückfall in den Kalten Krieg gewarnt oder werden gar Erinnerungen an die europäische Mächtekonstellation vor dem Ersten Weltkrieg wach gerufen. An beidem ist etwas dran – beides führt aber auch in die Irre.

In der Periode des Kalten Kriegs standen sich zwei militärisch annähernd gleich starke Supermächte nebst ihren Satelliten gegenüber und garantierten den Weltfrieden im Großen. Unterhalb dieser auf atomarer Abschreckung basierenden Übereinkunft, keinen Krieg gegeneinander zu führen – weil das zum Untergang beider Mächte und wohl auch der ganzen Menschheit geführt hätte –, erlebten wir zahlreiche »kleine« Gewaltkonflikte und Bürgerkriege, in denen es meist um die Befreiung aus kolonialer Abhängigkeit und/oder um Sezessionsbestrebungen ging. Die Großmächte waren an ihnen in der Regel nur indirekt beteiligt (sogenannte Stellvertreterkriege). Außerdem fanden diese innerstaatlichen Kriege in der Peripherie statt; Europa war eine schwer bewaffnete Insel des zwischenstaatlichen Friedens. Diese Konstellation gab es mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts nicht mehr – und prompt kehrte der Krieg nach Europa zurück. Russland, der Nachfolgestaat der UdSSR, verfügt heute nicht mehr über den damaligen Cordon sanitaire (in Form der vorgelagerten Bündnisstaaten), während der frühere Gegner, die NATO, ihm immer näher rückt. Dabei nehmen die neuen NATO-Mitglieder (insbesondere die baltischen Staaten, Polen und Rumänien) gegenüber Russland eine sehr viel unversöhnlichere Position ein als die alten EU-Mitglieder.

Der frühere US-Verteidigungsminister und Hardliner Donald Rumsfeld kann sich heute durchaus bestätigt fühlen in seiner Auffassung vom »alten Europa« (das dem Irakkrieg skeptisch bis ablehnend gegenüberstand) und dem »neuen Europa« (das den USA mit fliegenden Fahnen in den Krieg gefolgt ist). Es scheint paradox: Mit der Rückgängigmachung sozialistischer Strukturen in Ökonomie und Gesellschaft und der Wiedereinführung privatkapitalistischer Verhältnisse hat sich die politische Konkurrenzsituation zwischen dem Westen und Russland keineswegs verflüchtigt. An den Kalten Krieg erinnert allenfalls noch die Tatsache, dass Russland nach wie vor eine starke Atommacht ist, gegen die man nicht ungestraft militärisch vorgehen kann.

Der historische Rückgriff auf die Situation vor dem Ersten Weltkrieg ist vor dem Hintergrund des Medienhypes um die 100 Jahr- Feiern verständlich, weist aber ebenfalls in eine falsche Richtung. Gewiss: Wenn wir die heutige Welt unter dem Aspekt der ökonomischen Formierung betrachten, sehen wir – ähnlich wie zu Zeiten des klassischen Imperialismus – nur noch kapitalistische Staaten (von wenigen Ausnahmen, z. B. in Lateinamerika, abgesehen), die mehr oder weniger korporatistisch, mehr oder weniger wohlfahrtsorientiert, mehr oder weniger neoliberal verfasst sind. Gleichwohl haben sich die grundlegenden Konkurrenzverhältnisse verschoben: Die imperialistischen Staaten am Vorabend des Ersten Weltkriegs wetteiferten um Kolonien und Einflusssphären zwecks Erringung von Extraprofiten, Absatzmärkten und Rohstoffen. Da die Welt damals so gut wie aufgeteilt war und das deutsche Kaiserreich das Nachsehen hatte, war es für eine besonders aggressive Außen- und Militärpolitik und damit schließlich für die Entstehung des Weltkriegs in erster Linie verantwortlich. Zugleich gab es ein relativ komplexes Bündnissystem, das sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr im Bismarckschen Sinn austarieren ließ, sondern konflikteskalierend wirkte. Schließlich dürften innenpolitische Motive (z. B. Herrschaftssicherung der dynastischen Regime in Deutschland und Russland gegen die aufstrebende Sozialdemokratie) für die Entscheidung zum Krieg eine größere Rolle gespielt haben.

Die Lage heute scheint wesentlich klarer strukturiert zu sein: Mit der NATO gibt es nur noch ein militärisches Gravitationszentrum, das Russland weiterhin ausschließt, die USA weiterhin einschließt und Deutschland nicht mehr »unten« hält.[2] Hinzu kommen neue globale Interessenskonstellationen, die mit dem Begriff der Triade (USA, EU-Europa, China) nicht mehr hinreichend beschrieben sind – zu sehr drängen weitere Schwellenländer wie Indien, Brasilien oder Indonesien in die Weltpolitik. Die wichtigste Veränderung auf dem europäischen Schauplatz liegt darin, dass alle früheren imperialistischen Mächte (außer Russland) heute in einem Wirtschafts- und Militärblock vereinigt sind – was sie friedlich untereinander, aber nicht friedlich nach außen macht.

Wie kaum ein anderes außenpolitisches Thema der letzten Jahre hat der Ukraine-Konflikt die öffentliche Debatte hier zu Lande erregt. Politik und Medien haben auf geradezu unanständige Weise einen ähnlichen aggressiven Ton angeschlagen, sich wechselseitig überbietend in antirussischer Hetze auf der einen und ukrainischer Propaganda auf der anderen Seite. Dass die großen deutschen Friedensforschungsinstitute hierin keine grundsätzliche Ausnahme machten, ist eine besonders irritierende Erfahrung, erwartet man von ihnen doch eher eine regierungsunabhängige und alternative Sichtweise.

Das von den fünf führenden Instituten herausgegebene »Friedensgutachten 2014« [3] befasst sich in ihrer gemeinsamen »Stellungnahme« 100 Jahre nach 1914 mit dem zentralen Thema Europa. Es hätte ja alles so schön sein können: Während der Erste Weltkrieg ein Krieg der rivalisierenden europäischen Mächte, der Zweite Weltkrieg ein deutscher Eroberungs-, Raub und Vernichtungskrieg war, herrscht seit über 60 Jahren (weitgehend) Frieden. Anlass zur Freude und Genugtuung darüber, dass die Europäer ihre Lektion gelernt haben. Wären da nicht die beunruhigenden Vorgänge in der und um die Ukraine, die das »Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit« (KSZE-Gipfel 1990) jäh beendeten und die Friedensforschungsinstitute zu der Frage veranlassten: »Ist das Friedensprojekt Europa am Ende?« Ist es aus Sicht der Institute natürlich nicht – trotz einiger weniger schönen Entwicklungen etwa hinsichtlich der Migrations-, Rüstungs- und Rüstungsexportpolitik.[4]

Auch die Eskalation um die Ukraine kann das »Friedensprojekt« EU nicht grundsätzlich erschüttern. Diese Interpretation der Vorgänge in der Ukraine unterscheidet sich nur graduell vom herrschenden westlichen Diskurs. Die friedensgefährdende Krise in Osteuropa hat einen Namen: Putin. Er verleibte sich – nach dem »Pseudoreferendum« die Krim »völkerrechtswidrig« ein, schürte Zwietracht in der Ukraine, »lenkt« mit seiner aggressiven Politik »von innenpolitischen Problemen ab« und regiert in Russland mit »Autoritarismus und Repression«. Und die von Putin angestrebte »Eurasische Union« ist »als autoritäres Gegenprojekt zur EU gedacht«. Die Vorgänge auf dem »Euro-Maidan« in Kiew bis zum Sturz Janukowitschs werden als »Revolution « gefeiert, die Beteiligung rechter und faschistischer Gruppen wie beiläufig erwähnt, allerdings nicht mehr als Bestandteil der »Revolutionsregierung«.

Natürlich wird auch Kritik geübt, freilich längst nicht so entschieden, wie es Altbundeskanzler Helmut Schmidt tat, der dem Westen die Hauptverantwortung für das Ukraine-Debakel anlastete. Dass die EU die Ukraine vor die Wahl zwischen Russland und dem EU-Assoziierungsvertrag stellte, wird von den Friedensforscher/ innen lediglich als »unklug« kritisiert. Auch die langjährige Praxis des Westens, sowohl die EU- als auch die NATO-Grenzen immer weiter nach Osten zu verschieben und damit Russland auf den Pelz zu rücken, wird nur als Perzeptionsproblem der Russen gesehen: Russland »empfand« die Osterweiterung als »Ausgreifen des Westens an seine Grenzen«; der Kreml hat es »nie verwunden«, dass er im NATO-Russland-Rat »zwar mit am Tisch sitzt, aber nicht wie im UN-Sicherheitsrat mit entscheiden darf«. Und wenn schließlich einem Regimewechsel in Moskau das Wort geredet wird (der Westen wird nur davor gewarnt, ihn »von außen zu forcieren«), dann ist die Grenze friedenswissenschaftlicher Seriosität doch wohl eindeutig überschritten.[5]

Die politischen Empfehlungen zur Lösung des Ukraine-Konflikts entsprechen nur zum Teil den Forderungen der Friedensbewegung: Runde Tische mit allen Konfliktparteien, Absage an einen NATO-Beitritt der Ukraine, Kritik (aber nur ganz leise) an »riskanten« Sanktionen, Stopp der Waffenexporte (allerdings nur an Russland!). Zum Teil sind sie aber auch wenig nachvollziehbar oder schlicht abwegig. Was soll z. B. die Einrichtung einer »Kontaktgruppe P5+3«, der neben den fünf ständigen UN-Sicherheitsratsmitgliedern und der Ukraine noch Polen und Deutschland angehören sollen?!

Von der Friedensforschung zur Friedensbewegung: Auch sie hat sich keineswegs mit Ruhm bedeckt. Zwar war sie in ihrer klaren Kritik an der herrschenden Politik auf der Höhe der Zeit [6], doch mit der Mobilisierung ihrer Anhänger tat sie sich sehr schwer. Zwar stellten die Ostermärsche 2014 mit Tausenden von Teilnehmer/innen in nahezu 100 deutschen Städten respektable Friedensmanifestationen dar, auf denen die Ukraine-Politik von USA, NATO, EU und Bundesregierung scharf verurteilt wurde, danach blieb es aber weitgehend ruhig im Land. Auch ein Aufruf zu bundesweiten dezentralen Aktivitäten zum 31. Mai 2014 blieb in der Wirkung eher bescheiden: Aktionen wurden lediglich aus 30 Städten gemeldet.

Mehr Aufsehen erregten dagegen sogenannte Montagsmahnwachen, die sich seit April von Berlin aus in zahlreiche Großstädte ausgebreitet haben. Mit ihnen fiel die Gründung einer auch von der NPD unterstützten »Friedensbewegung 2014« zusammen, die sich anschickte, der »alten« Friedensbewegung den Rang abzulaufen.[7] Die »Montagsdemos« intonieren das Ukraine-Thema zunächst auf eine ähnliche Weise wie die Friedensbewegung. Da werden insbesondere die NATO und die EU für die Zuspitzung der Krise verantwortlich gemacht und es wird darauf hingewiesen, dass Russland ein berechtigtes Sicherheitsinteresse gegen das Vorrücken der NATO an seine Grenzen hat. Die Angliederung der Krim und die besonderen Beziehungen Russlands zum Osten der Ukraine werden mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker verteidigt. Dieses Selbstbestimmungsrecht wird dabei ethnisch (man könnte auch sagen: völkisch) und historisch interpretiert. Und hier können Altund Neonazis natürlich ansetzen und die europäischen Nachkriegsgrenzen in Frage stellen. Eine solche Sicht trifft – nicht ganz zufällig – auf geschichtsrevisionistische Fälschungen der bislang gesicherten Kenntnisse über Ursachen und Hauptverantwortliche der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts, insbesondere wenn führende Initiatoren der »Montagsdemos« die alleinige Schuld bei der »jüdischen « (!) US-amerikanischen Federal Reserve, der US-Notenbank, festmachen.[8]

Der vorliegende Band möchte sowohl Grundlagen für eine realistische Analyse und Einschätzung des Ukraine-Konflikts und einer Reihe damit zusammenhängender globaler Fragen schaffen, als auch notwendige Argumentationen für die tagesaktuelle Auseinandersetzung bereitstellen. Besonders wichtig ist dies vor dem bedauernswerten Hintergrund, dass die privaten und öffentlich-rechtlichen Leitmedien neben der Politik den größten Anlass zu empörter Kritik bieten. In einer sehr aufwändigen Dissertation hat der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger die enge Verzahnung von Politik, Wirtschaft und »Elitejournalisten« herausgearbeitet und festgestellt, dass die Leitmedien hauptsächlich die Diskussion in nerhalb der politischen und wirtschaftlichen Eliten abbilden.[9] Die untersuchten Medien (ZDF, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt und Die Zeit) sind danach eingebettet in den »aktuell laufenden Elitediskurs« und hinterfragen dessen Prämissen nicht. Kritiker der Eliten sowie systemkritische Ideen werden »ignoriert, marginalisiert oder durch den Kontext delegitimiert«.[10] Dies gilt umso mehr, »je existenzieller das zu diskutierende Thema ist«. Das heißt, die geschilderten Mechanismen greifen am stärksten bei Fragen von Krieg und Frieden, Militäreinsätzen eigener Soldaten oder verbündeter Staaten oder der Sicherheitspolitik.

Es ist interessant zu sehen, dass dieselben Journalisten, die Uwe Krüger als Teil des transatlantischen Elitenetzwerks ausgemacht hat, den Absturz der malaysischen Passagiermaschine zum Anlass nehmen, Putin vorzuverurteilen. »Das Monster, das Putin schuf«, verkündete Stefan Kornelius in seinem ersten Kommentar zu der Katastrophe (Süddeutsche Zeitung [SZ], 19.07.2014). Folgerichtig wird die EU zu einer härteren Gangart gegenüber Russland gedrängt. Nicht nur an der Sanktionsschraube müsse weiter gedreht werden (so Stefan Kornelius in der SZ vom 22.07.2014), auch die Wehretats des NATO-Bündnisses dürften »nicht länger sinken« (so Stefan Ulrich in der SZ vom 21.07.2014). Und in der ZEIT (Online-Ausgabe, 18.07.2014) wird prophezeit: »Dieser Abschuss verändert alles«; was damit gemeint sein könnte, gibt der Kommentator Carsten Luther unverblümt preis, wenn er schreibt, die »Beteiligung westlicher Kräfte an den Militäroperationen der Kiewer Regierung seien nun »kein Tabu mehr«. Das fügt sich in die kritische Medienanalyse: Die Leitmedien sind einerseits Sprachrohre, Verstärker und willfährige Instrumente der herrschenden Politik und schießen andererseits im wahrsten Sinn des Wortes über das Ziel hinaus, indem sie die Politik zu mehr militärischer Aktion aufstacheln.

Vor zehn Jahren war das nicht viel anders. Uwe Krüger erinnert in seinem Buch an den Medien-Hype, der hier zu Lande um die »orangene Revolution« in der Ukraine 2004 ausbrach. Die deutschen Medien übersahen in ihrem »Demokratie-Taumel« geflissentlich die massive Unterstützung der ukrainischen »Revolutionäre« durch US-amerikanische Stiftungen, deren Nähe zur Regierung in Washington mit den Händen zu greifen war. Abweichungen von dem publizierten Schema: hier der »gute« prowestliche Kandidat – dort der »böse« prorussische Kandidat, hatte es in den Medien kaum gegeben. Und als der SPIEGEL einige Monate später in einer aufwändig recherchierten Titelgeschichte die US-amerikanische Hilfe thematisierte, geschah dies »nach dem unkritischen Erzählmuster, dass selbstlose US-Organisationen den unterdrückten Völkern Osteuropas die ›Fackel der Freiheit‹ brächten«. Geostrategische Interessen der USA in dieser Region blieben vollständig »ausgeblendet«.[11]

Letzteres wird sich das vorliegende Buch gewiss nicht vorwerfen lassen müssen – auch wenn andere Aspekte wie etwa landes- oder kulturgeschichtliche vielleicht zu kurz kommen mögen. Und wie bei jedem Buch, das sich mit aktuellen Entwicklungen und Problemen befasst, wird es keine Betrachtung des Ukraine-Konflikts »vom Ende her« geben können. Es ist nur leider zu befürchten, dass die Eskalation der Gewalt in der und um die Ukraine noch nicht an ihr Ende gekommen ist.
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Fußnoten:

1. Die US-Administration war wie selten darum bemüht, Medien und Öffentlichkeit zeitnah mit Informationen und deren offiziellen Interpretationen zu versorgen. Ungewöhnlich war deren Form: Zwei Mal meldete sich die USBotschaft in Berlin, um die »Irrtümer über die gegenwärtige Kontroverse« auszuräumen« und das Publikum mit der »Wahrheit« vertraut zu machen, am 23. Mai (»Sechs Irrtümer…«) und am 24. Juni 2014 mit einer Erklärung der US-Botschafterin bei der UNO (»Widerlegung der falschen Schilderungen Russlands«). Man darf davon ausgehen, dass diese Statements auch die befreundeten Regierungen »briefen« sollten.

2. Vom früheren NATO-Generalsekretär Lord Ismay stammt das geflügelte Wort, wonach es bei der Gründung des Militärpakts 1949 darum gegangen sei, »to keep the Russians out, the US in, and Germany down«.

3. Ines-Jacqueline Werkner / Janet Kursawe / Margret Johannsen / Bruno Schoch / Marc von Boemcken (Hrsg.): Friedensgutachten 2014 der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Institut für Interdisziplinäre Forschung, des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF), des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH), der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), des Bonn International Center for Conversion (BICC), Berlin / Münster u. a. 2014.

4. Die Vorstellung vom »Friedensprojekt« EU abstrahiert vollkommen von den Entstehungshintergründen der Vorgängerorganisationen der EU. An der Wiege dessen, was sich heute Europäische Union nennt, stand die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, auch »Montanunion« genannt). Sie war kein Friedensprojekt, sondern ein Mechanismus zur Kontrolle der deutschen Schwerindustrie. Völlig ausgeblendet bleiben in dem Gutachten auch die Militarisierungstendenzen des Lissabon-Vertrags (Aufrüstungsverpflichtung, Battlegroups, Verteidigungsagentur und Beistandspflicht). Vgl. P. Strutynski: Viel Expertise – viel Mainstream. Friedensgutachten beschwört das »Friedensprojekt Europa« – Ukraine im Fokus, www. ag-friedensforschung.de/science1/gutachten14-stru.html

5. Vom Tenor der »Stellungnahme« unterscheidet sich allerdings wohltuend der wissenschaftliche Beitrag im Friedensgutachten: Andreas Heinemann- Grüder, Revolution und Revanche: Die Ukraine am Abgrund, in: Friedensgutachten 2014, a. a. O., S. 266-282.

6. Siehe z. B. die Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag: Verhandeln ist besser als schießen. Nicht Russland, der Westen ist das Problem, 9. März 2014, in: www.ag-friedensforschung.de/regionen/Ukraine1/ baf.pdf

7. Siehe hierzu und zum Folgenden P. Strutynski: Selbst aktiv werden, in: junge Welt, 26.05.2014.

8. Siehe hierzu Ulla Jelpke: Linkes Angebot fällig

9. Uwe Krüger: Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse, Köln 2013.

10. Ebd., S. 84.

11. Ebd., S. 27.

Quelle: AG-Friedensforschung > Text


 



Rezension von Harry Popow


»Die amerikanische Führungsrolle ist die einzige Konstante in einer unsicheren Welt. Es ist Amerika, das die Fähigkeit und den Willen hat, die Welt gegen die Terroristen zu mobilisieren. Es ist Amerika, das die Welt gegen die russische Aggression um sich gesammelt hat…« So Obama jüngst in einer Fernsehrede (siehe Knut Mellenthin in der linken marxistisch orientierten Tageszeitung „junge welt“ vom 16. September 2014).

Und so sieht Verarschung aus. So werden Ängste geschürt. So werden neue Waffengänge mental vorbereitet. Es ist, als wenn ein Passagierschiff im hohen Norden auf einen Eisberg zusteuert, und keiner will etwas bemerken, keiner greift ein, niemand reißt das Steuer herum. Alle sollen glauben, der Kapitän wird schon richtig handeln. Im Klartext: Wohin geht der Kurs? Was soll man vom europäischen Narrenschiff (EU) halten, das machtpolitisch gen Osten steuert, einer Katastrophe entgegen, und keiner muckt auf, niemand fällt den neuerlichen Machtgrößen in den Arm.

Es ist tatsächlich ein Spiel mit dem Feuer. „Die Zukunft der Beziehungen im Europa des 21. Jahrhunderts können doch nicht in einem Mehr an Rüstungsausgaben und Konfrontation liegen. Wo soll das enden? Soll sich die Geschichte wiederholen? In einem Krieg, der dieses Mal in der totalen Vernichtung Europas endet?“ Dieses Zitat von Lühr Henken (S. 171) stammt aus dem Buch mit dem Titel „Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen“, herausgegeben von Peter Strutynski, ehemaliger Leiter der AG Friedensforschung, einer unabhängigen Arbeitsgruppe an der Universität Kassel.

Fünfzehn kluge Autoren geraten den heutigen Kriegstreibern samt ihren bürgerlichen Medien mit ihren Lügen von einer „russischen Gefahr“ im Ukraine-Konflikt auf 216 Seiten aus verschiedenen Blickwinkeln mit fundierten Aussagen und Fakten tüchtig in die Quere. Auf´s Korn nehmen sie die Politik der USA, die Faschisten in der Ukraine mit ihrem Idol Bandera, die Oligarchen, die Ziele der NATO sowie die der Eurasischen Union und die der EU, das verlogene Spiel der privaten und öffentlich-rechtlichen Leitmedien, den stark ausgeprägten Nationalismus in der Ukraine und nicht zuletzt die geopolitischen Ziele der Westmächte insgesamt.

Die Autoren möchten „sowohl Grundlagen für eine realistische Analyse und Einschätzung des Ukraine-Konflikts (…) als auch notwendige Argumentationen für die tagesaktuelle Auseinandersetzung bereitstellen“, so der Herausgeber in seinem Vorwort. Und das gelingt ihnen mit erstaunlicher und überzeugender Akribie, geht es doch um das Überleben der Menschheit auf unserem schönen Planeten.

Seien an dieser Stelle nur die wesentlichen Gesichtspunkte genannt wie die Gefahren, die sich aus den Umtrieben des Westens ergeben, die Hintergründe der Politik der USA und der EU sowie die Ziele der Putin-Politik, so lässt dies jedem vernunftbegabten Menschen das Blut in den Adern gerinnen.

Da macht der Autor Lühr Henken auf Seite 154 darauf aufmerksam, dass sich die Sowjetunion und Russland im letzten Jahrhundert immer wieder gegen „westliche, imperialistische Konzepte der Kriegsvorbereitung und des Krieges“ zur Wehr setzen mussten. Was vor allem in den Medien nicht zur Sprache kommt: Kaum hatte die Anti-Hitlerkoalition das Hitlerdeutschland geschlagen, da brachen die USA die im Juni 1945 feierlich verabschiedete Charta der Vereinten Nationen, in der es darum ging, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, und planten sage und schreibe den nächsten Krieg unter dem Motto „Atombombenziel Sowjetunion“. Im Visier waren zwanzig Objekte, die sich 1959 auf 20.000 erhöhten (S. 155). Trotz Verträgen zur Abrüstung – KSE, ABM z.B. - gingen die USA statt zur Kooperation zur Einkreisung Russlands über. Der Autor verweist auf das Strategiepapier „Joint Vision 2020“, „das bis zum Jahr 2020 für das US-Militär (…) eine militärische Überlegenheit sowohl an Land, im Wasser und im Cyberspace“ anstrebt. Die USA besitzen derzeit 760 Stützpunkte in 40 Ländern sowie in sieben US-Gebieten außerhalb der USA. Ergänzend meint Erhard Crome, dass von der Gefahr eines Atomwaffenkrieges seit dem Ende des Kalten Krieges zwar keine Rede mehr ist, aber sie sei tatsächlich „nicht verschwunden“.

Man kommt nicht umhin, nach den Leitlinien der Mächte zu fragen. Erst dadurch ist es möglich, die ganze Tragweite der aktuellen Geschehnisse im vollen Umfang zu begreifen, was durch die Brille der Einäugigkeiten schier verhindert wird. Erhard Crome hebt hervor, (S. 100), dass „seit dem Ende des Ost-West-Konflikts eine unabhängige Ukraine wieder als Kernpunkt geopolitischer Neuordnung im Osten Europas angesehen“ wird. (Siehe auch Brzezinski auf S. 163). Lühr Henken führt als Beweis für das expansive Vorgehen der USA und in ihrem Gefolge von NATO und EU das berüchtigte Geheimdokument des Pentagon ´No-Rivals´ („Keine Rivalen“) an. Das Ziel sei es, den Aufstieg „eines neuen Rivalen“ zu verhüten.

Von einer globalen Dimension der US-Politik schreibt Eberhard Crome auf Seite 112. Deren Blick richte sich im Kern gegen China. Dazu brauche man das EU-Europa als Hinterland. Eine EU, die mit Russland und China eng zusammenarbeitet, würde die „US-Positionen in der pazifischen Ausrichtung“ schwächen. Deshalb das Interesse der USA an der transatlantischen Freihandelszone. „Die würde die Bindungen der EU in Eurasien schwächen und deren Abhängigkeit von den USA stärken.“ „Das heißt: die ukrainische Zuspitzung hätte das Ergebnis, dass ein neuer Eiserner Vorhang zwischen EU und Russland niedergeht mit der Folge, dass die EU als Hinterland der USA und Russland als Hinterland Chinas in deren Auseinandersetzungen dienen.“

Kurz gesagt: Die USA wollen die EU „als ´Brückenkopf´in Eurasien nutzen, um ihre globale Hegemonie zu sichern;“, deshalb habe man in Kiew auf den Umsturz gesetzt, so Jürgen Wagner auf Seite 137. Um die Rolle Deutschlands in diesem Spiel der Mächte näher zu beleuchten, sei nochmals auf das Vorwort verwiesen. Einerseits sei es im Ukraine-Konflikt Partner der prowestlichen Kräfte, andererseits setze es sich damit in Widerspruch zum russischen Präsidenten, der eine Osterweiterung der EU und der NATO verhindern will. Auch müsse Berlin aus ökonomischen Gründen um stabile und gute Beziehungen zu Russland bemüht sein. Man wolle per „Schaukelpolitik“ mit Russland „auf Augenhöhe“ mit der globalen Führungsmacht USA sein, so Jörg Kronauer auf Seite 143.

Wer als Leser immer noch daran zweifelt, dass faschistische Kräfte hinter den Machenschaften der ukrainischen Nationalisten stecken, der lese darüber mehr u.a. von den Autoren Ulrich Schneider (ab S. 65), Reinhard Lauterbach (S. 22/23) und Daniela Dahn.

Interessant zu lesen auch die Rolle der Oligarchen, die übrigens in Russland lt. Kai Ehlers in die Pflicht genommen wurden, sich für die Rettung Russlands einzusetzen, Steuern zu zahlen, „wieder in begrenztem Maße in soziale Verpflichtungen einzusteigen“. Die Eigentümer würden ansatzweise einer gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen. Genau diesen Schritt, so der Autor, habe die Ukraine bis heute nicht geschafft. Dort herrsche die Willkür des oligarchischen Privatkapitalismus. Putin dagegen habe ein denkbar einfaches Programm: „Herstellung einer ´Diktatur des Gesetzes´, um den Staat wieder aufzubauen und um Russland wieder zum Integrationsknoten Eurasiens zu machen.“ (S. 85)

Der Herausgeber hat mit diesem Buch eine ganze Batterie von sachkundigen Autoren in Stellung gebracht - gegen die von den öffentlich-rechtlichen und privaten Medien ausgestoßenen Nebelwände zur Verschleierung der wahren Ursachen des Ukraine-Konflikts. Da es auch in diesem politischen Sachbuch um brandaktuelle Tagespolitik und vor allem um die Frage Krieg und Frieden geht, ist die Lektüre allen zu empfehlen, die sich in diesem Klassenkampf der Mächte um Märkte und Einfluss mitunter neu positionieren und mit Taten unterstreichen wollen. Damit diesem brandgefährlichen „Spiel“ ein jähes Ende gesetzt wird.

Harry Popow

Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ) > Text

Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com