Endziel: Verzicht auf das Recht auf die Heimat?

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Helmut Müller
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Endziel: Verzicht auf das Recht auf die Heimat?
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Endziel: Verzicht auf das Recht auf die Heimat?


Destination finale: Renonciation au droit à la patrie? / Final destination: Abandonment of the right to one’s homeland?


von Helmut Müller, Wien


In den alten Tagen, und die sind erst einige Jahrzehnte her, da bekannten sich deutsche Politiker noch im Sinne des Völkerrechts zum ganzen Deutschland in den Grenzen von 1937. So bekräftigte noch Theodor Waigel 1989 am Schlesiertag in Hannover, daß die Gebiete jenseits von Oder und Neiße weiter Teil der deutschen Frage seien.

Aber spätestens ab da wurden solche Bekenntnisse vom Gros der politischen Klasse und den Medien in die rechtsextreme, revanchistische Ecke abgelegt. Das war nicht erst der Beginn eines Prozesses, an dessen Ende die Ignorierung und die Verleugnung völkerrechtlicher Ansprüche des deutschen Volkes stehen sollten.

Damit sind aber nicht nur uralte deutsche Siedlungsgebiete, sondern auch die von dort Vertriebenen und die in Resten noch dort lebenden Deutschen betroffen. So auch die Sudetendeutschen, deren Stimmen nun nicht mehr so viel zählen wie noch vor Jahrzehnten. Es braucht jetzt nur mehr darauf gewartet zu werden, daß die letzten Alten wegsterben und deren Nachfahren jeder Sinn für die alte Heimat ihrer Eltern oder Großeltern endgültig ausgetrieben worden ist.

Aber noch leben sie, die Alten. Und nicht alle sind weiter gewillt, Stimmvieh für jene zu spielen, die sie und ihre Rechte auf dem Altar der so genannten Versöhnung opfern wollen. Endlich begreifen sie, und auch immer mehr Junge, daß einige ihrer Spitzenfunktionäre, nicht ihre Interessen in erster Linie, sondern in Wahrheit fremde oder jene einer Partei vertreten.

Was nun vielen als ein deutsches Randphänomen erscheinen mag und von der großen Politik und den meisten großen Medien so gehandhabt wird, ermöglicht in dessen intensiveren Wahrnehmung auch einen Blick sowohl auf die geistige und charakterliche Verfassung der heutigen deutschen politischen Klasse als auch auf die – EU- und NATO-Interessen folgend – aus dem Hintergrund orchestrierte Demontage des Menschenrechts auf die Heimat wie auch des Völkerrechts insgesamt.

Dabei gilt es zu bedenken, daß dies ja auch nichts Gutes für alle nichtdeutschen Volksgruppen in Europa bedeuten kann, über deren Rechte in Zukunft ebenso nach Willkür verfahren werden könnte, wenn es in höherem politisch-strategischen Interesse Dritter läge. In diesem Sinne könnte auch ein Interview verstanden werden, daß die Junge Freiheit mit dem ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus geführt hat: Auf einer ganzen Seite nicht ein Wort über das deutsch-tschechische Verhältnis und die Sudetendeutsche Frage.

Die Sudetendeutschen, um die es aus aktuellem Anlaß auch im weiter unten stehenden Beitrag vornehmlich geht, sind, wie alle anderen vetriebenen Deutschen, entgegen mancher Meinung keine Revanchisten und beabsichtigen auch nicht in Tschechien einzumarschieren um ihre Rechte mit Gewalt durchzusetzen. Im Gegenteil: sie haben als erste die Hand ausgestreckt und in vielen Privatinitiativen den Weg der Verständigung und Versöhnung mit tschechischen Nachbarn beschritten. Aber niemand kann und darf ihnen das Recht auf ihre alte Heimat absprechen und Vermögensansprüche verwehren, auch nicht in kleinen Schritten, wie man aus kürzlich erfolgten Satzungsänderungen der Sudetendeutschen Bundesversammlung in München (siehe Beitrag unten) schlußfolgern könnte.

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft Österreich ( http://www.sudeten.at ) hat sich die neue Sicht ihrer deutschen Schwesterorganisation lobenswerterweise nicht zu eigen gemacht. In einer Aussendung des Sudetendeutschen Pressedienstes (SdP) heißt es u.a.:


„Der Verband der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich (VLÖ) und die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich (SLÖ) werden sich immer für das Recht auf Heimat einsetzen und sich niemals anmaßen, Heimatvertriebenen das Recht auf Heimat, Vermögen und Wiedergutmachung abzusprechen – weder den Flüchtlingen der Welt von heute noch selbstredend den eigenen heimatvertriebenen Landsleuten“…. Und weiter: „Jede Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten Heimat aufgrund ihrer Ethnie ist im Sinne des Völkerrechtes als ein Verstoß gegen ein Menschenrecht zu werten….“


Im Folgenden nimmt Gernot Facius im Sudetendeutschen Pressedienst (Wien) zu einem für viele unverständlichen Schritt der Sudetendeutschen Bundesversammlung in der Bundesrepublik Deutschland  Stellung.

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Die „stille Revolution“ des Bernd Posselt


von Gernot Facius


La „révolution tranquille“  / The “quiet revolution” of the Bernd Posselt

 

Eines haben Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Verbände gemeinsam: Ihnen allen macht das Überalterungssyndrom zu schaffen. Es fehlt an vielen Stellen die junge und mittlere Generation. Organisationen, die sich bislang einem politischen oder gesellschaftlichen Mainstream widersetzten, trifft das besonders hart. Einen Königsweg, die Auszehrung zu stoppen, gibt es nicht. Selbst die aus der Not geborenen „niederschwelligen”, das eigene Profil verwässernden Angebote haben meist keine Trendwende bewirkt. Vielleicht geht auch den Initiatoren der heftig umstrittenen, manche sagen: durchgepeitschten Satzungsänderung der Sudetendeutschen Landsmannschaft schon bald ein Licht auf, daß diese Operation keineswegs zu einer geistigen Investition in die Zukunft” führt, wie der SL-Sprecher Bernd Posselt meint, sondern eher die Marginalisierung vorantreibt.
 

 

Um nicht mißverstanden zu werden: Es gibt gute Gründe, von der antiquierten, aus einer anderen Zeit stammenden und heute mißverständlichen Forderung nach „Wiedergewinnung der Heimat” Abstand zu nehmen. Satzungen von Parteien, Vereinen und Verbänden sind keine in Stein gemeißelten Gesetze, sie können nicht Ewigkeitscharakter beanspruchen. Die Frage ist nur: Welches Signal wird mit einer Aktualisierung beziehungsweise Anpassung an veränderte Gegebenheiten gesetzt? Und da fängt es bei dem Beschluß des Verbandes "Sudetendeutscher Landmannschaft e.V." (SL) an, fragwürdig zu werden. Denn gleichzeitig mit diesem „Abschied von der Heimat”, wie einige Zeitungen titelten, hat die SL-Bundesversammlung am letzten Februar-Wochenende in München, just vor dem 4. März, an dem jährlich der Todesopfer der Demonstrationen gegen die 1919 verweigerte Selbstbestimmung gedacht wird, auch die alte, wohlbegründete Forderung nach „Restitution oder gleichwertige Entschädigung” aus der Satzung gestrichen. Ein fatales Signal.

Faktisch wird der tschechischen Seite alles zugestanden, was in ihrem Sinne ist, ohne überhaupt eine ernsthafte Diskussion darüber zu eröffnen, was an Heilung des an der sudetendeutschen Volksgruppe begangenen Unrechts möglich ist. Stattdessen wird etwas nebulös auf die Grundrechtscharta der Europäischen Union verwiesen, die in all ihren Teilen für alte Mitgliedsstaaten uneingeschränkt verbindlich gemacht werden soll. „Verstöße gegen diese Rechte wie Völkermord, Vertreibungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, menschen- und völkerrechtswidrige Enteignungen sowie Diskriminierungen” seien „weltweit zu ächten und dort, wo sie erfolgten, auf der Grundlage eines gerechten Ausgleichs zu heilen.”

Das klingt gut. Soll diese Erklärung aber mehr sein als die übliche Funktionärs-Phraseologie, bedarf es allerdings einer operativen Politik, die diese Heilung ohne Wenn und Aber auch für die Vertriebenen aus Böhmen, Mähren und Sudeten-Schlesien einfordert – zumal in mehreren Ländern des ehemaligen Ostblocks sich Ansätze einer Unrechts-Heilung abzuzeichnen beginnen. Nur „Bindeglied im deutsch-tschechischen Dialog” zu sein und grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Partnerschaft mit den Tschechen zum zentralen Ziel der SL-Arbeit zu erklären, ist zu wenig. Vor allem muß man selbstbestimmt handeln. Das Tempo, in dem die gegenwärtige Führung der Landsmannschaft auf die „stille Revolution” (Überschrift in bayerischen Gazetten) hinarbeitete und bei der „Reform” der Satzung möglicherweise Formfehler in Kauf nahm, spricht eher für etwas anderes: für Fremdbestimmung.
 

 

Die Neuausrichtung, schreiben Kommentatoren nicht ganz zu Unrecht, vollziehe sich im Gleichklang einer Kurskorrektur im bayerisch-tschechischen Verhältnis. Noch unter Edmund Stoiber hätten sich bayerische und tschechische Politiker ängstlich gemieden, das habe sich mittlerweile grundlegend geändert. Mit anderen Worten: "Bayerns vierter Stamm”, vertreten durch die Organisation SL, hat Positionen geräumt zugunsten bayerischer Interessen im Nachbarland und der Nebenaußenpolitik von Horst Seehofer.

Selbst die Forderung nach eindeutiger Ächtung der rassistischen Beneš-Dekrete, welche die Grundlage für die kollektive Entrechtung und Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Heimat bildeten, kommt nur noch in weichen Moll-Tönen daher. Die Prager Reaktion auf den „revolutionären Quantensprung bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft” (Tageszeitung „Die Welt“) fiel indes bescheiden aus. Der Tenor: Alles längst überfällig.

Konsequenz? Zunächst keine. „Hochachtung” zollte hingegen der ehemalige Außenminister (2010-2013) und gescheiterte Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg den Münchener Verzichts-Beschlüssen. Er empfahl den Regierenden an der Moldau, "jetzt ihrerseits Zeichen zu setzen”. Wieder einmal gilt das Prinzip Hoffnung.

Daß die Satzungsänderung (und die Art und Weise ihres Zustandekommens) von vielen Landsleuten als Skandal empfunden wird, bedarf eigentlich keiner näheren Begründung. Wahrscheinlich führt sie zu Resignation oder gar zu Austritten aus der SL, vor allem von Angehörigen der Erlebnisgeneration. Wird eine solche Entwicklung von der SL-Spitze bewußt hingenommen, um die Landsmannschaft auf einen politisch-korrekten, politisch-homogenen Dialog-Verband zu trimmen, der dem sprunghaften „Schirmherren” Seehofer applaudiert? So abwegig ist die Frage nicht. In Internetforen melden sich Enttäuschte zu Wort: "So macht man sich überflüssig, die SL kann sich eigentlich auflösen.”

Auf der anderen Seite entsteht angesichts des Medienechos auf die SL-Entscheidungen ein „großer moralischer Druck auf die Regierung in Prag, sich ebenfalls zu bewegen. „Wenn sich Prag in der nächsten Zeit weiter unbeweglich zeigt, hat es eine große Chance auf die Lösung der siebzig Jahre offenen Themen Raub und Vertreibung vertan” (SLÖ-Bundesobmann Gerhard Zeihsel). Die große Probe, ob Posselts „geistige Investition in die Zukunft” tatsächlich eine die Vertriebenen zufriedenstellende politische Rendite abwirft, steht noch aus. Hoffnungen und Versprechungen hat es seit der samtenen Revolution vor mehr als einem Vierteljahrhundert genug gegeben, und noch mehr Enttäuschungen.

Selbst die im Jahre 1997 unter Assistenz des „Schirmlandes” Bayern zustandegekommene Deutsch-tschechische Deklaration wurde als Aufbruch in ein besseres Miteinander gefeiert. Schon bald darauf mußte Bernd Posselt eingestehen, daß die Erklärung kein einziges der offenen tschechisch-deutschen oder gar tschechisch-sudetendeutschen Probleme” gelöst habe und auch nicht die von beiden Regierungen beschworene Versöhnungswirkung entfalte. Wird der nun gestrichene „Anspruch auf die Heimat” mehr bewirken? Geschichtliche Altlasten sind giftig wie verseuchte Böden, man muß sie entsorgen. Die Entsorgung verfehlt allerdings ihr Ziel, wenn sie auf einen Teil des kontaminierten Areals beschränkt ist.

Prag ist nun wirklich am Zug, historischen Ballast wegzuräumen.

Bebilderte Berichte finden Sie auch im Internet unter http://www.hausderheimat.at


Das Sudetenland:

 

Die Vertreibung aus dem Sudetenland - Color.flv



Oder-Neiße - Zur Geschichte einer Grenze



Helmut Müller, Wien
 


 

Erstveröffentlicht auf  "Helmut Muellers Klartext" -Blog > Artikel
 

Bild- und Grafikquellen:

 

1.  Grenze zwischen Polen und Deutschland entlang der Oder-Neiße-Grenze. Kartengrafik: Christoph Lingg. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland“ lizenziert.

2. Bernd Posselt (* 4. Juni 1956 in Pforzheim) ist ein deutscher Politiker (CSU), Journalist und Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe. Foto: blu-news.org. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)

3. Karte der Tschechischen Republik mit seinen historischen Teilgebieten Böhmen, Mähren und Sudeten-Schlesien und den heutigen Verwaltungsbezirken. Autoren der Grafik: diverse Wiki-User mit ihren digitalen Teilarbeiten. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

4. Edvard Beneš (* 28. Mai 1884 in Kožlany, damals Kronland Böhmen; † 3. September 1948 in Sezimovo Ústí) war ein tschechoslowakischer Politiker, einer der Mitbegründer der Tschechoslowakei sowie tschechoslowakischer Außenminister (1918–1935), Ministerpräsident (1921–1922) und Staatspräsident (1935–1938 und 1945–1948 sowie 1940–1945 Präsident im Exil).

Als Beneš-Dekrete werden im deutschsprachigen Raum jene 143 Dekrete des Präsidenten der Republik bezeichnet, die von der tschechoslowakischen Exilregierung in London und der Nachkriegsregierung in Prag während und in der Folge des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besetzung des Landes bis zur Ernennung der vorläufigen Nationalversammlung am 21. Oktober 1945 erlassen und von der provisorischen tschechoslowakischen Nationalversammlung am 28. März 1946 gebilligt wurden.

Die oftmals verwendete Bezeichnung dieser Verordnungen als „Beneš-Dekrete“ ist vereinfachend, wenn nicht irreführend – die Dekrete des Staatspräsidenten wurden von den Exilregierungen beziehungsweise der ersten Nachkriegsregierung Zdeněk Fierlingers insgesamt vorbereitet und nicht nur von Edvard Beneš selbst erlassen.

Foto: Unknown. Transfer; United States. Office of War Information. Overseas Picture Division. Washington Division; 1944. Quelle: Wikimedia Commons. Dieses Medium (Bild, Gegenstand, Tondokument, …) ist gemeinfrei, da das Urheberrecht abgelaufen ist und die Autoren unbekannt sind.