EU – BREXIT: Tür auf für eine Föderalisierung europäische Regionen?

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Kai Ehlers
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Verbunden: 18.07.2014 - 21:31
EU – BREXIT: Tür auf für eine Föderalisierung europäische Regionen?
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EU – BREXIT:

Tür auf für eine Föderalisierung europ. Regionen?

Schlaglicht auf eine historische Tendenz

Ein demokratisches Europa miteinander föderal verbundener Regionen, in dem die Menschen selbstbestimmt in kooperativer Gemeinschaft und Wohlstand miteinander leben können, ist eine wunderbare Vision. Was hat der Austritt der Briten aus der „Europäischen Union“ mit einer solchen Vision zu tun? Fördert er sie, schädigt er sie oder zerstört er sie gar?

Spekulieren über die nächsten konkreten Folgen des britischen Referendums macht wenig Sinn. Sehr viel mehr Sinn macht es, sich Gedanken darüber zu machen, in welchem historischen Strom die britische Abstimmung steht. Das soll hier in wenigen ersten Stichworten geschehen. Sie können zugleich ein Licht darauf werfen, in wessen Interesse diese Entwicklung stattfinden könnte.


Zwischen Multipolarität …

Da ist zunächst die Multipolarität: Mit dem Ende der Sowjetunion Mitte der achtziger, Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts fand das Stichwort ‚multipolar‘ zugleich mit dem der Globalisierung seinen Eingang in die strategischen Optionen der neu entstehenden Weltordnung.

Es war Michail Gorbatschow, der es aus der Selbstbegründung des chinesischen Aufbruchs Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts in die Debatte darum brachte, wie er sich die neue Ordnung vorstellen könnte – ein Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok im Rahmen einer neuen Gruppierung der Weltmächte.

Unter Boris Jelzin versank die Vision des Multipolaren vorübergehend in der uneingeschränkten westlichen Dominanz über Russland, vor allem jener der USA. Unter neuen Zielsetzungen tauchte sie erst unter Wladimir Putin wieder auf, fand in den Verbindungen der BRIC-Staaten (heute BRICS), der "Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit" (SOZ), in Russlands Forderungen nach Reformen der Vereinten Nationen, um die herum sich die verschiedenen globalen Newcomer scharten, ihre Aktualisierung. Russland wurde zu ihrem Impulsgeber.


und Globalisierung

Die Globalisierung der alten Welt im Stile der US-Hegemonie stand dem als Counterpart entgegen. Diese Art der Globalisierung entwickelte sich aber in einer extrem widersprüchlichen Dynamik: Strategisch setzen die USA seit dem Zerfall der bipolaren Welt auf eine Fraktionierung der globalen Staatenwelt, also auf die Methode „Teile und Herrsche“ und dies mit zunehmender Gewalt. In Zukunft müsse verhindert werden, dass der Herrschaft der USA irgendwo auf der Welt noch einmal ein Rivale entstehen könne.

Wer dies genauer verstehen will, möge sich das bekannte Buch des US-Strategen Zbigniew Brzezinski mit dem Titel „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ von 1995 noch einmal vornehmen.

Zugleich bauten die USA und ihre westlichen Verbündeten unter dem  Label der ‚Globalisierung‘ ein von ihnen dominiertes weltumspannendes Finanzimperium auf, das den globalen Flickenteppich abhängiger Nationalstaaten und in zunehmendem Maße auch zerschlagener „failed staates“, freundlich gesprochen, nur noch absorbiert und zur Abstützung ihrer Herrschaft benutzt.  

Ergebnis dieser Entwicklung ist das Heranwachsen eines krassen Widerspruchs zwischen einer von der Hegemonialmacht USA betriebenen Fraktionierung der Welt und dem unter ihrer Dominanz zugleich entwickelten Diktat einer wachsenden globalen Finanzdiktatur – WTO, GATT, GATS, aktuell TTIP, TTP usw.

Diese widersprüchliche Entwicklung trägt unter dem daraus entstehenden Druck zunehmende katastrophale Züge, die lokale Wirtschaften und Kulturen und deren Staatlichkeit erdrückt. Zugleich jedoch geht aus ihr, entgegen den Intentionen ihrer Urheber, eine Wiederbelebung, gewissermaßen eine Unterfütterung der multipolaren Tendenzen durch vielfältigste Forderungen nach lokaler und regionaler Autonomie, nach mehr Kompetenzen vor Ort, nach den unterschiedlichsten Formen der Kommunalisierung hervor usw., in denen sich die wachsende Unzufriedenheit der Menschen ausdrückt, die sich ihr Leben vor Ort nicht mehr zerstören lassen wollen, die es auch nicht mehr bei Protesten belassen, sondern es bis hin zu Revolten selbst in die Hand nehmen wollen.


Die EU in diesem Strom des multipolaren

In diesem Strom steht inzwischen auch die EU. Schon mit ihrer Gründung war sie ein neues Element zwischen den USA und der Sowjetunion in der von beiden in der Konkurrenz des ‚Kalten Krieges‘ beherrschten Welt nach dem Zweiten Weltkrieg. Das geteilte Deutschland in einem geteilten Europa war bis 1989 Ausdruck dieser Tatsache.

Nach dem Zerfall der Polarität von USA und SU seit Mitte der 1980er/Anfang der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts avancierte Europa in Gestalt der Ost-Erweiterung der EU und der NATO zu einem Bestandteil der sich herausbildenden multipolaren Welt,  die den Anspruch auf  demokratische Überwindung des europäischen Nationalismus stellte. Zugleich war sie aber Objekt des Konfliktes, der nach dem Zerfall der Sowjetunion zwischen dem Anspruch der USA auf Weltherrschaft und Russland als Protagonist einer sich andeutenden multipolaren Ordnung herangewachsen war. Man möchte beinahe versucht sein, von einem Opfer zu sprechen, das der Erhaltung der US-Hegemonie seitens der EU dargebracht wurde.

In diesem Zuge mutierte die EU als Bestandteil des globalen Finanzimperiums zu einem zunehmend bürgerfernen bürokratischen Superstaat, die die nationalen, aber nicht zuletzt die demokratischen Spielräume ihrer Mitglieder zusehends korsettierte.


Europa ist mehr als die EU

Im Effekt tritt in den gezeichneten Bewegungen der zurückliegenden Jahre die Tendenz hervor, dass die von den „Verteidigern“ der herrschenden Hegemonialordnung eingeschlagene widersprüchliche Strategie der Fraktionierung der globalen Verhältnisse einerseits Unwillen, Chaos, rückwärts zum Nationalismus gewandte Tendenzen bis hin zu sich ausbreitenden Kriegen hervorbrachte und zunehmend bringt, andererseits aber auch den Keim einer grundlegend neuen Ordnung erkennen lässt, der in die Richtung einer multipolaren, kooperativ orientierten Beziehung sich selbst bestimmender Völker, Länder, Regionen und Kommunen weist.

Beide Entwicklungen sind möglich. „Automatisch“ läuft nichts. Der eine ist brandgefährlich mit Tendenzen zur Ausweitung globaler Kriege, der andere vermittelt die Ahnung einer lebensdienlichen Zukunft – wenn der Umbruch selber nicht die in ihm angelegten demokratischen Impulse verbraucht.
 
Kurz gesagt, es geht nicht darum die Wirkungen des Brexit einzugrenzen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel es vorschlägt, auch nicht darum, die Abkoppelung weiterer Austrittskandidaten zu beschleunigen, um den Restbestand bei Beibehaltung der Grundorganisation der bisherigen EU durch „Demokratisierung“ zu retten, wie es der Präsident des europäischen Parlamentes Martin Schulz vorschlägt, oder zu durch Schrumpfung auf eine Kerngemeinschaft zu effektivieren, wie es Wolfgang Schäuble schon lange vorschwebt.

Es geht darum, das Europa sich in die Tendenz der am Horizont auftauchenden Föderalisierung europäischer Kommunen und Regionen als Bestandteil einer sich multipolaren Welt eingibt. Dies läge im Interesse der Mehrheit der Menschen Europas, nicht nur der jetzigen EU – und zweifellos auch der übrigen „westlichen“ Welt.

Dies gilt selbstverständlich auch für Russland, dass seit Jahrzehnten der multipolaren Spur nachgeht – und es gilt nicht nur für seine Außenbeziehungen, sondern auch für seine innere Verfassung, die, anders als die EU, aber nicht minder eine Befreiung der Selbstbestimmungskräfte und regionalen Autonomie von einen strangulierenden Zentralismus braucht.

Man darf sagen, die Welt geht spannenden Veränderungen entgegen.

Kai Ehlers - www.kai-ehlers.de


Quelle:  veröffentlicht am 25.06.2016 bei russland.NEWS (vormals russland.RU) > Artikel > und meinem Blog.

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Bild- und Grafikquellen:

1. BREXIT-referendum: Independence Day? 176/366. So Boris Johnson and Nigel Farage have won and the UK is heading for independence. WRONG! England has voted to leave and Scotland has voted to remain. That means another Scottish referendum is inevitable and this time Nicola Sturgeon will win. Foto: Hornbeam Arts. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

2. NO EU! Die Europäische Union (EU) ist ein antidemokratisches, bürgerfeindliches und korruptes Regime. Europa ist aber weit mehr als die EU!  Grafik: Wilfried Kahrs / QPress.de .

3. "JA zu einem sozialen Europa für Menschen. NEIN zu einem Europa der Banken & Konzerne.". Grafik: Wilfried Kahrs / QPress.de .