Faschismus ist tabu

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Faschismus ist tabu
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Faschismus ist tabu

von Eckart Spoo / Mitherausgeber der Zweiwochenschrift Ossietzky

Der Faschismus ist tabu. Er darf nicht erwähnt werden. Wenn ich das Wort ausspreche, wenden sich die dem gesellschaftlichen Konsens verpflichteten Politiker, Publizisten und Professoren schweigend ab und schnell einem anderen Thema zu. Sie leugnen den Faschismus und meinen, daß ihn dann kaum noch jemand wahrnehmen kann – womit sie leider nicht Unrecht haben.

Ich beobachte das seit langem. Zum Beispiel erinnere ich mich, daß in der Adenauer-Ära die Militärdiktaturen in Portugal und Spanien offiziell nie als das benannt wurden, was sie waren: faschistische Terror-Regime. Vielmehr schätzte man sie als Verbündete gegen alles, was links ist. Darum durfte Portugal auch der NATO angehören. Und als 1967 in Griechenland faschistische Obristen putschten, handelten sie gemäß dem NATO-Plan »Prometheus«.

In der Bundesrepublik Deutschland begannen sich damals Gewalttaten von Neonazis zu häufen. Nachrichten darüber trug ich in dem Pressedienst information rechts zusammen. Die Gewalttäter, so versicherte die Polizei jedesmal, seien Einzeltäter. In Wahrheit handelte es sich großenteils um organisierte Kriminalität. Beteiligt waren V-Leute eines Geheimdienstes, der nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Polizei irreführte – nicht erst im Fall der Mörder- und Räuberbande »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Oft behaupteten die sogenannten Sicherheitsbehörden frech, die von ihnen nicht gefaßten Täter seien in der Linken zu suchen. All das bewirkte Verunsicherung – ganz im Sinne der Neonazis. Viele Kommunal- und Landesbehörden schwiegen über Terrorakte, die daher in Kriminalstatistiken nicht vorkamen. Sie begründeten es mit ihrer Sorge um das Ansehen des Landes oder der Gemeinde, Investoren könnten abspringen.


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Im April 2014 wies ich in einem Brief an Bundestagsabgeordnete auf Äußerungen der ukrainischen Politikerin Julia Timoschenko hin: »... ich selber bin bereit, ein Maschinengewehr in die Hand zu nehmen und dem Drecksack [Putin; E.S.] in den Kopf zu schießen ... Und ich hoffe, sobald ich es tun kann, werde ich alle meine Verbindungen nutzen und die ganze Welt alarmieren, um Rußland in verbrannte Erde zu verwandeln.« (Ossietzky 9/14, S. 325) Ich erwähnte auch, daß Timoschenko als zeitweilige Ministerpräsidentin gemeinsam mit dem damaligen Staatspräsidenten Wiktor Juschtschenko den faschistischen Massenmörder Stepan Bandera [s. Briefmarken; H.S.] posthum zum »Helden der Ukraine« erklärt hatte, und ich forderte die Abgeordneten auf, jegliche Unterstützung für diese gefährliche Friedensstörerin einzustellen.

Ich war sicher nicht der Einzige, der an dieser Sprache, diesem Denken und Handeln Anstoß nahm, und so endete bald von einem Tag auf den anderen der Kult, den deutsche Medienkonzerne und öffentlich-rechtliche Medien jahrelang um die als Unschuld vom Lande aufgemachte faschistische Gas-Oligarchin getrieben hatten. An deren Statt wurden uns sogleich andere Anführer oder Symbolfiguren ihrer Partei und verbündeter Organisationen präsentiert, die aber, wie sich rasch herausstellte, ganz ähnlich zu hetzen verstehen. Auch Petro Poroschenko und Arsenij Jazenjuk, die jetzt als demokratische Revolutionäre ausgegeben werden, sprechen von Russen als »Untermenschen« und könnten sich nicht deutlicher als Faschisten zu erkennen geben als mit diesem Wort.

Poroschenko wurde zum Präsidenten gewählt – aber mit einem viel schwächeren Ergebnis als dem der Referenden, mit denen die Bevölkerung der östlichen Regionen Autonomie-Rechte gefordert hatte. Bundestagsredner interpretierten das Ergebnis so, daß man mit dem Ergebnis zufrieden sein könne, weil andere, noch rechtsradikalere Kandidaten durchgefallen seien.

Jazenjuk hat gar keine demokratische Legitimation. Das Amt des Ministerpräsidenten verdankt er keiner Parlamentswahl, sondern dem Vertrauen der USA und dem blutigen Putsch im Februar, als Maskierte auf dem Kiewer Maidan in die Masse der Demonstranten schossen. Die New York Times bestätigte im April: »Ohne den Rechten Sektor und andere militante Gruppen hätte die ukrainische Februarrevolution nicht stattgefunden.« Zum Dank dürfen nun fünf Faschisten in der Putschregierung sitzen, wo sie speziell für innere Sicherheit zuständig sind.

Unsere Konzernmedien verniedlichen sie als »Rechtspopulisten«. Kommunisten wurden aus dem Parlament herausgeprügelt. Darüber erfuhr man in Deutschland dies: In der Rada hätten Krawalle »unter Beteiligung der Kommunisten« stattgefunden. Jetzt soll die Kommunistische Partei, die bis Februar der vorigen, gewählten Regierung angehört hatte, verboten werden.

Zu den Nachrichten, die an Deutschland 1933 erinnern, paßt auch die folgende: Die Ukraine führt die Bücherzensur ein, womit unter anderem verhindert werden soll, daß russische Literatur das Land überschwemmt. Jetzt gibt es andere Literatur: Der Cheftheoretiker der mitregierenden Swoboda-Partei hat Joseph Goebbels‘ »Kleines ABC des Nationalsozialisten« ins Ukrainische übersetzt.

Zur Einschüchterung der Bevölkerung – ein Hauptzweck faschistischer Herrschaft – dienen Terrorakte wie die Brandstiftung im Odessaer Gewerkschaftshaus mit mehr als 50 Toten. Jazenjuk: An diesem Verbrechen sei Putin schuld. Deutsche Radiomeldung: Das Gewerkschaftshaus sei »in Brand geraten«. Und im Donbass seien »Kämpfe ausgebrochen«. Formulierungen, die Kriegsverbrechen und die Schuld an ihnen unsichtbar machen sollen.

Seit Monaten bombardieren Truppen aus Kiew und die aus Putsch-Aktivisten neu entstandene Nationalgarde sowie Söldner-Milizen die Industriestädte im Osten des Landes. Hauptwasserleitungen wurden zerstört, Bewohner eingekesselt, mehr als 2000 Menschen getötet, Hunderttausende vertrieben. Über einen Waffenstillstand zu verhandeln, lehnen Poroschenko und Jazenjuk ab. Mit allem, was sie tun, bestätigen sie, was sie sind: Faschisten.


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Massenmörderische Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer, staatliche Diskriminierung von Roma in mehreren europäischen Ländern, Stimmengewinne nationalistischer und rassistischer Parteien bei der Wahl zum Europa-Parlament, amtlich geduldete Aufmärsche von SS-Veteranen in Lettland – ringsum nehmen faschistische Tendenzen zu. Können wir dagegen nichts tun?

Wir müssen und können die Augen offenhalten; das ist notwendig, weil die großen Zeitungen und Zeitschriften, Hörfunk- und Fernsehsender kaum darüber berichten. Wir dürfen uns nicht am großen Schweigen über faschistische Gefahren beteiligen, und wir müssen widersprechen, wenn sie mit nichtssagenden Wörtern (»populistisch«) getarnt werden.

Wir müssen Alarm schlagen, wenn die Bundesregierung mit Faschisten paktiert. Kein Zweck rechtfertigt dieses Mittel. Sie darf keine Waffen an Regierungen liefern, an denen Faschisten beteiligt sind. Wenn jetzt der alte Grundsatz, der den Export von Rüstungsgütern in Spannungsgebiete verbietet, ins Gegenteil verkehrt wird (in solchen Gebieten kann die Rüstungsindustrie besonders viel Geld verdienen), dann müssen wir laut protestieren – gerade in diesen Tagen der Erinnerung an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Und wir müssen dringend davor warnen, Feindseligkeit gegen Rußland zu schüren, das größte und volkreichste Land Europas, das im Zweiten Weltkrieg mehr als 20 Millionen Menschen verloren und entscheidend zum Sieg über den Faschismus beigetragen hat. Beim Gedenken an die Hungerblockade um Leningrad blicke ich nach Donezk.

Und Gaza. Auch Israelis, versteht sich, können Faschisten sein. Wie alle Faschisten müssen die israelischen deutlich beim Namen genannt werden, damit man sich mit ihnen auseinandersetzen kann. Zum Beispiel Mosche Feiglin, Vizepräsident der Knesset, der mit Sprüchen wie »Ein Haar auf dem Haupt eines israelischen Soldaten ist kostbarer als die gesamte Bevölkerung von Gaza« großen Publikumserfolg hat. Jüngst schlug er vor, die Bevölkerung des Gazastreifens ultimativ zum Verlassen des Gebietes aufzufordern. Nach dem Krieg müsse das Gebiet dann von Juden besiedelt und Teil Israels werden. Ähnlich wie er läßt sich Außenminister Avigdor Lieberman vernehmen. Seit Jahren fordert er immer wieder dazu auf, in Gaza »keinen Stein auf dem anderen zu lassen«; auch zivile Ziele wie Geschäfte, Banken und Tankstellen seien »dem Erdboden gleichzumachen«.

Wie können wir den Faschismus überwinden, der immer noch und immer wieder Menschenleben fordert?

Eckart Spoo


Quelle:  Erschienen in Ossietzky, der Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft - Heft 18/2014 > zum Artikel

Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, wurde 1997 von Publizisten gegründet, die zumeist Autoren der 1993 eingestellten Weltbühne gewesen waren – inzwischen sind viele jüngere hinzugekommen. Sie ist nach Carl von Ossietzky, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1936, benannt, der 1938 nach jahrelanger KZ-Haft an deren Folgen gestorben ist. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte er die Weltbühne als konsequent antimilitaristisches und antifaschistisches Blatt herausgegeben; das für Demokratie und Menschenrechte kämpfte, als viele Institutionen und Repräsentanten der Republik längst vor dem Terror von rechts weich geworden waren. Dieser publizistischen Tradition sieht sich die Zweiwochenschrift Ossietzky verpflichtet – damit die Berliner Republik nicht den gleichen Weg geht wie die Weimarer.

Wenn tonangebende Politiker und Publizisten die weltweite Verantwortung Deutschlands als einen militärischen Auftrag definieren, den die Bundeswehr zu erfüllen habe, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Flüchtlinge als Kriminelle darstellen, die abgeschoben werden müßten, und zwar schnell, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie Demokratie, Menschenrechte, soziale Sicherungen und Umweltschutz für Standortnachteile ausgeben, die beseitigt werden müßten, dann widerspricht Ossietzky. Wenn sie behaupten, Löhne müßten gesenkt, Arbeitszeiten verlängert werden, damit die Unternehmen viele neue Arbeitsplätze schaffen, dann widerspricht Ossietzky – aus Gründen der Humanität, der Vernunft und der geschichtlichen Erfahrung.

Ossietzky erscheint alle zwei Wochen im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin – jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen die Gewöhnung an den Krieg und an das vermeintliche Recht des Stärkeren.

Redaktionsanschrift:

Redaktion Ossietzky
Haus der Demokratie und Menschenrechte

Greifswalderstr. 4

10405 Berlin

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► Bild- und Grafikquellen:

1. Eckart Spoo (* 19. Dezember 1936 in Mönchengladbach) ist ein deutscher Journalist und Publizist, außerdem Mitherausgeber und ltd. Redakteur der Zweiwochenschrift Ossietzky. Foto: Justus Nussbaum. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

2. Stepan Andrijowytsch Bandera (* 1. Januar 1909 in Staryj Uhryniw bei Kalusch in Galizien, Österreich-Ungarn (heute Ukraine); † 15. Oktober 1959 in München, Deutschland) war ein prominenter ukrainischer nationalistischer Politiker und Partisan.

Die Einordnung von Banderas Wirken und seiner Person ist in der heutigen Ukraine sehr umstritten. Während er vor allem im Westen des Landes von vielen Ukrainern als Nationalheld verehrt wird, gilt er in der Ostukraine, aber auch in Polen, Russland und Israel überwiegend als Nazi-Kollaborateur und Verbrecher.

Im Jahre 1934 wurde Bandera in Polen zum Tode verurteilt, weil man ihm eine Beteiligung an der Ermordung des polnischen Innenministers Bronisław Pieracki vorwarf. Diese Strafe wurde jedoch in lebenslange Haft umgewandelt. Im September 1939 kam er wieder frei, die Gründe für seine Freilassung sind nicht genau bekannt. Den von Bandera geführten OUN-Verbänden wurde von Seiten der sowjetischen, russischen und polnischen Regierung sowie zahlreichen internationalen Historikern vorgeworfen, am 30. Juni 1941 und noch vor Einmarsch der regulären deutschen Truppen ein Massaker in der Stadt Lemberg angerichtet zu haben. Hierbei seien rund 7000 Menschen, überwiegend Kommunisten und Juden, ermordet worden.

Das Bild zeigt die von Vasil Vasilenko designte Ukrainische Briefmarke zum 100. Geburtstag (2009) Banderas. Quelle: Wikimedia Commons. According to the Article 10 of the Law of Ukraine on Copyright and Related rights this work is in the public domain

3. Arsenij Petrowytsch Jazenjuk (* 22. Mai 1974 in Tschernowitz, Ukraine) ist ein ukrainischer Politiker (Allukrainische Vereinigung „Vaterland“). Seit dem 27. Februar 2014 ist er Ministerpräsident der Ukraine. Von Dezember 2007 bis September 2008 war er Präsident des ukrainischen Parlaments und zuvor Außenminister seines Landes. Das Foto entstand bei einem Treffen mit US-Außenminister John Kerry in Washington am 12.04.2014. Foto: U.S. Department of State from United States. Quelle: Wikimedia Commons. This image is a work of an employee of the Executive Office of the President of the United States, taken or made as part of that person's official duties. As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain.

4. Texttafel "Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt". Grafik: Wolfgang Blaschka (WOB), München