Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit

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Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit
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Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit.  Wie die ganz reale Wirtschaft die Krise kriegt


Autor: Guenther Sandleben

Verlag: Schriftenreihe, herausgegeben von der proletarischen Plattform , erschienen 2011 als Band 1 der proletarischen Texte, bestellbar im Buchhandel.

ISBN-13:  978-3-8423-3654-4, broschiert, 121 Seiten. 7,90 €

 
Klappentext:

Viele Beobachter – auch aus dem linken politischen Spektrum – halten die Wirtschaftskrise für eine vermeidbare Tragödie, die durch politische Eingriffe hätte verhindert werden können. Wenn nur die Finanzmärkte besser reguliert worden wären. Guenther Sandleben zeigt hier dagegen, dass nicht die Finanzmarktkrise die Wirtschaftskrise, sondern umgekehrt die Wirtschaftskrise die Finanzmarktkrise hervorbrachte. Die Finanzmarktkrise war also hauptsächlich die Folge einer Störung des wirklichen Reproduktionsprozesses. Die Systemfrage ist aufgeworfen, wenn es um die politische Bewältigung solcher Krisen geht. Daraus ergibt sich nicht zuletzt für die Gewerkschaften eine weit reichende politische Konsequenz.

Statt auf Co-Management in den Unternehmen im Namen ihrer Belegschaften müssten Gewerkschaften zuallererst darauf bedacht sein, die Konkurrenz zwischen allen zu minimieren, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängen. Sie würden deren gemeinsames Interesse zur Geltung bringen, das Angebot an verfügbarer Arbeitskraft möglichst knapp und in jeder Hinsicht teuer zu machen. Sie würden also zum einen sich energisch wenden gegen den Unterbietungswettbewerb von Belegschaften untereinander. Vor allem aber würden sie „eine planmäßige Zusammenwirkung … zu organisieren suchen“ (Marx) insbesondere zwischen dem beschäftigten und dem unbeschäftigten Teil der lohnabhängigen Klasse. Die Sorge dagegen, wie der armen „Realwirtschaft“ durch Regulierung der Finanzmärkte beizuspringen ist, hätten sie ganz gewiss nicht.


Inhalt:

 


Einleitung ………………..7

Kapitel I


Phasen des bisherigen Krisenprozesses ………………..10

1) Ende 2005 bis Mitte 2007:Partielle Krise (Immobilienkrise) ………………..10

2) Mitte 2007 bis Mitte 2008: Kredit- und Bankenkrise als Konsequenz der partiellen Krise ………………..13

3) Anfang 2008 bis August 2008: Überproduktion in den wichtigsten Wirtschaftszweigen ………………..18

4) September 2008 bis Anfang 2009: Überproduktionskrise, Geld-, Kredit-, Börsen- und Bankenkrise ………………..27

5) März 2009 bis Ende 2010: Phase relativer Stabilisierung ………………..36

6) Anfang 2010 bis heute: Wirtschaftserholung, Sparprogramme, drohende Staatspleiten ………………..46


Kapitel II


Finanzmarktkrise oder Krise des kapitalistischen Systems? ………………..60

1) Mythos Finanzmarktkrise ………………..60

2) Abtrennung der Finanzmärkte von der sogenannten „Realökonomie“ ………………..63

3) Kritik der Hegemonie-These ………………..66

4) Verhältnis von Finanzmarktkrise und Krise der Warenproduktion ………………..69

5) Politische Konsequenzen der Krisenanalyse ………………..71


Kapitel III


Das von Marx entdeckte allgemeine Gesetz der periodischen Krisen ………………..74

1) Möglichkeit der Krisen ………………..78

2) Notwendigkeit der Krise ………………..79

3) Warum die Krisen periodisch auftreten ………………..81

4) Krisenzyklus, Kredit- und Zinszyklus ………………..83


Kapitel IV


Warum die Krise eine große Krise ist: Umschlag des längerfristigen Akkumulationstyps ………………..87

1) Asymmetrie konjunktureller Phasen ………………..88

2) Die Sturm- und Drangperiode des Kapitals als Voraussetzung der großen Krise ………………..89

3) Änderungen im Finanzsektor ………………..92

4) Notwendigkeit des Umschlags des Akkumulationstyps ………………..93


Kapitel V


Krisenmanagement der Regierungen ………………..96

1) Grenzen der Staatsverschuldung 97

2) Staatsschuldenkrise (Staatsbankrott) mit nachfolgendem Währungsverfall und galoppierender Inflation ………………..107


Literaturverzeichnis ………………..113

Glossar ………………..116



Auszug aus einer Buchbesprechung, gefunden bei Arbeiterpolitk.de , veröffentlicht in Zeitung 53. Jahrgang, Nr. 2 vom  1. Mai 2012:  

Sandleben stellt folgende Thesen auf:

 

1. Der Ursprung der Krise liegt in der Warenproduktion, es handelt sich um eine Überproduktionskrise.

2. Wegen einer vorangegangenen etwa 20 Jahre dauernden »Sturm- und Drangperiode« ist diese Krise besonders tief und schwer.

3. Notwendig zur Bereinigung der Krise wäre eine erhebliche Kapitalvernichtung.

4. Wegen der unabsehbaren politischen und sozialen Folgen wurde diese Kapitalvernichtung bisher verhindert. Dabei retteten Staaten angeschlagene Banken, als stabil geltende Staaten retteten in Schwierigkeiten geratene Staaten.

5. Der letzte Anker, die finanzielle Glaubwürdigkeit der als stabil geltenden Staaten, ist bereits brüchig.

 

Im ersten Kapitel stellt Sandleben die Phasen der bisherigen äußerst schweren Wirtschaftskrise dar, die nach seiner Analyse bereits Ende 2005 begann. Im zweiten Kapitel untersucht er die Frage nach dem Verhältnis von Finanzmarkt und »Realwirtschaft«. Das dritte Kapitel beschäftigt sich kurz mit dem von Marx entdeckten allgemeinen Gesetz periodischer Krisen. Im vierten Kapitel wird beschrieben, wie das Ende einer längerwelligen »Sturm- und Drangperiode« des Kapitals in die gegenwärtige tiefe Krise umschlägt und was die Voraussetzungen langer Wellen sind. Im fünften Kapitel schließlich werden mögliche Szenarien der weiteren Entwicklung der Staatsschuldenkrise, Macht und Ohnmacht nationaler Notenbanken dargestellt.

Die Phasen des bisherigen Krisenverlaufs

Günther Sandleben beschreibt fünf abgeschlossene Phasen des Krisenverlaufs:


1. Ende 2005 bis Mitte 2007: Partielle Krise (Immobilienkrise)

2. Mitte 2007 bis Mitte 2008: Kredit- und Bankenkrise als Folge der partiellen Krise

3. Anfang 2008 bis August 2008: Überproduktion in den wichtigsten Wirtschaftszweigen

4. September 2008 bis Anfang 2009: Überproduktionskrise, Geld-, Kredit-, Börsen- und Bankenkrise

5. März 2009 bis Ende 2010: Relative Stabilisierung


Die gegenwärtige Phase, deren Beginn er auf Anfang 2010 datiert, kennzeichnet er als Wirtschaftserholung, Sparprogramme und drohende Staatspleiten. Auf die Krise des US-Immobilienmarktes nach 2006 seien Immobilienkrisen in Teilen Europas und Asiens gefolgt.

Die zurückgehenden Preise für Häuser hätten Abschreibungen bei den Banken notwendig gemacht, nicht nur national, sondern auch international, da die Hypotheken über neuartige Kreditinstrumente über den ganzen Globus verteilt worden seien »Mit dem Instrument der Verbriefung von Forderungen wanderten aber auch die Kreditrisiken von Amerika nach Europa.« Als Folge der gigantischen Abschreibungen infolge der fallenden Häuserpreise sei der Interbankenhandel zum Erliegen gekommen: keine Bank habe mehr der anderen getraut, z.T. nicht einmal den Risiken in den eigenen Büchern. Das Kreditsystem sei ins Monetarsystem umgeschlagen. An diesem Punkt seien die Notenbanken eingesprungen und hätten die Geschäftsbanken mit Geld versorgt. Sie hätten so eine Pleitewelle bei den Banken und eine Kreditklemme in der Industrie verhindert.

Die Industrieproduktion in den wichtigsten Branchen wuchs nach der Analyse von Sandleben Ende 2007 kaum noch, ab Frühjahr 2008 begann sie zu sinken und brach ab September 2008 ein. Damit lag die Konjunkturwende zeitlich vor der Pleite von Lehman. Nach der partiellen Überproduktion im US-Häusermarkt habe sich jetzt eine globale Überproduktion in allen wichtigen Branchen gezeigt. Schon der zeitliche Ablauf zeige, dass die Lehman-Pleite nicht Ursache des Produktionseinbruchs gewesen sein könne, wie Axel Weber behauptete. Sandleben stellt klar, dass die Kreditvergabe aufgrund der verschlechterten Lage der Unternehmen reduziert worden sei, nicht umgekehrt. Im diametralen Gegensatz zur zitierten Aussage von Axel Weber habe die Bundesbank in ihrem Monatsbericht vom September 2009 erklärt: »Die Abschwächung der Kreditvergabe an nichtfinanzielle Unternehmen lässt sich gut mit den traditionellen Einflussfaktoren erklären, insbesondere mit der schwachen realwirtschaftlichen Entwicklung (!).«

In ihrem Höhepunkt im September und Oktober 2008 habe die Krise alle ihre  Erscheinungsformen herausgebildet: Allgemeine Handels- und Industriekrise, Kredit- und Bankenkrise, Absturz von Aktien und Unternehmensanleihen. Geld sei der Zirkulation entzogen worden, indem Vermögende Bargeld oder Edelmetalle horteten, Banken und Unternehmen Liquidität sicherten. In der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932 sei der Erschütterung im Bankensektor eine Pleitewelle in Industrie und Handel vorausgegangen. Diese Pleitewelle sei in der gegenwärtigen Krise durch staatliche Interventionen verhindert worden. Daher die Erschütterung bei den Banken vor einer Pleitewelle in der Industrie. »Vor allem der dramatische Vorgang im Geld-, Kredit- und Bankensektor war es, der alle wichtigen Akteure aus Wirtschaft, Finanz und Politik ‚schaudern (ließ) vor dem undurchdringlichen Geheimnis ihrer eigenen Verhältnisse.’ So hatte Marx seine Beobachtung für die schweren periodischen Krisen des 19. Jahrhunderts zusammengefasst, als nämlich während der allgemeinen Produktions- und Handelskrisen das Kreditsystem regelmäßig ins Monetarsystem umgeschlagen war.« Dieser Umschlag zeige sich heute nur deswegen nicht in seiner klaren Form, weil der Staat interveniere, die Kapitalvernichtung zeitlich hinauszögere und die Risiken aus der Wirtschaft in seine eigenen Bücher nehme.

Dazu passt die Aussage des ehemaligen britischen Premierministers, Gordon Brown, zur Dramatik der Ereignisse vom Herbst 2008: »Wir standen vor einer Situation, die schlimmer als 1929 zu werden drohte. Niemand traute mehr irgend jemandem im Bankensystem. Das Finanzsystem stand am Abgrund.«9 Ebenso, dass den US-Großbanken von Finanzminister Paulsen ein Staatskredit aufgezwungen wurde, was einer zeitweiligen Verstaatlichung gleichkam. Etliche Institute wie die Royal Bank of Scottland, die AIG oder die deutsche HRE übertrugen ihre Verluste den Staaten, die sich dafür verschuldeten, wie sonst nur in Kriegszeiten. Insgesamt summierte sich die Hilfe von 11 wichtigen Industriestaaten in der Zeit von September 2008 bis Juli 2009 auf unvorstellbare 5.000.000.000.000 Euro.

Das Budgetrecht des deutschen Parlaments wurde für die Rettungsmaßnahmen ausgehebelt, ohne dass es ernsthaften parlamentarischen oder gewerkschaftlichen Widerstand gegeben hätte. Einschließlich der Linkspartei ließen Parteien und Gewerkschaften das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich. Sandleben kommentiert dies treffend: »Die Lohnabhängigen spielten in dieser Schicksalsstunde des Kapitalismus keine eigenständige Rolle.«

Da der Staat den Banken ihre Schrottpapiere abgenommen habe, hätten sie in der Folge wieder teils kräftige Gewinne machen können. Damit sei aber das Problem der Überproduktion nicht gelöst. Nach Berechnungen des Handelsblatts vom 23.6.2009 hätten sich die staatlichen Konjunkturprogramme der Industriestaaten auf mehr als 2.000 Milliarden Euro summiert. Der Neoliberalismus schien tot, Keynes sei der Mann der Stunde gewesen. Die einzelnen Unternehmen kämpften verbissen um Staatshilfen. Opel oder Heidelberger Druck wurden gerettet, aber nicht Arcandor. Die verschärfte Konkurrenz habe sich auch zwischen den Wirtschaftsblöcken und nationalen Kapitalen gezeigt. Die Konjunkturprogramme hätten möglichst nur dem eigenen Kapital nutzen sollen. Auch die klassischen Mittel wie Strafzölle und andere Handelsbarrieren hätten zugenommen.

Die Krise hat sich seitdem, wie von Sandleben beschrieben, als Staatsschuldenkrise weiter entwickelt. Die Luft für weitere Konjunkturprogramme ist sehr dünn, die Länder des südlichen Europas geraten durch Sparprogramme in die Rezession. Eurobonds oder andere Formen der Risikoverteilung würden die Kreditkosten für Deutschland verteuern, für Länder wie Italien verbilligen. Die Risikoverteilung unter den europäischen Ländern bestimmt also, welche nationale bürgerliche Klasse welchen Druck auf ihre Bevölkerung ausüben muss, um die Krisenfolgen abzuwälzen. Entsprechend bestimmt auch die Gegenwehr aus der Bevölkerung über die Lastenverteilung unter den Eurostaaten. Je stärker die Gewerkschaften in die Politik von Regierung und Unternehmen eingebunden sind, die Lasten auf die Bevölkerung anderer Länder abzuwälzen, desto stärker die Wahrscheinlichkeit für das Aufkommen von aggressivem Nationalismus. Das exportlastige deutsche Kapital kann sich ein Auseinanderbrechen des Euro-Binnenmarktes nicht leisten. Und wenn sich die Bundesregierung, auch aus innenpolitischen Gründen, noch sträubt, sie wird bei fortschreitendem Misstrauen gegen die Zahlungsfähigkeit der Eurostaaten immer mehr Risiken übernehmen müssen und damit auch die Bevölkerung in Deutschland immer stärker unter Druck setzen. […]

Die komplette Buchbesprechung gibt es im Heft als PDF auf den Seiten 18 – 21 - bitte hier klicken


Infos zum Buchautor Guenther Sandleben:

Guenther Sandleben lebt als Publizist in Berlin. Neben zahlreichen Aufsätzen erschien von ihm 2003 im VSA-Verlag das Buch: "Nationalökonomie & Staat. Zur Kritik der Theorie des Finanzkapitals". Aus seiner mehr als 20jährigen Berufspraxis als Finanzmarktanalyst kennt er das Innenleben des sogenannten Finanzkapitals und hat sich intensiv mit den Interaktionen zwischen den Finanzmärkten und der "ganz realen Wirtschaft" auseinandergesetzt. Nach dem wirtschaftswissenschaftlichen Studium in Dortmund und Berlin war er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem fachlichen Schwerpunkt Geschichte der ökonomischen Theorie tätig. Während dieser Zeit setzte er sich insbesondere mit der klassischen politischen Ökonomie und ihrer Marxschen Kritik auseinander. Eine Auswahl seiner Veröffentlichungen findet sich unter: guenther-sandleben.de

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