Frührenten aufgrund psychischer Erkrankung nehmen immer mehr zu

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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Frührenten aufgrund psychischer Erkrankung nehmen immer mehr zu
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Frührenten aufgrund psychischer Erkrankung nehmen immer mehr zu

Anhörung im Deutschen Bundestag zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz


Frührenten aufgrund psychischer Erkrankungen nehmen immer mehr zu. Im Jahr 2010 stieg die Zahl der Arbeitnehmer, die aufgrund dauerhafter psychischer Erkrankungen nicht bis zum normalen Rentenalter erwerbstätig sind, um rund 6.000 auf rund 70.500 Rentner. „Das ist einer der größten Anstiege seit zwei Jahrzehnten“, stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest. „Eine rechtzeitige Behandlung psychischer Erkrankungen könnte erheblich dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen nicht chronifizieren und zu dauerhafter Erwerbsunfähigkeit führen.“

BPtK-Präsident Richter kritisiert anlässlich der heutigen Anhörung des Versorgungsstrukturgesetzes im Deutschen Bundestag, dass sich auch zukünftig nichts an der schlechten Versorgung psychisch kranker Menschen ändere. Im nächsten Jahr drohe im Gegenteil ein Abbau von rund 2.000 psychotherapeutischen Praxen. „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr ambulante Psychotherapie, um psychische Erkrankungen schneller behandeln zu können“, fordert Richter. In Deutschland warten psychisch kranke Menschen durchschnittlich drei Monate auf ein erstes Gespräch beim Psychotherapeuten. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz könnte das Problem entschärft werden. Durch eine Neuberechnung der Verhältniszahlen der ambulanten Bedarfsplanung könnten sich bereits nächstes Jahr mehr Psychotherapeuten niederlassen. Auch für psychische Erkrankungen gilt: Besser früh und ambulant behandeln als spät und stationär.

1993 erhielten noch rund 41.400 Arbeitnehmer eine vorzeitige Rente aufgrund chronischer seelischer Schäden. Zehn Jahre später, im Jahr 2003, waren es bereits rund 10.000 vorzeitige Rentner mehr (50.800). Allein in den letzten vier Jahren hat die Zahl der Frührentner um rund 20.000 zugenommen. „Psychische Erkrankungen sind damit seit zehn Jahren der Hauptgrund für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsleben“, bilanziert BPtK-Präsident Richter. „Mehr als jede dritte Frührente ist inzwischen durch dauerhafte psychische Erkrankungen verursacht.“ Dadurch entstehen Kosten von mehr als vier Milliarden Euro im Jahr. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass das Alter bei Frühverrentungen wegen psychischer Erkrankungen mit 48 Jahren um drei Jahre unter dem Alter der körperlich kranken Frührentner liegt.

„Die Arbeitswelt belastet die Menschen heute anders als noch vor 50 Jahren“, erklärt BPtK-Präsident Richter. „Die körperlichen Belastungen nehmen ab, die psychosozialen Belastungen jedoch zu. Dies führt langfristig auch zu einem Anstieg der psychischen Erkrankungen.“ Dieser langfristige Trend erkläre jedoch nicht die hohen Zuwachsraten bei psychischen Erkrankungen in den vergangenen zehn Jahren. Diese beruhen weniger auf einer Zunahme der Häufigkeit psychischer Erkrankungen, sondern auf einer erfreulichen Verbesserung der Erkennens- und Behandlungsrate. „Psychische Erkrankungen sind heute weniger stigmatisiert“, erläutert Richter. (Quelle: BPtK - klick)


Zahlen + Fakten - Psychische Krankheiten

Erwachsene
Innerhalb eines Jahres erkrankt in Deutschland jeder dritte Erwachsene an einer psychischen Krankheit. Vergleichbare Prävalenzraten berichten internationale Studien für andere westliche Industrienationen.

  • Insgesamt: 31 Prozent
  • Frauen: 37 Prozent
  • Männer: 25 Prozent


Häufigste Diagnosen

  • Angststörungen: 14,4 Prozent
  • somatoforme Störungen*: 11,0 Prozent
  • affektive Störungen (Depressionen): 10,9 Prozent
  • Suchterkrankungen (vor allem Alkohol): 4,9 Prozent

*Somatoforme Störungen sind körperliche Krankheiten, für die keine körperlichen Ursachen nachweisbar sind.


Arbeitsunfähig
Psychische Störungen führen in Deutschland von Jahr zu Jahr zu mehr Krankschreibungen. Nach einer Synopse der Gesundheitsreporte der Krankenkassen 2009 hat sich der Anteil der AU-Zeiten durch psychische Erkrankungen seit 1993 mehr als verdoppelt und betrug im Jahr 2009 11,3 Prozent. Ursache für Arbeitsunfähigkeit sind insbesondere depressive Störungen, Angststörungen und somatoforme Störungen.


Frührente
Immer mehr Personen müssen aufgrund einer psychischen Erkrankung frühzeitig ihr Erwerbsleben beenden. Im Jahr 2010 erhielten rund 900.000 Personen eine Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit. Mehr als ein Viertel der Berentungen waren durch psychische Erkrankungen bedingt. Inzwischen wird mehr als jede dritte Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (37,7 Prozent) durch eine psychische Störung verursacht.

  • Männer: 32,1 Prozent
  • Frauen: 43,9 Prozent

Das Durchschnittsalter bei Berentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen liegt bei 48 Jahren im Vergleich zu einem Durchschnittsalter von 51 Jahren bei anderen Erkrankungen (Statistik der Deutschen Rentenversicherung).


Kinder und Jugendliche

  • psychisch auffällig: 21,9 Prozent
  • psychisch krank: 9,7 Prozent

 

Häufigste Diagnosen

  • Angststörung 10,0 Prozent
  • Störung des Sozialverhaltens 7,6 Prozent
  • Depression 5,4 Prozent
  • ADHS 2,2 Prozent

Ergebnisse der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS, 2006)

(Quelle: BPtK - klick)