Frauen als Menschen zweiter Klasse

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Frauen als Menschen zweiter Klasse
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Frauen als Menschen zweiter Klasse
 
Man kann nicht gegen alles in der Welt vorgehen, sich über sämtliche Ungerechtigkeiten mokieren und am gesamten Leid der Welt Anteil nehmen. Auch deshalb zögere ich oft, Kommentare über die Angelegenheiten fremder Länder zu schreiben, über deren Strukturen ich relativ wenig informiert bin. Doch in diesem Fall der Vergewaltigung einer Frau in Indien, der weltweit Aufmerksamkeit erregt hat, gebe ich diese Zurückhaltung auf. Denn Frauen werden weltweit und speziell in bestimmten Regionen und Kulturkreisen noch immer diskriminiert. 
 
Dies drückt sich auch in der Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung aus, die vorwiegend in islamischen Ländern ritualisiert wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die erfreuliche Entscheidung der UN, eine Resolution gegen die weibliche Genitalverstümmelung zu erlassen. Für Interessierte hierzu eine Meldung in Telepolis vom 4.1.2013.
 
Nun zurück zur Situation in Indien. Soweit ich das überblicken kann, werden Frauen in Indien immer noch weitgehend abgewertet und gesellschaftlich geächtet. Dies hängt zum einen mit dem Kasten(un)wesen in Indien aufgrund der dort praktizierten hinduistischen Religion und den damit verbundenenTraditionen zusammen, zum anderen aber auch mit politischer Billigung, mit allgemeiner gesellschaftlichem Konsens und einem patriarchalischen Gehabe der dortigen Männerwelt. So hoffnungsvoll es anzusehen ist, daß der jüngste Willkürakt gegen eine Frau medial - auch international - hohe Wellen geschlagen und zu Aktionismus in der indischen Gesellschaft und Politik geführt hat, so muß doch nüchtern festellt werden, daß das Gras schnell wächst, keine Konsequenzen gezogen werden und der alltägliche Wahnsinn fortschreitet.
 
Im folgenden möchte ich versuchen, die mir bekannten Hintergründe zum Umgang mit dem aktuellen Fall aufzuzeigen:
  • Der in Indien angesehene Guru Asaram Bapu beschönigt in revisionistischer Art das Geschehen: „Zu einer Vergewaltigung gehörten immer zwei, hat er tags zuvor seinen Anhängern gepredigt. Das Opfer hätte seine Vergewaltiger bei der Hand nehmen und sie als Brüder um Hilfe bitten müssen.“
  • Der Sohn des amtierenden Präsidenten, der Regierungsabgeordnete Abhijit Mukherjee, denunzierte die Demonstrantinnen als „flittchenhaft“.
  • Der westliche Lebensstil wird als Ausrede und tieferen Grund für Vergewaltigungen genannt. Als Beispiel sollte nur das Verhalten eines Dorfrats im Bundesstaat Uttar Pradesh angeführt werden, der schon im letzten Sommer empfohlen hatte, Sex vor der Ehe grundsätzlich zu verbieten – als Vorbeugungsmaßnahme gegen Sexualverbrechen.
  • Auch die indische Polizei trägt nicht gerade zur Lösung des Problems bei. Sie schaut weg und schützt letztlich die Triebtäter noch. Auch bei der Vergewaltigung am 16. Dezember versagten die Ordnungshüter, ließen das nackte Opfer auf der Straße liegen, halfen ihr spontan nicht, sondern diskutierten ihre Zuständigkeit. Auch in einem anderen bekannt gewordenen Fall in Noida am letzten Wochenende wurde eine Anklage wegen Vergewaltigung erst  vorgenommen, als das Opfer tot aufgefunden wurde.
  • Premierminister Manmohan Singh hat jüngst eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge für ein neues Gesetz über die Bestrafung von Sexualverbrechen ausarbeiten soll. Die regierende Kongreßpartei hat daraufhin ihre Eingabe fallen lassen, Vergewaltigungstäter kastrieren zu lassen. Eine außerordentliche Parlamentssitzung zur Thematik wurde gar nicht mehr beantragt, so daß man davon ausgehen muß, daß die Kommission das den Fall aussitzen will.
  • Immer mehr indische Familien treiben ihre Töchter ab, weil sie der Manie nach dem Wunsch eines Statthalters verfallen sind. Auf diese Weise verlor Indien seit den 90er Jahren mindestens 12 Millionen weiblichen Föten.
  • Das Manko an Frauen (siehe auch die Lage in China aufgrund der Einkind-Politik) durch die massenhaften Abtreibungen wird zu einem dauerhaften Ungleichgewicht in der Gesellschaft führen. Schon im Jahr 2020 droht Indien ein Überschuss von 30 Millionen Männern. Diese frauenlosen Heranwachsenden und Männer stellen jedoch die potenziellen Vergewaltiger der Zukunft dar.
  • Dann gibt es noch die vorherrschenden Tabus, an denen die indische Gesellschaft nicht arm ist. Eins davon hat mit der Familienehre zu tun, die die Aufdeckung von Sexualverbrechen verhindert. Töchter werden von ihren Vätern öffentlich verstoßen, weil sie vergewaltigt wurden. Bei einem jüngst aufgedeckten Fall in Dehli war der Vater des Opfers der Meinung, daß seine Tochter die Familienehre beschmutzt habe, weil sie es gewagt hat, alleine auszugehen und westliche Kleidung zu tragen. So werden Opfer als Täter gebrandmarkt,  und die Täter bleiben unbehelligt, nur weil sie das Privileg besitzen, Männer zu sein. 
  • Politik und Vertreter der Öffentlichkeit haben nach wie vor nicht den Mut, sich in solche Familienangelegenheiten einzumischen. Das hängt eng mit dem grundsätzlichen Primat der Familie und speziell des Familienvaters in Indien ab, wenn es um die Lebensentscheidungen der Töchter geht. Die Eltern bestimmen den Ehemann (und das bereits im Kindesalter), Liebesheiraten sind daher weiterhin die große Ausnahme und selbst gut ausgebildete verheiratete Frauen bleiben an Haus und Herd gebunden.
Indien, das sich selbst als größte Demokratie der Welt belobigt, tut sich mit seinem gesellschaftlichen und politischen Verhalten keine Ehre an. Die Frau ist zwar in Indien gesetzlich dem Mann gleichgestellt, aber die praktische Durchsetzung insbesondere für Frauen aus den armen Schichten und unteren Kasten ist nicht gewährleistet. Gerade arme Frauen bleiben bei der Bildung außen vor und haben keine Möglichkeiten der Emanzipation. Auch das grausame Ritual der Witwenverbrennung ist nicht mehr legal, aber trotzdem werden immer wieder Fälle bekannt, daß diese vollzogen wird. Offensichtlich ist der Hinduismus hauptverantwortlich für diverse Diskriminierungen - auch gegenüber Kindern und Männern und gibt dem ungeschriebenen Gesetz des Patriarchats den nötigen Halt. Mir ist klar, daß es immer problematisch ist, anderen Kulturen in die Suppe zu spucken, aber Menschenrecht und Menschenwürde sind die gleichen - ob in Deutschland oder Indien.   
 
Wenn man den globalen Einfluß Indiens berücksichtigt, das derzeit eine Einwohnerzahl von 1,2 Milliarden besitzt und bei gleichbleibender Entwicklung 2050 bei ca. 1,7 Milliarden angelangt sein wird, dann sollte man sich Sorgen machen. Indien tritt zunehmend als Großmacht auf, rüstet auf, hat den Status einer Atommacht und erhebt den Anspruch, eine technologische Führerschaft zu übernehmen. Vor dem Hintergrund von größtenteils mittelalterlich anmutenden inneren Strukturen sehe ich derartige Allüren sehr skeptisch und frage mich, wann Indien endlich einmal ernsthaft daran geht, seine gravierenden gesellschaftlichen Probleme zu bewältigen. 
 
Aber in dieser zwiespältigen Situation steht Indien nicht alleine da: da könnte man noch einige andere sog. Weltmächte aufzeigen, die ihre eigenen Probleme nicht gelöst haben und doch überheblich die Rolle von Weltpolizist oder Demokratieapostel spielen – z. B. China, die USA, Rußland etc.
 
Für die Anregungen zu meinem heutigen Beitrag bin ich der TAZ sehr dankbar. Siehe den Artikel vom 9.1.2012 „Reaktionen auf Vergewaltigungen in Indien“.
 
 
Peter A. Weber