Front de Gauche (F) – DIE LINKE (D)

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Front de Gauche (F) – DIE LINKE (D)
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Front de Gauche (F) – DIE LINKE (D)

zur Situation in Deutschland und ein Blick nach Frankreich

 

Bei uns in Deutschland ist die Partei DIE LINKE. leider in einem desolaten Zustand und seit Jahren mit endlosen Personaldebatten (selbst)beschäftigt. DIE LINKE ist geradezu destruktiv und zerlegt sich irgendwie selbst. Auch nach dem Parteitag letzte Woche geht das Hauen und Stechen munter weiter, statt durch konstruktive Arbeit und solidarischen Umgang miteinander eine längst überfällige und wählbare politische Alternative zur SPD zu manifestieren. Agenda 2010, Hartz-IV und der Rest des Schröderschen sozialen Kahlschlags scheinen selbst Betroffene nicht in die Arme der Linken zu treiben – im Gegenteil, die Partei verzeichnete auch Ende 2011 wie schon 2010 wieder deftige Mitgliederverluste.   

An den Inhalten kann das kaum liegen, schon eher am Personal, das die Spitzenpositionen der Partei auf Bundes- und Landesebene besetzt hat. Nach jahrelanger Übung mit Machtspielchen in Gewerkschaften und Parteien versteht man zwar etwas davon, wie man eine Organisation besetzt und unter sich aufteilt, aber nicht, wie man mit einer linken Partei linke Politik macht. Der Wähler bedankt sich: "Wenn schon Unterhaltungsprogramm, dann wenigstens mit erfolgversprechenden Teams statt mit sich selbst entsorgenden Verlierern."

Seien wir ehrlich, wer interessiert sich schon so genau für das Geschäftsmodell des Unterhaltungsproduzenten?

Die Linke, die sich unter anderem auch als Anti-Kriegspartei versteht, hat aus ihrem Jugendverband solid heraus einen Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom gegründet. Dieser BAK befürwortet israelische Angriffskriege jedweder Art, u.a. den Erstschlag gegen den Iran. Mit dieser Haltung macht sich DIE LINKE bei den Menschen in Deutschland unglaubwürdig, da die Antikriegshaltung im Parteiprogramm der Linkspartei verankert ist. Jedwede berechtigte Kritik an der Siedlungspolitik Israels, dem militanten Gebahren der israelischen Regierung und ihren Schergen wird vom BAK Shalom als Antisemitismus, Antizionismus und Antiamerikanismus bezeichnet.


Den französischen Linken ist es dagegen offenbar gelungen, ihre Partikularinteressen zurück zu stellen und sich auf die Artikulation und Veränderung von Lebenssituation vieler Menschen zu konzentrieren. Die dadurch entstehende breite Diskussion liefert die Grundlage für einen politischen Wechsel. Man darf gespannt sein, wieweit das trägt und ob es bei uns genügend Lernfähige gibt. Also blicke ich jetzt mal gespannt gen Westen zu unseren Nachbarn nach Frankreich und gehe der Frage auf den Grund, wie es um die "Front de Gauche" und deren Vorsitzenden Jean-Luc Mélenchon bestellt ist.

Der von Fabien Perrier am 21.03.2012 geschriebene und von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V (DGAP) veröffentlichte Artikel Front de Gauche: „Sieh an, es hat sich etwas verändert“  bietet eine Reihe interessanter Infos.

Hier das Programm der Front de Gauche, natürlich in Französisch, aber da muß ich nun durch und verloren geglaubte Sprachkenntnisse wieder aktivieren. Vielleicht haben ja die Franzosen ein brauchbares Modell gefunden, wie linke Politik machbar und zukunftsfähig sein könnte. In Europa sollten es die Franzosen wohl am besten können.

Jean-Luc Mélenchon, Sohn eines Algerienfranzosen, wurde 1951 in Tanger geboren. Er trat in die Sozialistische Partei ein, wurde mit 35 Jahren der jüngste Senator Frankreichs und später Minister im Kabinett von Lionel Jospin. 2004 missachtete er die Parteidisziplin und stimmte im Referendum gegen den Entwurf der europäischen Verfassung. Vier Jahre später verließ er die PS und gründete seine eigene Partei, die Parti de gauche. Diese schloss sich bei den Präsidentschaftswahlen mit den Kommunisten und einigen Splittergruppen zur Linksfront zusammen – mit Mélenchon als ihrem Kandidaten.

Hier der dazugehörende Artikel, veröffentlicht bei Welt Online am 4.06.2012:

Jean-Luc Mélenchon ist der neue Jakobiner (von Wolf Lepenies)hier bitte weiterlesen


Die Französischen Parlamentswahlen 2012 finden am 10. und die entscheidende Stichwahl am 17. Juni statt. Die "neue Linke" in Frankreich ist ein Zusammenschluß aus Radical de Gauche, den Grünen/Europe Écologie und den Sozialisten unter dem frisch gewählten französischen Präsident François Hollande. Ich empfehle die speziell dafür gemachte Wikipediaseite regelmäßig zu checken, bis alle Ergebnisse der ausgezählten Stimmen beider Wahltage und der sich daraus ergebenden Sitzverteilung eingetragen sind.
hier bitte weiterlesen


Dazu ein soeben veröffentlichter Artikel im Online-Magazin DER TAGESSPIEGEL vom 10.06.2012 21:07 Uhr:

"Linkes Lager gewinnt erste Runde der französischen Parlamentswahl" (afp) - hier bitte weiterlesen

 

Hier ein aktuellerer, veröffentlicht bei Welt Online von heute, 11.06.12

"François im Glück: Die Franzosen wählen ihr Parlament. Der sozialistische Präsident Hollande erringt nach einer Hochrechnung die Mehrheit" (von Sascha Lehnartz) – hier bitte weiterlesen

Ob Hollande bei der zu erwartenden starken Linken auf die Unterstützung der Front de Gauche / Linksfront angewiesen sein wird, wird sich in einer Woche zeigen. In jedem Fall wird es spürbare Veränderungen in Frankreich selbst geben, und diese werden auch Auswirkungen für Deutschland und Europa haben. Es bleibt also spannend!
 


 

Bei meiner Recherche habe ich den nachfolgenden Artikel in der Ausgabe 09-2011 des halbjährig erscheinenden Heftes  „transform!“ gefunden. Die „Europäische Zeitschrift für kritisches Denken und politischen Dialog transform!“ wird mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung publiziert.



Die „Front de Gauche“. Herausforderung einer echten dynamischen Volksbewegung

Von Dominique Crozat

Die Entstehung der „Front de Gauche“ („Linksfront“): ein Rückblick


Dass die Franzosen 2005 den europäischen Verfassungsvertrag durch ein Referendum ablehnten, weiß jeder. Dieser Erfolg war dem Umstand zu verdanken, dass es die antiliberalen Kräfte zum ersten Mal geschafft hatten, zusammenzuarbeiten und in der Bevölkerung eine echte Dynamik der Debatte und des Gedankenaustausches auszulösen. Sie gaben damit den Anstoß zu einer tiefgreifenden politischen Mobilisierung, an der sich nicht nur die linksradikalen politischen Parteien und eine Randströmung der Sozialistischen Partei, die sich schließlich zu einem Teil ganz von der Sozialistischen Partei (PS) löste und die „Parti de Gauche“ („Linkspartei“) gründete, beteiligten. Auch Gewerkschafter, Mitglieder sozialer Bewegungen und Globalisierungsgegner sowie Bürger, die sich bisher nicht an politischen Debatten beteiligt oder sich von ihnen distanziert hatten, nahmen an ihnen teil. So konnte das anfangs scheinbar Unmögliche geschehen. Der Erdrutschsieg war das Ergebnis einer Dynamik, die die gesamte Bevölkerung erfasste und die Debatten bis in die Betriebe und die Viertel der einfachen Menschen trugen, da sie sich mit ihren Alltagssorgen auseinandersetzten: Arbeitsplätze, Dienste der Daseinsfürsorge, Löhne, Demokratie, Frieden usw.

Dieser Sieg weckte Hoffnungen und spornte dazu an, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen. Zwei Jahre später versuchten einige derer, die sich am 2005 geführten Kampf beteiligt hatten, eine gemeinsame Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen vorzubereiten. Es gelang ihnen jedoch nicht, in der Bevölkerung eine entsprechende Dynamik auszulösen. Zwar konnte trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten ein Programm verfasst werden, das Aufstellen eines gemeinsamen Kandidaten erwies sich aber als unmöglich. Schließlich setzten sich parteipolitische oder, im Gegenteil, Parteipolitik ablehnende Reflexe durch. So ging die auf den gesellschaftlichen Umbau setzende Linke als eine gespaltene Formation ins Rennen und fuhr katastrophale Ergebnisse ein [1]. Dies rief bei denen, die sich eine gemeinsame Kandidatur erhofft hatten, Verbitterung und Verunsicherung hervor.

Die danach mit der Bildung der Front de Gauche („Linksfront“) geweckten Hoffnungen erhielten neuen Auftrieb, weil zum einen die Kommunistische Partei (PCF) beschlossen hatte, eine auf die Schaffung einer solchen Formation ausgerichtete Strategie zu verfolgen, und es zum anderen im linken Flügel der Sozialistischen Partei (PS) zu einer Spaltung gekommen war. Dieser linke Flügel hatte sich mit Jean-Luc Mélenchon an der Kampagne für ein NEIN in der Volksabstimmung zum europäischen Verfassungsvertrag beteiligt. Die Front de Gauche gründete sich zunächst auf einer Partnerschaft zwischen linken Parteien und Strömungen [2], die für einen gesellschaftlichen Wandel eintraten. Bei den Wahlen zum Europaparlament im Jahr 2009, den Regionalwahlen 2010 und den Kantonalwahlen 2011 bestand die Front de Gauche ihre Feuerprobe. Der Ausgang der ersten Wahlen [3] war zwar eher ermutigend, die Ergebnisse entsprachen aber bei weitem noch nicht den Erwartungen. Zudem war der Nichtwähleranteil sehr hoch.

Diese ersten Ergebnisse und das Trauma der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen von 2007 veranlassten die „Linksfront“ dazu, ihre Arbeit fortzusetzen. Angesichts der drängenden sozialen Probleme und der Notwendigkeit, mit Hilfe einer sozialen Bewegung einen politischen Ausweg aus der Lage zu finden, erschien der Aufbau einer solchen Formation dringender als je zuvor. Trotz ihrer Stärke stößt diese gesellschaftliche Bewegung auf taube Ohren. Dies wurde im Zusammenhang mit der Rentenreform vom Herbst 2010 deutlich, als 3,5 Millionen Demonstranten durch die Straßen zogen. Es wurde ein „gemeinsames Volksbewegungsprogramm“ ausgearbeitet, für die Präsidentschaftswahl ein gemeinsamer Kandidat designiert und im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Mai und Juni 2012 die Kandidaten der Front de Gauche gekürt. Jean-Luc Mélenchon gelang es dabei auf Anhieb, seine Kandidatur als unverzichtbaren Schritt durchzusetzen. Die überwiegende Mehrheit der Anhänger der PCF verstand es, nachdem sie die Lehren aus der Spaltung von 2007 gezogen hatte, ihre zögerliche Haltung abzulegen und Jean-Luc Mélenchon als Präsidentschaftskandidaten zu bestimmen.


Die Herausforderungen für die „Linksfront“


Es wird kein leichter Weg werden. Die Front de Gauche ist eben nicht Die Linke. Sie könnte es auch nicht werden, ohne einen Teil dessen aufzugeben, was ihre Besonderheit ausmacht. Die Partner des Bündnisses unterscheiden sich nämlich nach der Anzahl ihrer aktiven Mitglieder [4], ihrer Geschichte und ihrer politischen Kultur. Letztere reicht von der Sozialdemokratie bis zum linksextremen Lager. Weitere Unterschiede liegen in ihren Ausrichtungen in Bezug auf wichtige Themen und in ihrer jeweiligen Verankerung in der Gesellschaft begründet. All dies wollen sie nicht einfach unter den Teppich kehren. Im Übrigen - und das ist alles andere als unwichtig – kann diese Vielfalt zur Keimzelle einer echten dynamischen Volksbewegung werden, wenn die parteipolitischen Reflexe erst einmal abgelegt worden sind. Die politischen Strömungen, aus denen sich das Bündnis zusammensetzt, sind nämlich noch zu häufig von derartigen Reflexen gekennzeichnet. Diverse Kräfte der Alternativen Linken sowie der Sozial- und Gewerkschaftsbewegung haben sich der Formation angeschlossen. Bürger, die lange Zeit von der Parteipolitik enttäuscht waren, können sich zwar voll und ganz mit der Dynamik einer geschlossenen Front-Formation identifizieren. Dagegen würden sie in einer parteipolitischen Struktur nie ihren Platz finden. Genau darin besteht eine der größten Herausforderungen, denen sich die Front de Gauche gegenübersieht: Sie muss einen Beitrag zur Entstehung einer echten Volksbewegung leisten, die für eine Politik der gesellschaftlichen Transformation eintritt. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Linksfront vor allen Dingen eine Bürgerfront ist, die diesen Prozess ins Rollen bringen soll und die ihren Rückhalt unter Menschen mit linker Gesinnung findet. Mit eben dieser Geisteshaltung werden auch die Ortsgruppen aufgebaut.

In Frankreich und vielen anderen Ländern hat die soziale Bewegung bewiesen, dass sie Menschen durchaus für ihre Ziele zu mobilisieren versteht. Die Menschen hegen tiefe Ressentiments gegen die gravierenden sozialen Ungerechtigkeiten der Reformen, die das regierende bürgerliche Lager ihnen aufgezwungen hat. Die liberale Politik und das liberale Modell stoßen auf immer größere Ablehnung, jedoch ist nirgendwo eine Alternative zu erkennen. Diese Feststellung trifft für fast ganz Europa zu. Jedes Mal, wenn nach großen gesellschaftlichen Unruhen Wahlen stattfanden, offenbarten deren Ergebnisse die Kluft zwischen der Ablehnung des Liberalismus und dem Willen, für soziale Belange zu kämpfen und sich für Alternativen einzusetzen. Der bei den französischen Kantonalwahlen von 2011 ermittelte sehr hohe Nichtwähleranteil in der Schicht der einfachen Leute und das von der Front National erzielte Wahlergebnis stellen daher besorgniserregende Vorzeichen dar. Die Verschärfung der Krise und die massive Ablehnung der Rentenreform haben die Kräfteverhältnisse jedoch nicht erkennbar zu Gunsten der auf gesellschaftliche Transformation setzenden Linksparteien verändert.

Es gibt also viel zu tun, um die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu überwinden und der sozialen Bewegung eine politische Dynamik zu verleihen. Diese Dynamik muss mit dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit, der Ablehnung des Liberalismus und politischen Antworten verknüpft werden. An sozialen Auseinandersetzungen hat es in den letzten Jahren wahrlich nicht gemangelt. Wenn es dabei aber um die großen sozialen Fragen ging, standen die Kämpfer meistens „mit dem Rücken zur Wand“ und scheiterten an der liberalen Offensive.

Um wieder aus der Sackgasse herauszufinden, müssen die Sozialbewegungen direkt auf dem politischen Terrain aktiv werden, sich den liberalen Ausrichtungen widersetzen und die Alternativlösungen ins Rampenlicht der politischen Bühne rücken. Man kann heutzutage einfach nicht mehr davon ausgehen, dass es genügt, den politischen Parteien zu vertrauen, damit sie die sozialen und gewerkschaftlichen Anliegen verfechten, als deren Verteidiger sie sich ausgeben. Dass man dieser Frage nicht ausweichen kann, wird daran deutlich, dass nicht nur das Scheitern der Periode des „Gemeinsamen Parteiprogramms“ von 1972, sondern auch die Jahre der Präsidentschaft von Mitterrand und Jospin [5] zu einer Desillusionierung geführt und Politikverdrossenheit hervorgerufen hatten. Andere, jüngere Erfahrungen deuten in dieselbe Richtung: In Bezug auf die Rentenreform unterscheidet sich das Programm der Sozialisten im Grunde genommen kaum von dem, was die Regierung zusammen mit den Arbeitgebern umgesetzt hat. Weite Teile der öffentlichen Meinung bringen die linken Parteien heutzutage kaum noch mit sozialem Fortschritt, sozialer Gerechtigkeit oder der Verteidigung der Interessen der einfachen Menschen in Verbindung.

Gewerkschaften und soziale Bewegungen misstrauen der Politik und haben sich von ihr distanziert. Zwischen den beiden Seiten, die ihre jeweilige Rolle durchaus angenommen haben, besteht eine tiefe Kluft, die jedwede Interaktion mit eventuellen Alternativen erheblich erschwert.

Nach Ansicht eines wachsenden Teils der Bevölkerung hat das neoliberale Modell heutzutage zum Teil seine Legitimität verloren. An den meisten Orten Europas zeigen die Menschen ihre ablehnende Haltung gegenüber diesem ungerechten und auf Ungleichheit gründenden System. Allerdings hat sich überall eine gewisse fatalistische Stimmung ausgebreitet. Die Leute zweifeln an der Möglichkeit, dass es eine Alternative zu dieser Politik geben könnte. Die sozialdemokratische Linke selbst bestätigt die Auffassung von der Ohnmacht der Politik gegenüber der Ökonomie. [6] Im Programm der Sozialistischen Partei wird die liberale Globalisierung akzeptiert. François Hollande, der bei den „sozialistischen Vorwahlen“ zur Bestimmung des Kandidaten der PS für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2012 antritt, spricht seinerseits von „Realismus“ und „Vernunft“, ja sogar von „Strenge“. Seine Aussagen zum Thema Schuldenabbau sind stark an den sozialliberalen Diskurs angelehnt.


Überwindung der Kluft zwischen der sozialen Thematik und der Politik


Die Überwindung der Kluft zwischen dem „Sozialen“ und dem „Politischen“ wird in Anbetracht der Krise und ihrer für die Gesellschaft immer belastender werdenden Folgen zu einer entscheidenden Herausforderung. Will man alle existierenden politischen Strömungen - bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Identität und Eigenständigkeit - bündeln, so verlangt dieser Vorgang von jedem Einzelnen die Bereitschaft, sich selbst schonungslos infrage zu stellen. Dies setzt voraus, dass man sich von der Vorstellung der Überlegenheit des Politischen verabschiedet und eine neue Auffassung von der Rolle und dem Platz der Parteien entwickelt. Vor allem in der Kommunistischen Partei hat man diese Arbeit bereits in Angriff genommen. Die sozialen Bewegungen können sich ihrerseits nicht auf den sozialen Bereich beschränken. Angesichts ihres Vordringens in die politische Arena müssen sie ihre Forderungen in die öffentliche Debatte einbringen.

Die Front de Gauche ist aufgefordert, den gesellschaftlichen Erwartungen mit klaren Antworten gerecht zu werden. Sie soll mit den Kräften der sozialen Bewegung einen Dialog auf Augenhöhe führen, um Alternativvorschläge zu erarbeiten, die im Widerspruch zur liberalen Logik stehen. Wenn die Linksfront sich der Probleme der sozialen Unsicherheit annimmt, vor allem Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Armut, Angst vor dem sozialen Abstieg sowie Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten verschiedenster Art, wird sie sich wieder um die Anliegen der einfachen Menschen kümmern, die man zu lange sich selbst überlassen hatte. Da ein wachsender Teil der „Mittelschicht“ sich in seiner Existenz bedroht sieht und verarmt, erscheint diese Vorgehensweise umso notwendiger.

Sollte die Front de Gauche diesen Weg nicht beschreiten, wird die Front National den Protest gegen die soziale Ungleichheit für sich in Wählerstimmen ummünzen und dadurch das Thema der „sozialen Frage“ besetzen. Sarkozy und seine Anhänger werden gleichzeitig den Fremdenhass und das Gefühl der Unsicherheit der Bürger anheizen und ausnutzen, um daraus einen ihrer Hebel für den Machterhalt zu schmieden.

Wenn die Front de Gauche bei all diesen Fragen in die Offensive geht und den Kräften der gesellschaftlichen Bewegung in ihren Reihen den notwendigen Platz einräumt, wird sie in der Lage sein, jene Glaubwürdigkeit zu gewinnen, die ihr heute noch fehlt, um die Umwandlung der Gesellschaft und den Bruch mit den kapitalistischen Denkweisen zu Schwerpunktthemen der öffentlichen Debatte zu machen. Die Linksfront muss ein Programm sowie Wege und Instrumente für die angestrebten Veränderungen präsentieren und ihrem Vorhaben die entsprechende Dynamik verleihen. Bei der Vorstellung des „gemeinsamen Volksbewegungsprogramms“ für die Wahltermine 2012, die anlässlich der „Fête de l’Humanité“ im vergangenen September stattfand, wurden übrigens 75.000 Exemplare des Programms mit dem Titel „Der Mensch steht an erster Stelle“ verkauft. Die Vorschläge sollen dazu beitragen, Resignation und Fatalismus zu überwinden. Der Erfolg zeugt vom ermutigenden Anfang einer dynamischen Entwicklung.

Vor diesem Hintergrund kam es zu einem bemerkenswerten Ereignis. Bislang galt es im Allgemeinen als gesichert, dass auf Grund der 1958 verabschiedeten Verfassung der Fünften Republik der Senat (die zweite Parlamentskammer) niemals zu einer Mehrheit linksgerichteter Parteien umschwenken könne. Trotz eines für die konservativen Parteien maßgeschneiderten Wahlsystems stimmten die sogenannten „Wahlmänner“, also Lokalpolitiker und Abgeordnete, bei den Senatswahlen am 25. September dieses Jahres zum ersten Mal für eine Mehrheit linker Parteien. Die Gründe dafür waren die Gespaltenheit des konservativen Lagers, die ablehnende Haltung gegenüber der Regierungspolitik und die Wut der Lokalpolitiker über die Angriffe auf die lokale Demokratie. Außerdem spielte die finanzielle Strangulierung der Gebietskörperschaften und der Dienste der Daseinsfürsorge eine Rolle. Auch wenn man die 72.000 „Wahlmänner“ nicht mit der überwiegenden Mehrheit der Wählerschaft gleichsetzen kann, ist dieser Umschwung doch ein Hoffnungszeichen für die 2012 anstehenden Wahlen. Das erste positive Ergebnis besteht darin, dass die „goldene Regel“ (in der Verfassung festgeschriebenes Verbot von Haushaltsdefiziten) nicht verabschiedet werden kann; es sei denn, die Sozialisten stimmen dafür. Damit dieser Umschwung aber zum Ausgangspunkt einer tatsächlichen Alternative werden kann und einem einfachen, einer Niederlage gleichkommenden Machtwechsel vorgebeugt wird, ist es erforderlich, dass die Front de Gauche in die Offensive geht. Des Weiteren müssen die Sozialbewegungen ihre Forderungen mitten in den Senat hineintragen. Letzterer muss von nun an zu einem Ort werden, an dem Widerstand gegen die Politik des Sozialabbaus geleistet und ein Gesinnungswandel herbeigeführt wird.

Die Front de Gauche trägt eine große Verantwortung für die Schaffung einer echten dynamischen Volksbewegung, innerhalb derer jeder seinen Platz finden, sich einbringen, überall Bürgerinitiativen verschiedenster Art unterstützen und somit dem Land neue Hoffnung auf eine linke Politik machen kann. Das setzt jedoch voraus, dass die Parteien, die die Linksfront gründeten, sich von parteipolitischen Denkweisen trennen. Diese sind unter ihnen heute noch sehr stark ausgeprägt. Seit Bürger und soziale Bewegungen umfassend in den Ortsgruppen vertreten sind, brachten sie ihre ersten Initiativen auf den Weg. Mit ihrer Hilfe und dank der öffentlichen Stellungnahmen von Protagonisten der gesellschaftlichen Bewegung sowie der Durchführung von Gesetzes-Workshops, in denen gemeinsam Gesetzentwürfe ausgearbeitet und das politische Projekt umgesetzt werden sollen, kann die Entwicklung einer echten Politik der gesellschaftlichen Transformation eine dynamische Wirkung entfalten. Wir stehen noch ganz am Anfang. Es wird ein steiniger Weg werden, aber er scheint erfolgversprechend zu sein.



[1] PCF (Kommunistische Partei Frankreichs, KPF): 1,93 Prozent; LCR (Revolutionäre Kommunistische Liga, die stets eine gemeinsame Kandidatur ablehnte): 4,08 Prozent; José Bové: 1,32 Prozent; Les Verts (Die Grünen): 1,57 Prozent; PS (Sozialistische Partei): 25,87 Prozent; gemäßigt konservatives Lager: 18,57 Prozent; FN (Nationale Front): 10,44 Prozent; konservatives Lager (Sarkozy): 31,18 Prozent.

[2] Kommunistische Partei Frankreichs (PCF); Linkspartei (Parti de Gauche) von Jean-Luc Mélenchon; Die Vereinigten Linken (Gauche Unitaire), ein Bündnis aus Aktivisten, die sich von der Revolutionären Kommunistischen Liga (LCR), einer trotzkistischen Bewegung, getrennt hatten.

[3] Die Front de Gauche erhielt bei den Europawahlen 6,3 Prozent und bei den Regionalwahlen in den Regionen, in denen sie zur Wahl stand, 6,95 Prozent; bei den Kantonalwahlen erhielt sie in den Kantonen, in denen sie 2011 antrat, 10,38 Prozent der Stimmen.

[4] Circa 130.000 Mitglieder in der PCF, 8.000 in der Parti de gauche (Linkspartei), allenfalls einige Hundert Mitglieder in der Gauche Unitaire (Die Vereinigten Linken).

[5] François Mitterrand, Sozialist, Präsident der Republik von 1981 bis 1995. Lionel Jospin, sozialistischer Premierminister von 1997 bis 2002.

[6] Cf. Erklärung von Lionel Jospin, damals sozialistischer Premierminister, zum Personalabbau bei Michelin, den der Konzern 1999 zur Steigerung seines Aktienkurses durchführte.
 

 


 

Es wäre schön, wenn wir hier im Kritischen Netzwerk über die Thematik diskutieren könnten. Selbstverständlich sind auch mitlesende Genossen_Innen der Partei DIE LINKE. herzlichst eingeladen, sich daran auf konstruktive Weise und in dem hier herrschenden "guten Ton" zu beteiligen.

 

Helmut Schnug - Administrator