Den nachfolgenden Beitrag habe ich auf dem Wiki der Infogruppe Ulm gefunden, wo er vom Autor mit dem Pseudonym „gext“ veröffentlicht wurde.
Gedanken zur Gesellschaft
- Gefühle?
In einer Welt, die uns ständig glücklich lächelnde Werbemodels zeigt, in der Produkte "niceday" oder "Happy Cola" heißen, in der das Fernsehen uns alltäglich emotionsgeladene Filme und Serien vorspielt, sollten wir annehmen, sehr gefühlvolle Menschen anzutreffen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: ausdruckslose, gleichgültige Gesichter säumen den Weg. Man könnte fast zur Einsicht kommen, dass die Welt nur noch von abgestumpften, toten Maschinen bewohnt wird. Der letzte Rückzugsort von Gefühlen scheint die Marketing- und Unterhaltungsindustrie zu sein, die uns mit deren Hilfe vorgaukelt durch Konsum ein glücklicheres Leben führen zu können. Wie konnte es soweit kommen? Wie konnten die Menschen unserer Gesellschaft die wesentlichen Elemente ihres Menschseins verlieren? Wie konnten Spontanität, Kreativität, Humor, Glück, Leid und Liebe verloren gehen?
Diese Fragestellung mag übertrieben wirken, weil wir im Alltag sehr wohl Gefühlsäußerungen beobachten können. Aber ist ein aufgesetztes Lächeln Ausdruck von Freude? Ist ein diskriminierender Witz Humor? Ist Händchenhalten Liebe? Ist das gegenseitige Aufrechnen von Gefallen Freundschaft? Mir scheint es wahrscheinlicher, dass es sich hierbei um Überbleibsel von Gefühlen oder trainierte Verhaltensweisen handelt, die genutzt werden, um eigene Bedürfnisse besser durchsetzen zu können. Auffällig ist auch, dass andere Verhaltensmerkmale überhaupt nicht mit den geäußerten Gefühlen übereinstimmen. So passt beispielsweise eine Ausdrucksweise, die versucht den anderen zu verändern, über ihn urteilt und ihm Unterstellungen macht, nicht in eine Liebesbeziehung.[3] Es kann somit zwischen oberflächlichen Gefühlsregungen und einem echten Gefühl, welches eine Person als ganzes erlebt und ausdrückt, unterschieden werden. Die Frage nach dem Verschwinden der Gefühle bezieht sich auf die echten Gefühle.
- Waren?
Wir haben uns in Waren verwandelt. Alle Energie verwenden wir darauf, unseren Wert zu steigern, um ein möglichst gutes Geschäft mit unserer Persönlichkeit auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen.[1] Wir passen uns an die Bedingungen, die uns von Arbeitgebern und dem Markt vorgegeben werden, an. Ständig müssen wir unser "Funktionieren" beweisen, um der sonst drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen. Doch dieser Wettstreit ist für viele Menschen aussichtslos, weil es insgesamt nicht genug Arbeitsplätze gibt. Arbeitslos werden also diejenigen, die nicht so gut angepasst sind, die schlechter bewertet werden oder die nach aktueller Ansicht nicht so "leistungsfähig" sind. Arbeitslosigkeit ist deshalb keine Folge persönlichen Versagens. Das Unglück der Arbeitslosigkeit entsteht nicht aus ihr selbst, sondern aus dem fehlendem Einkommen, der daraus folgenden Einschränkung der Freiheit, der sozialen Herabwürdigung, sowie der erniedrigenden Behandlung durch die Behörden.
Sind wir im Wettstreit dagegen erfolgreich, so erhalten wir einen angesehenen Arbeitsplatz und entsprechenden Status. Wir fühlen uns als nützliches Element der Gesellschaft und unser Selbstwert steigt. Für unsere Arbeit erhalten wir außerdem einen Lohn, der uns einen bestimmten Lebensstandard ermöglicht. Dieser materielle Wohlstand wird vom sozialen Umfeld regelrecht erwartet, sonst gerät man leicht in Gefahr als geizig zu gelten. Gleichzeitig bedeutet eine Gewöhnung an diesen Lebensstandard, dass eine Furcht entsteht, diesen zu verlieren. Die Entscheidungsfreiheit wird so erheblich eingeschränkt, weil immer genug Geld für den gewohnten Luxus vorhanden sein muss. Außerdem umgibt uns ständig der Neid anderer Personen und die Furcht um unseren Wohlstand betrogen zu werden. Deshalb ist es für wohlhabende Personen wesentlich schwieriger fremden Menschen zu vertrauen. Jemand der nichts besitzt, braucht nicht zu befürchten betrogen zu werden. Für Betrüger stellt er, im Gegensatz zu Wohlhabenden, keine lohnenswertes Ziel dar.
Auch in unseren Beziehungen zeigt sich das Prinzip des Menschen als Ware. Wir schätzen unseren Tauschwert für Partnerschaften nach der gesellschaftlichen Norm und tun das selbe für unsere möglichen Partner. Die Partnerschaft kommt dann zustande, wenn beide Personen glauben, einen für ihren Tauschwert angemessenen Partner gefunden zu haben. Die aktuelle gesellschaftliche Norm bezieht sich besonders auf Aussehen, Status und wirtschaftliche Verwertbarkeit. Wir sind also darauf bedacht, unsere Attraktivität in diesen Faktoren zu steigern. Im Vordergrund steht also nicht selbst zu lieben, sondern das Begehrt-Werden bzw. das Geliebt-Werden.[2]
Auch Freundschaften unterliegen diesem Mechanismus. Dies äußert sich häufig schon dadurch, dass es nicht um die Personen als Menschen geht, sondern ein bestimmter Zweck verfolgt wird. Kommt es dann dazu, dass uns viel Hilfe, Geduld oder ähnliches abverlangt wird, so fühlen wir uns genervt oder ausgenutzt. Wir führen ein virtuelles Konto, auf dem wir für jede Person unser Geben und Nehmen still protokollieren, um bei kontinuierlichen "Abbuchungen" Alarm zu schlagen oder die andere an unsere große Gabe zu erinnern.
- Bedeutungen
Für jeden der angeführten Bereiche kann folgendes herausgearbeitet werden: Es liegt ein tragisches Missverständnis über die Bedeutung der verwendeten Begriffe vor.
Liebe bedeutete von je her mit Freude zu geben und nicht liebenswert zu erscheinen.
Arbeit, oder eindeutiger noch der Begriff Handwerk, stand für eine Tätigkeit als Ausdruck menschlicher Kräfte. Wird die Arbeiterin/Handwerkerin abhängig, fehlt ihr jeglicher Sinn, weiß sie nicht mehr zu welchem Zweck sie produziert, so wurde dies schon von Marx als entfremdete Arbeit bezeichnet.
Freundschaft beruht auf Zuneigung, Vertrauen, gegenseitiger Wertschätzung und Anteilnahme. Werden Gefallen aufgerechnet und gegenseitige Vorteile gesucht, so handelt es sich nicht um Freunde, sondern um Geschäftspartner.
Bildung kann sich jeder nur selbst zu eigen machen. Bildung ist Arbeit an sich selbst und Selbstzweck. Bekommt man eine Fertigkeit vermittelt oder lernt für einen Abschluss, so handelt es sich um Ausbildung.
Quellen:
[1]: Buch Erich Fromm - Haben oder Sein
[2]: Buch Erich Fromm - Die Kunst des Liebens
[3]: Buch Marshall B. Rosenberg - Gewaltfreie Kommunikation
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