Geheimnisse, die keine sind und wie man sie dennoch zu wahren sucht

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Geheimnisse, die keine sind und wie man sie dennoch zu wahren sucht
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Geheimnisse, die keine sind 

        
                                          .. und wie man sie dennoch zu wahren sucht


Der NSA-Untersuchungsausschuss will Vorkehrungen treffen, seine Beratungen möglichst unbeobachtet und diskret führen zu können. Dazu schreckt er nicht davor zurück, abhörsichere Telefone zu fordern. Das ist mutig, wirkt beinahe schon wie ein technischer Aufstand gegen seinen Untersuchungs-Gegenstand, und dennoch dünkt es ein wenig hilflos. Ebenso wie die Überlegung, zu Krypto-Schreibmaschinen Zuflucht nehmen zu wollen. Zurück zur guten alten Enigma, längst geknackt und entzaubert!? Das wäre nun wirklich nicht nötig. Denn was er zu untersuchen haben wird, ist ein offenes Geheimnis: Es gibt keine Geheimnisse für den größten Geheimdienst der Welt. Die USA wissen so ziemlich alles, was sie wissen wollen. Nur das Wichtigste nicht: Wie lange lassen sich die Menschen daheim und in aller Welt die Arroganz ihrer Macht noch gefallen?

 
Ihr eigenes Geheimnis bleibt allenfalls, wer wann wie erfährt, wessen sie sich so sicher sein können: Dass die Bundesrepublik ihnen in unverbrüchlicher Treue zur Seite steht, egal was sie tun und lassen. Nicht weil die so devot oder abhängig ist von den Verbündeten, sondern weil sie seit Anbeginn in deren Windschatten so elegant und unerkannt gesegelt ist. Emporgekommen aus der Schmach des Paria der Menschheit, wundersam auferstanden aus dem Schutt des verlorenen Weltkrieges und dem Schmutz der unsäglichen Shoa, konnte sich im westlichen Deutschland all das wieder aufrappeln, was im östlichen keinen Platz mehr haben sollte: Vom ranghöchsten Kriegsverbrecher-Pack bis zu den schmierigsten Blockwart-Mitläufern. Plötzlich wieder gebraucht und umworben, eingebunden als westliches Bollwerk gegen den Osten, endlich "angekommen" auf der "richtigen" Seite der Weltgeschichte: Als Imperialismus unter Imperialisten, befreit vom Stigma der ewigen "Mittelmacht", die zweimal vergeblich gegen die Entente und wider die Allierten aufbegehrt hatte, um Europa so umzumodeln, wie sie bzw. ihre Nachfolger es heute haben, ohne dass ein einziger Schuss gefallen wäre. Das soll den Deutschen mal einer nachmachen!
 
Die USA wissen das zu schätzen. Dennoch sagen sie mit Lenin: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Sie haben sich dieses Recht auf Kontrolle sogar schriftlich geben lassen, und nutzen es bis heute. Sie würden es gewiss auch ohne Erlaubnis tun. Auch das ist kein Geheimnis: Legal, illegal, scheißegal. So tickt der "Rechtsstaat" USA, oder wie die Bayern sagen würden: Wer ko, der ko. Kleinlichen Bedenken von wegen Bürgerrechten waren ihre Sache nie. So haben sie letztlich den Kalten Krieg gewonnen. Und Deutschland hat – nicht zu vergessen – am meisten davon profitiert. Was gäbe es an Gründen für dessen Kapitaleigner und Krisengewinnler, diese komfortable Kumpanei aufzukündigen? Die herrschenden Eliten verdanken ihr doch ihre wieder erlangte Macht. Das hat wenig mit gefühlsduseliger Dankbarkeit, sondern mit objektiven Interessenslagen zu tun. Die sind strategisch definiert, obschon sie dem "Nationalstolz" widersprechen mögen: Es ist die Geschäftsgrundlage. Und das Geschäft ist die Hauptsache. Es funktioniert eben nur so. Wie in einer Räuberbande: Man nimmt sich nicht die Butter vom Brot. Klar hat der Räuberhauptmann den Hut auf. Solange die Raubzüge gelingen, ist der Tribut an ihn unumstrittene Pflicht.
 
Doch je mehr die wirtschaftlichen Interessen zu divergieren beginnen, umso schneller tun sich strategisch-politische Gräben auf. Die deutsche Dominanz in Europa bleibt immer noch eine regionale gegenüber der globalen Dominanz der USA. Sie wird von jenen auch gewollt und gefördert, nicht zuletzt gegenüber dem etwas aufmüpfigeren, zumal ökonomisch schwächeren Frankreich. Innerhalb der EU mag das zu Spannungen führen, vor allem mit Großbritannien, dem traditionellen Brückenkopf der USA, den diese aber längst nicht mehr so brauchen und schätzen wie früher. Der geostrategische Masterplan bedarf keines verstaubten Commonwealth mehr, sondern ist auf stete NATO-Osterweiterung ausgerichtet. Frankreich, Deutschland, Polen, das führt in die Ukraine, um direkt vor der russischen Grenze zu stehen: Ein Rollback in historischem Ausmaß. Das größte Land Eurasiens scheint heute wieder dort angekommen, wo es einst Alaska seinem späteren Erzrivalen verkauft hat.
 
Der Ritt auf dem Bären ist für die USA nichts neues. Das biblische Wort "Macht euch die Erde untertan" wurde von Anfang an wörtlich genommen. Europäische Siedler rissen sich das Land der Indigenen unter den Nagel, bis sie dasselbe dann als "Amerikaner" mit den Geschicken der ganzen Welt versuchten. Der Antiterror-Krieg mutet an wie ein letzter Versuch, eine Dominanz auf tönernen Füßen abzusichern, bevor aufstrebende Konkurrenz das Devisen-Monopol infrage stellt, jedes Fass verkauften Erdöls in US-Dollar abzurechnen. Die hegemoniale US-Politik scheint nicht nur auf alleinige Weltherrschaft aus, sondern auch den eigenen Niedergang zu kalkulieren. Man kennt das vom Deutschen Reich. Ein Vabanque-Spiel, das nicht aufging. Die prekäre ökonomische Lage zwingt dazu, alles auf Krieg zu setzen, um den großen hausgemachten Crash immer wieder hinauszuzögern. Nur durch weltweite Militärpräsenz gelingt es eine Wirtschaftsordnung global aufrecht zu erhalten, die die absolute Vorherrschaft des Systems der Profitmaximierung für den Westen scheinbar unbestreitbar garantiert. Dass dabei die eigens formulierten Spielregeln (Demokratie, Menschenrechte, Völkerrecht) über Bord gehen, gilt den Herrschenden als unvermeidlicher Kollateralschaden. Sie können so oder so. Andere Staaten und Staatenverbünde können auch, so oder so.
 
Würde China seine US-amerikanischen Staatsanleihen über Nacht auf die Weltbörsen werfen, wäre Schluss mit lustig. Die Vereinigten Staaten wären pleite und könnten ihre bewaffnete Flotte ohne Sold und Sprit einmotten. Nur atomar getriebene Flugzeugträger würden noch auf den Weltmeeren dümpeln, allerdings ohne Flugzeugbewegungen. Ebenso wäre es, wenn sich die BRICS-Staaten und erdölproduzierende Länder verabreden würden, ihre Öl- und Gas-Geschäfte fortan in anderen Währungen abzuwickeln. Damit sie das nicht tun, wird weiter gerüstet, gedroht und Einkreisungspolitik betrieben, aktuell mit der Ukraine gegen Russland. Getreu der deutschen Weltkrieger-Erkenntnis: "Wer Kiew hat, kann Russland zwingen".
 

Der Krieg ist die großzügigste und wirkungsvollste ‘Reinigungskrise zur Beseitigung der Überinvestition’, die es gibt.

Er eröffnet gewaltige Möglichkeiten neuer zusätzlicher Kapitalinvestitionen und sorgt für gründlichen Verbrauch und Verschleiß der angesammelten Vorräte an Waren und Kapitalien, wesentlich rascher und durchgreifender, als es in den gewöhnlichen Depressionsperioden auch bei stärkster künstlicher Nachhilfe möglich ist.

So ist der Krieg das beste Mittel,
um die endgültige Katastrophe des ganzen kapitalistischen Wirtschaftssystems immer wieder hinauszuschieben.
Ernst Winkler
Theorie der natürlichen Wirtschaftsordnung, 1952

 

Gleichzeitig mit der Sanktions-Offensive wird die Autarkie intensiviert und ins Fracking investiert. Die Ideen gehen in die Tiefe, bis ins Unterirdische im wahren Sinne des Wortes: Schieferöl-Gewinnung auf heimischem Territorium. Als wolle man dem Peak Oil entkommen, indem man sich den Boden unter den eigenen Füßen kontaminiert. Für die europäischen Länder ist dieser "letzte Versuch", die Haare lila zu färben bzw. giftgrüne drüberzukleben, um der chronischen Energie-Abhängigkeit von schwer zu kontrollierenden Weltregionen zu entkommen, keine Option. Über den Atlantik verschiffbar wären nennenswerte Gasmengen nur überteuernd kühlverflüssigt, wofür weder ausgereifte Technologie noch ausreichend Bruttoregistertonnage-Kapazitäten zur Verfügung stünden. Also wird es vorerst beim Pipeline-Import über Land bleiben müssen. Selbst will man sich die Landschaften nicht so bedenkenlos verschandeln im umweltbewussteren Europa. Daraus könnte tatsächlich der Streit um einen mittelfristigen Strategiewechsel der EU-Staaten gegenüber den USA erwachsen und zu einer Machtverschiebung von den Transatlantikern hin zu den Eurozentrikern führen. Ob und wieweit diese den Bruch mit den USA riskieren, bleibt ein Geheimnis, das die Zukunft birgt, das also auch die NSA noch nicht gelüftet haben wird, bevor's die Zeit erweist. Überhaupt sind die sichesten Geheimnisse jene, die offen zutage liegen: Man redet nicht darüber. Man tut es: Heimlich, still und leise.
 
Entsprechend ambivalent gestalten sich die Eiertänze der Bundesregierung in Fragen NSA wie Ukraine-Politik: Ein bisschen aufmucken gegen die USA, ein bisschen zurückzucken bezüglich allzu offensiver Brüskierung Russlands. Man laviert so hin und her im Wiegeschritt zwischen Sanktionsdrohungen und Verhandlungen Richtung Osten. Gleichzeitig bricht man die TTIP-Verhandlungen (mehr zu TTIP hier und hier) Richtung Westen nicht ab, sondern fordert nur den Abzug des Oberspions. Nicht einmal der US-Botschafter wurde formell einbestellt, sondern lediglich zu Konsultationen gebeten. Noch scheinen also die bekannten Prämissen gültig.
 
Wielange sie noch überwiegen und die Oberhand behalten, wird auch der geheimste Ermittlungsausschuss nicht zu Tage fördern. Am besten dürfte daher sein, der Ausschuss träfe sich so geheim, dass nicht mal seine verschwiegensten Mitglieder davon erführen. Dann könnten sie auch nichts ausplaudern. BND und Bundeswehr auflösen, dann wäre auch von dort nichts mehr zu erfahren! Höchst rätselhaft bliebe freilich, wer das bewerkstelligen sollte. In heller Empörung wallende Nationalisten würden sowas gewiss niemals tun. Also Vorsicht mit Forderungen nach einer Einladung Snowdens! Seine Sicherheit wäre, so wie es heute hierzulande aussieht, keinesfalls gewährleistet. Die BRD ist so löchrig wie ein Schweizer Käse: Von Korruption zerfressen, von Maulwürfen untergraben, mitsamt ausgelaugtem Grundgesetz und einer Großen Koalition, so hohl wie die Reichstagskuppel.

Was fehlt, ist Opposition, nicht nur im Parlament: Demokratische, soziale, friedenspolitische Opposition. Es gibt sie nur marginal. Auch das ist kein Geheimnis. Es lohnt sich kaum zu spioniern. Das sagen wir denen aber nicht.

Wolfgang Blaschka, München
 



Bild- und Grafikquellen:
 

1. "YES WE SCAN! And there`s nothing you can do about it". NSA Scandal Caricature. Urheber: Pascal Kirchmair. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

2. Feindbild böser Russe: Wladimir Putin and Russian bear vs. USA, NATO and EU. Grafik-Urheber: David Deese, commercial artist, Oregon/USA. > Webseite > Infos zu David Dees

3.  Uncle Sam ist die bekannteste Nationalallegorie der Vereinigten Staaten. Er war eine verbreitete Werbefigur, wurde aber seit 1961 durch Senatsbeschluss offiziell anerkannt. Uncle Sam wird weltweit verstanden und benutzt. Außerhalb der USA ist Uncle Sam eine Karikatur dieses Landes und die Nennung des Namens Uncle Sam ist ausreichend zur personifizierten Kritik an Regierung und Kultur der Vereinigten Staaten. Uncle Sam ist ein hagerer, älterer Mann mit weißer Hautfarbe, weißem Haar, Ziegenbart und meist ernster Mimik. Er trägt die Nationalfarben der USA am Körper, ein dunkelblaues Jackett mit rot-weiß gestreifter Hose. Sein Zylinder ist meist mit den Stars and Stripes verziert.

Die Figur geht auf die Zeit des Britisch-Amerikanischen Krieges von 1812 zurück. Namensgeber soll Samuel Wilson III (1766–1854), ein Hersteller von Fleischkonserven in Troy, New York, gewesen sein. Das heute bekannte Aussehen verdankt Uncle Sam dem Graphiker James Montgomery Flagg, der Uncle Sam im Ersten Weltkrieg für das Militär werben ließ. Seine I Want You for U. S. Army-Version der Gestalt ersetzte eine frühere von Thomas Nast.

Die hier im Artikel gezeigte Illustration ist von Alexander Kiss / pixelquelle_harlekin_cartoon. Quelle: Pixelio.de