Guantanamo – und kein Ende?

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Guantanamo – und kein Ende?
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Guantanamo – und kein Ende?

von Norman Paech

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ist Guantanamo Bay das Auffang- und Endlager für Terrorverdächtige aus der ganzen Welt, die der CIA in die Fänge geraten sind. Derzeit sind es noch 132, die zumeist ohne Anklagen und Prozesse dort in Käfigen gehalten werden. Mitarbeiter vom Roten Kreuz oder andere ausgewählte Besucher werden zum Schweigen über das, was sie dort sehen, verpflichtet. Vom Bremer Murat Kurnaz haben wir einiges über die Haftbedingungen erfahren. Der US-Senatsbericht über die CIA-Folter beschreibt nun detailliert die Ungeheuerlichkeiten dieser Höllenorte. Obama war angetreten, mit diesen Verbrechen Schluß zu machen und vor allem Guantanamo zu schließen. Der US-Kongreß sieht das immer noch anders. Mittlerweile sind viele der Häftlinge vom Terrorverdacht entlastet. Sie werden nur deswegen noch festgehalten, weil die USA selbst sich nicht ihrer Opfer annehmen will und sich kein Aufnahmeland für sie findet.

Daß die USA überhaupt ein solches Gefängnis außerhalb ihres Territoriums einrichten konnten, reicht in die koloniale Vergangenheit Kubas zurück. 1898 hatten die USA Spanien als Kolonialmacht aus Kuba vertrieben und selbst die Bucht von Guantánamo besetzt. Im Frieden von Paris vom 10. Dezember 1898 erlangte Kuba zwar die Unabhängigkeit, geriet jedoch unter Militärverwaltung der USA. Diese sicherten sich 1901 durch das sogenannte Platt Amendment, welches in die kubanische Verfassung eingefügt wurde, ein Interventionsrecht im Falle innerer Unruhen und die Abtretung kubanischen Territoriums als Flottenbasis.

Am 23. Februar 1903 wurde auf der Basis des Platt Amendments von der verfassungsgebenden Versammlung Kubas ein Leihvertrag über das 117,6 Quadratkilometer große Gebiet mit den USA über 99 Jahre vereinbart. Formal behielt Kuba die Souveränität über das Gebiet, die USA sicherten sich aber die »vollständige Jurisdiktion und Kontrolle« über das Gebiet. In Artikel II des Vertrages war festgelegt, daß das Gebiet »ausschließlich als Kohleverladestation und Marinebasis zu nutzen« ist.

1934 stimmten die USA in einem neuen Vertrag vom 29. Mai der Streichung des Platt Amendments zu, ohne allerdings den Status der Guantánamo-Bucht zu verändern. In Artikel II des Pachtvertrages wurden die amerikanischen Ansprüche auf den Stützpunkt auf unbefristete Zeit, »bis die beiden Vertragsparteien eine Änderung des Übereinkommens vereinbaren«, festgelegt – ein typischer kolonialer »Löwenvertrag«. Der Zweck der Pacht »ausschließlich als Verladestation für Kohle und Marinebasis« blieb bestehen.

Seit der Revolution von 1958 steht die kubanische Regierung auf dem Standpunkt, daß die Pachtverträge von 1903 und 1934 nichtig sind und Guantánamo illegal gegen den Willen des kubanischen Volkes besetzt gehalten wird. Seit 1960 verzichtet die Regierung darauf, die Überweisung des jährlichen Pachtzinses von 4.085 US-Dollar anzunehmen. Die USA dagegen halten an dem Anspruch auf ein unbefristetes Pachtverhältnis mit den garantierten Rechten fest. Die kubanische Regierung begründet ihre Ansicht zum einen damit, daß es sich um »ungleiche Verträge« handele, die Kuba seinerzeit mit militärischem Druck aufgenötigt worden seien und der USA einseitig Vorteile verschafften, denen auf der kubanischen Seite keine adäquate Gegenleistung entspreche. Zum anderen seien die USA mit der Einrichtung kommerzieller Anlagen und eines Gefängnisses weit über die vereinbarte Nutzung hinausgegangen.
 

Die kubanische Regierung hat den Stützpunkt in den 1960er Jahren vom Elektrizitäts- und Wassernetz abgekoppelt. Seitdem wird er von den USA aus mit Schiffen und Flugzeugen versorgt. Ein 28 Kilometer langer Grenzzaun mit 44 Türmen sowie ein Minenfeld umschließen die Bucht auf der Landseite. Mit der Begründung, die Minen um Guantánamo seien nötig, hat Kuba die Ottawa-Konvention zur Ächtung von Landminen von 1999 nicht unterzeichnet – die USA allerdings ebenfalls nicht.

Wolfgang-Neskovic-Der-CIA-Folterreport-US-Senat-Internierungsprogramm-Verhoerprogramm-Kritisches-Netzwerk-Folter-Guantanamo-Naval-Base-Menschenrechte-Human-RightsDie ursprüngliche militärische Bedeutung des Stützpunktes für die USA als Nachschubbasis für den Kohle-, Wasser- und Munitionsbedarf der Dampfschiffe der US-Flotte ist mit Ende der Dampfschiffahrt schon lange weggefallen. Im "Wiener Abkommen über das Recht der Verträge" (WÜRV) ist eine "clausula rebus sic stantibus" (dt. etwa: Bestimmung der gleich bleibenden Umstände) kodifiziert, die zur Beendigung des Vertrages berechtigt, wenn eine grundlegende, nicht voraussehbare Veränderung von Umständen vorliegt, die beim Vertragsschluß gegeben waren. Da die ursprüngliche Nutzung des Stützpunktes in relativer Nähe US-amerikanischer Häfen durch die technische Entwicklung entfallen ist, kann sich Kuba auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen.

Doch nicht nur das. Die aktuelle Nutzung von Guantanamo Bay vor allem als Haftanstalt für angebliche Terroristen stellt eine erhebliche Verletzung des ursprünglichen Vertrags dar. Sie ermöglicht eine Beendigung des Vertrages nach Artikel 60 I WRV als Reaktion. Die allgemein geforderte restriktive Auslegung von Artikel 60 WRV erlaubt eine Beendigung des Vertrages nur bei einer erheblichen Verletzung. Doch was könnte eine »erhebliche Verletzung« des Pachtvertrages begründen, wenn nicht diese kraß menschenrechtswidrigen Umstände und Bedingungen des ganzen Gefängniskomplexes?

Die US-Regierung hat auch unter Obama nicht zu erkennen gegeben, die vertragswidrige Nutzung der Guantánamo-Bucht aufzugeben, geschweige denn rechtsstaatliche Verhältnisse in den Gefängnissen herzustellen. Eine Beendigung des Pachtverhältnisses insgesamt und eine Rückgabe des Gebietes in die volle Souveränität Kubas sind trotz des jüngsten Tauwetters in den Beziehungen zur USA in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Dies müßte vom US-Kongreß beschlossen werden ebenso wie die Aufhebung des seit über 50 Jahren bestehenden Embargos. Das jedoch lehnt der Kongreß ab, das Völkerrecht ist ihm dabei völlig gleichgültig. Auch wird der "Internationale Gerichtshof" (IGH) in Den Haag diese Probleme nicht lösen können, obwohl derartige Streitfragen zwischen den Staaten gerade das Kerngeschäft des Gerichtshofes sind – aber Kuba wie die USA sind nicht Mitglied des IGH.

Wie verlautet, waren 18 Monate intensiver Verhandlungen im Rückraum der Diplomatie notwendig, um den Austausch der Gefangenen und die Lockerung etlicher Restriktionen zu erreichen. Dabei war Guantánamo offensichtlich kein Thema. Sollten die Demokraten die nächsten US-Präsidentschaftswahlen gewinnen, könnten die Verhandlungen über die Aufhebung des Embargos und die Rückgabe Guantánamos allerdings begonnen werden. Daran wäre wohl nicht zu denken, wenn die Republikaner gewönnen, sie stehen mehrheitlich immer noch unter dem Einfluß unversöhnlicher Florida-Kubaner.

Norman Paech



Quelle:  Erschienen in Ossietzky, der Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft - Heft 1/2015 > zum Artikel

Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, wurde 1997 von Publizisten gegründet, die zumeist Autoren der 1993 eingestellten Weltbühne gewesen waren – inzwischen sind viele jüngere hinzugekommen. Sie ist nach Carl von Ossietzky, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1936, benannt, der 1938 nach jahrelanger KZ-Haft an deren Folgen gestorben ist. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte er die Weltbühne als konsequent antimilitaristisches und antifaschistisches Blatt herausgegeben; das für Demokratie und Menschenrechte kämpfte, als viele Institutionen und Repräsentanten der Republik längst vor dem Terror von rechts weich geworden waren. Dieser publizistischen Tradition sieht sich die Zweiwochenschrift Ossietzky verpflichtet – damit die Berliner Republik nicht den gleichen Weg geht wie die Weimarer.

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Ossietzky erscheint alle zwei Wochen im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin – jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen die Gewöhnung an den Krieg und an das vermeintliche Recht des Stärkeren.
 

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► Bild- und Grafikquellen:

1. Cover des Buches von Murat Kurnaz "Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo." Rowohlt Berlin, 2007. ISBN 978-3-87134-589-0 .
Als der 19jährige Murat Kurnaz, in Bremen geboren und aufgewachsen, Anfang Oktober 2001 nach Pakistan reist, um eine Koranschule zu besuchen, ahnt er nicht, welches Martyrium ihn erwartet - und dass er seine Familie viereinhalb Jahre nicht wiedersehen wird. Bei einer Sicherheitskontrolle wird er wenige Wochen nach seiner Ankunft festgenommen und von der pakistanischen Polizei gegen 3000 Dollar Kopfgeld an die US-Streitkräfte verkauft. Er wird ins afghanische Kandahar gebracht, dort gefoltert, und kurz darauf ins Häftlingslager Guantanamo geflogen.

Bald finden die Amerikaner heraus, dass der junge Türke aus Bremen unschuldig ist - dennoch muss Murat Kurnaz mehr als 1600 Tage die Hölle von Guantanamo ertragen: Verhöre, Folter, Isolationshaft, Käfighaltung, viereinhalb Jahre fast ohne Schlaf. Erst 2006 wird Kurnaz entlassen - und erfährt, dass die deutschen Behörden schon lange von seiner Unschuld wussten, aber nichts unternahmen, um seine Rückkehr zu ermöglichen.

In diesem Buch erzählt Kurnaz seine unglaubliche Geschichte - ohne Hass, aber sehr klar und detailliert. Er beschreibt seine schrecklichen Erlebnisse während seiner Gefangenschaft: Wie er an Ketten stundenlang aufgehängt wurde, wie er beißender Kälte und brütender Hitze ausgesetzt wurde - und man ihn über sieben Wochen lang alle zwei Stunden verlegte, damit er nicht schlafen konnte. Er schildert das Vegetieren in Maschendrahtkäfigen, die Misshandlungen durch Elektroschocks und Isolationshaft. Und er gibt auch ein genaues Bild des ,,Systems Guantanamo": einer Welt der Rechtlosigkeit und Willkür, in der Gefangene wie Tiere behandelt werden.

2. Guantanamo Camp X-Ray. U.S. Army Military Police escort a detainee to his cell in Camp X-Ray at Naval Base Guantanamo Bay, Cuba. Foto: Mate 1st Class Shane T. McCoy. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist ein Werk eines Mitarbeiters der Streitkräfte der Vereinigten Staaten oder des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten, aufgenommen oder hergestellt während seiner offiziellen Anstellung. Als amtliches Werk der Bundesregierung der Vereinigten Staaten ist dieses Bild gemeinfrei.

3. Cover des Buches von Wolfgang Nešković "Der CIA-Folterreport. Der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA." Westend, 2013. ISBN 978-3-86489-093-2. Broschur, 640 Seiten. Dieses Projekt wurde realisiert durch: NACHDENKSEITEN.de

Die umfassende Revision der Methoden der CIA zur Informationsbeschaffung. „Der CIA-Folterreport ist ein entsetzlicher Blick in den Abgrund, der viele Fragen aufwirft, denen sich auch die deutsche Politik stellen muss.“ Wolfgang Nešković

Der kürzlich vom Geheimdienstausschuss des US-Senats veröffentlichte Report basiert auf über sechs Millionen interner CIA-Dokumente. Diese beinhalten bislang unbekannte Informationen zu geheimen Gefängnissen, fälschlich inhaftierten, misshandelten und getöteten Insassen sowie zu den angewandten Verhör- und Foltermethoden. Darüber hinaus zeigen sie die Verzahnung der CIA mit anderen Regierungsorganisationen – innerhalb und außerhalb der USA. Zu klären gilt unter anderem die Frage: Hat die CIA parlamentarische Abgeordnete und Regierungsvertreter über das Ausmaß und die Gesetzeskonformität ihres Handelns vorsätzlich getäuscht?

Wolfgang Nešković, Herausgeber der deutschen Ausgabe und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, schreibt einen einordnenden Kommentar zum Kampf der USA gegen den Terrorismus, zu den im Report dokumentierten Ereignissen und zur Missachtung der UN-Antifolterkonvention. Außerdem legt er die Bedeutung für Deutschland dar und zeigt, ob und in welchem Umfang  Strafverfolgungsbehörden tätig werden können bzw. müssen und welche Grenzen dem Rechtsstaat im Kampf gegen den Terror gesetzt sind. In seiner Funktion als MdB war Nešković Teil des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die deutschen Nachrichtendienste Verfassungsschutz, BND und Militärischer Abschirmdienst sowie im Untersuchungsausschuss, der sich mit dem Fall Murat Kurnaz befasste.