Hartz IV Regelsätze ab 01.01.2015

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Hartz IV Regelsätze ab 01.01.2015
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Hartz IV Regelsätze ab 01.01.2015


Die Höhe des sogenannten Hartz-IV-Regelsatzes wird auf Grundlage der vom Statistischen Bundesamt durchgeführten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (ESV) bestimmt. Die ESV ist eine Befragung von rund 0,2% der privaten Haushalte in Deutschland. Nach Ermittlung der regelsatzrelevanten Nettoeinkommen als auch der Preisentwicklung wurde der Eck-Regelsatz ab 1.01.2015 um 2,04 Prozent von 391 Euro auf 399 Euro angehoben. Dieser Betrag gilt nun also für Alleinstehende und Alleinerziehende als menschenwürdiges Existenzminimum.  

Sie haben richtig gelesen: Menschenwürdiges Existenzminimum !

Die nachstehende Grafik zeigt in detaillierten Einzelbeträgen sortiert, wie sich der Eck-Regelsatz nach angedachtem spezifischem Verwendungszweck zusammensetzt. Greifen wir uns dazu mal vier Stücke aus dieser graphischen Torte heraus:

1. Für den Bereich "Wohnen, Energie, Wohninstandhaltung" sind monatl. 33,36 € errechnet worden, doch im realen Leben sind allein schon die monatlichen Abschlagszahlungen für die Stromkosten (Grundpreis, EEG-Umlage, Verbrauch, Ökosteuer, MwSt.) höher. Jedes Jahr erleben Hunderttausende, daß ihnen der Strom abgestellt wird weil sie ihre Rechnung nicht bezahlen konnten. Die Energiesperre dauert Tage, Wochen, manchmal länger. Allein 2013 wurden 345.000 Kunden der Strom abgestellt - und es werden jährlich mehr. Die Verbraucherzentrale (VZ) geht von einer deutlich höheren Zahl aus.

Das Essener Landessozialgericht entschied allerdings im Mai 2013: Das Argument mit der „schuldhaften“ Verursachung zieht nicht mehr als Ablehnungsgrund – die Jobcenter müssen die Stromschulden in Form eines entsprechenden Darlehens an den Hartz-IV-Bezieher unabhängig von der Schuldfrage übernehmen (Az.: L 2 AS 313/13 B ER). Und zwar immer dann, wenn es keinen anderen Weg gibt, um dem Betroffenen Strom für seine Wohnung zu verschaffen. (⇒ Quelle Focus-Artikel)

Wenn die Zeitspanne von der Papierkram-Abwicklung bei der zuständigen ARGE - auch verheißungsvoll Jobcenter genannt - bis zur ersehnten Wiederbelieferung mit Strom dann irgendwie überstanden ist, hat man zwar wieder Strom, aber auch ein zurückzahlbares Darlehn an der Backe. Der oder die freundliche MitarbeiterIn der Leistungsabteilung (na also, endlich mal jemand der was leistet!) unterbreitet dem Hartzer Kunden natürlich gerne eine menschenwürdig vertretbare Ratenzahlungsvereinbarung mit angetackerter Rechtsbelehrung und knackig formulierter Sanktionsandrohung im üblichen Verwaltungsdeutsch. Von oben empfangen - nach unten treten. Nix neues.

2. Für "Bekleidung / Schuhe" bekommen Alleinstehende und Alleinerziehende jetzt 33,52 € im Monat (. . das entspricht ca. 1,11 € pro Tag) zuerkannt.

3. Für "Gesundheitspflege" erhält man 17,16 € monatlich, also 57 Cent täglich (bei 30 Tagen/Monat). Teure fluorfreie Zahnpasta ist da kaum drin.

4. Doch der Gipfel der "Menschenwürdigkeit" offenbart sich im Anteil, der einem Hartzer für den Verwendungszweck "Bildung" zugestanden wird: 1,52 € im Monat (. . also 5 Cent pro Tag). Als Abonnent der überaus informativen, das Bildungsniveau und die Kritikfähigkeit steigernde Print-Magazin "Deutsche Wirtschafts Nachrichten" (DWN) lebe ich demnach mit den 7 € monatlich (inkl. Porto) anfallenden Abokosten bereits deutlich "über meine Verhältnisse". Vielleicht haben ja die LeserInnen des Kritischen Netzwerks nützliche Tips, was man für 1,52 € im Monat bildungsmäßig bekommen kann. Diese Infos werden wir hier dann veröffentlichen und auch gerne an Betroffene weitergeben.



Es sei noch erwähnt, daß die Problematik der menschenverachtenden Hartz-4-Gesetzgebung in weiten Teilen der Gesellschaft noch immer keine Beachtung findet und nur selten eine öffentlichkeitswirksame Ächtung. Besonders übel wird es, wenn von vielen Besserverdienern auf unsolidarische und herablassende Weise die finanzielle Notlage und die damit latent einhergehende gesellschaftliche Ausgrenzung Betroffener heruntergespielt oder negiert wird. Solche Menschen stehen über den Nöten und Bedürfnissen von Millionen Mitbürgern. Begriffe wie Empathie und Solidarität – Fehlanzeige.

Heuchlerisch und gerade grotesk wird es, wenn sich Nichtbetroffene als Gutmenschen mit Gerechtigkeitssinn ausgeben und sich z.B. für Menschenrechte in einem anderen Land einsetzen. Erst vor wenigen Tagen äußerte sich mir via Telefon eine im KN registrierte Person – eigentlich sollte man den Namen öffentlich machen - zum wiederholten Male in beschämender und verletzender Weise zum Thema Hartz IV. Aussagen wie „Ihr bekommt das Geld ja schließlich leistungslos, als Geschenk vom Staat. Uns passt es auch nicht, daß wir dafür als Steuerzahler aufkommen müssen.“ Und weiter .. „Wen interessiert schon der Regelsatz. Jeder Arbeitslose hat die Möglichkeit, sich Geld hinzuzuverdienen".

Toll – nicht wahr? Das hört jeder Hartzer gerne. Als ob die hierzulande millionenfach Betroffenen generell mangels vernünftiger und ausreichender Angebote dazu überhaupt in der Lage wären. Aber selbst wenn: für erwerbstätige Hartz-IV Empfänger gibt es Einkommensfreibeträge, zum Arbeitslosengeld II können demnach 100 Euro brutto anrechnungsfrei monatlich hinzuverdient werden. Dies ist der anrechnungsfreie Grundfreibetrag! Einkommen, das den Grundfreibetrag von 100 Euro übersteigt, wird gestaffelt auf das Arbeitslosengeld II / ALG II angerechnet, und zwar folgendermaßen:

  • von einem verdienten Bruttoeinkommen werden von 101 Euro bis 1000 Euro 80 % auf das ALG II angerechnet, nur 20% sind also anrechnungsfrei;
  • von einem verdienten Bruttoeinkommen werden von 1001 Euro bis 1.200 Euro (1.500 Euro für Bedürftige mit Kind) 90 % auf das ALG 2 angerechnet, 10% sind anrechnungsfrei. Einkommen, was darüber hinaus geht, wird vollumfänglich auf den Hartz IV Regelsatz angerechnet.

Bei der geringfügigen Beschäftigung, den sogenannten 400 Euro Jobs oder Mini-Jobs, ergeben sich keine Besonderheiten für die Einkommensanrechnung auf das ALG II. Es gilt das oben gesagte. Nach geleisteter (meist Frohn-)Arbeit ist das erbärmlich wenig, sodaß man auch dann nicht wirklich von menschenwürdigen Lebensbedingungen sprechen kann. Auf die Qualität solcher Arbeitsverhältnisse soll hier gar nicht erst en detail eingegangen werden.

Die steigende Zahl prekär Beschäftigter, die trotz ein oder mehrerer Jobs mit Hartz IV aufstocken müssen, ebenso wie viele RentnerInnen mit Minimalrente, sind diesen überlaunigen narzistisch-veranlagten Menschen sicher auch ein Dorn im Auge. Ein wertvoller Mensch ist demnach nur wer auch ein Leistungsträger ist, brav Steuern zahlt und sich - im Hamsterrad fleißig drehend - versklaven lässt oder andere ausbeutet. Der deutsche Fiskus hat KEIN Einnahmeproblem, sondern eines der gerechten Verteilung. Dies ist politisch aber mehrheitlich nicht gewollt. Mit einem gesetzlich verankerten Grundeinkommen, welches sich prima gegenfinanzieren ließe) würde es vielen Menschen bedeutend besser gehen, sodaß auch sie wieder mehr Geld ausgeben könnten und damit mehr Steuern zahlen würden.  

Die Hartz-IV Bezüge sind weder bedarfsdeckend noch mit der notwendigen Sorgfalt ermittelt worden. Man betrachte sich nur die tatsächlich monatlich anfallenden Kosten für Strom, ÖPNV und Dienstleistungen. Fortschreitende Verarmung, Unterdeckung und Verschuldung sind die Folgen. Angesichts der für Bildung vorgesehenen 1,52 € monatlich (also: fünf Cent pro Tag !!) braucht man sich nicht zu wundern, warum eine fortschreitende Regression in weiten Teilen der Gesellschaft zunimmt, einhergehend mit wachsender Affinität für Shooter-Spiele, Online-Games und "geistreichen" TV-Formaten wie Bauer sucht Frau, DSDS, Dschungelcamp, Big Brother, How I Met Your Mother, Frauentausch, The Biggest Loser, Kochshows etc.

Viele Menschen sehen als einzige Möglichkeit sich noch weiter einzuschränken, an der Pauschale für Nahrungsmittel und Getränke zu sparen und diese den untergedeckten restlichen Pauschalen zu opfern, ebenso die gesetzlich verlangte monatliche Rücklage von 49,00 € für Ersatzbeschaffungen. Diese kann erst gar nicht gebildet werden. Wovon denn bitte?

Die vorgesehene Pauschale für Nahrungsmittel und Getränke könnte also nur dann in voller Höhe genutzt, wenn die restlichen Einzelpauschalen bedarfsdeckend wären, was sie aber NICHT sind. Abgesehen davon: die Pauschale für Nahrungsmittel und Getränke ist natürlich ebenfalls untergedeckt.

Noch ein paar kleine Zahlenspielchen zum Schluss: MdB Christian Schmidt (CSU), seit dem 17. Februar 2014 Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, war von 2005 bis 2013 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung. Am 16. März 2011 gab er auf schriftliche Fragen der ehemaligen Abgeordneten Uta Zapf (SPD) an, daß eine Artilleriegranate vom Typ SMART 155 mm für die Panzerhaubitze 2000 rund 57.000 Euro kostet. Nun rechnen wir mal: die Kosten FÜR EINEN SCHUSS entsprechen demnach der Zahlung des aktuellen Regelsatzes (399€) für die Dauer von fast 143 Monaten.

"Ein Einkauf, eine Handgranate" – so der Titel eines Artikels bei taz.de vom Feb. 2014. "Mit jedem gekauften Produkt finanzieren wir Waffen – durch unsere Mehrwertsteuer. Eine neue App rechnet uns vor, um welche Summe es geht. [..] Diese bessere Welt hat leider einen Haken: Mit jedem gekauften Produkt finanzieren wir Waffen – durch unsere Mehrwertsteuer. Die neue App „Waffenrechner“ der ecosign Akademie in Köln rechnet uns ab jetzt bis auf den Cent genau vor, wie wir durch Shopping Geld in die Rüstungsindustrie pumpen. Jeder von uns ist ihr Sponsor durch direkte und indirekte Steuerabgaben.  Das läuft so: Stand 2013 fließen knapp elf Prozent des Bundeshaushalts an das Ministerium für Verteidigung. Aus diesem Topf wandern wiederum zirka 22 Prozent in militärische Beschaffungen, Materialerhaltung und Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung. [..]"bitte weiterlesen

 



Bild- und Grafikquelllen:
 

1. HARTZ IV Graffito. "Hartz IV .. this is what Sozialdemokratie looks like..." Foto: Flickr-User "seven resist". Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz
Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)

2. Die Grafik HARTZ IV REGELSATZ erstellt von der Redaktion hartziv.org. Die auf www.hartziv.org zur Verfügung gestellten Schaubilder (beispielsweise Diagramme und andere aufbereitete Grafiken) können, bei Nennung der Quelle und ohne Veränderung, zu nicht kommerziellen Zwecken verwendet werden. Bitte besucht diese Webseite, auch wenn Sie glücklicherweise (noch nicht) zum Leistungsempfänger abgestiegen sind . . oder wurden.

3. SPD-Wahlplakat: Andreas Nahles zur Sozialpolitik. Eine Quelle des Ausspruches dieser Vertreterin einer ehemaligen Sozialpartei ist ein taz-Artikel vom März 2007. Sie hat das aber deutlich öfter gesagt…
Foto: Elias Schwerdtfeger. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)