»Heuschrecken« im öffentlichen Raum. Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments. (WERNER RÜGEMER)

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»Heuschrecken« im öffentlichen Raum. Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments. (WERNER RÜGEMER)
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»Heuschrecken« im öffentlichen Raum

Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments

Autor:  Werner Rügemer

Verlag: Transcript Verlag, Bielefeld (2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2011) – zur Verlagsseite

ISBN-13:  978-3-8376-1741-2

kartoniert, 204 S., Preis € (D) 18,80

Nach der teuren Bankenrettung und neuer Staatsverschuldung drängen Regierungen und Investoren mehr denn je auf das angebliche Heilmittel »Public Private Partnership«. Bei diesem Finanzinstrument übernimmt der Investor nicht nur den Bau etwa einer Entsorgungsanlage, sondern auch Planung, Finanzierung und Betrieb, während die öffentliche Hand im Gegenzug 20 bis 30 Jahre lang Miete zahlt.

Dieses Buch, das nun in einer erweiterten zweiten Auflage erscheint, bietet Falldarstellungen über Akteure, Lobbyisten-Netzwerke und Gesetze in Deutschland und legt die Charakteristika von PPP minutiös offen, die den Medien und Politikern üblicherweise vorenthalten bleiben. Auch die betriebs- und volkswirtschaftlichen Folgen auf nationaler sowie auf EU-Ebene werden erstmals zusammenfassend dargelegt.

Inhaltsverzeichnis:

Neuer »Sachzwang« und neuer Widerstand. Vorwort zur 2. Auflage | 7

I. Einleitung | 11

II. Der englische Lügner | 17

III. Metro London: Aufstieg und Fall des größten PPP-Projekts | 29

IV. Schulen, Krankenhäuser und Gefängnisse in Großbritannien | 37

V. Sichere Gewinne mit öffentlicher Infrastruktur | 49

VI. »Entwicklungsland« Deutschland | 59

VII. Erfahrungen mit PPP-Projekten in Deutschland | 73

Die Geheimverträge: Frankfurt a. M. I | 74

Der Wirtschaftlichkeitsvergleich: Frankfurt a. M. II | 86

Softkosten: Messehallen Köln | 91

Teurer Leuchtturm: Landkreis Offenbach | 108

Forfaitierung mit Einredeverzicht: Mülheim an der Ruhr | 116

Black Box der Demokratie: Toll Collect | 122

Fehlprognosen: Trave- und Warnow-Tunnel | 132

Bürgerdaten: Bertelsmannscheiter t in Würzburg | 137

Lebensgefährlich – Autobahn A 1 Bremen – Hamburg | 143


VIII. Der Wirtschaftlichkeitsvergleich | 153

IX. Die Effizienzvorteile des Investors | 159

X. Keine Partnerschaft | 167

XI. Flucht in die neue Verschuldung | 175

XII. Die Zerstörung der eigentumslosen Privatheit | 181

XIII. Zurück zum Staat? | 185

XIV. Gescheiterte Projekte | 191

Ausgewählte Literatur | 197


Leseprobe Neuer »Sachzwang« und neuer Widerstand. Vorwort zur 2. Auflage

Es ist gespenstisch: Die Privatwirtschaft, angeführt von den Banken und anderen Finanzakteuren, hat die größte Krise ihrer Geschichte hingelegt, hat die Existenz der »westlichen« Volkswirtschaften bedroht, wurde von den Staaten vor dem Bankrott gerettet – und (scheinbar) völlig ungerührt heißt es, als wäre nichts geschehen: »Private wirtschaften besser als der Staat, sie dürfen weitermachen wie bisher und sie sollen immer mehr öffentliche Aufgaben übernehmen!« Gespenstisch. Absurd. Zynisch. Rechtswidrig. Dämlich. Eine Beleidigung der menschlichen Vernunft. Gemeingefährlich. Die »westliche Wertegemeinschaft« ist im Kern getroffen, moralisch tot – und macht (scheinbar) ungerührt weiter.

Die »Finanzkrise« zeigt seit 2008: Gerade das Wirtschaftsmodell, das alle Lösungen und Segnungen von der Privatwirtschaft erwartet, ist gescheitert. In der gesamten »westlichen Wertegemeinschaft« konnte nur der Staat die bankrotte Avantgarde der neoliberalen Ökonomie – die Banken – vor dem Untergang retten. Dagegen wäre der Untergang in Gestalt einer geordneten Insolvenz die richtige und reinigende Antwort gewesen, sie würde dem geltenden Recht und der Theorie der Marktwirtschaft  entsprechen.1 Doch es zeigt sich, dass wir gar nicht in der vielbeschworenen Marktwirtschaft und auch nicht in der dazu behaupteten Demokratie leben: Der Staat fördert die Spekulation, nimmt den privaten Eigentümern die Risiken ab und garantiert ihnen auf Kosten der Mehrheit der Bürger Gewinn und asoziale Freiheit. Die wesentlichen Entscheidungen werden außerhalb der Öffentlichkeit und der gewählten Parlamente getroffen.

Damit zeigt sich im großen Stil, was ich schon in der 1. Auflage dieses Buches über Public Private Partnership (PPP) an zahlreichen Beispielen belegt habe: Der Staat übernimmt die Risiken und garantiert die Gewinne der Privaten, PPP ist ungleich teurer als die traditionelle staatliche Erledigung, die Staatsverschuldung wird beschleunigt. Staat, Bundesländer und Kommunen werden erpressbar – und werden erpresst –, es herrscht Geheimhaltung, die Demokratie wird ausgehöhlt.

Nach der Bankenrettung und nach der »Rettung« des Euro und einzelner EU-Mitgliedsstaaten – auch hier geht es im Kern um ungerechtfertigte Bankenrettung2 – ist der Staat noch mehr verschuldet als zuvor. Deshalb forcieren Regierungen und private Investoren PPP weiter als Heilmittel – trotz aller gegenteiligen Erfahrungen. Die Bankenretter und Staatsverschulder haben 2010 eine »Schuldenbremse« in das Grundgesetz aufgenommen und verstärken den »Sachzwang« hin zu PPP. »In der Finanzkrise: PPP als Chance nutzen!«, lautet das Motto der Lobbyisten.3 EU und Weltbank gehen ohnehin in dieselbe Richtung.

Die großen Finanzakteure wie Deutsche Bank, Goldman Sachs, Allianz und Macquarie legen globale Infrastrukturfonds auf. Sie wollen langfristig Eigentum und Betrieb von öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen, von Leitungs-, Energie- und Transportnetzen, von Straßen, Krankenhäusern usw. übernehmen. Hier sind die risikoarmen und langfristig stabilen Geldflüsse das Objekt der Begierde, die im unsicheren »freien« Markt nirgends zu haben sind. Die weltweit bei der PPP-Vertragsgestaltung führende Wirtschaftskanzlei Freshfields spricht Klartext: Die Finanzkrise ist die Gelegenheit zum »permanenten Transfer öffentlicher Infrastruktur an den privaten Sektor«4. Der »schleichende Putsch« der Finanzakteure soll also weitergehen.

Die Bundesrepublik Deutschland ist wie beim »Cross Border Leasing «5 auch bei PPP der europäische Musterschüler, an zweiter Stelle nach dem noch mehr überschuldeten Großbritannien, wo das Heilmittel Ende der 1990er Jahre erfunden wurde. Etwa 160 Projekte wurden seit 2003 von Bund, Bundesländern und vor allem Kommunen begonnen, weitere 120 sind in Planung. Die Erfahrungen – wie die Beispiele in diesem Buch dokumentieren – sind schon in den ersten Jahren der meist auf drei Jahrzehnte angelegten Vertragslaufzeit negativ, jedenfalls für Bürger und öffentliche Haushalte. Schon in den ersten Jahren zeigen sich Schlechtleistungen und Nachforderungen der Investoren, teure Insolvenzen mehren sich.

Skepsis und Kritik in der Bevölkerung und bei den gewählten Mitgliedern der parlamentarischen Entscheidungsgremien sind gewachsen. Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und neue parlamentarische Mehrheiten kippen PPP-Projekte. Auch die anfänglich unentschiedenen Gewerkschaften sind auf die Seite der Kritiker gewechselt.6 Handwerkskammern äußern ihre schon lange gehegte Kritik nun verstärkt öffentlich.7 Eine erste systematische Bilanz von PPP-Projekten weltweit fällt vernichtend aus.8 Aus Attac Deutschland heraus hat sich eine Dauer-Kampagne gegen PPP gegründet, die Daten sammelt, Analysen veröffentlicht und örtliche Initiativen unterstützt.9  

Da bekommt es die scheinbar mächtige PPP-Lobby schon mit der Angst zu tun. »Ablehnung eskaliert zum offenen Widerstand«, so wird die gewiss noch zarte  Gegenbewegung bereits hysterisch charakterisiert.10 Um der »Eintrübung des Meinungsumfeldes« zu begegnen, veröffentlichte die Lobby der Baukonzerne schnell ein holperiges Positionspapier, um »Vorurteile« zu widerlegen.11 Die Lobby fördert Befragungen zur »Kundenzufriedenheit«: Schüler, Eltern und Lehrer antworten brav, dass ihre mithilfe von PPP sanierte Schule nun endlich in neuem Glanz erstrahlt.12 Das ist methodisch mehr als fragwürdig, denn die Befragten wären genauso zufrieden, wenn ihre Schulen nach traditioneller Weise saniert worden wären. Genauso hektisch versucht die Lobby, PPP nicht als eine Form der diskreditierten Privatisierung erscheinen zu lassen, sondern als »alternative Beschaffungsvariante« zu verharmlosen.

Die Alternative zu PPP kann natürlich nicht nur darin bestehen, dass »der Staat« und »die Kommunen« es wieder selbst so machen wie vor PPP. Der öffentliche Dienst muss politisch aufgewertet, personell ausgebaut und wesentlich besser qualifiziert werden. Dem Heer der zugleich als Konzern- und Bankenlobby auftretenden Berater muss endlich der Laufpass gegeben werden. Es muss mit der Mär gebrochen werden, dass die Lösung nur im »Sparen« bestünde: Die wesentliche Lösung besteht darin, die Einnahmen zugunsten öffentlicher Daseinsvorsorge zu erhöhen, indem der vorhandene Reichtum in Gestalt von Vermögen, Gewinnen und Einkommen in die Pflicht genommen und besteuert wird. Wo in der Privatwirtschaft sinnvolle Methoden entwickelt werden, sind sie zum Nutzen der Gemeinschaft heranzuziehen. Rückverstaatlichung und Rekommunalisierung haben nur dann Sinn, wenn sie nicht zum vorherigen Zustand zurückführen,13 sondern mit Demokratisierung und Achtung von Menschenwürde, Sozial- und Arbeitsrechten verbunden sind.14

In die Neuauflage des Buches habe ich die wichtigsten Entwicklungen und Erfahrungen der letzten drei Jahre aufgenommen – durch die Bankenrettung trat die in PPP angelegte Logik noch schärfer hervor. Neu eingefügt habe ich zwei Kapitel: erstens über das größte Bundesprojekt, die Autobahn A 1 Bremen–Hamburg (in Kap. VII), und zweitens über gescheiterte Projekte (Kap. XIV). Auch musste nach der staatlichen Bankenrettung genauer gefragt werden, welchen Staat wir wollen, wenn es um Rückverstaatlichung und Rekommunalisierung geht.

Köln, im Dezember 2010



Fußnoten zum Vorwort 1-14

1 | Werner Rügemer: Die Brandstifter als Feuerwehr. »Systemische« Bedeutung haben bankrotte Banken allein für die Finanzakteure. Für die Realökonomie sind sie eine große Gefahr und müssen deshalb in die geordnete Insolvenz geführt werden, junge welt 23.4.2009.

2 | Ders.: Die »Rettung« Griechenlands und des Euro als Fluch der bösen Tat, in: Das Argument Nr. 287/2010; ders.: Dead End der Europäischen Union. Irland retten heißt die Deutsche Bank retten, junge welt 16.12.2009.

3 | Motto des PPP-Führungskräfte-Forums am 18.11.2009 in Wiesbaden, http://www.rrc-congress.de; vgl. Henry Teitelbaum: PPP – Challenge and Opportunity after the Financial Crisis, London 2009.

4 | Freshfields Bruckhaus Deringer: Outlook for Infrastructure and Beyond, London Juni 2009; die Kanzlei hat auch maßgeblich an den Gesetzen zur Bankenrettung in Deutschland mitgewirkt.

5 | Vgl. Werner Rügemer: Cross Border Leasing. Ein Lehrstück zur globalen Enteignung der Städte, Münster 2005 (2. Auflage).

6 | European Federation of Public Service Unions (EPSU): Critique of PPP’s, Greenwich October 2008; ver.di: Sachstandsbericht Partnerschaften Deutschland, Berlin 2008; ver.di: Öffentlich ist wesentlich. Für eine soziale Gesellschaft und gute Arbeit, Berlin 2009.

7 | Verband baugewerblicher Unternehmer Hessen, Hauptgeschäftsführer Rainer von Borstel: Schreiben an Lothar Reininger, Fraktionsvorsitzender Die Linke, Stadtverordnetenversammlung Frankfurt a.M. 4.5.2010 (Preisdumping der Generalunternehmer, Mittelstand wird ausgeschlossen); Bayerische Handwerkskammer: Gefängnisbauten beweisen, dass PPP in die Irre führt, Pressemitteilung 16.10.2009.

8 | Dexter Whitfield: Global Auction of Public Assets, Nottingham 2010.

9 | http://www.ppp-irrweg.de 21.11.2010.

10 | Börsenzeitung 28.8.2009.

11 | Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: Positionspapier. Öffentlich Private Partnerschaften im Hochbau: Argumente gegen Vorurteile, Berlin 2010.

12 | Andreas Pfnür (Hg.): Empirische Untersuchung der Nutzenwirkungen von PPP-Projekten auf den Schulbetrieb am Beispiel der Schulen im Kreis Offenbach, TU Darmstadt Juni 2009. Professor Pfnür ist im Vorstand der Lobbyorganisation Bundesverband Public Private Partnership (BPPP).

13 | Vgl. http://www.ppp-irrweg.de 21.11.2010.

14 | Vgl. Werner Rügemer (Hg.): ArbeitsUnrecht. Anklagen und Alternativen, Münster 2009.



Leseprobe I. Einleitung

»Der Markt richtet es«: Dieser globale Glaubenssatz der letzten Jahrzehnte wird nicht mehr geglaubt. Jedenfalls nicht mehr von der Mehrheit der Bürger. Ein richtiger Glaube, eine Überzeugung, war es ohnehin nicht.

Hat »der Markt« für mehr, für bessere, für besser bezahlte Arbeitsplätze gesorgt? (Wobei mit »mehr« Arbeitsplätze nicht die Neuverteilung des Arbeitsvolumens auf viele neue Billigarbeitsplätze gemeint ist, sondern die Vermehrung des volkswirtschaftlichen Arbeitsvolumens.) Versorgt »der Markt« die Bevölkerung mit gesundem Fleisch und qualitativ hochwertigeren Lebensmitteln? Sorgt »der Markt« für Wettbewerb und niedrigere Preise bei Strom, Bahnfahrten? Für menschenwürdige Betreuung in Altenheimen? Für mehr Transparenz bei Schadstoffen, für besseren Service und Kundenfreundlichkeit? Für weniger Korruption der »Verantwortlichen «? Für sichere Lebens-, Klima- und Weltverhältnisse?

Die Erfahrungen sind eindeutig. Die »Deregulierung« des Finanzsystems sowie der Arbeits- und Sozialverhältnisse hat das Leben und Arbeiten für die Mehrheit der Bürger noch ungerechter und unsicherer gemacht, die öffentliche Verschuldung ist noch höher. Auch das andere zentrale Heilmittel der neoliberalen Ökonomie, die Privatisierung, hat seine Versprechen nicht erfüllt, im Gegenteil.1

Die Bundes- und Landesregierungen forcieren weiter den Verkauf von Staatseigentum und die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen. Dabei stoßen sie zunehmend auf Widerstände und Widersprüche. In den Kommunen, so stellen die Fundamentalisten seit einigen Jahren zerknirscht fest, werden sogar einzelne Privatisierungen zurückgenommen.2 Große Sorge treibt die Privatisierer um, denn sie müssen mit ansehen, dass der geschmähte Staat die Aufgaben inzwischen mindestens ebenso gut erledigen kann: »Wir sehen diesen Trend zur Rekommunalisierung mit großer Sorge […]. Die Kommunen haben das lukrative Geschäft mit dem Müll wieder entdeckt und wollen sich die Einkommensquellen sichern«, erklärte der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft.3

Auch deshalb wird seit 2003 eine neue Variante der Privatisierung in Mode gebracht: Public Private Partnership, kurz: PPP. Sie kommt aus England, doch auch hier holt der Musterschüler Deutschland auf. Verschiedentlich wird der Begriff ins Deutsche übersetzt: Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP); die deutsche Version klingt freilich etwas bieder und setzt sich nicht so richtig durch. Wenn die Lemminge heute ökonomische Kompetenz darstellen wollen, übernehmen sie doch lieber den englischen Slang.

»Partnership« und »Partnerschaft« klingt viel besser, freundlicher, ungefährlicher als »sale« und »Verkauf«. PPP wird mit dem Argument angepriesen, hier werde nichts verkauft, der Staat behalte Eigentum und Kontrolle, PPP sei keine Privatisierung. Doch dieses Argument, das der gewachsenen Privatisierungs-Skepsis entgegenwirken soll, ist vordergründige Kosmetik, genauer: Es ist Demagogie. PPP, das wird in diesem Buch in allen sonst verschwiegenen Einzelheiten enthüllt, ist eine Mogelpackung, ein großangelegtes Täuschungsmanöver.

Dass die gegenwärtigen Regierungen der »westlichen Wertegemeinschaft « bei der Begründung von Kriegen (Irak, Afghanistan usw.) lügen, ist allgemein bekannt. Doch daraus werden bisher keine Konsequenzen gezogen. Die Regierungen werden nicht abgewählt und nicht abgesetzt, die Verantwortlichen werden nicht bestraft. Nein, die Kriege werden verbissen weiter gerechtfertigt und fortgesetzt. Auch aus den großen Medien und aus den Vorstandsetagen der Wirtschaft kommt keine Kritik, im Gegenteil. Dasselbe gilt für die angeblichen Segnungen von Privatisierung und PPP.

Ökonomische Lügen werden heute ebenso professionell produziert wie militärische. Nicht harte Fakten sollen heute den Markt, die Aktionäre, die Konsumenten, die Öffentlichkeit, die Arbeitslosen und Nochnicht-Arbeitslosen überzeugen, sondern: Eine ansprechende Story steht für Erfolg und Gewinn. Während in früheren Zeiten (angeblich, teilweise) das ökonomisch Erreichte zählte oder jedenfalls zählen sollte, so reicht heute das Erzählte. Public Private Partnership ist eine solche Story, eine solche Erzählung, ein solches modernes Märchen.4

Warum machen Politiker das mit? So wird häufig gefragt. In diesem Buch wird zunächst nach Folgendem gefragt: Warum machen Banken, Investoren, Bauunternehmen, Anwälte, Berater das? Wie sieht die PPPBranche mit ihren parasitären Mitverdienern und Märchenerzählern aus?

Danach ist auch die Frage nach den Politikern zu beantworten: Politiker im Amt unterscheiden sich heutzutage oft nach Sprache, Überzeugung und Programm gar nicht mehr von Bankern, Investoren, Unternehmensberatern. Ohne Lern- und Übungsphase wechseln sie deshalb scharenweise aus dem politischen Amt in privatwirtschaftliche Führungspositionen. Sie wechseln nicht die Seiten, sie waren schon auf der anderen Seite. Ihre Namen sind Legion: Lothar Späth, Volker Rühe, Martin Bangemann, Hans-Dietrich Genscher, Theodor Waigel, Anette Fugmann-Heesing, Walter Riester, Peer Steinbrück, Marianne Tritz, Hans-Martin Bury, Florian Gerster, Gerhard Schröder, Josef Fischer, Michaele Hustedt, Gunda Röstel, Wolfgang Clement und viele, viele andere. Ob CDU, CSU, SPD, FDP oder Grüne – alle können es, und zwar insbesondere in den Parteien, die sich als die Alleinvertreter der Demokratie aufspielen.5 Ein  Exparteivorsitzender wie Rudolf Scharping kann sofort nach seinem Ausscheiden aus der Politik eine PPP-Beratungsfirma aufmachen, ein Ministerpräsident wie Roland Koch kann übergangslos als Vorstandsvorsitzender zum Baukonzern Bilfinger Berger wechseln, der den Geschäftsbereich PPP ausweiten will.6 Das ist die eine Antwort auf die Frage »Warum machen Politiker bei PPP mit?«.

Die andere Antwort: PPP ist ein »Rundum-sorglos-Paket« nach dem touristischen Muster »all-inclusive«. Die private Seite nimmt den Politikern, die sich gern als »die Verantwortlichen« bezeichnen, alle Sorgen bzw. Aufgaben ab. Die Politiker können sich trotz »leerer Kassen« als »handlungsfähig« präsentieren. Dass sie den Staat und die Gemeinschaft auf längere Sicht ruinieren, kann eine gewisse Zeit, so lange die medial produzierte Desinformation wirkt, verheimlicht werden – das hoffen sie jedenfalls. So erweist sich PPP als ein neuer Strohhalm für abgewirtschaftete politische Parteien, die Mitglieder und Wählerzustimmung verlieren und nur noch mit Zustimmung der Finanzakteure und durch offene und geheime Griffe in die Steuerkasse ihr Überleben sichern wollen.

Privatisierung und PPP zerstören den öffentlichen Raum. Mit »öffentlicher Raum« ist jedoch hier nicht nur das gemeint, was in der liberalen Szene der Kulturkritiker und Städteplaner seit Jahrzehnten damit bezeichnet wird. Sie sehen öffentliche Plätze in Anlehnung an die griechische »Agora« und das römische »Forum« als Orte der Demokratie. Ihre Inbesitznahme durch private Geschäftsleute wird von Richard Sennett, Jürgen Habermas und anderen als Krise der Demokratie beklagt.7 Doch neben dieser mit einfachem Auge sichtbaren geht eine weniger wahrgenommene, aber tiefer gehende Inbesitznahme einher: Privatisierung und PPP machen die demokratischen Institutionen, die Parlamente sowie den Rechts- und Sozialstaat von innen heraus zur Farce.

Die Auseinandersetzung mit PPP wird in diesem Buch vor allem auf der Grundlage von Projekten geführt, die seit Jahren laufen und bereits klare Ergebnisse zeigen. Zunächst geht es um Projekte in England, wo PPP unter der Regierung Tony Blair erfunden wurde. Danach geht es um ausgewählte Projekte in Deutschland: Schulen, Messehallen, Autobahnmaut und Autobahnbetrieb, Tunnels, eGovernment.

Da PPP-Projekte aus der öffentlichen in eine privatwirtschaftliche Logik eintreten, sind sie entgegen einer weit verbreiteten Meinung nie abgeschlossen. Deshalb kann die oft gestellte Frage »Gibt es denn nicht wenigstens einige PPP-Projekte mit gutem Ergebnis?« gegenwärtig schon deshalb nicht beantwortet werden, weil noch kein einziges Projekt seine vereinbarte Laufzeit hinter sich hat. Die realkapitalistischen Mechanismen unterwerfen die Projekte ständigen Veränderungen. Deshalb sind die hier versammelten Daten und Analysen eine Untersuchung am lebenden Objekt, eine Vivisektion.

Obwohl der Autor mit zahlreichen Angestellten des öffentlichen Dienstes, Lehrern, Hausmeistern, Anwälten, Beschäftigten der privaten Investoren und Arbeitern auf Baustellen gesprochen hat, verzichtet er auf Anraten seiner Gesprächspartner, sie zu zitieren. Unter dem PPP-Reglement herrschen Geheimhaltung, Vorsicht, Katzbuckelei, Schönrednerei, Unehrlichkeit, Angst und Schweigen.

Die große Erzählung vom guten PPP

Mithilfe von Public Private Partnership, abgekürzt PPP, könne die »öffentliche Hand« trotz leerer Kassen wieder investieren und den schon lange bestehenden Investitionsstau in der öffentlichen Infrastruktur auflösen und damit »die Zukunft sichern«. Zukunftsfähigkeit unserer Städte«, »Investitionen für die nachfolgenden Generationen« – das soll nun alles doch möglich werden. Die Zukunft war verbaut – mit dem guten PPP öffnet sie sich wieder.

Public Private Partnership wird ins Deutsche als Öffentlich-Private Partnerschaft, ÖPP, übersetzt. Die offizielle Definition lautet sehr trocken und weniger visionär: »ÖPP ist eine langfristige, vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft zur wirtschaftlicheren Erfüllung öffentlicher Aufgaben über den gesamten Lebenszyklus (Planen, Bauen, Finanzieren, Betreiben und Verwerten) eines Projekts. Die erforderlichen Ressourcen (Knowhow, Betriebsmittel, Kapital, Personal etc.) werden von den Partnern in einem gemeinsamen Organisationsmodell zusammengeführt und vorhandene Projektrisiken entsprechend der jeweiligen Managementkompetenzen der Partner verteilt.«8

Man kann es auch so sagen: Die sogenannte »öffentliche Hand« – eine Stadt, ein Landkreis, ein Bundesland, der Bund, eine öffentliche Körperschaft, eine Behörde der Europäischen Union u. Ä. – schließt mit einem Privatunternehmen einen Vertrag. Gegenstand ist Bau, Sanierung/Modernisierung, Planung, Finanzierung und langfristiger Betrieb einer öffentlichen Einrichtung oder Dienstleistung. Die Vertragsdauer liegt zwischen 15 und 50 Jahren, die Regel sind 30 Jahre. Betroffene Einrichtungen können sein: Schulen, Verwaltungs- und Justizgebäude, Sport-, Kultur- und  Freizeiteinrichtungen, Krankenhäuser, Altersheime, Kindergärten, Gefängnisse, Rathäuser, Messehallen, Konzertsäle, Straßen, Tunnels, Bundeswehrkasernen, aber auch öffentliche Dienstleistungen (Bearbeitung von Anträgen, Bürgerkontakte, Logistik u. Ä.).

Die traditionelle Herangehensweise besteht darin, dass die »öffentliche Hand« die Aufgabe und den Bedarf definiert, die Planung und die Bauaufsicht übernimmt, einen Kredit aufnimmt und ein Privatunternehmen mit dem Bau beauftragt. Das Besondere von PPP besteht darin, dass das Privatunternehmen bereits in die Aufgabendefinition eingreift, die Planung, das Controlling, den Betrieb und vor allem auch die Finanzierung übernimmt. Damit, so wird erzählt, entstehen »Synergieeffekte «. Deshalb bringe PPP im Vergleich zur traditionellen öffentlichen Erledigung »Effizienzvorteile«. Die Erzählung besagt, sie lägen zwischen 5 und 25 Prozent.

Der Begriff PPP entstand in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde im Bereich der Stadterneuerung verwandt. In Deutschland wird er seit Ende der 1980er Jahre für sogenanntes »Energie-Contracting « verwandt. Dabei fehlen aber Merkmale, die das hier gemeinte PPP prägen und die in England unter Tony Blair seit 1997 entwickelt wurden.

Verschiedentlich wird ein besonders »breiter« Begriff von PPP verwandt, der für jede Form der Zusammenarbeit von staatlichen Stellen und Privatunternehmen gilt. Die Initiative »Unternehmen Schule« (UnS) etwa versteht PPP als einen Prozess, in dem einem Privatunternehmen »geholfen« wird, »sich einer benachbarten Schule anzunähern und diese darin zu unterstützen, ihren Unterricht praxisnäher auf Wirtschaft und Beruf auszurichten (http://www.bildungsserver.de).

Im Buch wird nur der »enge« Begriff zugrunde gelegt, der durch die Merkmale der »strukturierten Finanzierung« geprägt ist (komplexes Vertragswerk, Einschaltung von Projektgesellschaften, Subunternehmern und außerbörslichen Anlegern, Steuergestaltung für die Investoren, Forderungsverkauf, Geheimhaltung etc.).



Fußnoten zur Einleitung 1-8

1 | Vgl. Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz, Münster 2008.

2 | Ernst & Young: Privatisierungen und ÖPP als Ausweg? Kommunalfinanzen unter Druck – Handlungsoptionen für Kommunen, Stuttgart 2007, S. 18.

3 | Handelsblatt 18.10.2006.

4 | Vgl. Marlene Poschner-Lansch: Story Telling – Story Selling. Märchen und Märchenerzähler in der Wirtschaft, Köln 2007.

5 | Vgl. http://www.lobbycontrol.de 6.12.2010.

6 | Wirtschaftswoche 8.11.2010, S. 107.

7 | Andrian Kreye: Wenn der städtische Raum von der Wirtschaft gestaltet wird, verliert er seinen demokratischen Charakter, Süddeutsche Zeitung 2.11.2007.

8 | Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Erfahrungsbericht Öffentlich-Private Partnerschaften in Deutschland, Berlin 2007, S. 4.



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Werner Rügemers 2012 veröffentlichte Buch Rating-Agenturen: Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart