Historischer Kontext, Maßstab und Interessenlage

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Historischer Kontext, Maßstab und Interessenlage
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Historischer Kontext, Maßstab und Interessenlage

Die Wehrmacht, die gegenwärtigen Kriege,

Benjamin Franklin und der Terrorismus

Von Gerhard Mersmann | Forum-M7.com

Es kommt immer auf den historischen Kontext an. Und den Maßstab. Und die gegenwärtige Interessenlage. Wann hat ein Krieg den Charakter eines aggressiven Angriffs, wann ist es ein reiner Verteidigungskrieg und wann hat eine Aggression eine gar präventive Natur?

Fragen, die historisch in der einen oder anderen Weise beantwortet wurden, je nach Perspektive, versteht sich, und die sich heute aktuell an mehreren Brennpunkten stellen. War die Reaktion auf terroristisch organisierte Angriffe seitens der Wehrmacht Bestandteil der begangenen Kriegsverbrechen, weil sie in keinem Verhältnis zum erlittenen Schaden standen, in Russland, in Polen, in Italien, in Frankreich – überall stehen Mahnmale, die auf diese als Verbrechen eingestuften Gräueltaten hinweisen.

Kriegsverwuestung_Kriegszweck_Kriegszerstoerung_Kriegsschaeden_Kriegswirtschaft_Verwuestung_Atomkrieg_Bellizismus_Kriegstreiberei_Kriegsverbrechen_NATO_Kritisches-Netzwerk

► Aktuell sieht das alles anders aus.

Ein zwanzig Jahre andauernder Krieg in Afghanistan als Reaktion auf 9/11, die verbrannte Erde mit unzähligen Toten in Gaza als Reaktion auf die HAMAS-Anschläge. Allein die Überlegung zur Frage der Verhältnismäßigkeit ist gegenwärtig genauso Tabu wie zur Zeit der Vergeltungsorgien der Wehrmacht.

Benjamin_Franklin_1762_Unabhaengigkeitserklaerung_der_Vereinigten_Staaten_Unabhaengigkeitskampf_amerikanische_Verfassung_Diplomat_Paris_Blitzableiter_Kritisches-NetzwerkEs kommt immer auf den historischen Kontext an. Und den Maßstab. Und die gegenwärtige Interessenlage. Folgen wir dem Rat Bertolt Brechts und gehen weg vom aktuellen Geschehen und reisen, zumindest historisch, in die Ferne. Da steht der Name eines Benjamin Franklin (* 6. Januarjul. / 17. Januar 1706greg. in Boston, Province of Massachusetts Bay; † 17. April 1790 in Philadelphia, Pennsylvania) in den Büchern.

Ja, schauen Sie nach. Eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie werden dort finden seine Erfolge als Drucker und Unternehmer, sein Ruf als Erfinder, erwähnt wird unter anderem immer der Blitzableiter, seinen Beitrag an der Formulierung der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und seine tragende Rolle bei der Gründung der USA. Und wenn Sie Glück haben, finden Sie auch noch seine nahezu zehnjährige Tätigkeit als Diplomat in Paris.

► Und was hat Benjamin Franklin in Paris gemacht?

Er hat am französischen Hof, seinerseits in einer ständigen und kriegerischen Konkurrenz mit Britannien, um Unterstützung für den amerikanischen Unabhängigkeitskampf gegen eben dieses Britannien geworben. Und zumindest bei einem Teil des Adels hatte er Erfolg.

Ein gewisser de Beaumarchais (* 24. Januar 1732 in Paris; † 18. Mai 1799 ebendort), seinerseits bekannt durch Libretti wie dem zur Hochzeit des Figaro, sammelte heimlich Geld und organisierte Schiffsladungen voller Waffen, die schließlich französische Häfen mit dem Ziel Nordamerika verließen. Nach einer gewissen Zeit gesellten sich auch junge Adelige hinzu und lernten in dem Kampf in Übersee, wie man Monarchien bekämpft und wie man in einer entstehenden Republik miteinander umgeht. Einer von ihnen trug den Namen Marquis de La Fayette.

Freiheitsstatue_Freedom_Statue_of_Liberty_Lady_Demokratie_Voelkerrecht_Islamophobia_Islamophobie_Muslimophobia_Kriegsverbrechen_war_crime_crimes_democracy_Kritisches_NetzwerkWas das französische Königshaus nicht begriff, war, dass das Treiben Benjamin Franklins nicht nur für Waffen nach Amerika gut war, sondern auch dafür sorgte, dass die Idee der Revolution mit den leeren Schiffen und beeindruckten Franzosen zurück ins goldene Frankreich kam. Nicht umsonst schenkten später die Franzosen den Amerikanern die Freiheitsstatue, die bis heute das Wahrzeichen des Hafens von New York ist.

Nach heutigen Maßstäben, in den ahistorisch angelegten Köpfen der Politkommentatoren, gälte Benjamin Franklin zum einen als Separatist, weil er für die Abtrennung der nordamerikanischen englischen Provinzen eintrat und das mit Waffengewalt. Das heißt, er wäre nicht nur Separatist, sondern auch noch Terrorist. Und das Erstaunliche: trotz dieser Aspekte glänzt er in den offiziellen Annalen der Vereinigten Staaten von Amerika als eine Lichtgestalt ohne Fehl und Tadel. Übrigens zu Recht.

Wie gesagt: Es kommt immer auf den historischen Kontext an.

Und den Maßstab. Und die gegenwärtige Interessenlage.

Only Time Will Tell!

Gerhard Mersmann


Bertolt Brecht (Rede für den Frieden 1952)

»Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Gräueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig.

Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.

Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!

Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.«

NO_WAR_Krieg_Zerstoerung_Kriegstrommelei_Kriegsrhetorik_Kriegstreiber_Kriegsgewinnler_Kriegshetze_Kriegsprofiteur_Kriegspropaganda_Eskalation_NATO_Kritisches-Netzwerk

Die richtige Seite? . . . Gegen den Krieg!

Egal von welcher Seite!

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Ergänzung von Helmut Schnug:

Der frz. Publizist, Politiker und Historiker Alexis de Tocqueville (* 29. Juli 1805 in Verneuil-sur-Seine; † 16. April 1859 in Cannes) sah in der "Demokratie in Amerika" eine Unterdrückung, die der Demokratie von sich selbst her drohe. Allerdings fand er dafür keinen geeigneten Begriff. Deshalb umschrieb er das Phänomen:

»Ich sehe eine zahllose Menge ähnlicher und gleicher Menschen, die sich rastlos um sich selbst drehen, um sich kleine und gewöhnliche Freuden zu verschaffen, die ihre Seele ausfüllen. Jeder von ihnen ist auf sich selbst konzentriert und verhält sich dem Schicksal der anderen gegenüber wie ein Fremder. [..] Über ihnen allen aber erhebt sich eine ungeheure Vormundschaftsgewalt. [..] Sie sorgt für ihre Sicherheit, sieht ihre Bedürfnisse voraus und sichert sie, fördert ihre Vergnügungen, führt ihre wichtigsten Angelegenheiten, leitet ihre Arbeit, regelt ihre Nachfolge, verteilt ihre Erbschaften; könnte sie ihnen nicht die Last zu denken und die Mühe zu leben vollends abnehmen?«

Zitate aus Tocquevilles Werk »Über die Demokratie in Amerika, Bd. 2«:

»Es ist wirklich schwer einzusehen, wie Menschen, die der Gewohnheit, sich selbst zu regieren, vollständig entsagt haben, im stande sein könnten, diejenigen gut auszuwählen, die sie regieren sollen.« [..] »Fast überall in Europa herrscht der Souverän auf zwei Arten: den einen Teil der Bürger lenkt er durch ihre Furcht vor seinen Beamten, den anderen durch die Hoffnung, seine Beamten zu werden.«

»Auf der einen Seite wächst die Freude am Wohlstand, auf der anderen bemächtigt sich die Regierung mehr und mehr aller Quellen des Wohlstandes.« [..] »So genügt es dem Staat nicht, alle Geschäfte an sich zu ziehen, er gelangt auch mehr und mehr dazu, sie alle unkontrolliert und ohne Rechtsmittel selbst zu entscheiden.« [..] »Unsere Zeitgenossen sind ständig von zwei widerstreitenden Leidenschaften geplagt: sie fühlen das Bedürfnis, geführt zu werden, und dabei die Lust, frei zu bleiben.«

Alexis-de-Tocqueville-Ueber-die-Demokratie-in-Amerika-Werke-und-Briefe-Kritisches-Netzwerk-DVA-1959-1962-Hans-Zbninden-Gleichheit-Freiheit-Rechtswesen-Frankreich


Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen.

Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse sind auf seinem persönlichen Blog M7 regelmäßig nachzulesen. >> https://form-7.com/ .


► Quelle: Dieser Beitrag wurde am 11. Oktober 2024 erstveröffentlicht auf https://form-7.com/ >> Artikel. Eigentümer, Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich ist Gerhard Mersmann.

ACHTUNG: Die Bilder, Grafiken, Illustrationen und Karikaturen sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten folgende Kriterien oder Lizenzen, siehe weiter unten. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt, ebenso die Komposition der Haupt- und Unterüberschrift(en) geändert.

► Bild- und Grafikquellen:

USA, Völkermord, 1. Kriegszerstörungen. Für den totalen Frieden den totalen Krieg!? Mit Waffen werden Menschenleben gerettet, Freiheit wird zur Seifenblase, Krieg ist Frieden und im Gleichschritt marschieren wir für unsere Werte. Wir müssen kriegstüchtig werden, damit wir friedlich bleiben.

Foto OHNE Textinlet: Dieterich01 / Lothar Dieterich, Germering (user_id:2819333). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto. Der Text wurde von Helmut Schnug in das Bild eingearbeitet.

2. Ein Ölgemälde, daß Benjamin Franklin im Jahre 1762 darstellt. Künstler: Mason Chamberlin RA (1727-1787), ein englischer Porträtmaler, der zu den Gründungsmitgliedern der Royal Academy im Jahr 1768 gehörte. Originalgröße: Höhe: 128 cm (50,3 Zoll); Breite: 103,5 cm (40,7 Zoll). Ausgestellt im Philadelphia Museum of Art (PMoA), einem Kunstmuseum, das 1876 anlässlich der Hundertjahrfeier-Ausstellung in Philadelphia gegründet wurde. Inventarnummer 1956-88-1. Quelle1 / Fotograf: Philadelphia Museum of Art, Philadelphia >> Gemälde. Quelle2: Wikimedia Commons. Dieses Werk ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für das Herkunftsland des Werks und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 oder weniger Jahren nach dem Tod des Urhebers.

3. Die Freiheitsstatue wurde in Frankreich vorgefertigt, in Einzelteile zerlegt nach New York transportiert und auf der damals Bedloe’s Island genannten Insel zusammengesetzt. Präsident Grover Cleveland weihte sie am 28. Oktober 1886, am Bartholdi-Day, in einer reinen Männerveranstaltung ein. Urheber: CLAVO. Quelle: www.miniaturegigantic.com/. (Webseite nicht mehr online). The wide public distribution of the posters provided here is encouraged, but reproduction is limited to noncommercial use. Any commercial reproduction or redistribution is expressly prohibited.

4. NO WAR. Die richtige Seite? Gegen den Krieg! Illustration: JuliusH / Julius H., Niedersachsen (user_id:3921568). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration.

5. Bücher: Tocquevilles Werke »Über die Demokratie in Amerika«, Band 1 und Band 2.

»De la démocratie en Amérique« beschreibt unter anderem die Demokratie im Zusammenhang der politischen Gesellschaft. Das Buch erhielt 1836 den Prix Montyon der Académie française, deren Mitglied Tocqueville 1841 wurde, und wird heute noch an den Universitäten behandelt.

In seiner Analyse der amerikanischen Demokratie arbeitete er die Ursachen für die Art und Weise des Funktionierens der Demokratie in den USA heraus. Er zeigt die Gefahren demokratischen Regierens, die zu einer „Tyrannei der Mehrheit“ führen könne, und er beschreibt, wie die amerikanische Verfassung und ihr Verfassungsleben dieser Gefahr durch Dezentralisation und aktive Teilnahme der Bürger entgegenwirkten (Band 1, in frz. erschienen 1835 > in dt. Übersetzung bei der Deutschen Verlags-Anstalt, 1959, geb., 507 Seiten).

Im zweiten Band des Werkes macht er dann noch eine weitere Gefahr aus, die für ihn der Demokratie inhärent ist: die Allgewalt der Regierung, die die Bürger der Eigeninitiative berauben, sie schrittweise des selbständigen Handelns entwöhnen und sie so zu unmündigen Privatleuten degradieren könne, die sich nur um ihre wirtschaftlichen Probleme kümmerten. Auch hier zeigt er, wie die amerikanische Demokratie dieser Gefahr begegnete: durch Dezentralisation, durch die Lehre vom wohlverstandenen Eigennutz und durch eine Beeinflussung der dominierenden Verhaltensstandards durch das Christentum. (Band 1, in frz. erschienen 1840 > in dt. Übersetzung bei der Deutschen Verlags-Anstalt, 1962, geb., 368 Seiten).

WARNUNG: Kauft Euch bloß nicht die unvollständige, verkrüppelte und beschissen übersetzte Billigversion, die es bei Reclam gibt. Es gibt auch antiquarisch ein Softband in Dünnschrift, in dem beide Bände vereint sind - ist aber nur bedingt empfehlenswert. Habe noch die im Bild gezeigten Bände I. und II. abzugeben, wegen ihrer Bedeutung habe ich sie jeweils doppelt erworben. Sie sind antiquarisch extrem schwer zu finden. Kontakt siehe Impressum.

6. "Kann eine große Nation, deren Geschichte womöglich mit einem Völkermord begann, uns heute noch mit aller Gewalt einen gerechten Weltfrieden bescheren? . . . . " Grafik: Wilfried Kahrs, Tirschenreuth (* 5. November 1960; † 3. Sept. 2024).