Kein Schwein gehabt

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Peter Kern
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Verbunden: 15.12.2011 - 11:30
Kein Schwein gehabt
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Kein Schwein gehabt


Schweine werden gezüchtet, um dem Menschen als Nahrungsmittel zu dienen. Das Ziel ihres Lebens ist der Schweinebraten. Nur Vegetarier mögen sich einer solchen „Normalität“ nicht anschliessen. Jetzt haben Wissenschaftler in Österreich das Lebensziel von Schweinen um eine bemerkenswerte Dimension erweitert. Im Ötztal begrub man die Tiere unter einer simulierten Schneelawine und verfolgte dann mit akribischen Messungen, je nach Versuchsanordnung über Minuten oder Stunden, das langsame Ersticken der Tiere. Man wolle, so begründeten die Forscher das Experiment, Erkenntnisse über die Überlebenschancen von menschlichen Lawinenopfern erlangen.

Als der Versuch öffentlich wurde, hagelte es Kritik: unfassbar, widerwärtig, unethisch, hiess es, nicht nur von Tierschützern, auch von Politikern.  Nur die beteiligten Wissenschaftler verstanden die Welt nicht mehr. Zwar mussten sie ihre Aktivitäten unter dem Druck der öffentlichen Meinung abbrechen, aber ganz aufgeben wollten die Forscher nicht. Studienleiter Peter Paal von der Innsbrucker Anästhesie: „Man wird sich überlegen, ob und wie man das Experiment weiter führen kann.“ Unterstützung dürfte ihm auch weiterhin gewiss sein, immerhin hatte das Wissenschaftsministerium das Projekt genehmigt, und auch der Tierschutzbeauftragte der Medizinischen Universität Innsbruck hatte die „Versuchsanlage“ für gut befunden. Die Tiere kamen sogar, so hiess es, aus einem zertifizierten und begutachteten Schweinestall, wo sie artgerecht gehalten wurden. Wie wenn das den willkürlichen Akt des Tötens rechtfertigen könnte. Vor allem aber sprach doch dies für das Vorhaben: Die Versuchstiere bekamen am Tag ihres „Einsatzes“, ja, so sagten sie es, eine Narkose, so dass sie das Prozedere bis zu ihrem Tod nicht bemerkt hätten.

In der Tat, unter dem Gesichtspunkt empirischer Forschung war alles korrekt. Verdrängen wir nicht: Tierversuche haben Konjunktur. Weltweit benötigt die Forschung jährlich viele Millionen Tiere für Experimente in der Grundlagenforschung, bei toxikologischen Tests sowie beim Entwickeln und Überprüfen von Medikamenten.  Tierversuche, die unter Betäubung stattfinden und mit schmerzloser Tötung enden, lassen sich rechtfertigen, da die Tiere nicht leiden. Das ist das Credo jedes Naturwissenschaftlers, der an Tieren forscht. Vor diesem Hintergrund war die Versuchsanordnung des österreichischen Forscherteams mehr als in Ordnung.

Vergleicht man ihr Vorgehen mit dem in Deutschland öffentlich diskutierten Fall der Forschung an Makaken, dann wird das Unverständnis von Peter Paal gegenüber der Kritik an seinem Vorgehen nachvollziehbar. Bei den Versuchen an der Universität Bremen wird den Primaten ein Loch in den Schädel gebohrt, durch das bei den Tests Elektroden in ihr Gehirn geschoben werden. Auf ihrem Kopf ist mit Zement eine Halterung befestigt, mit der die Tiere fixiert werden können. Am Ende ihres Versuchstierlebens werden sie getötet, damit die Gehirne untersucht werden können. Nach Angaben des Forschungsleiters Andreas Kreiter ist die Belastung für die Tiere "objektiv relativ gering.“  Da läuft es einem kalt den Rücken hinunter. Die öffentliche Kritik blieb auch hier nicht aus. Doch der Rektor der Universität, Winfried Müller,  konterte erfolgreich mit einem gängigen Argument der Tierversuchsbefürworter, und so dürfen die Versuche an den Makaken bis auf weiteres unter Auflagen fortgeführt werde: Das angestrengte  Forschungsverbot sei „ein unzulässiger Eingriff in die grundrechtlich geschützte Wissenschaftsfreiheit", hatte der Rektor erklärt.

Kreiter und Müller könnten den in Oxford ausgebildeten Philosophen Peter Carruthers gelesen haben: „Da ihre ( der Tiere, P.K.) Erfahrungen, einschliesslich ihrer Schmerzen, unbewusst sind, können ihre Schmerzen kein unmittelbares Objekt moralischer Rücksicht sein. Und da in der Tat alle Befindlichkeiten von Tieren unbewusst sind, verdienen ihre Verletzungen nicht einmal eine indirekte moralische Rücksicht."  Das wurde 1989 geschrieben. Im 17. Jahrhundert gab es einen Franzosen,  Malebranche, der behauptete, Tiere hätten keine Seele. Da nur durch diese Befindlichkeiten wahrgenommen werden könnten, folgte für ihn daraus, dass Tiere als nur materielle Wesen keinen Schmerz empfinden könnten.

Ist das alles ein Beleg für den viel gerühmten Fortschritt in der Forschung?

Wohin haben sich unsere Wissenschaftler verirrt?

Eine Antwort gibt der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker: „Die wissenschaftliche und technische Welt der Neuzeit ist das Ergebnis des Wagnisses des Menschen, das Erkenntnis ohne Liebe heisst. Diese Erkenntnis ist an sich weder gut noch böse. Ihr Wert hängt davon ab, in den Dienst welcher Macht sie tritt. Ihr Ideal war, frei von jeder Macht zu sein. So hat sie den Menschen schrittweise aus seinen instinktiven und traditionellen Bindungen gelöst, aber ihn nicht in die neue Bindung der Liebe geführt. Das äusserste Erlebnis dieser Bindungslosigkeit“ sei der „Nihilismus".

So stehen wir heute vor dem Faktum, dass das berechnende, machtförmige Denken die Wissenschaft beherrscht. Ihre Rationalität wird bedenkenlos gefeiert, zugleich aber wird übersehen, dass diese Rationalität nur noch den um die „Vernunft“ gekürzten „Verstand“ zulässt: Es geht nur um „richtig“ und „falsch“, um blosse Funktionalität, nicht aber um Wahrheit und Unwahrheit, um Sinn und Unsinn. Dieser „Verstand“, der nur Richtigkeit einklagt, kommt mit einem nicht mehr durchschauten „Machtanspruch“ daher. Dieser Machtanspruch entfesselt die universale und totale Verrechnung von allem, was es auf diesem Globus gibt.

Für die Naturwissenschaften bedeutet das: „Die Naturwissenschaft ist nicht wahr, denn sie zerstört die Natur“, so der Philosoph Georg Picht. Wir sind deshalb herausgefordert, die Natur „wahrer“ zu denken als es die neuzeitliche Naturwissenschaft tut. Ein solchermassen gebildeter und sensibilisierter Wissenschaftler käme dann nie auf den aberwitzigen Einfall, Schweine einem tödlichen Experiment auszusetzen, nur um des Zieles willen, Menschen in hoch technisierten Skigebieten erfolgreicher aus Schneelawinen, die diese in aller Regel auch noch selbst ausgelöst haben,  bergen zu können.

Inzwischen meldet Spiegel Online, dass britische Forscher Schweine in die Luft gesprengt haben, um die Wirkung von Terroranschlägen zu simulieren. Spitzenforschung eben. Es gibt nichts, was in seiner Perversität nicht noch zu toppen wäre, und das im Namen der Wissenschaft. Von der alltäglichen Tierquälerei schweige ich hier resigniert.
 




Literatur

Georg Picht: Der Begriff der Natur und seine Geschichte. Mit einer Einführung von Carl Friedrich von Weizsäcker, 1993, 3.Aufl.

Zum Zitat von Peter Carruthers vgl. Siri Hustvedt: Die zitternde Frau, 2010, S. 156