Lehren aus der Un-Freiheit der Presse

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Johannes Heinrichs
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Lehren aus der Un-Freiheit der Presse
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Lehren aus der Un-Freiheit der Presse

von Prof. Dr. Johannes Heinrichs


Die gesellschaftliche Meinungsbildung und Wertekommunikation ist heute in hohem Maße, jedoch keineswegs ausschließlich, vermittelt durch Medien. Gemeint sind sowohl die bekannten Massenmedien (Fernsehen, Rundfunk, Presse) wie technische Medien mit eigener Kommunikationsgemeinde (Computer). Diese mediale Kommunikation muss auch im Zeitalter der Massenmedien unterschieden werden von der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation im Allgemeinen. Nicht zu Unrecht wird die Unterscheidung von öffentlicher und veröffentlichter Meinung getroffen. Einzig die Internetgemeinden können diese Unterscheidung inzwischen etwas unterlaufen.


Unheilige Allianzen

Die Publizistik spiegelt – trotz all ihrer Macht – nur einen beinahe formalisierten und weitgehend vermachteten Teil der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation, geschweige dass sie diese überwiegend ausmacht. Jedoch verstärkt sie die Kommunikationsflüsse ungemein nach ihren Maßstäben. Das weiß jeder, und untergründig auch von den Problemen, die damit verbunden sind. Jedoch die meisten nur ganz untergründig, vorbewusst. Das Problem der publizistischen Freiheit liegt heute in den westlichen Demokratien, nicht mehr so sehr in der Freiheit von der Staatsmacht und dem gesamten politischen System. Diese Freiheit spielt zwar derzeit in Russland und vielen vordemokratischen Ländern wieder eine Hauptrolle. Wir lenken jedoch damit allzu gern von unserem eigenen Problem ab. Es liegt in der Freiheit vom wirtschaftlichen System, das freilich unheilige Allianzen mit dem politischen System eingehen kann, ja dieses weitgehend beherrscht. Diese Dominanz der Wirtschaft über das politische System ist für die nationale Politik allgemein bekannt, während das strukturelle Heilmittel gegen diese illegitime Übermacht: die Differenzierung von Wirtschaftsparlament, Politikparlament, Kulturparlament und Grundwerteparlament als das generelle Heilmittel (Hauptthema meines 2003 veröffentlichten Buches »Revolution der Demokratie«) noch keineswegs generell bekannt und akzeptiert ist. Auch dies hat Methode.


Abhängigkeiten

An dieser Stelle, wo es um die seit Anbeginn der demokratischen Bewegung so essentielle Freiheit der Publizistik geht, soll zweierlei vorgebracht werden: Zum einen die faktische Abhängigkeit der „freien Presse“ vom „freien Markt“. Diese Abhängigkeit bedeutet, dass kaum ein Redakteur es sich leisten kann, etwas dem großen Publikum oder den Wirtschaftskreisen Missliebiges zu bringen, ohne dass der Chefredakteur einschreitet, so dies überhaupt notwendig wird: „Das können wir doch nicht bringen! Das wollen die Leute nicht hören. Das wollen vor allem diese und jene Firmen nicht hören, von denen wir abhängig sind. Das kann noch so wahr sein. Aber bringen können wir das nicht, ohne uns anzulegen oder gar zu ruinieren!“

Die Wahrheit der Berichterstattung, der Analyse und Meinungsäußerung wird durch den Markt in keiner Weise gewährleistet.

Die Apologeten des „freien Marktes“ (der in Kapitel 5 als etwas politisch Herzustellendes, keineswegs etwas Naturgegebenes gekennzeichnet wird) muss das skandalisieren: Der Markt ist nicht wahrheitsverträglich! Genauso wenig, wie der Markt Garant für kulturelle und künstlerische Qualität ist, worauf wir anschließend kommen werden. Nur schüchtern (hier selbst eingeschüchtert) bringe ich einige Beispiele: Wenn ein Massenblatt sich grundsätzlich kritisch äußern würde über den „deutschen Papst“ in Zeiten der national-religiösen Euphorie, könnte es seine Auflage einstampfen. Ebenso, wenn es sich grundlegendnegativ äußern würde über unser Geldsystem und das leistungsverfälschende Renditeprinzip oder über den Genuss von Tierfleisch und seine Folgen für Gesundheit und Welternährung, über das strukturelle Ungenügen unserer Parteiendemokratie mitsamt Reformvorschlägen. Und dergleichen mehr. Man braucht gar nicht erst in heikle Bereiche zu gehen, in denen die Minderheiten von den Großmedien gern als „Verschwörungstheoretiker“ abqualifiziert werden – was die Wahrheitsfindung (z. B. über den 11.9.2001) nicht gerade leichter macht.

Vieles könnte wahr und richtig sein, aber wenn es sich nicht verkauft, hat solcherlei Wahrheit keine Chance. Und es verkauft sich nicht. Man kann alle „Außenseitermeinungen“ durchaus mal anklingen lassen, um sich die eigene Liberalität zu beweisen, doch um Gottes Willen nicht als ernsthaft vertretene, „mehrheitsfähige“ Wahrheitsmeinung verkaufen wollen.


Freiheit unserer Presse

Die „Masse“ findet sich hier durchaus im Bündnis mit der „politischen Klasse“ (Helmut Schmidt) und den bewahrenden Kreisen in allen Parteien, die keine Grundsatzkritik gelten lassen. Böswilliger Klatsch verkauft sich, jedoch nicht Grundsatzkritik, und sei diese noch so konstruktiv. Das alles impliziert ein vernichtendes Urteil über die Freiheit unserer Presse. Kann Freiheit bedeuten, mit wohlbegründeten, vermutlich wahren Meinungen in den publizistischen Untergrund zu gehen, in die scheinbare publizistische Sektiererei? Sich dahin zu begeben, bedeutet erstens, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu publizieren, zweitens sich als Sektierer abstempeln zu lassen. Dass irgendwann, nach vielen Jahren, doch solche Meinungen und Wahrheiten marktfähig werden, ist da ein schlechter Trost. Die Verteidiger einer grundsätzlich existierenden Freiheit der Publizistik, trotz der Bedingungen des Marktes, ignorieren diese Zusammenhänge zugunsten eines ganz abstrakten, weltfremden, eigentlich gezinkten Freiheitsbegriffs. Was nzt die „freie Meinungsäußerung“, wenn sie nicht zur Kenntnis genommen wird, weil der Markt sie in den publizistischen Untergrund drängt?

Es gibt eine ganze Menge öffentlich wichtiger Wahrheiten, deren freie Äußerung nach dem Motto verläuft: Du hast zwar keine Chance gehört zu werden, aber nutze sie. Wir haben doch das Recht auf Freiheit der Meinung und der Presse. Zweitens: Aus solcher Dominanz des Marktes über die publizistische Wahrheit kämen wir nur heraus durch Gewährung wirtschaftlicher und parteipolitischer Unabhängigkeit für wichtige Massenmedien.


Denkverbote

Die derzeitige Massenmedienlandschaft ist entweder wirtschaftlich oder aber parteipolitisch und konfessionell nicht unabhängig. Letzteres gilt etwa für die Organe der Bundesanstalt für politische Bildung (wie der Wochenzeitschrift DAS PARLAMENT), die durch langweilige „Ausgewogenheit“ aus dem Rahmen fallen und dadurch schon vor Publikumswirksamkeit geschützt sind. Es gilt aber auch für durchaus hochpotente Massenmedien wie den Öffentlichrechtlichen Rundfunk mit dem Fernsehen der ARD und ZDF und einiger weiterer Anstalten. Auch hier ist aber durch die parteipolitische (samt gewerkschaftliche) und konfessionelle Besetzung der Rundfunkräte letztlich die fatale „Ausgewogenheit“ gewährleistet, so dass wirklich freie, gegen den Strom schwimmende Meinungsäußerungen oder Berichterstattungen die würzende Ausnahme bleiben.

Damit möchte ich nicht den in einem gewissen Rahmen durchaus kritischen, investigativen Journalismus herabsetzen, wie er sich in manchen Magazinsendungen glücklicherweise produzieren kann. Doch erstens werden diese Lichtblicke des kritischen Journalismus von unzähligen andersgearteten Sendungen völlig neutralisiert. Zweitens gibt es auch hier Grenzen, die zu den entscheidenden Denkverboten führen. Entscheidend für das Gesamtbild – und entscheidend für die geistige Stagnation. Denn diese wird hauptsächlich von den scheinbaren Außenseiterideen durchbrochen, keineswegs von der so genannten „Mitte der Gesellschaft“.


Wissenschaft und Oberflächlichkeit

Was würden wir von Wissenschaften halten, wo man alles erforschen und publizieren darf, nur nicht das entscheidende Quäntchen, das zu den grundlegend neuen Ideen führt? „Deutschland das Land der Ideen“? Nicht zuletzt der unterdrückten Ideen! Die Wissenschaft wurde hier noch einmal genannt, weil auch wissenschaftliche, zumal geisteswissenschaftliche Neuerungen, publizistisches Echo brauchen. Insofern besteht eine enge Beziehung zwischen den beiden Wahrheitsfeldern.

Betrachtungen etwa, wie sie soeben hier von mir angestellt werden, hätten trotz ihrer relativen Verhaltenheit und Wohlbegründetheit in den Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wenig Chancen. Wenn schon etwas Neues, dann oberflächliche Sensationen. Aber keine anspruchsvollen Ideen mit Langzeitwirkung.

Wie sollen die Öffentlichrechtlichen denn da mit den „Freien“ konkurrieren können? Ein Ausweg, oder zumindest ein wesentlicher Teil eines solchen, läge darin, die Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einem frei, direkt und bereichsspezifisch gewählten Kulturparlament zu unterstellen, dessen Interessengruppen, den Sachparteien neuen, von den bisherigen Allroundparteien unabhängigen Stils, danach vom Wähler beauftragt würden, ob und wie ihnen an der Freiheit der Kultur, somit nicht zuletzt der Markt-, Partei- und Konfessionsunabhängigkeit der öffentlichen Publizistik läge. Dieser Vorschlag läuft wiederum auf das anderweitig entfaltete, gesamtdemokratische Konzept einer Viergliederung des Parlamentarismus hinaus („Revolution der Demokratie“).


Massendemokratie

Ich höre hier einen interessanten Einwand: Wieso, ließe sich sagen, vertraust du denn den Massen als Wählern, wenn du ihnen als Konsumenten der Presse so abgrundtief misstraust? Ist Demokratie mit ihrem Mehrheitsprinzip nicht nun einmal Massendemokratie? Antwort: Die Wähler würden in einem bereichsspezifischen Wahlsystem – durch die sich vorstellenden, miteinander konkurrierenden Kandidaten über Alternativen aufgeklärt. Sie gewinnen bei bereichsspezifischen Wahlen – und nur bei diesen! – erstmals echte Entscheidungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten. Sie wissen, um welche Alternativen es konkret geht. Solche wirklichen Entscheidungsmöglichkeiten lassen sich nicht mit der „souveränen Wahl“ beim Kauf der bisherigen Massenblätter vergleichen, die sich ohnehin nur nach Links und Rechts, nach Rot und Schwarz und dergleichen unterscheiden – wenn nicht nach dem Busen des Covergirls.

Die „Massen“, also die normalen Menschen in ihrem Durchschnitt, sind nicht von Hause aus dumm, sondern werden medial dumm gehalten und verdummt. Ferner ist es viel zu einseitig, Demokratie bloß durch das Mehrheitsprinzip zu charakterisieren – auch dies ein derzeitiges Pressekonstrukt, unter Mitwirkung ungenauer Wissenschaft. Sie beruht wesentlich auf Qualifizierung dieser Mehrheiten durch Beratung und  Vertrauensdelegation. Die bloße Massenmehrheit bliebe „der Unsinn“, für den Schiller sie im Dimetrius erklärte.


Der Ausweg:

Wir brauchen eine vom Kulturparlament gewählte Kulturexekutive, welche die Freiheit der Presse herstellt, die jetzt mitnichten gegeben ist. Wie kommt es zum Beispiel, dass auch die Verfechter von „Mehr Demokratie“, also einer Ausweitung direktdemokratischer Verfahren, zum größten Teil noch nichts von der in diesem Konzept liegenden Synthese von direkter und repräsentativer Demokratie gehört haben, einer Synthese, die viel mehr Augenmaß hat und realistischer ist als die bloße Flankierung unserer „repräsentativen“ Parteiendemokratie durch ihrerseits manipulierte und pauschale Volksabstimmungen?

Wie kommt es, dass man nicht erkennt, dass Demokratie nichts bloß Formelles ist, sondern über die Rechtsordnung alle Bereiche des Lebens zutiefst prägt oder aber verfehlt? Das muss wohl mit der Regelung der „freien Publizistik“ zusammenhängen! Denn die umfassenden Vorschläge liegen seit etlichen Jahren, spätestens seit 2003 (RdD) seriös auf dem Tisch. Auf einem wohl gar nicht vorhandenen Tisch der Öffentlichkeit. Eben! Wer jetzt – wegen meines Rufes nach rechtlich-institutionellen Vorkehrungen – polemisch auf „Reichspropagandaministerium“ schalten wollte, hätte weder den kulturellen Ernst der Lage in Sachen Publizistik verstanden noch die hier notwendige Phantasie aus wohlwollendem Mitdenken aufgebracht. Schade, würde ich sagen, auch dies eine Wirkung der bisherigen Massenmedien – und der von ihnen weithin verfehlten Funktion einer aufgeklärten öffentlichen Meinungsbildung.

Weiteren, spezifisch sozialpsychologischen Gesetzen der öffentlichen und veröffentlichten Meinung (wie z. B. die „Schweigespirale“ nach E. Noelle-Neumann) kann hier nicht nachgegangen werden. Alles kristallisiert sich heute am Wirtschaftlichen.
 



Dieser Text wurde ursprünglich veröffentlicht in:
Lehren aus der Unfreiheit der Presse, in: Lebens-t-räume 3/2012 - klick
 

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