Literarisches Eigentum. Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter (PHILIPP THEISOHN)

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Literarisches Eigentum. Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter (PHILIPP THEISOHN)
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Literarisches Eigentum.   Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter. Essay


Autor: Philipp Theisohn

Verlag: Alfred Kröner Verlag, Stuttgart (1. Auflage 2012) – zur Verlagsseite

ISBN-13:  978-3-520-51001-3

132 Seiten, Broschur, € 11,90

Die rasende Entwicklung der digitalen Welt hat auch das wissenschaftliche und literarische Arbeiten revolutioniert. Unsere Vorstellungen vom Wert geistiger Arbeit sind im Wandel begriffen. Öffentliche Plagiatsdebatten um die Copy-Paste-Mentalität ›der Fälle‹ zu Guttenberg oder Silvia Koch-Mehrin, auf dem Gebiet der Literatur etwa um Helene Hegemann, aber auch das immer wiederkehrende Open-Access-Plädoyer haben die Frage, ob das digitale Zeitalter ein neues Urheberrechtsdenken braucht, ins Zentrum der gesellschaftlichen und politischen Aufmerksamkeit gerückt.

Philipp Theisohns Essay sucht nach den Ursachen dieser Entwicklung auf jenen Feldern, die in der aktuellen Diskussion um literarische Diebstähle im Mittelpunkt stehen: auf dem Feld der Kunst, der Politik und der Wissenschaft. Der sich abzeichnenden Entmenschlichung des Umgangs mit Literatur stellt Theisohn dabei das Plädoyer für eine neue Textethik im digitalen Zeitalter entgegen, in deren Zentrum der Begriff der ›Arbeit‹ steht.

 


Inhalt:


Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

I. Worüber man sich täuscht . . . . . . . . . . . . . . 13

II. Vertextete Wirklichkeit oder Die Kunst und das literarische Eigentum. . . . . . . . 34

III. Die Informierten oder Die Politik und das literarische Eigentum . . . . . . . 67

IV. Gescannte Ideologie oder DieWissenschaft und das literarische Eigentum . . . . 94

V. Zeitgeist und geistige Zeit . . . . . . . . . . . . . . 121

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125


Leseprobe - das Vorwort:

Nicht selten entscheidet der Zeitpunkt, zu dem ein Buch erscheint, über das, was es zu sagen hat. Dies trifft auch auf jene Überlegungen zu, die im Anschluss folgen und über deren glücklichen oder unglücklichen Moment Einiges zu sagen wäre. Vielleicht ist es am einfachsten, wenn sich der Verfasser selbst dazu erklärt.

Als ich vor knapp drei Jahren meine Literaturgeschichte des Plagiats beendete,war mein Blick auf die Vorstellung des literarischen Eigentums ein ganz und gar historischer geworden. Natürlich gab es da am Ende ein Räsonnement über die Herausforderungen der digitalisierten Textproduktion, die Frage, ob wir am Computer eigentlich noch schreiben, sowie die Bedeutung von literarischen Netzwerken für die Zukunft der Literatur. Vieles war Spekulation, zumindest aber blieb es Theorie.Am Ende verschwand das Plagiat im Nebel. Erahnen ließ sich, an welcher Stelle es einst wieder auftauchen könnte, doch im Frühjahr 2009 zeigte es sich nirgends. Ich hatte nichts Konkretes in der Hand.

Ein knappes Jahr später, geweckt durch Helene Hegemanns Roman Axolotl Roadkill, tauchte der Begriff dann urplötzlich wieder auf und verließ von da an die Bühne für lange Zeit nicht mehr. Es gelang ihm, die öffentliche Diskussion über Gegenwartsliteratur und ihre Produktionsverfahren zeitweilig zu besetzen, dann fand er in zu Guttenberg seine zweite Ikone und dehnte seine Herrschaft auf das Feld der Tages- und Hochschulpolitik aus. Er entwickelte neue Formen der gesellschaftlichen Beteiligung am Plagiarismus, indem er digitale Bürgerwehren ins Leben rief, die sich in Eigenregie des Schutzes von literarischem Eigentum annahmen. Er füllte die Zeitungen und die Fernsehprogramme. Schließlich stürzte er Minister und brachte Hochschulkommissionen in Erklärungsnöte. Dass in unserer Vorstellung von Literatur Eigentum und Diebstahl immer noch sehr präsente und wirkungsvolle Denkmodelle sind, bedurfte nun keiner weiteren Beweise mehr.

Von dieser Warte aus wäre der folgende Essay vor allem als ein Nachfassen zu verstehen, als eine Integration der plagiarischen Gegenwart, die sich gegenüber meiner Geschichtsschreibung leider verspätet hatte. Das wäre nun allerdings eine außerordentlich schwache Existenzbegründung für ein neuerliches Buch. Aktualität allein ist ein eitles Argument, zumal es ganz danach aussieht, als ob das Aktuelle bereits wieder Geschichte und ein 2012 veröffentlichter Traktat über das literarische Eigentum im digitalen Zeitalter somit mehr oder weniger obsolet sei. In der Tat soll es nicht darum gehen, den Entwicklungen hinterherzulaufen, um sie möglichst rasch noch einfangen und historisieren zu können. Das braucht kein Mensch, und wenn hierin die einzige Motivation dieses Buches gelegen hätte, dürfte man es nicht drucken lassen.

Welchen Rechtfertigungsgrund besitzt dieser Essay aber dann?

Vor allem den einen: Er zweifelt. Er zweifelt an der These, dass die Durchlässigkeit der digitalen Medien hauptverantwortlich für die Misere des literarischen Eigentums ist. Er zweifelt auch an der These, dass es eigentlich überhaupt keine Misere gebe, da das literarische Eigentum im Zeitalter der Digitalisierung ein medientechnisch überholter Begriff sei. Wenn im Folgenden das literarische Eigentum und die Neuen Medien zusammengedacht werden sollen,dann zeichnet sich dieser Versuch dadurch aus, dass er eine Mittlerposition einnimmt. Ganz gleich, von welcher Seite, von welchem Fall aus wir uns der Besitzordnung der Literatur nähern, so gilt immer, dass das Internet und seine Kommunikationsstrukturen die Korruption der geistigen Arbeit nicht hinreichend zu erklären vermögen. Nicht nur diejenigen, welche die Netzkultur von vornherein für einen Räuberkodex halten, auch diejenigen, die die Verfahrenslogik digitaler Speichermedien umstandslos mit der politischen, ökonomischen und kulturellen Verfassung des 21. Jahrhunderts identifizieren, liegen falsch. Die Macht des Mediums ist kleiner als man wünscht oder fürchtet. Und wenn man die Plagiatsdiskussionen der vergangenen beiden Jahre nicht zur Polemik nutzt, sondern sie zum Anlass nimmt, die Zusammenhänge zwischen dem gesellschaftlichen Stellenwert des Schreibens, den sich im Umlauf befindenden Vorstellungen von geistigem Eigentum und den Möglichkeiten computerisierter Textproduktion zu beleuchten – dann wird man auf kurz oder lang darauf kommen, dass die Digitalisierung keine neuen Übel in die Welt setzt als vielmehr gewisse Problematiken im Umgang mit Literatur vergrößert, deren Ursprung nicht das Internet ist und die auf jedem gesellschaftlichen Feld neu bestimmt werden müssen, in der Kunst sich etwa ganz anders ausnehmen als in der Politik oder der Wissenschaft. Die Fragen, die uns aus den Skandalen erwachsen, können somit nicht allein durch die Medientheorie, sondern nur durch einen Rückzug auf das Ethos literarischen Arbeitens beantwortet werden. Das will dieses Buch.


Herzlichen Dank an Alfred Klemm, programmverantwortlicher Geschäftsführer des Verlages, für die stets freundliche und konstruktive Unterstützung durch Überlassung  des Inhaltsverzeichnisses, des Vorwortes und einer mehrseitigen Leseprobe aus dem Buch.

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