Militär und Kriege sind keine Konfliktlöser

1 Beitrag / 0 neu
Bild des Benutzers Wolfgang Blaschka
Wolfgang Blaschka
Offline
Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Militär und Kriege sind keine Konfliktlöser
DruckversionPDF version

 

München: Bumm in der Boom town  

                 
Irgendwann während eines alliierten Bombenangriffs auf die "Hauptstadt der Bewegung", die spätestens seit 1944 nur noch von der Frage bewegt schien, wann der nächste Alarm kommt, verirrte sich eine 250-Kilo-Bombe auf das Gelände der Feilitzschstraße 7 in München-Schwabing, ohne zu detonieren. Dabei hatte der Blindgänger einen perfiden chemischen Zeitverzögerungsmechanismus eingebaut, welcher dafür sorgen sollte, dass nach dem Inferno des Luftangriffs die Bergungsmaßnahmen und Aufräumarbeiten behindert würden, indem der Sprengstoff bis zu 144 Stunden später gezündet würde. Aber das Grundstück war bereits Ruine, die Bombe fiel weich und tat keinen Mucks. Dabei hätte sie die Bewohner demoralisieren und kriegsmüde machen und die Machthaber zur vorzeitigen Aufgabe ihrer Weltbrandunternehmung zwingen sollen. Aber nichts da, die Bombe versagte, die Deutschen konnten in Ruhe ihren Krieg zu Ende verlieren, und das 5-Zentner-Ding sank im Schutt immer tiefer in einen 70-jährigen Schlummer.

Nach Kriegsende, Stunde-Null-Gezeter, Entnazifizierung, Währungsreform, und Gründung des Nachfolgestaates des Deutschen Reiches, also mitten im Wirtschaftswunder suchten die Münchner ihre Baulücken zu schließen. Auf manchen Grundstücken entstanden nur erdgeschossige Behelfsbauten, notdürftig zusammengezimmert aus den Trümmern der Vorgänger-Immobilien, aus noch intakten Ziegeln und Balken und Eisenteilen, die über dem oberflächlich planierten Terrain errichtet wurden, um ein provisorisches Ladenlokal, eine Grillstation oder eine Kneipe zu eröffnen und auch ohne soliden Neubau ein bisschen vom Boom der Nachkriegsjahre zu profitieren. Es scheint sich gelohnt zu haben trotz steigender Grundstückspreise, die Baracke stehen zu lassen, bis sie im Zuge von Schwabinger Krawallen, Studentenrevolte und Deutschem Herbst in die Hände von langhaarigen Pächtern fiel und zur Schwabinger 7 mutierte, als Absturzkneipe mit dem Flair einer biergeschwängerten Bruchbude für all jene, welche die leuchtenden Schwabinger Nächte ausgespuckt und übrig gelassen hatten. Da wurde gerockt und getanzt, geschlägert und gesoffen, dass sich die Balken bogen, doch die Fliegerbombe konnte das nicht erschüttern. Die Nachbarn beschwerten sich wohl immer mal wieder über Radau und wummernde Bässe, doch die waren wohl zu moderat für das Relikt aus dem vergessenen Weltkrieg. Selbst durch den Boden gesickerter Urin schien ihr nichts anhaben zu können.

Erst in den zweitausendzehner Jahren, als München wieder schick war und Anziehungspunkt für Nordlicht-Manager, BWL-Studenten mit Papis Scheck und reichen Arabern, die sich auf Sommerfrische nach Europa flüchteten, als die Mieten und Grundstückspreise anzogen und die angestammte Wohnviertelbevölkerung ab, entdeckte eine Immobilienfirma den Wert der Baulücke und beschloss, dort ein stadtentwicklungspolitisch werthaltiges Sozialprojekt "Überteuertes Wohnen" hochzuziehen. Die Kneipe sollte raus, es gab Anwohner-Proteste mit Promi-Unterstützung, allein es nutzte nichts: Die Schwabinger 7 musste ein paar Häuser weiter ziehen. Die schäbige Hütte wurde plattgemacht, Dampfhämmer polterten über die Brache und Presslufthämmer knatterten – direkt über der Bombe. Sie blieb davon unberührt, bis ein Baggerschaufelzahn an ihr schrammte. Nun war das Entsetzen groß. Bombenalarm – mitten beim Gentrifizieren! Was ursprünglich das Reich treffen sollte, traf nun die Reichen. Der erste herbeigerufene Entschärfer pirschte sich professionell heran, legte das Monstrum teilweise frei, erkannte das Fabrikat – und rannte wie von der Tarantel gestochen davon. Dieses Ding ließ sich durch Ausbau des Zünders nicht entschärfen, da gab es eine Ausbausperre. Nun mussten Spezialisten ran. Die zweiten Zwei, aus Brandenburg und Sachsen eingeflogen, hätten beinahe durch kurzes Anheben eine Explosion ausgelöst, die sie nicht überlebt hätten. Was blieb: Die "kontrollierte Detonation" an Ort und Stelle.

Also wurde evakuiert. Zunächst 800, später 3000 Anwohner mussten ihre Wohnungen binnen Minuten verlassen, die Feuerwehr verlegte prophylaktisch Schläuche, Bauern karrten fuderweise Stroh heran zur Ummantelung des stählernen Ungetüms, Technisches Hilfswerk, Malteser Hilfsdienst, Polizei und selbst ein Verbindungsoffizier der Bundeswehr (es handelte sich ja um Kriegswaffen) konnten endlich mal unter Realbedingungen ihre Katastrophenschutzpläne ausprobieren. Eine gespenstische Stille lag über dem sonst so geschäftigen Schwabing. Um 21.54 Uhr am 28. August 2012 war es soweit. Die U-Bahn-Verbindungen seit Stunden streckenabschnittsweise eingestellt, der Verkehr weiträumig umgeleitet, die angrenzenden Straßenzüge hermetisch abgeriegelt, lag das Areal nahe der Münchner Freiheit wie ausgestorben. Ein dumpfer Knall, ein greller Feuerball, eine gelbliche Rauchwolke. Metallsplitter samt Sand- und Stroh-Dämmung schossen brennend in die umliegenden Häuser, zerschmetterten Fensterscheiben, rissen Mauerbrocken und Fensterstöcke heraus und setzten Dächer in Brand. Ein Szenario, wie es tausendfach potenziert in den letzten Kriegsjahren die Städte in Schutt und Asche gelegt hat als Antwort auf Goebbels' Ausrufung des „Totalen Krieges“, nachdem die Nazis mit Rotterdam, Coventry und dutzenden weiteren Städten außerhalb der Reichsgrenzen damit begonnen hatten, dicht besiedelte Gebiete dem Erdboden gleichzumachen und regelrecht „auszuradieren“.

Nun war der Krieg wieder da in München, er hatte nur lange geschlafen. Er ist waffentechnisch immer noch nicht zu Ende, und schon führen deutsche Regierungen wieder neue Kriege, anderswo, mit „verfeinerter“, weiterentwickelter, noch durchschlagenderer Waffentechnik, aber ebenso heimtückisch und mörderisch. Eine Drohne, die ein Dorf auslöscht, löst nicht einmal einen Luftalarm aus. Der Krieg ist uns näher als wir denken. 17 mehr oder weniger schwer beschädigte Häuser, ausgebrannte Wohnungen und Geschäfte, ein paar zerstörte Existenzen waren die späten "Kollateralschäden".

Erst vor kurzem hat die Bundesrepublik Deutschland die letzte Rate aus den Reparationsforderungen des Versailler Vertrags an Frankreich überwiesen – für den ersten Weltbrand, den Deutschland ausgelöst hatte. Vom zweiten sind kaum die Baulücken geschlossen und die Restmunition geborgen. Einen dritten würden die meisten von uns nicht überleben. Die Probleme und Konflikte der Welt lassen sich nicht mit Militär lösen, sie werden dadurch oft erst geschaffen, zumindest verschärft und unkontrollierbar eskaliert, in jedem Fall nachhaltig vererbt – auf Generationen.

W. Blaschka, Mü 12/2012