Musik, Kultur und Gesellschaftspolitik im FOLKER

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Peter Weber
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Musik, Kultur und Gesellschaftspolitik im FOLKER
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Musik, Kultur und Gesellschaftspolitik im FOLKER

 

Der FOLKER, das Musikmagazin für Anhänger der Folk- und Weltmusik, hat sich nie gescheut, politische Themen anzupacken und kritisch Stellung zu nehmen. Aus der neuesten Ausgabe veröffentliche ich heute zwei Beiträge: zum ersten einen Auszug aus dem Editorial des FOLKER 06/13 von Chefredakteur Michael Kleff, der die politische Haltung sowie die Ansichten zum Urheberrecht der Redaktion wiederspiegeln – und zum anderen den kompletten Artikel von Michy Reincke „Ich habe gewählt“.

Die folgenden Aussagen des Chefredakteurs Michael Kleff zum Thema Überwachung und Internet sprechen für sich:

„Überwachung durch die NSA mit Hilfe von Facebook und Google scheinen für die meisten Musikkonsumenten und –produzenten ebenso wenig ein Problem darzustellen wie zum Teil unhaltbare Arbeitsbedingungen bei Amazon.


Die französische Nationalversammlung hat übrigens ein Gesetz verabschiedet, das Buchhändler vor der Konkurrenz durch Internetanbieter schützen soll. Demnach ist es dem Onlinehandel fortan untersagt, bereits rabattierte Bücher auch noch kostenlos zu versenden. Kulturministerin Filippetti warf in der Debatte insbesondere Amazon vor, mit dieser Praxis Dumpingpreise zu verursachen, die zum Sterben der Buchläden beitragen. Ich vermisse Aktionen in unserem Land wo wir weder bei Amazon kaufen noch über Amazon verkaufen!

Wo ist die Kampagne, seinen Facebook-Account zu kündigen, solange der fälschlicherweise als soziales Netzwerk  bezeichnete Dienst als willfähriger Partner des US-Überwachungsstaates auftritt. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß sich jetzt wohl Facebook als auch Google dem
American Legislative Exchange Council angeschlossen haben. ALEC ist eine Organisation, deren Ziel vor allem die Erarbeitung und Verbreitung von Gesetzesvorlagen mit rechtsgerichteten beziehungsweise unternehmensfreundlichen Inhalten in den USA ist. Na, wenn das kein Grund ist, den Like-Button anzuklicken!“


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Als Hauptbeitrag veröffentliche ich den Artikel des Musiker und Autors Michy Reincke „Ich habe gewählt“, in dem er seine Vorstellungen über wirkliche Alternativen in Politik, Gesellschaft, Kultur und Medien zum Ausdruck bringt:

 


 

Ich habe gewählt


oder: Warum eine Regierung höhere Maßstäbe anlegen muss


Von Michy Reincke[1]


Ich durfte wieder wählen. Aber über was stimmt man eigentlich genau ab, wenn die wesentlichen Themen unserer Zeit einmal mehr ausgespart wurden?

  • Doch nicht über Alternativen zu grenzenlosem Wachstum auf einer Welt mit begrenzten Ressourcen und Anbauflächen, rasant steigender Weltbevölkerung und einer sich kaputt erweiternden, zügellosen Konsumgesellschaft, die mit einer Vergeudungsökonomie ihrem Ende entgegengeht? Nein.
  • Etwa über eine Alternative zur allgemeingültigen Definition von Erfolg, die weniger über die Qualität eines Menschen, seine geistige Entwicklung und seinen lebendigen Wert für die Gemeinschaft aussagt, als darüber wie man in unserer Gesellschaft denjenigen auf die Schulter klopft, die selbst als menschliche Versager, Trottel und Soziopathen etwas gelten, solange sie nur genügend Zaster und Macht oder Popularität anhäufen? Nein.
  • Stimmt man ab über Klugheit, Gerechtigkeit, Mut und Maß? Ein vulgäres und geschmackloses Zeitalter und ihre Zuhälter, die Galeerentrommler sinnloser Betriebsamkeit? Darüber, was ein gutes Leben ist oder was ein gutes Leben sein kann? Was ein Wert ist im Unterschied zu einem Preis und über das Geheimnis, endlich zu lernen das zu differenzieren? Nein.

 

Im Großen und Ganzen entwickeln sich die Themen zurück auf einfache Botschaften. Etwas das man schon aus seiner Jugend kennt. Symbolisch mag dafür zum Beispiel das „Engagement“ stehen, sich für die Aufstellung eines Coca-Cola-Automaten in der Pausenhalle stark zu machen, um als Schulsprecher gewählt zu werden. Thematisch passen in so eine Sammlung Pkw-Maut für Ausländer und ein Veggie-Day ganz prima rein. (Welcher Werbe-Agentur-Hitler denkt sich eigentlich solche infantilen, jeden Vegetarier diskriminierenden Teletubby-Slogans aus? Die Grünen hätten fordern sollen, dass sich die Menschen dazu verpflichten, einmal im Monat die Tiere selbst zu ermorden und die Leichenteile aus dem Kadaver zu schneiden, um sie sich zuzubereiten, wenn sie Fleisch essen wollen.)

Deshalb ist es nur konsequent, dass Stefan Raab so eine Art „politische“ Sendung betreut, um viele Menschen dort abzuholen, wo sie es sich die meiste Zeit gemütlich machen – vor dem Fernseher. Wobei „abholen“ vielleicht doch nicht die richtige Vokabel ist. Besuchen. Zu Besuch in der Unterhaltungsrepublik Deutschland. Schlag den Raab, schlag den Bundestag und zwischendurch ein bisschen Reklame. Um die Sache in dieser Haltung rund zu machen, hätte ich mir eine abschließende Wahlshow und Kommentierung des Ergebnisses durch Oliver Pocher und Cindy aus Marzahn gewünscht. Mit Gewinnspiel! „Rufen Sie an! Für 60 Cent aus dem Festnetz. Mobil kann es teurer werden. Also bleiben Sie zu Hause, gehen Sie nicht raus, seien Sie nicht in Bewegung!“ Vielleicht wären führende Kräfte der FDP auch gut beraten gewesen, hätten sie sich einmal im Dschungelcamp blicken lassen.

Wenn man über die verflachende Unterhaltungs- und Marktforschungs-Politikdarstellung einer Demokratie hinaus zum Beispiel der Meinung wäre, dass die Sache prinzipiell verpfuscht und es ein historischer Fehlschlag ist, einer bürgerlichen politischen Kaste das Ruder über Jahrzehnte überlassen zu haben, die eigentlich hätte führen sollen und praktische Beispiele des Glücks sowie eines gelingenden Lebens hätte geben müssen, aber dieser schwachen herrschenden Klasse nichts Besseres eingefallen ist, als Geld wie Ebbe und Flut um die Welt schwappen zu lassen sowie jede Gelegenheit zu nutzen, Profit zu machen – welchen echten, Erfolg versprechenden, demokratischen Ansatz hätte man bei dieser Wahl gehabt mit seinem nachvollziehbaren Wunsch, die Pfeifen jetzt mal in die Wüste zu schicken und was anderes zu probieren, ohne sich an eine Kasperle-Partei zu wenden?

Ist es eigentlich zu viel verlangt – bei all der technologischen Hochentwicklung der Menschheit –, ernst gemeinte und unabhängige Angebote zu einer kulturell höheren Menschwerdung zu erhalten, die nicht in den bizarr oberflächlichen Spielweisen der „marktkonformen Demokratie“ (Zitat Angela Merkel) beziehungsweise der mittlerweile nahezu marktkonformen Kultur dargereicht werden? Es sollte die Frage danach gestellt werden, wer denn in diesem System für die geistige Reife der Menschen zuständig ist, wenn sie die Schule oder Universität verlassen haben. Soll das die in den kommerziellen Rundfunk- und Fernsehstationen abgebildete „Kultur“ sein, deren Konzepte ohne Not von den Öffentlich-Rechtlichen größtenteils kopiert worden sind? Diese selbst gemachte Not besteht aus einer überflüssigen Existenzrechtfertigung, die in erster Linie aus der betriebswirtschaftlichen Sucht nach Einschaltquoten besteht statt einfach mit Selbstvertrauen dem Auftrag nachzugehen, ein qualitativ buntes Angebot von Bildung, Information und Unterhaltung zur Verfügung zu stellen. Wenn Letzteres wirklich flächendeckend erfüllt würde, gäbe es nämlich niemals die Frage nach der Existenzberechtigung öffentlich-rechtlicher Sender, die ja eigentlich unser Bollwerk gegen die kulturelle Verarmung privatwirtschaftlich organisierter Reklamefabriken sein sollten.
 

Aber so sitzt die Fliege im Zuckerwasser so mittelmäßiger Medien wie kommerziellem TV, formatiertem Radio und der wunderbaren Welt des Internets – untergeordnet den Prinzipien der Verkaufbarkeit aller Dinge – und planscht als vermeintlich freies Wesen auf der Stelle. Eine Öffentlichkeit, die eine Menge von Freiheit redet und geräuschvoll mit ihren viel zu kurzen Flügeln flattert. Diese Fliege ist alles, aber nicht frei. Schon gar nicht von sich selbst und den Medienrobotern, von denen sie zu einem „immer mehr und immer weiter“ angetrieben wird.

 

Es gibt Gründe für das, was Menschen tun, und für das, was sie sagen. Es gibt Gründe dafür, dass sie so sind, wie sie sind. Das haben unter anderem auch verbrecherische Systeme in den letzten achtzig Jahren auf deutschem Boden gezeigt, dass Gesellschaften mehrheitlich manipulierbar sind – und ich spreche in keiner Weise davon, dass unsere Demokratie verbrecherisch wäre. Aber es ist doch grotesk anzunehmen, dass eine Mehrheit, die von ihren Massenmedien dazu aufgefordert wird, ihr Gesicht in Konsum, Verschwendung, Ablenkung und Hitparaden zu spiegeln sowie überall und ständig mit der absurden Sinnvorstellung und Deutung konfrontiert wird, dass das Leben ein Geschäft sei, diese Maximen nicht zutiefst verinnerlicht hat. Das Programm der Massenmedien besteht aus dem Geist der Masse, ohne sich rechtfertigen zu müssen, ob es der Masse gut tut oder ihr schadet. Hier darf man systemisch schon die Frage nach der Verantwortung stellen.

Ich frage mich oft, wie das Ergebnis wäre, wenn man eine Schulklasse fragen würde, ob sie heute lieber lesen, schreiben und rechnen lernen oder Computerspiele spielen, Fernsehen und Pizza essen möchte. Kann man sich vorstellen, wie das ausgeht. Und es sieht so aus, als ob die häufig banalen Programme in unseren Medien genauso begründet werden, indem man einfach auf die hohe Signifikanz einer demokratischen Majorität verweist.

Ich möchte zukünftig eine Partei wählen können, die in ihrem Programm verkündet, dass die Nützlichkeit von Kultur wesentlicher für den Reichtum und das Gelingen eines menschlichen Lebens ist als der Konsum. Der Reichtum eines Lebens ist seine Buntheit, sein Gleichgewicht, seine Ausgewogenheit, seine Furchtlosigkeit, sein Mut und nicht, von etwas besonders viel zu haben. Regierungen, die sich nicht in der Lage sehen, ihren Völkern echte Alternativen zu einem Gesellschaftsmodell anzubieten, das aus der Utopie eines Wohlstands stetig wachsender Wirtschaftsleistung durch absolut unsinnigen Konsum resultieren soll, sind überholt und untauglich. Solche Gesellschaftsführungen haben kein großes Interesse daran, dass ihre Mitglieder klüger und sensibler werden, sondern nur an ihrer „ökonomischen Nützlichkeit“, damit dieses System funktioniert. Unter anderem sind sie für einen Menschentypus verantwortlich, der nicht widerstandsfähig genug ist, Verzicht zu üben.

Auch wenn Balance und Weisheit weniger modern sind als vulgäre Medien und ihre neurotischen „Botschafter“, ersuche ich die nächste Regierung, höhere Maßstäbe anzulegen und speziell in den der Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden Medien für eine andere Art eines modernen – eines klugen und unabhängigen – Menschen zu werben.

Das ist, wie ich die Sache sehe. Haltet euch gerade und bewundert die Welt!


[1] Michy Reincke ist Musiker und Autor, Jahrgang 1959, geboren in Hamburg. Für seine erste Band "Felix de Luxe" komponierte, textete und sang er Anfang der Achtzigerjahre unter anderem „Taxi nach Paris“ und „Nächte übers Eis“. Er schrieb die Texte für die deutschsprachigen Soulversionen seines Schulfreundes Stefan Gwildis und war als Komponist für diverse Film- und Theatermusiken zuständig. Als Produzent und/oder Verleger arbeitete er unter anderem für Heinz Strunk, The Land, Nils Bokelberg. Er betreibt das Label Rintintin Musik (unter anderem Anna Depenbusch, Wolfgang Müller, Regy Clasen, Der Fall Böse, Katharina Vogel, Fjarill). Mit zwei Freunden veranstaltet Michy Reincke seit zehn Jahren in Norddeutschland die Lausch Lounge, in der Künstler wie Annett Louisan, Boy, Gisbert zu Knyphausen, Cäthe oder Johannes Oerding ihre ersten Auftritte hatten. Im Januar 2014 erscheint Reinckes neues Album. Die dreißig Städte umfassende Deutschlandtour startet im Februar.

Pressefotos © 2013 RINTINTIN MUSIK



MfG Peter A. Weber