Neoliberalismus mit südlichem Antlitz: Der Aufstieg des BRICS-Blocks.

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Neoliberalismus mit südlichem Antlitz: Der Aufstieg des BRICS-Blocks.
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Zum Thema Neoliberalismus mit südlichem Antlitz - der Aufstieg des BRICS-Blocks hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, im Mai 2013 eine 24-seitige Broschüre veröffentlicht, welche ich Euch hier in Auszügen vorstellen möchte.
 



Neoliberalismus mit südlichem Antlitz

Der Aufstieg des BRICS-Blocks.


Von Vijay Prashad.



Inhaltsverzeichnis:


Lokomotiven des Südens? Von den Herausgebern . . . . . . . . . . . . . 1

Neoliberalismus mit südlichem Antlitz

Der Aufstieg des BRICS-Blocks . . . . . . . . . . . . . 2

Von Vijay Prashad

Kraftwerk BRICS . . . . . . . . . . . . . 3

Die Entstehung des BRICS-Blocks . . . . . . . . . . . . . 4

  • Das Scheitern des „Dritte-Welt-Projekts“ . . . . . . . . . . . . .  5
  • Das Aufkommen des vom Norden angeführten Neoliberalismus . . . . . . . . . . . . .  6
  • Die blutleere Macht des Nordens . . . . . . . . . . . . . 8
  • Das IBSA-Dialogforum . . . . . . . . . . . . . 10
  • Goldman Sachs . . . . . . . . . . . . . 12

Die BRICS-Agenda . . . . . . . . . . . . . 13

  • Finanzreform . . . . . . . . . . . . . 14
  • Entwicklungsagenda . . . . . . . . . . . . . 15
  • Multipolarer Regionalismus . . . . . . . . . . . . . 15
  • Gipfel-Politik . . . . . . . . . . . . . 16

Grenzen der BRICS-Plattform . . . . . . . . . . . . . 17

Perspektiven des BRICS-Blocks . . . . . . . . . . . . . 19

Ausgewählte Literatur . . . . . . . . . . . . . 20



Lokomotiven des Südens?

Jahrhundertelang haben die Nationen des Globalen Südens dafür gekämpft, sich politisch zu behaupten. Dieses Ansinnen äußerte sich ursprünglich im Widerstand gegen den Kolonialismus. Mit dem Zusammenbruch der europäischen Imperien entstanden dann neue Staaten in Afrika und Asien. Im Jahr 1955 kamen die Führungen dieser hoffnungsvollen Nationen im indonesischen Bandung zusammen, um ihre Kämpfe auf internationaler Ebene voranzubringen. Es war dieser „Geist von Bandung“, der Institutionen wie der Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM) und der G77, ihrer Gruppe innerhalb der UNO, in den nachfolgenden Jahren zugrunde lag. In wirtschaftlicher Hinsicht fand diese Idee ihren Ausdruck in der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), während die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) eine alternative kulturelle Agenda vorantrieb. Diese Organe bildeten die institutionelle Entsprechung des „Dritte-Welt-Projekts“, des kollektiven Traums von einer anderen Welt, die von Frieden, Kooperation und Wohlstand für alle gekennzeichnet sein sollte.

In den 1980er Jahren kollabierte dieses Projekt, das bereits durch innere Widersprüche gefährdet war, unter dem Gewicht des nordatlantischen Neoliberalismus. Das „Dritte-Welt-Projekt“ war von einer nationalen Einheit über Klassengrenzen hinweg ausgegangen; es brach in sich zusammen, als lokale Eliten sich mit den Interessen des internationalen Kapitals gemein machten und Liquiditätskrisen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Tür für seine Programme der „Strukturanpassung“ öffneten – Programme, die diese Nationen ihrer Fähigkeit beraubten, die eigene wirtschaftliche Zukunft zu gestalten. Für die nachfolgenden Jahrzehnte würde der Neoliberalismus seinen triumphalen und destruktiven Siegeszug quer über den Planeten fortsetzen – bis die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression die Tücken dieses Konzepts zum Vorschein brachte.

Schon vor dem Ausbruch der Finanzkrise hatten Brasilien, Russland, Indien, China und schließlich auch Südafrika ihre Zusammenarbeit begonnen – hieraus ging später der BRICS-Block hervor. Im Gegensatz zu den führenden Ländern das Globalen Nordens erfreuen sich diese „Lokomotiven des Südens“ hoher Wachstumsraten, verfügen über extensive Naturressourcen und haben große, junge und gebildete Bevölkerungen. Wie beeinflussen ihr Aufstieg und ihre Kooperation globale Machtbeziehungen und die Geopolitik? Neigt sich die Dominanz des Nordens dem Ende zu?

In dieser Analyse bietet Vijay Prashad, Professor für Südasiatische Geschichte am Trinity College in Connecticut, Antworten auf diese Fragen. Seiner Ansicht nach ist, obwohl es teilweise eine Verbindung zwischen dem „Geist von Bandung“ und dem BRICS-Projekt gibt, letzteres keineswegs revolutionär. Das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern entsteht auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung und der Umwelt, und die BRICS-Eliten versuchen nicht, das bestehende System der globalen Ordnung umzustürzen, sondern lediglich daran teilzuhaben. Die BRICS-Staaten gewinnen jedoch an wirtschaftlicher Stärke. Sie sind im Begriff, ihre politische Stimme zu finden und die arrogante Dominanz des Nordens in globalen Angelegenheiten in Frage zu stellen. Prashad kommt zu dem Schluss, dass wir aufgrund des Aufstiegs der BRICS-Staaten bereits heute in einer multipolaren Welt leben.

Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg - Leiter des Büros New York, Mai 2013



Der Aufstieg des BRICS-Blocks von Vijay Prashad

Als der indische Premierminister Manmohan Singh Generalsekretär der Kommission des Südens war, wurde er von zwei Faktoren ausgebremst: der katastrophalen Schuldenkrise, die die Fähigkeit der afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten hemmte, Wirtschaftswachstum zu erzeugen, sowie dem durch den Norden forcierten rechtlichen Regime zum geistigen Eigentum. Letzteres führte dazu, dass diese Staaten von jeglichen wissenschaftlichen und technologischen Neuerungen abgeschnitten waren. Die Länder des Globalen Südens schienen für Jahrtausende zu Armut und Elend verdammt. Das Problem des Südens lag jedoch nicht nur in internen Defiziten. Viel mehr waren es – so Singh – die größtenteils vom Norden und zu dessen eigenen Gunsten diktierten Regeln, welche dem Süden die Luft zum Atmen nahmen.

Während einer Pressekonferenz im schweizerischen Genf am 18. Juli 1988 legte Singh sein Augenmerk auf den entsetzlichen Schuldenüberhang, der auf der „Dritten Welt“ lastete. Neue Wege des Umgangs mit dieser Schuldenkrise müssten ersonnen werden. „Dies ist die raue Wirklichkeit“, sagte er, „und bevor die Organisation nicht öffentlich abläuft, bevor die kollektiven Sichtweisen der Dritten Welt nicht in einem konstruktiven Dialog ausgesprochen werden können, wird keinerlei rein technische Lösung das Schuldenproblem lösen.“ Diesen Gedankengang weiterführend, erklärte er: „Was wir in der Dritten Welt benötigen, ist eine globale Perestroika, eine Umstrukturierung der wirtschaftlichen Beziehungen, bei der die legitimen Erwartungen von den vier Fünfteln der Menschheit, die in der Dritten Welt leben und sich ein besseres Leben für ihre Mitmenschen erhoffen, Berücksichtigung finden.“

Die Verwendung des Begriffs „Perestroika“ war provokant. Er hatte im Jahr zuvor große Berühmtheit erlangt, als Michail Gorbatschow ihn benutzt hatte, um sich auf die Neustrukturierung der Sowjetunion zu beziehen. Singh verwendete ihn, um auf die Notwendigkeit einer Reform globaler Institutionen zu verweisen, etwa des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank oder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Im Jahr 1988 gab es allerdings wenig Hoffnung, dass die Sichtweisen des Südens ernst genommen werden würden. Von den späten 1980er Jahren bis Mitte der 2000er Jahre gab es keine Fortschritte in Bezug auf eine globale Perestroika.

Der erste wichtige Impuls für eine derart erweiterte Umstrukturierung war das Hervortreten von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika als BRICS-Staatenblock. Im September 2006 kamen die Außenminister von Brasilien, Russland, Indien und China in New York zusammen, um über die Schaffung eines institutionellen Rahmens für die Diskussion verschiedener Themen zu sprechen. Darauf folgte eine Reihe weiterer Treffen, die von der Schwere der Kreditkrise ab dem Jahr 2007 überschattet waren. Damals begann der Globale Norden den Globalen Süden aufzufordern, die Weltwirtschaft dabei zu unterstützen, aus einer Situation herauszusteuern, die zu einer Dauerkrise zu werden schien. Am 16. Mai 2008 gründeten die vier Staaten im russischen Jekaterinburg den BRIC-Block. Zwei Jahre später, im Dezember 2010, wurde Südafrika in die Gruppe aufgenommen, die damit zum BRICS-Block wurde.

Der erste große BRIC-Gipfel im Juni 2009 fand während der dunkelsten Phase der Kreditkrise statt. Deshalb ist der Charakter der ersten gemeinsamen Erklärung geprägt von der Finanzkrise und ihrer Lösung durch den G20-Aktionsplan und Reformen des internationalen Finanzsystems. Alle weiteren Elemente der politischen Ausrichtung der BRIC (und späteren BRICS) waren bereits ersichtlich: multipolarer Regionalismus, eine Bekräftigung der Agenda des Rio-Gipfels zum Klimawandel (UNCED 1992), technologische Zusammenarbeit und die Betonung des Dialogs gegenüber der Anwendung von Gewalt. Die Regierungschefs der BRICS-Staaten trafen sich jährlich zu ihrem Gipfeltreffen. Bisher haben die BRICS-Länder fünf Gipfel abgehalten: 1. BRIC-Gipfel in Jekaterinburg (Russland) am 16. Juni 2009; 2. BRIC-Gipfel in Brasilia (Brasilien) am 16. April 2010; 3. BRICS-Gipfel in Sanya (China) am 14. April 2011; 4. BRICS-Gipfel in Neu-Delhi (Indien) am 29. März 2012; 5. BRICS-Gipfel in Durban (Südafrika) am 26. und 27. März 2013.

Zwischen diesen Gipfeln trafen sich zusätzlich die Minister der einzelnen Regierungskabinette. Manchmal, um als Sherpas (Chefunterhändler) die Agenda der Gipfel zu erarbeiten, und bisweilen auch, um Themen zu beraten, die einer Weiterentwicklung bedurften (beispielsweise die Zusammenkünfte der Finanzminister wegen der BRICS-Entwicklungsbank). Diese Treffen führten nicht zur Bildung eines BRICS-Sekretariats, um es der „Gruppe der 8“ (G8) oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – beides institutionelle Sekretariate des Nordatlantisch- Japanischen Blocks – gleichzutun. Anders formuliert: Die BRICS haben eine Struktur errichtet, um einen neuen politischen Raum, neue politische Initiativen und einen neuen Mechanismus der Koordination zu schaffen. Dies ist ein bescheidener Anfang.


Kraftwerk BRICS

Der Block der BRICS-Staaten ist auf demographischem Gebiet ein Gigant. Er stellt 40 Prozent der Weltbevölkerung und macht 25 Prozent der weltweiten Landmasse aus. Vom insgesamt auf der Erde geschaffenen Bruttoinlandsprodukt produzieren die BRICS-Staaten ein Viertel. Die fünf Länder unterscheiden sich in ihren Kulturen – durch Sprache, Religion, Sitten und Gebräuche. Auch in ihrem Wirtschaftskurs sind sie verschieden: Einige Staaten folgen einer Logik der exportorientierten Industrieproduktion, während andere auf den Export von Rohstoffen setzen.

Derartige Unterschiede schmälern jedoch nicht den politischen Stellenwert des Blocks. Nach konventionellen Maßstäben sind die Mitglieder keine unbedeutenden Staaten – drei der fünf sind Atommächte, zwei verfügen über einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und zwei weitere sind Anwärter auf solch einen Sitz. Bislang haben sie eine multilaterale Plattform geschaffen. Die BRICS-Staaten streben danach, ihr gemeinsames politisches Gewicht gegen den Überlegenheitsanspruch des Nordens in Stellung zu bringen sowie als Forum zu fungieren, das Themen und Analysen beleuchtet, die bislang nicht an die Oberfläche gelangen konnten. Eine Einmischung in heikle politische Angelegenheiten (etwa in den Israel-Palästina-Konflikt) sowie in die Debatte um die Finanzreform wie auch um die Entwicklungsstrategie illustrieren die Bemühungen der BRICS-Länder, sich auf der Weltbühne als politische Plattform in Szene zu setzen. Doch ihre Einmischungsbemühungen werden begrenzt durch die zögerliche Haltung der Führungen innerhalb des BRICS-Blocks, dem, von China angeführt, jede Kampfansage gegenüber dem Norden schwerfällt. Sie bevorzugen daher ein passives Vorgehen, indem sie Handelsbeziehungen untereinander aufbauen und mit der potenziellen BRICS-Bank ein Entwicklungsprogramm für den Süden formen, das sich um ihre eigenen Wachstumsprogramme drehen soll. Ein frontaler Angriff auf die institutionelle Hegemonie des Nordens oder den neoliberalen politischen Rahmen findet nicht statt. BRICS ist – bis jetzt – ein konservativer Versuch der treibenden Kräfte des Südens, sich selbst dorthin zu befördern, wo ihrer Ansicht nach ihr Platz auf der Weltbühne ist.

Trotzdem war der Norden verblüfft über das Aufkommen der BRICS-Staaten. Während der dunkelsten Phase der Kreditkrise versuchte die G8, jene Staaten des Südens, die einen Überschuss erwirtschafteten, in ihre eigene Agenda zu integrieren. Die G20 wurde einzig zu diesem Zweck wiederbelebt und hielt ihren ersten Gipfel 2008 in Washington unter der Führung von US-Präsident George W. Bush ab. Die Angelegenheit schien so ernst, dass die G20 in den Jahren 2009 und 2010 sogar zweimal jährlich zusammenkam – mit den Gipfeln in London und Pittsburgh 2009, die gehalten wurden, um den Süden zu überreden, seinen Überschuss zugunsten des kränkelnden Nordens zurückzufahren. Es wurde bemerkenswert viel über eine Partnerrolle der aufkommenden BRICS-Staaten gesprochen. Bei einem Treffen in Neu-Delhi 2008 erklärte der französische Präsident Nicolas Sarkozy gegenüber Wirtschaftsvertretern, er wünsche sich, dass „der nächste G8- sich in einen G13-Gipfel verwandelt.“

Diese öffentlichen Erklärungen blieben Lippenbekenntnisse. Eine viel ehrlichere Einschätzung kam vom US-Botschafter in Frankreich, Craig R. Stapleton, der im Oktober 2010 gegenüber dem früheren französischen Premierminister Michel Rocard erklärte: "Wir brauchen ein Vehikel, mit dem wir Lösungen für diese Herausforderungen [das Wachstum Indiens und Chinas] finden können, so dass wir, wenn diese Monster in zehn Jahren ankommen, in der Lage sind, mit ihnen umzugehen".

Die Entstehung des BRICS-Blocks und alle weiteren Kapitel dieser 24-seitigen Broschüre hier als Downloadweiter  (läd etwa länger!)

 



Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, Mai 2013


Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg

Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016

E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040


Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen.

Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Politik zusammenzuarbeiten.

Quelle:  Artikel zur Broschüre - weiter

http://www.rosalux-nyc.org/de/