Plädoyer gegen politische Verwirrung: Kleinnazis und Großnazis

5 Beiträge / 0 neu
Letzter Beitrag
Bild des Benutzers Helmut S. - ADMIN
Helmut S. - ADMIN
Offline
Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Plädoyer gegen politische Verwirrung: Kleinnazis und Großnazis
DruckversionPDF version

Der nachfolgende Text ist eine Vorabveröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe Nummer 4 (März 2013). Herzlichen Dank für die Freigabe zur Veröffentlichung an den Autor Elias Davidsson und die Krokodil-Herausgeber Anneliese Fikentscher, Andreas Neumann und Kollegen.
 



Plädoyer gegen politische Verwirrung

Kleinnazis und Großnazis


von Elias Davidsson


In der jüngeren Vergangenheit erfuhren wir einiges über Kleinnazis, unter anderem über ihr Verhältnis zu staatlichen Instanzen. Über Großnazis wird aber wenig gesprochen. Wer sind sie? Und wie agieren sie?

Um diese Fragen zu beantworten, muss zuerst geklärt werden, welche Rolle Kleinnazis in unserer Gesellschaft spielen, über welche Mittel sie verfügen, und welche Bedrohung von ihnen ausgeht.


Elias Davidsson – © Foto: www.arbeiterfotografie.com


Kleinnazis spielen zumindest zwei Rollen: Die erste ist, sich mit geschmähten NS-Symbolen oder Andeutungen eben dieser zur Schau zu stellen: Mit diesen Symbolen ziehen sie die Empörung der “guten Gesellschaft” auf sich und ermöglichen rechts gesinnten Parteien und Vereinigungen, die auf derartige Symbole verzichten, sich als salonfähig darzustellen. Die zweite Rolle besteht darin, die Aufmerksamkeit und Kampfenergie der Linken und der Antifaschisten auf sich zu ziehen. Dies ist eine Ablenkungsrolle, die erfolgreich praktiziert wird.

Kleinnazis verfügen nicht über Kampfflugzeuge, Drohnen, Panzer oder Atomwaffen. Sie besitzen auch keine Banken und keine Massenmedien. Mit ihren Kleinwaffen können sie zwar einige Menschen umbringen und damit für Schlagzeilen des Tages sorgen. Ihre Präsenz in unserer Wahrnehmung beruht zum großen Teil auf der Bereitschaft der Massenmedien, ihrem Treiben Aufmerksamkeit zu schenken. Sie berühren sonst kaum unsere unmittelbaren Interessen in der Arbeit, in der Schule oder in der Freizeit.

Großnazis vermeiden bewusst die Symbole des Dritten Reiches. Sie tarnen ihre rassistische und militaristische Einstellung mit Geplauder über ihre angeblich demokratische Gesinnung oder durch Betonung ihrer “Freundschaft” zum Staat Israel, der gerade wegen seines offenkundigen Rassismus und Militarismus bewundert wird. Großnazis stellen sich nicht im Rahmen von Straßendemos zur Schau und versuchen nicht, die Öffentlichkeit durch Schlägereien zu schockieren. Im Gegenteil, sie stellen sich im Fernsehen der Gesellschaft als gutbürgerliche, ehrliche Väter und Mütter zur Schau. Das ist auch ihre Rolle. Nur so können sie ihre Macht behalten.

Großnazis verfügen über beträchtliche finanzielle, polizeiliche und militärische Mittel. Sie können z.B. eine ganze Armee finanzieren und sie in jedes Land entsenden. Das Geld dafür erpressen sie vom Volk mit der Hilfe ihrer Polizei und ihrer Gerichte. Wer nicht bezahlt, wird bestraft. Die Kleinnazis dagegen besitzen solche Druckmittel nicht. Denn sie besitzen keine Armee, keine Panzer, keine Drohnen und keine Kampfflugzeuge.

Ein weiterer Unterschied soll hier erwähnt werden. Während die Kleinnazis von großen Teilen der Gesellschaft als “Neonazis” bezeichnet werden und damit aus der “guten Gesellschaft” ausgeschlossen werden, getrauen sich nur wenige, die Großnazis beim Namen zu nennen. Sie werden als “Politiker”, “Bundestagsmitglieder” oder “Ministerialräte” tituliert. Auch die Verbrecher des Hitlerregimes trugen solche respektvollen Titel, bevor sie in Nürnberg hingerichtet wurden.

Während Diktaturen ihren Willen durch unmittelbare Gewalt durchsetzen, setzt die herrschende Klasse in so genannten Demokratien ihre Interessen in erster Linie durch mediale Täuschung und Manipulation durch. Sogar gut instruierte Beobachter lassen sich durch Sprache und Körpersprache der Politiker einlullen. Das hat auch im Dritten Reich so funktioniert. Nur der Stil hat sich geändert. Damals war es nicht verpönt, vielleicht sogar erwünscht, wenn ein Redner schrie; heute muss der Redner Gelassenheit und Menschennähe zeigen, lächeln und sich nicht aufregen, wenn er Glaubwürdigkeit erwecken will. Der Inhalt ist dabei Nebensache.

Ob man die Herrschenden heute als Großnazis, Faschisten oder sonst wie bezeichnen soll, sei dahingestellt. Mein Anliegen ist lediglich, davor zu warnen, sich im Kampf gegen die Verbrechen auf dieser Welt von falschen Feinden ablenken zu lassen. Wer Randgruppen die Bezeichnung "Neonazis" gibt, in Zusammenhang mit einer kriegstreibenden Regierung aber höfliche politische Begriffe verwendet, trägt zur politischen Verwirrung bei. Aufklärer sollten die gewählten Begriffe an der Realität orientieren.
 



Informationen zum Autor:

Elias Davidsson ist Komponist, Musiker und Menschenrechtsaktivist. Er wurde 1941 in Palästina als Sohn jüdischer Eltern geboren, die ihre Heimat Deutschland im Rahmen des zwischen Nazis und Zionisten geschlossenen Ha'awara-Abkommens verlassen hatten und nach Palästina ausgewandert waren. 1962 ging er nach Island. Als Rentner kehrte er in die Heimat seiner Eltern zurück und lebt seither in Bonn. Im Zentrum seines politischen Betätigungsfelds steht das Thema Menschenrechte und Terrorismus. Mehr Infos bei Wikipedia.


Der Artikel wurde ebenfalls veröffentlicht auf den Online-Portalen:

 

Bild des Benutzers Wolfgang Blaschka
Wolfgang Blaschka
Offline
Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Großbourgeoisie als herrschende Klasse

 

Großbourgeoisie als herrschende Klasse


Lieber Elias Davidsson,

mit Deiner Einteilung der Rechten in Kleinnazis und Großnazis machst Du es Dir zu einfach, wie ich finde. Die Herrschaften, die über militärische, polizeiliche, geheimdienstliche oder andere Gewaltpotenziale (Justiz, Finanzämter, Gefängnisse und überhaupt den gesamte Behördenapparat, über Presse und Fernsehen, Bildungs- wie Sozialwesen) verfügen, die also die gesellschaftlichen Machtmittel besitzen oder zumindest auf deren Anwendung in ihrem Sinne Einfluss nehmen oder durch ihre Sachwalter Einfluss nehmen lassen, sind beileibe nicht alles Nazis, sondern sie repräsentieren die Herrschaftsgewalt des Kapitals. Sie sind als Teile der Großbourgeoisie die herrschende Klasse und versuchen sich den Staatsapparat nutzbar zu machen für ihre Zwecke, zur Garantie optimaler Verwertungsbedingungen zum Zwecke der Kapitalakkumulation. Ihr Ziel ist die Aufrechterhaltung und Verbreitung ihrer Weltordnung über den gesamten Globus, vor allem was die Eigentumsverhältnisse und die Wirtschafts- und Rechtsordnung anbelangt.

In besonderen historischen Situationen, wenn sich das in Krisenzeiten oder zum Kriegführen nicht anders garantieren lässt, bedienen sie sich dazu auch der offenen Diktatur, im "bürgerlichen Normalfall" aber einer Palette verschiedener Machtmittel, Medien, Apparate und Parteien. Letztere habe unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen: Einerseits dem Besitzbürgertum die Rahmenbedingungen zu schaffen für Ausbeutung und Zementierung des Status Quo, andererseits das Wählervolk nicht aus dem Auge zu verlieren und "einzubinden", zu korrumpieren und "mitzunehmen", ja ganze (68-er)-Bewegungen zu integrieren in die Vorhaben der Bourgeoisie. So waren es beispielsweise SPD und Grüne, die mit dem Nimbus historischer "Unbelastetheit" die Berliner Republik (wieder) auf Kriegskurs bringen konnten, was den Unionsparteien nur schwerlich so relativ widerstandslos gelungen wäre. Für soziale Zumutungen braucht es die traditionelle Agentur des Kapitals in der Arbeiterbewegung (SPD), die sich in "Rettung des Sozialstaats" zu einer Agenda 2010 "durchringen" konnte, ohne von einer Welle der Empörung weggespült zu werden.

Zur Zeit scheint es (noch) nicht nötig die Methoden des Faschismus anzuwenden, um sich an der Macht und im Zugriff auf die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, ihrer ökonomischen Basis, zu halten, sondern sie fahren sehr gut mit der parlamentarischen Demokratie. Dass diese zusammengestutzt, ausgehöhlt und durch immer mehr unmittelbaren Zugriff der einzelnen Kapitalfraktionen auf Gesetzgebung (durch Lobbyisten) und Fiskalpolitik (Rettungsschirme) bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wird (in eine "Sicherheitsdemokratur" und gleichzeitig zum Selbstbedienungsladen für Banken, Versicherungen und Konzerne), ist nur als Indiz dafür zu werten, dass wir im Zeitalter des Imperialismus leben mit seinem totalen Anspruch auf Unterordnung aller Lebensverhältnisse unter das Diktat der Profitvermehrung, nicht aber ein Ausdruck "faschistischer" Herrschaft.

Im Gegenteil: Die vorherrschende Methode ihrer Bereicherung ist nicht die Zwangsenteignung, Verhaftung oder physische Ausschaltung ihrer Konkurrenz (und ihrer politischen Gegner), sondern der Neoliberalismus, also die irrsinnige Hoffnung, dass die Marktgesetze das bewerkstelligen, was ihnen am meisten nützt bei ihrem Konkurrenzkampf auf dem Weg zur absoluten Monopolisierung. Da wäre ein nationalstaats-bornierter Faschismus derzeit eher hinderlich. Statt nationalistischen Protektionismus wollen und brauchen sie supranationale Märkte, weltweit gesicherte Handelswege, globalen Zugriff auf Rohstoffe, freien Kapital- (nicht Arbeitskräfte-) Verkehr, strategisch besetzte Positionen rund um den Erdball, aber keine Naziparolen, die sie international isolieren würden; sie setzen auf Privatisierung, Deregulierung und fordern den "schlanken Staat", der sich gefälligst auf sein "Kerngeschäft" (hoheitliche Aufgaben und Umverteilung von unten nach oben) beschränken soll. Dass das in Friedens- wie in Kriegszeiten nicht ohne (strukturelle) Gewalt vonstatten geht, versteht sich von selbst. Aber dazu brauchen sie die Nazis nicht. Die halten sie sich als "Reservearmee", als "Hilfstruppen", wie FJS meinte, und nicht nur für die ferne Zukunft. Sie ziehen diesen Joker, wenn er historisch gebraucht wird.

Zum Beispiel in der Zeit nationalistischer Aufwallungen nach der Wende Anfang der 90-er Jahre, als regelrechte Pogrome gegen Nichtdeutsche angezettelt wurden, um mit dem Gerede von "Überfremdung" und "kriminellen Ausländern" Stimmung zu machen gegen "illegale" Einwanderung. Denn mit einem Schlag gab es innerdeutsche Migrationsbewegungen nach der industriellen Abwicklung der DDR. Das Ergebnis war die faktische Abschaffung des Asylrechts. So konnten die Rationalisierungswellen und Massenentlassungen abgefedert und Platz für ostdeutsche Wirtschaftsmigranten geschaffen werden. Aber von Dienstleistungs-Willigen allein wird man nicht reich. Man brauchte auch qualifiziertes Personal für Industrie und Entwicklung. Daher besann man sich zu einem Einwanderungsgesetz, nicht zuletzt um den Zuzug von Arbeitskräften zu kontrollieren durch die Unterscheidung in "nützliche" und "unnütze" Migranten. Die geistigen Brandstifter saßen in den Unionsparteien und Redaktionen, die Nazis zündelten, prügelten und hetzten zu Tode. Rotgrün ließ sich zum "Asylkompromiss" herbei, um hinterher die Einwanderung zu regulieren und zu legalisieren. Eine konsequente antifaschistische, antirassistische Politik wurde (außer in Sonntagsreden) nie betrieben.

So profitierten schließlich alle "etablierten" Parteien und Kapitalfraktionen vom Nazi-Terror – auf ihre Weise. Die großen Konzerne hatten wie immer den größten Gewinn davon: Sie konnten sich als weltoffen und europakompatibel präsentieren, und darüber hinaus ihren Fachkräftemangel in verschiedenen Branchen durch "Greencard" bzw. "Bluecard"-Anwerbung bis aus Indien decken, ohne das massenhaft entstehende Prekariat allzusehr gegen sich aufzubringen.

Im Zusammenhang mit diversen solcher Spiele in verteilten Rollen gelang die Durchsetzung der Staatsfinanzkonsolidierung mittels Sparpolitik, die "Liberalisierung des Arbeitsmarktes" (Entrechtung, Outsourcing und Marginalisierung der Beschäftigten in Zeitarbeit und nur noch befristete Arbeitsverhältnisse, unbezahlte Praktika etc.) und letztlich die Schaffung jenes "Wettbewerbsvorteils" (durch Prekarisierung des Proletariats und im Ergebnis allgemeine Lohnsenkungen sowie generelle Arbeitszeiterhöhung und Leistungsverdichtung), der die Exportstärke des "Standorts Deutschland" begründen half, welche die Hauptursache für die Außenhandelsbilanzdefizite und die Staatsverschuldung der EU-Peripherie-Staaten darstellt.

Das alles ist nun wirklich nicht das Werk der Nazis, auch wenn Angela Merkel in Griechenland von vielen dort mit der deutschen Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkrieges assoziiert wird, sondern das ganz normale Geschäftsgebaren des Monopolkapitals und seiner bürgerlichen Handlanger in Staat und Politik. Die Nazis haben nur "ihre Rolle" gespielt, und sollen sie anscheinend weiterhin spielen, wenn es nach den bisherigen Verfassungsschutz-Bemühungen geht. Die haben Tradition:

In München beispielsweise gab es in den Zwanziger Jahren einen Polizeipräsidenten, Ernst Pöhner hieß er, der sich als Putschhelfer 1923 ebenso wie dadurch einen republikfeindlichen Namen gemacht hatte, dass er die Namen von Anzeigeerstattern gegen illegale Waffendepots der offiziell verbotenen Einwohnerwehren direkt an die Organisation Consul übermittelte, die dann mit Fememorden solche Personen eliminierte. Pöhner bekannte 1925 beim Hochverratsprozess gegen Hitler, Röhm, Kahr, Ludendorff & Co: „Es wäre für uns ein Leichtes gewesen, 1919/20 Herrn Hitler und seine Bewegung auszuschalten. Wir haben es nicht getan“. Denn die Politische Polizei unter Leitung von Wilhelm Frick, dem später mit dem Posten des NS-Reichsinnenministers belohnten Mitverschwörer der Nazis, war zu der Ansicht gelangt, dass diese geeignet waren, die „durch marxistische Thesen verseuchten Arbeiter“ wieder ins nationale Lager zurückzuführen. „Deshalb hielten wir unsere schützende Hand über die NSDAP und Herrn Hitler.“ Die Damen und Herren der Industrie haben diesen Spitzel der Reichswehr salonfähig gemacht, ihn finanziert und an die Macht gehievt, weil ihnen sein Konzept von blutiger Unterdrückung der Arbeiterklasse und Krieg zur Neuordnung Europas der einzige Ausweg aus ihrer Krise erschien. Zum Glück haben sie sich im Ergebnis verrechnet. Aber die deutschen Monopolherren haben daraus in ihrer Logik gewisse Lehren gezogen. Gegen die ganze Welt können sie gewaltsam nicht siegen, also muss es wirtschaftlich gehen. Nach der ausgebliebenen "Wunderwaffe" folgte das einsetzende "Wirtschaftswunder".

Die heutigen Konzernherren verfolgen eine andere Strategie (sie haben Europa ökonomisch bereits so gut wie in der Tasche, was Gauck um so wortreicher zu dementieren versuchte in seiner kürzlichen Grundsatzrede zu Europa, insbesonders Großbritannien gegenüber): Im Windschatten der USA in die erste Reihe der Weltpolitik zu gelangen, etwa durch eifrige, aber letztlich (von der Truppenstärke her gesehen nur symbolischen) Beteiligungen an den NATO-Kriegen (im Gegenzug eines ständigen Sitzes im Weltsicherheitsrat). Dazu machen sich polternde Stiefelnazis nicht besonders gut, da bräuchte es eher Leute wie Sarrazin für Stimmungsmache im Inneren, oder ähnlich "smart" fürs Militärische nach Außen: Guttenberg. Eine integrierende Führungsfigur am äußersten rechten Rand indes ist momentan nicht auszumachen. Was nicht heißt, dass sie nicht eines Tages noch gesucht und gefunden wird – für den Fall der Fälle.

In einem gebe ich Dir uneingeschränkt recht: Die Rolle der Nazis ist offenkundig unter anderem, die Linke zu "beschäftigen". Darüber sollten wir uns nicht dazu treiben lassen, in allem und jedem einen Nazi zu sehen, ob groß oder klein. Nur mit Differenzierung und klarer Analyse lässt sich deren Gedankengut und ihr Einfluss wirksam bekämpfen, weder mit Dämonisierung noch durch Verharmlosung. Nicht alle Konservativen, Reaktionäre, Wirtschaftsliberale oder rechten Sozialdemokraten und grüne Bellizisten sind mit dem Etikett "große Nazis" zu erfassen. Sie sind als das (politisch!) zu bekämpfen, was sie sind – in ihrer jeweiligen Funktion, nämlich dieses barbarische System, das notfalls über Leichen geht für den Profit, am Leben zu erhalten.

Wie schnell sie jeweils abgehalftert oder in den Sattel gehoben werden, dafür hält die (gerade die deutsche) Geschichte zahllose Beispiele parat. Den Sozialdemokraten hat man ihren strikten Antikommunismus nicht gedankt; sie fanden sich unverzüglich in den KZs wieder, neben ihren so leidenschaftlich bekämpften kommunistischen (Leidens-)Genossen. Auch ultra-reaktionäre Monarchisten wurden kaltgestellt, und selbst die SA-Leute, die erwartet hatten, dass der faschistischen Propaganda vom "Kampf gegen das Weltfinanzjudentum" Taten folgen würden gegen die Großindustrie, wurden 1934 eiskalt eliminiert. Denn wer zahlt schafft an und bestellt die Musik, die gespielt wird – immer mal wieder gern die alte Platte: "Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?"

Liebe Grüße aus München

W. Blaschka

 

Bild des Benutzers Elias Davidsson
Elias Davidsson
Offline
Verbunden: 22.02.2013 - 18:05
Vertuschung vieler staatsorganisierter Terroranschläge

Lieber Wolfgang,

Mein Text über Kleinnazis und Großnazis gibt sich nicht als eine gesellschaftliche Analyse aus.  Es ist viel mehr ein Appell.  Wie ich es auch am Ende schreibe, sei dahingestellt wie man die Herrschenden bezeichnet, als Nazis, Faschisten oder sonst etwas.  Nach meiner Auffassung kann man nicht davon ausgehen, dass zukünftige Formen der kapitalistischen Unterdrückung die gleichen Merkmale wie das deutsche Faschismus aufzeigen werden.  Schon die diskrete vom Staat geführte Überwachung durch elektronischen Mitteln bedeutet, dass man nicht an jeder Strassenecke Polizisten mit Maschinengewehren sieht.  Auch die Diktatur nimmt heute andere Formen.  Ich behaupte wir leben heute in einer modernen, orwellschen Diktatur, die als Demokratie getarnt wird.  Sie unterscheidet sich erheblich von der der Nazis, besonders dadurch daß die Massenmedien die Gestapo ersetzen.  Es sind nicht mehr die SS, die auf uns schießen, sondern die Massenmedien. Daher wird auch von Weapons of Mass Deception gesprochen.  

Was die große Mehrheit der Parteien tut, hat mit normalen Politik nichts zu tun:  Angriffskriege sind eigentlich keine politische, sondern strafrechtliche Taten.  Die Beihilfe zum Folter ist auch ein internationaler Verbrechen.  

Es ist, aus meiner Sicht, ein Irrtum nur Faschismus da zu sehen, wo es auch Konzentrationslager gibt oder Massenverhaftungen.  

Ein weiteres Zeichen des heutigen totalitäres System ist die massiven und systematischen Vertuschung der vielen staatsorganisierten Terroranschlägen, wie 11. September, London, Madrid usw.  Die sämtliche politische Klasse, sämtliche Medien, sämtliche Gerichte und beinah die sämtliche akademische Klasse, treiben seit 2001 eine systematische Lügenpropaganda, von der Göbbels nur träumen könnte, und all das ohne KZ.  Das sollte Einem zu denken geben.

Liebe Grüße

Elias

Bild des Benutzers Peter Weber
Peter Weber
Offline
Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Methoden und Motivationen der Staatsführung

Wie wir uns fast unbemerkt auf einer Einbahnstraße zum Totalitarismus befinden

 

Ob Großbourgeouisie, Kapitaleigner, Manager von Banken und Konzernen, Großnazis oder ihre Handlanger und Trittbrettfahrer in Medien, Wissenschaftsbetrieb, Politik und Parteien oder Mittelstand – sie alle ziehen an einem Strang mit einem gemeinsamen Ziel, das sie entweder als Profiteure oder in der Hoffnung auf eine Belohnung für servile Dienste ansteuern. Dieses Ziel ist es, wie Wolfgang Blaschka treffend formuliert:

[quote=Wolfgang Blaschka]

... sich den Staatsapparat nutzbar zu machen für ihre Zwecke, zur Garantie optimaler Verwertungsbedingungen zum Zwecke der Kapitalakkumulation. Ihr Ziel ist die Aufrechterhaltung und Verbreitung ihrer Weltordnung über den gesamten Globus, vor allem was die Eigentumsverhältnisse und die Wirtschafts- und Rechtsordnung anbelangt.

[/quote]

Wenn ich die täglich auf uns einprasselnden Meldungen analysiere, kann ich ein Schema und eine Strategie erkennen, das hinter vielen Ereignissen und den Rezepten zu deren Bewältigung steht. Nehmen wir beispielsweise einmal die folgenden Aufzählung, die man noch beliebig verlängern könnte:

  • Lebensmittelskandale, die sich mittlerweile bereits wöchentlich einstellen,
  • Arbeitnehmerausbeutung (siehe Amazon) und Abbau der Arbeitnehmerrechte,
  • Umgang mit Arbeitslosen, Hartz IV-Beziehern und Asylanten,
  • Abbau des Sozialstaates, Privatisierung von Renten- und Gesundheitssystem sowie anderer Einrichtungen der öffentlichen Grundversorgung
  • Hunger, Not und Mißachtung der Menschenrechte in aller Welt,
  • Führung von Kriegen und Instrumentalisierung des Terrorismus,
  • Auseinanderdriften von Arm und Reich und Zunahme von sozialen Ungerechtigkeiten,
  • Verschleuderung der Staatseinnahmen in Form von Subventionen an Schmarotzer und von Wirtschaftsförderungs-, Euro- oder Bankenrettungsprogrammen an diejenigen, die schon vorher abgesahnt haben,
  • Entdemokratisierungs- und Überwachungstendenzen,
  • Zunahme von Entsolidarisierung, Egoismus und destruktivem Wettbewerbskampf aller gegen alle,
  • Verschiebung der Werteausrichtungen zu materiellen und irrationalen Objekten und Zielausrichtungen,
  • Verkennung und Mißachtung der systematischen Zusammenhänge aller Phänomene und alles Lebenden in Mikro- und Makrokosmos.

Hierbei handelt es sich um die wesentlichen Erscheinungsformen der von den meisten akzeptieren vorherrschenden neoliberalen, kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsform. Sämtliche dieser Phänomene sind Folgeerscheinungen unseres Systems – also systemimmanent. Trotzdem streut uns die verantwortliche Elite ständig Sand in die Augen, indem sie uns vortäuscht, damit hätten wir (falls sie es überhaupt als Dilemma spezifiziert) es mit den Ursachen unserer Probleme zu tun. Als Lösungsvorschlag wird uns infolge dessen stets nur Aktionismus und Flickschusterei aufgetischt, der die Krisen nicht ansatzweise behandelt, sondern nur sie verschleppt oder sogar noch verstärkt. Es wird in dogmatisch-ideologischer Weise die Ursache niemals bei sich selbst oder den vertretenen Doktrinen gesucht. Die Vorgehensweise ist analog zu einem Arzt zu sehen, der eine wuchernde Krankheit damit heilen will, daß er die Dosierung der bis dato untauglichen Medikamente einfach erhöht mit einem Heilsversprechen, sich nur an Symptomen festhält und sich strikt weigert, eine andere Diagnose in Betracht zu ziehen.

Die Methoden der Meinungsmanipulation und Gehirnwäsche der Bevölkerung sind heutzutage derartig psychologisch und demagogisch ausgefeilt, daß sich offene Gewalt zur Erreichung der Macht oder anderer Endzwecke erübrigt. Wolfgang Blaschka hat glasklar herausgearbeitet, daß diese raffinierte Strategie ihre faschistoiden Ansätze, die Bereicherungsmotive oder Machtgelüste geschickt verschleiert, so daß sie von der Mehrheit der Bürger willenlos hingenommen wird. Die Ausrichtung auf Unterbewußtsein und der Appell an fremdgesteuerte Antriebe ist bereits derartig perfekt inszeniert, daß die Mehrheit der Menschen zu einer Herde von hirnlosen Trotteln verkommen ist.

Wir haben Orwell schon längst überholt. Wenn wir uns SF-Filme anschauen und uns über zukünftige Welten amüsieren, in denen die Menschen zu  Robotern ohne eigene Individualität degeneriert sind, übersehen wir leicht, daß wir selbst bereits auf dem besten Weg in einen solchen Zustand eines totalitären Staates sind. Elias Davidsson hat völlig recht, wenn er die Meinung vertritt „Ich behaupte, wir leben heute in einer modernen, orwellschen Diktatur, die als Demokratie getarnt wird.“ Wie soll ich dies anders deuten, wenn angeblich aufgeklärte, intelligente Bürger – zum Teil mit akademischer Bildung, auf die sie besonders stolz sind – in einer religiösen Inbrunst daran glauben, daß sie in der besten aller demokratischen und freiheitlichen Welt leben und ihr Tun und Lassen vom eigenen freien Willen geleitet sei.

Wer das glaubt, der sollte sich nicht über angeblich primitive Kulturen oder abergläubische und religiöse Vorstellungen anderer lustig machen. Denn er gehört eigentlich in die Klapsmühle zusammen mit all den anderen sogenannten Normalen, die den täglichen Irrsinn als gottgegeben, alternativlos oder normal bezeichnen.

 

Peter A. Weber

Bild des Benutzers Wolfgang Blaschka
Wolfgang Blaschka
Offline
Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Freiräume für Protest und Widerstand


Freiräume für Protest und Widerstand


In der Tat lässt sich die derzeitige Ordnung als "Diktatur der Monopolbourgeoisie" beschreiben, nicht aber als orwellsche, bei allem Neusprech und aller eifrig angestrebten Umwertung bisheriger Werte und Rechtsgrundsätze.

Die Totalität des Herrschaftsanspruchs ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der vollendeten Durchsetzung derselben. Noch gibt es Freiräume für Protest und Widerstand, noch gibt es Länder, die sich dieser ungerechten Weltmarktordnung nicht völlig preisgeben wollen oder sich sogar widersetzen, und nicht zuletzt deshalb mit Krieg oder Kriegsdrohungen und Sanktionen überzogen werden. Gallische Dörfer, an denen sich der Imperialismus die Zähne ausbeißt. Cuba zum Beispiel. Auch mitten in unserem Land: Das "Kritische Netzwerk" zum Beispiel oder die RATIONALGALERIE oder die "Neue Rheinische Zeitung (NRhZ)" und so weiter, auch soziale Bewegungen in Europa und auf der ganzen Welt.

Malen wir also den Papiertiger nicht größer und mächtiger als er ist, denn sonst bliebe nur der Untergrund. Das lähmt und befördert Resignation. Das Gegenteil ist notwendig: Aus den Widersprüchen dieser Gesellschaftsordnung, die immanent nicht zu lösen sind, sondern nur noch in Krisen, Kriegen, Katastrophen ihren finalen Ausdruck finden, keimt auch das Neue, die Hoffnung auf eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung und auf eine Perspektive darüber hinaus.

Diesen Aspekt zu betonen halte ich für wichtiger als bedrohliche Schwarzmalerei. Denn Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Sie treibt die Menschen eher nach rechts, an die Rockschöße eines "starken Mannes" oder eben des "Großen Bruders".

Grüsse aus München

Wolfgang B.

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden.