Rassismus in Deutschland

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Rassismus in Deutschland
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Offener und verdeckter Rassismus in Deutschland: Die Regel oder die Ausnahme?
 
Heute wieder der aktuelle Kommentar aus dem Sichtwinkel eines Crosstrainer-Benutzers, der sich durch die Glotze von den körperlichen Anstrengungen ablenken wollte. Diesmal geht es um Rassismus in Deutschland demonstriert am Beispiel des schönen und heimeligen Dörfchen Undeloh in der Lüneburger Heide, in dem die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Bisher jedenfalls – bis das böse Panorama-Team dort tatsächlich eine hinterwäldlerische Gedankenwelt entdeckt hat, die gewaltig nach rassistischen Vorurteilen stinkt. 
 
Bevor ich auch noch einige Bemerkungen zum Thema loswerde, hier der Trailer des NDR zur heutigen Sendung:
 
Undeloh: ein Dorf und die Rassismus-Vorwürfe
 
von David Hohndorf & Linda Luft
 
„Herzlich Willkommen in Undeloh? Das gilt offenbar nicht für jeden. Im Heidedorf Undeloh leben 400 Menschen (andere Quellen sagen: 974 Einwohner) - und eventuell demnächst 29 Asylbewerber in einem ehemaligen Cafe- und  Pensionsbetrieb. Zumindest, wenn es nach dem Landkreis Harburg geht, der in diesem Jahr insgesamt rund 400 Flüchtlinge aufnehmen und unterbringen muss. 
 
Die Undeloher sehen das ganz anders. In einer bis auf den letzten Platz besetzten Ratsversammlung stimmte der Gemeinderat gegen eine Unterbringung - und zwar geschlossen. Mit fehlender Infrastruktur wurde dort argumentiert, es gäbe keine Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten und auch keine öffentlichen Transportmittel in den nächstgrößeren Ort.  Dann schaukelte sich die Stimmung offenbar weiter auf, und unwidersprochen kamen ganz andere Gründe auf den Tisch: Angst vor der Wertminderung der Grundstücke, Angst um die Frauen und Kinder, Angst um die Touristen, die doch im Urlaub keine dunkelhäutigen Männer und Frauen mit Kopftüchern sehen wollten.
 
Hier seht Ihr, welchen Spaß die Undeloher sich entgehen lassen würden, falls sie auf Asylanten verzichten:
 
 
 
Vorurteile überall: In der Metzgerei ist man sich einig: Asylbewerber passen nicht nach Undeloh, sie könnten die Touristen stören - und die Frauen belästigen. Der Besuch in Undeloh einige Tage später zeigt ein Dorf mit standfesten Bewohnern. Beim Schlachter, einem der wenigen Treffpunkte am Ort, kann man sich nicht vorstellen, was die Flüchtlinge den ganzen Tag in Undeloh tun sollen. Zwischen Sülze und Kotelett kommt der Vorschlag, die Flüchtlinge doch in Hamburg mit seinen leer stehenden Gebäuden unterzubringen, aber nicht im Touristenort Undeloh.  Und auf der Straße hat man bereits ein ganz genaues Bild von denen, die da kommen sollen: Junge Männer, mit denen die ortsansässigen Frauen und jungen Mädchen möglicherweise Probleme bekommen. Asylbewerber, die Interesse an den Fernsehern und dem Luxus der Einheimischen haben könnten: "Die wollen das aber auch haben, wenn sie rüberkommen. Also besorgen sie sich das, wenn sie es nicht kriegen."
 
Gastfreundschaft - nur für zahlende Touristen: Die Gemeinderatsmitglieder bleiben bei der offiziellen Ablehnungslinie: die Unterbringung sei nicht gut, weil die Infrastruktur fehle. Zusagen des Kreises, einen Fahrdienst einzurichten und für ausreichende Betreuung zu sorgen, wird misstraut. Zu vage die Ansagen des Kreises, so erklärt ein Gemeinderatsmitglied: "Es waren eben diese Dinge, dass die Versorgung der Menschen nicht geklärt war, der Transport war nicht geklärt , wie das geregelt werden sollte, wie die überwacht werden."
 
Flüchtlinge, die man "überwacht" haben will: Aussagen, die alles sagen, in einem Dorf, das Fremde willkommen heißt - aber offenbar nur, wenn sie hellhäutige, zahlende Touristen sind.“
 
Eigentlich sagt dieser treffende Text schon alles über die erschreckende Grundeinstellung in diesem Dorf aus, so daß sich zur lokalen Situation weitere Worte erübrigen. Höchstens noch die bemerkenswerte Feststellung, daß sich aus dem Dorf kein einziger Mensch (von 974) getraut hat, eine andere Ansicht zu vertreten und sich gegen die geäußerten rassistischen Bemerkungen zu wehren. Die von den Dorfbewohnern vorgebrachten Spießerargumente gegen die Ansiedlung der Asylanten überbieten sich gegenseitig an ungeheuerlichen Scheinformulierungen, Heucheleien und Diskriminierungen. Das Fehlen jeglicher Gegenmeinung könnte ja seine Ursache darin haben, daß es in Undeloh eine gleichgeschalte Meinungsausrichtung gibt und keine Opposition vorhanden ist.
 
Allerdings möchte ich die Gelegenheit benutzen, die Lage in Undeloh zu verallgemeinern und auf die Gesinnungshaltung in Gesamtdeutschland zu übertragen. Meine Rede war und ist es immer, daß faschistisches Gedankengut mit der Entnazifizierung nach 1945 in Deutschland nicht ausgestorben ist. Ich denke, daß sich an der rassistisch-faschistischen Einstellung der Deutschen, die diese Gesinnung vor 1933 und danach favorisierten, überhaupt nichts geändert hat. Man hat sich lediglich eine demokratischen Anstrich verpaßt und im Verlaufe der besoffenen Wohlstands- und Aufschwungsorgie einfach nur Verdrängung geübt. Bei den nach dem Krieg geborenen Deutschen ist der Anteil derjenigen mit rechtsradikaler oder nationalistischen Gesinnung erfreulicherweise wesentlich geringer ausgefallen. Es handelt sich hier um den sog. Helmut-Kohl-Effekt, die "Gnade der späten Geburt".
 
Aber wir sollten uns nicht in Sicherheit wiegen, denn die Stimmung steigt wieder. In schlechteren Zeiten wird verstärkt nach Sündenböcken und einfach gestrickten Lösungen gesucht, die auch blitzschnell aus dem Hut gezaubert werden. Eine empirisch korrekte Statistik über das tatsächliche faschistische Potenzial gibt es nicht. Umfragen sind – wie es in ihrer Natur liegt – unpräzise oder suggestiv, dazu kommt noch, daß die Befragten bei heiklen Themen einfach nicht ehrlich sind. Also ist man bei einer Einschätzung der wahren Verhältnisse auf Spekulation und persönliche Erfahrungen angewiesen. Ich meine, daß der Fall Undeloh durchaus repräsentativ zumindest für das ländliche Deutschland steht - ich möchte wetten, daß eine solche Umfrage im Dorf, in dem ich wohne, ähnlich ausfallen würde. In städtischen Bereichen sieht es sicher besser aus, weil sich dort traditionell ein höherer Anteil an Liberalismus und Toleranz herausgebildet hat.
 
Auch der Neoliberalismus und die kapitalistische Wirtschaftsordnung tragen ihren Teil zu einer nationalistischen Aufrüstung bei. Es gibt einen regelrechten Standortnationalismus – auch die Exportstrategie der Wirtschaft sowie der Bundesregierung stärkt diesen Trend. Ich erkenne wieder das Aufkeimen einer Art von Großmannssucht in Deutschland – sowohl bei Bundeswehreinsätzen, beim Eurokrisen-Management oder bei Sportereignissen.
 
Insgesamt gesehen glaube ich, daß wir uns auf einem bedenklichen Weg befinden, bei dem wir gut täten, uns an den Verlauf der Geschichte zu erinnern und einen Lernprozeß in Gang zu setzen. Obwohl ich mich wiederhole, beende ich meinen heutigen Kommentar mit einem Zitat von Horst-Eberhard Richter aus seinem gleichnamigen Buch, weil die darin enthaltenen Aussagen nicht oft genug verinnerlicht werden sollten:
 
Bedenken gegen Anpassung  
 
„Es gibt eine kreisförmige Wechselbeziehung zwischen Machen und  Erkennen. Wenn man nicht macht, was man als notwendig, wenn auch mit persönlichen Unannehmlichkeiten behaftet, erkannt hat, dann kann man irgendwann auch nicht mehr erkennen, was zu machen ist !
 
Wer Anpassungszwängen taktisch nachgibt - wohl wissend - dass er ihnen mit vertretbarem Risiko widerstehen könnte und auch sollte, wird nach und nach die Unzumutbarkeit von Anpassungsforderungen  gar nicht mehr wahrnehmen, das heißt, die eigene Gefügigkeit auch nicht mehr als Fluchtreaktion durchschauen.
 
Alles erscheint normal: die Verhältnisse, denen er sich ergibt, und der Verzicht auf Gegenwehr, den er eben gar nicht mehr als Verzicht erlebt !“
 
 
Peter A. Weber