Religion ohne Kirche und Gott

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Religion ohne Kirche und Gott
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Religion ohne Kirche und Gott:


Spiritualität und eigenständiges Weltbild als Alternative – Das Wort zum Jahreswechsel


In diesem Forum stehen Religionen, Kirchen und Gott nicht hoch im Kurs. Trotzdem hat mich die Thematik stets angezogen, weil sie nun mal aus unserer Welt nicht wegzudenken ist. Durch Ignorieren von maßgebenden Mächten betreibt man Realitätsverleugnung, was wir uns auf der anderen Seite auch nicht nachsagen lassen wollen. Ob wir es wollen oder nicht – auch das Unangenehme gehört mit dazu! Was mich manchmal gestört hat, ist die Tatsache, daß meine Interpretation von Religion als Privatsache oft mißverstanden wurde. Gerade deshalb möchte ich einen erneuten Vorstoß unternehmen, um eine Differenzierung vorzunehmen mit dem Ziel einer Akzeptanz eines Nenners auf einem größtmöglichen Niveau.


Noch ein weiterer Punkt sollte nicht unerwähnt bleiben: Der Umgang mit dem schönen Begriff „Gott“, der in diesem Forum manchmal als eine Art von Schreckgespenst behandelt wird. Ich empfehle deshalb eine etwas andere Tuchfühlung damit. Unter Anlehnung an Dieter Hildebrandts „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“, das im Kritischen Netzwerk unter meinem Kommentar „Dieter Hildebrandt und die erste Garde des deutschen politischen Kabaretts“ erwähnt ist, schlage ich eine Abkürzung vor. Im „Dr. Murke“ verwendet Hildebrandt für Gott die Verklausulierung  „Jenes höhere Wesen, das wir verehren“ – abgekürzt „JhWdwv“, was ich auf ein einfaches „J“ reduzieren möchte. In Verbindung mit dem Kölschen ergibt sich daraus wiederum ein wunderschöner Pleonasmus, denn die Kölner pflegen Gott als „Jott“ auszusprechen, wofür wiederum meine gewählte Abkürzung „J“ ein Pendant bildet. Im übrigen kommen mir die Kölner nochmals entgegen, denn das Wort „Glaube“ wird in Kölsch zu „Jlaube“, weshalb ich mit „J“ zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Somit hätten wir das geklärt und zukünftig den „Gott“ und den „Glauben“ vom Hals!


Aus den angesprochenen Dissonanzen heraus stelle ich nun den Ansatz vor, um Glaube und Religion weg von den vorurteilsbehafteten Bahnen zu bringen und sie auf eine für jeden Menschen existenzielle Ausgangsbasis zu setzen. Wer sich in die Abhängigkeit von religiösen Zwangsgemeinschaften begibt, die Ideologien verkaufen, Zwietracht säen und einen vorformatierten Einheitsglauben indoktrinieren, hat die von mir gemeinte Ausgangsbasis verfehlt und braucht den Text nicht weiter zu lesen. Das gleiche gilt für andere fundamentalistische Vertreter von nichtreligiösen Ansichten, zu denen ich auch vermauerte Atheisten zähle. Daher wäre ich dankbar, wenn wir in diesem Gedankenfaden einmal persönliche Animositäten sowie die traditionelle historische und sozialpsychologische Einwirkung von Kirchen und Religionen ausklammern. Zu einer separaten Abreaktion über Kirche und das Christentum schlage ich vorsorglich eine Diskussion an anderer Stelle vor über das in diesem Jahr erschienene neue Buch des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner mit dem Titel „Kriminalgeschichte des Christentums“ vor.

Ich bin mir bewußt, daß das heute von mir erneut aufgegriffene Thema nicht alle erfreut, weil es von manchen wie vom Teufel das Weihwasser gemieden und verdrängt wird. Viele wollen vergessen machen, daß auch sie – wie jedes andere menschliche Wesen auf diesem Planet – von den gleichen Sehnsüchten und Zweifeln geleitet werden. Aber gerade dieser Umstand reizt mich an dieser Thematik so besonders! Von diesem neuen Fundament aus gibt es dann verschiedene gleichrangige Wege, die sich nicht behindern und die nicht zu Gegnerschaft oder Rivalitäten führen müssen. Dazu sollte als erste Maßnahme eine Veränderung der Einstellung erfolgen, der Glaube und Religion aus der Schmuddelecke heraus in hehre psychologisch-philosophische Gefilde befördert. Diese Maßnahme benötigt wiederum drei Schritte:

 


1.    Neudefinition von Religion


Die Grundvoraussetzung einer positiven Sicht von Religion ist die Neudefinition im ursprünglichen Sinne von Religion, weil Der Begriff in diesem Sinne zu Unrecht in Verruf geraten ist. Schuld hat die institutionalisierte Religion, die für weltliche Zwecke, sprich für den schnöden Mammon und die Macht entfremdet wurde.  Die direkte Übersetzung von Religion aus dem Lateinischen lautet nämlich „Rückbindung“.  In dieser Verwendung und Rückführung auf die alte Wortbedeutung stellt Religion nichts Anderes als ein psychologisches Instrument dar, das es uns erst ermöglicht, eine persönliche Philosophie zu strukturieren, die aus folgenden Faktoren besteht:

  • Identifikationsbildung
  • Hilfestellung zur Selbsterkennung durch Erforschung der eigenen Wurzeln
  • Verständnis der Rolle als Mensch in Verbindung mit der Knüpfung eines Lebenssinns
  • Schöpfung von Hoffnung, die von der Ausprägung des Welt- und Selbstbildes abhängig ist
  • Bezugnahme auf Umwelt und Mitmenschen

 


2.    Trennung der Religionsvorstellung in zwei gegensätzliche Kategorien


Das heißt, daß wir eine Trennung des altbackenen Religionsbegriffes vornehmen müssen in das uns vertraute autoritäre Glaubenssystem und ein davon zu unterscheidendes bewußseinwerdendes Konzept der Rückbindung. Daraus schließe ich, daß Religion im Kontext der Rückbindung für die Persönlichkeitsbildung und die individuelle Evolution wichtig und unerläßlich ist. Die persönliche Ausgestaltung der Religion ist dabei zweitrangig: Sie kann an die Verwendung von bestimmten Ritualen gebunden sein, muß es aber nicht – sie kann auch unabhängig von Ritualen ausgeführt werden. In diesem Bezugsrahmen beeinhaltet Religion Phänomene wie die folgenden:

  • Gefühle wie Liebe, Haß, Neid
  • Träume und Utopien
  • Sehnsüchte
  • Akzeptanz von nicht dinglichen immateriellen Erscheinungsformen
  • Herstellung von Verbundenheit zur Natur sowie zum Mikro- und Makrokosmus
  • Erkenntnis von Kräften, die nicht unbedingt auf „J“ hinweisen, die aber trotzdem geheimnisvoll und unerklärlich sind
  • Glaube an den nächsten Moment, Tag, Jahr in Verbindung mit der Zuversicht, daß es sich dafür zu leben lohnt

 


3.    Diskussion von Religion auf einer befangenheitsfreien Ebene


Wir sollten einmal den Versuch wagen, die Religion vom Makel des Verdachts auf Vergewaltigung  zu befreien, in dem wir ein abgewandeltes Verständnis von Religion und Glaube entwickeln. Um einen lockereren Diskurs über Religion unternehmen zu können, sollten wir uns vom Kopf her von den institutionellen Religionen verabschieden und an dieser Stelle unter Berücksichtigung der neuen Prämissen eine vorurteilsbefreite Abhandlung durchführen. Deshalb bitte ich, bei Nachfolgekommentaren auf die üblichen Verdammungs-Lamentationen von Religion zu verzichten. Ich will diese nicht wegzensieren oder verbieten, denn diese können unter einer anderen Headline ausgelebt werden, woran ich mich auch bei Bedarf beteilige.


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In dieser neuen Wahrnehmung von Religion bildet sie nicht nur ein Pendant zur Spiritualität, sondern sie geht sogar eine Einheit mit ihr ein und sie verschmelzen miteinander. In ihrem Habitus als undogmatisierte, individuelle und bedürfnisorientierte Empfindung entstammt sie der Natur des Menschen und läßt sich von keinen Schemata einengen: Sie ist sozusagen eine Wohltat für die Seele. Ohne Religion und eine Antenne zur Spiritualität ist es für einen Menschen unmöglich, sein Wesen auszuleuchten sowie sein Potenzial zu erforschen, um es umzusetzen. Kurzum – ohne Religion und Spiritualität bleibt der Mensch auf einer regressiven Stufe seiner Entwicklung stehen und ist als Person unvollständig.


„J“ ist eine Erfindung des Menschen zu seiner Orientierung, um sich mit Prinzipien, einem Ordnungssystem und einer ethischen Grundlage auszustatten. Die sog. „j“öttlichen Gesetze sind nichts Anderes als von Menschen erdachte Gesetze und Handlungsanleitungen, die in diesen Rang erhoben, eine von allen akzeptierte Autorität erlangen sollen. Der Glaube ist ein ganz profaner Überlebensmechanismus, denn der Mensch benötigt Perspektiven.  Wem das nicht als Hintergrund und Erklärung ausreicht, der sollte sich der Kreativität des Menschen erinnern, der aufgrund seiner Natur und Befähigung in der Lage ist, zu abstrahieren und in Bildern zu sprechen. Etwas Phantasie ist gefragt: Symbole, Gleichnisse, Analogien, Allegorien und Metaphern kommen in Gestalt von „J“ oder „Jöttern“ daher oder beschreiben ihre Illusionen. Menschen mit ein wenig Tiefgang haben das natürliche Bedürfnis, sich in religiösen, lyrischen oder poetischen Texten und Ausdrucksweisen bzw. in entsprechender Musik zu äußern. Darüber sollte man nicht spotten.


Ohne irgendeinen Glauben und eine Zuversicht kann ein Mensch nicht in relativer Zufriedenheit leben. In dieser Sichtweise glaubt jeder an etwas, selbst der, der meint, an nichts zu glauben. Auch das, was wir als seriöse Wissenschaft bezeichnen, ist größtenteils nur eine Annahme oder These – also ein Glaube! Absolute Gewißheit gibt es überhaupt nicht, eine leidliche Sicherheit nur eingeschränkt. Die größte Einbildung von allen ist aus diesem Grunde die Illusion von Gewißheit und Sicherheit, von der man annimmt, daß sie käuflich ist. Und nur mit rationalen, nüchternen Werten und Zahlen sein Leben zu fristen, ist völlig frustrierend und unbefriedigend - es provoziert regelrecht Depressionen.


Ohnehin lebt jeder Mensch in seinem eigenen, von ihm erschaffenen Minikosmos und betrachtet die Welt nur durch seine persönliche rosarote oder pechschwarze Brille. Seine subjektiven Vorstellungen und Gedanken sind für ihn völlige Realität und damit Faktum, als ob sie physisch greifbar, zu riechen, zu hören, zu sehen oder zu schmecken wären. Der Bordcomputer „Gehirn“ interpretiert ganz individuell und auf einmalige Weise alles Geschehen und Gesehene. Die Einbildung macht den Menschen glauben, alle anderen sähen ein identisches Bild der Welt und der alltäglichen Vorgänge wie man selbst – ein fundamentaler Kardinalirrtum!

 


Fazit:


Wir haben wirklich genügend täglichen Ärger am Hals und müssen uns durch die Kalamitäten des Lebens hindurch kämpfen. Dazu kommen die Erschwernisse, die uns eine miserable Politik in den Weg legt, die finanziellen Miseren, die Umwelteinflüsse, die gesundheitlichen  Probleme und die Erkenntnis, uns mit jedem Tage dem Tode zu nähern. Aus welchem Grund sollten wir uns noch zusätzlich das Leben erschweren, in dem wir uns wegen persönlicher Glaubensbekenntnisse bekriegen? Warum sollen wir ständig jammern und schlechte Laune verbreiten über alle Ungerechtigkeiten dieser Welt und die naturbedingte Schlechtigkeit aller Menschen? Ausreden sind nur zulässig in Situationen, die durch äußere Mächte hervorgerufen wurden und auf die man keinen Einfluß besitzt. Ich persönlich halte es mit einem simplen finalen Ach „J“, wenn ich selbst nichts ändern kann und ohnmächtig bin.



MfG Peter A. Weber