Sein gegen Haben?

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Sein gegen Haben?
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Sein gegen Haben?


Praktischer Umgang mit Wünschen und materiellen Gütern


Ob Shakespeares Version seines „Sein oder Nichtsein“ oder Fromms „Haben oder Sein“ sowie der Weg dahin „Vom Haben zum Sein“ – all dies sollte nicht auf eine Konfrontation des Seins gegen das Haben hinauslaufen. Schließlich ist das gemeine Haben in Form des Besitzens von Habseligkeiten oder die Freude am Umgang mit Spielereien aller Art Gottseidank noch nicht verpönt und unmoralisch. Ganz im Gegenteil – in unserer konsumistisch und kapitalistisch geprägten Gesellschaft wird das Haben um seiner selbst willen sozusagen vergöttert. Aber diese Geisteshaltung ist es ja gerade, die uns die Freude vergällt.


Auch verdienen humanistische Vordenker, Idealisten oder Visionäre wie Erich Fromm und viele andere keinen Spott von Seiten überheblicher einfallsloser Realisten. Sie haben schließlich als einzige dafür gesorgt, daß die Menschheit nicht völlig im Sumpf der Selbstzufriedenheit versunken ist und sich zumindest teilweise positiv weiter entwickelt hat. Wahrscheinlich würden wir uns noch in gebückter Haltung über die Savanne bewegen, wenn es einzelne Erfinder und Propheten nicht gewagt hätten, Undenkbares zu formulieren und konkret anzugehen. Ich will mich nicht auf den Schild und die Ebene der großen Vordenker heben, aber ein kleines bißchen fühle ich mich ebenfalls als Vertreter dieser Denkrichtung – zumindest erkläre ich mich solidarisch. Daher macht es mich wirklich traurig, wenn ich beobachten muß, daß der Zug mittlerweile rückwärts zu fahren scheint und wir uns kulturell-geistig-moralisch auf Degressionskurs befinden.


Man stelle sich folgendes vor: Die Menschen wagen es nicht mehr, an Utopien zu glauben und verlieren sämtliche hehren Ziele aus den Augen. Sie backen bei jeder Gelegenheit kleine Brötchen, auch wenn etwas größere durchaus im Bereich des Möglichen lägen und lassen sich regelmäßig ohne Zwang auf faule Kompromisse ein, obwohl sie nicht opportun sind. Wenn sie dann tatsächlich einmal in einen Gegenwind geraten, werden sie auch noch die letzten ohnehin faulen Zugeständnisse verraten. Sie werden auf diese Weise ihrem Endziel keinen einzigen Schritt näher kommen, sondern sie werden sogar regredieren und wieder in Richtung Steinzeit zurückschreiten. Das ist es, was ich im letzten Absatz mit degressiver Entwicklung meine. Man kann auch Dekadenz oder Umkehrung der geistigen Evolution dazu sagen. Die Frage, ob unsere Leser dies wollen, erübrigt sich – aber es passiert trotzdem! Allerdings sollten wir uns nicht an falschen Vorbildern orientieren.


Um den Weg zu einem Ziel oder Ideal als wünschenswert zu bewerten, muß man es nicht unbedingt in vollem Umfang zu seinen Lebzeiten erreichen, und braucht trotzdem nicht der Frustration zu erliegen. Es genügt völlig, sich Schritt für Schritt anzunähern, was die Motivation zum Weitermachen stärkt.  Bekanntlich stirbt die Hoffnung als letztes, denn genau genommen haben wir nichts anderes. Wenn wir die Hoffnung auch noch opfern und unsere Ideale aufgeben, sind wir verloren oder werden uns früher oder später das Leben nehmen. Um zu existieren, lebt der Mensch analog eines weisen Spruches „nicht vom Brot alleine“ – was jedoch impliziert, daß das Brot unverzichtbar ist. Brot steht dabei stellvertretend für alle existenziellen menschlichen Grundbedürfnisse.


Es gibt Leute, die versuchen, Kritiker des Konsumismus oder eines allzu habgierigen Besitztriebes in die Ecke von Spinnern oder Asketen zu stellen. Nach dem Motto „Wer nichts mehr besitzt, verliert auch die Lust, nach höheren Werten und dem Sein zu streben" soll die Wohlstandsnorm, an die wir uns so schön gewöhnt haben, hochgehalten werden. Die Alternative darf nicht lauten, entweder nichts oder viel zu haben, sondern das gesunde Maß zu finden.


In diesem Falle lautet meine Botschaft, daß Menschen, deren natürliche und Basisbedürfnisse nicht befriedigt sind, zunächst einmal ihre Anstrengungen darauf konzentrieren, sich diese zu beschaffen. Andernfalls sind sie durch die Verweigerung der Gesellschaft, ihnen menschenwürdige Verhältnisse zuzugestehen, auf die Dauer derartig frustriert, daß sie nur noch teilnahmslos vor sich hin vegetieren und in den Tag hinein leben. Sie verspüren in der Regel keinerlei Motivation mehr, sich geistig weiter zu entwickeln und philosophische Diskurse zu führen. Aber auf der Ebene, auf der die Grundgüter gesichert sind und wo sich noch lange keine Habsucht etabliert hat, ist der Mensch frei und ambitioniert, sich kreativ zu betätigen.


Um dies zu wissen, muß ich keine Experten oder Statistiken zu Rate ziehen, denn den eindeutigen Effekt zeigt mir meine Lebenserfahrung. Schließlich war ich fast 10 Jahre arbeitslos und habe in dieser Situation und diesem Umfeld genügend Menschen (z. B. an der Tafel) kennengelernt, die in nicht auskömmlichen Verhältnissen leben und genau so reagieren, wie ich es beschrieben habe. Es war für mich erschreckend festzustellen, daß 95  % der Leute aus diesem mir bekannten Arbeitslosenmilieu auch keinerlei konstruktive politische Interessen besitzen und es auch nicht möglich war, ihnen diese mit guten Argumenten zu vermitteln. Diese Tatsache ist sehr traurig, aber sie beweist, daß in den Kreisen der Menschen, denen auf Dauer keine Perspektiven angeboten werden, sich der Defätismus und eine Ohnmachtsmentalität vererbt. Die Tatsache, daß es einige wenige in diesem Umfeld gab, die andere Verhaltensmodi gezeigt haben, beweist nicht das Gegenteil sondern nur, daß ihr Lebensumfeld noch zufriedenstellend strukturiert war, sie über eine starke Psyche verfügten und sie ihre Hoffnung nicht verloren haben. Nur dadurch ist man als Individuum in der Lage, den Antrieb nach Weiterentwicklung zu erhalten.


Ein wenig Haben versüßt das Leben und kann sehr viel Spaß bereiten, wenn wir nicht übertreiben. Und wer wollte uns ernsthaft um diesen Spaß betrügen? Erich Fromm mit seiner Sicht des Habens mit Sicherheit nicht! Denn es ist die wahre Natur des Menschen, sich dem Streben zu widmen und sich weiter zu entwickeln. Auch auf materielle Dinge kann man sich freuen, wenn ein wenig Aufwand mit dem Erwerb verbunden ist und einem nicht alles ohne Anstrengung nachgeworfen wird. Ganz ohne die Aussicht auf Haben wird das bißchen Glücksgefühl, das uns manchmal ereilt und zu Leistungen anspornt, auch noch aus den Händen gleiten und durch Depression oder Gleichgültigkeit ersetzt werden.


Deshalb fordere ich alle zum Träumen und Wünschen auf und dazu, diese Träume gegen die hohlen Realisten zu verteidigen, die in Wirklichkeit nichts anderes als zur Imagination unfähige Angsthasen sind! Vor allen Dingen sollten wir uns die Dinge ohne Scham nehmen, die wir bekommen können und die uns Freude bereiten, wenn wir damit keinen Schaden anrichten.


MfG Peter A. Weber

 


 

Grafikquellen:

1. "Ich bin das  was ich bin". Grafik: Melling.  Quelle: Pixelio.de

2. "Ohne Ideen werden Träume gar nicht erst geboren" Grafik: Ilse Dunkel (ille). Quelle: Pixelio.de