Simone Weil: Nie wieder Partei?

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Wilhelm Klingholz
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Verbunden: 07.09.2013 - 12:33
Simone Weil: Nie wieder Partei?
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Simone Weil: Nie wieder Partei?


aus: Simone Weil, “Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien”


Nehmen wir an, ein Mitglied einer Partei – Abgeordneter, Abgeordnetenkandidat oder einfach Aktivist – geht öffentlich folgende Verpflichtung ein: “Wann immer ich mich mit einem politischen und sozialen Problem befasse, verpflichte ich mich, die Tatsache, dass ich Mitglied jener Gruppe bin, völlig zu vergessen und mich ausschließlich um das Gemeinwohl und die Gerechtigkeit zu sorgen.”

Eine solche Rede würde sehr schlechten Anklang finden. Die Seinen, aber auch viele andere würden ihn des Verrats beschuldigen. Die am wenigsten feindlich Gesonnenen würden sagen: “Warum ist er dann Anhänger einer Partei?” und auf diese Weise naiv eingestehen, dass man mit dem Eintritt in eine Partei darauf verzichtet, einzig nach dem Gemeinwohl und der Gerechtigkeit zu streben. Seine Partei würde diesen Mann ausschließen oder zumindest nicht mehr aufstellen; er würde gewiss nicht gewählt werden.

Doch viel mehr noch, eine solche Rede scheint nicht einmal möglich. Es hat sie wohl tatsächlich nie gegeben.

 

        


Tja: Nie wieder Partei! – Sagt sich so einfach. Und wer nicht völlig verblödet ist, wird sogar verstehen, warum Simone Weil gegen die Abschaffung der politischen Parteien ist. Ja mei – oh Gott, das war jetzt wieder bayerisch:  (wörtlich zu übersetzen; bedeutsam ist hier die Betonung: ein kurz gesprochenes “ja mei” bedeutet wenig Interesse an einer Sache, ein gedehntes “ja mei” mit steigender Stimmhöhe schon ein erfreutes Erstaunen und ein seufzendes “ja mei” höchste Anteilnahme. Norddeutsche benötigen hingegen meist einen Wortschwall, um ihre Gefühle so differenziert ausdrücken zu können.) – also ja mei – denkt euch gefälligst die Betonung selbst dazu: wie soll denn das jetzt gehen: die Parteien abschaffen? Braucht man dazu nicht eine Partei?

Parteien – haben ja irgendwas mit "Partei ergreifen" zu tun. Also z.B. Partei ergreifen für Gemeinwohl und Gerechtigkeit. Aber genau  das geschieht ja erstaunlicherweise gar nicht. Parteien ergreifen stattdessen immer nur Partei für sich selbst.

Für sich selbst. Da fällt mir was ein: “Tun wir” das nicht mehr oder weniger alle die ganze Zeit: Partei ergreifen für “uns selbst”? Sind Parteien nicht schlicht und einfach perfekte Spiegelbilder von uns selbst bzw. von dem, was wir für uns halten, wollen wir nicht auch immer recht haben und ergreifen nicht auch wir stets vorzugsweise für uns selbst Partei? Genau das muss auch Simone Weil absolut klar geworden sein. Sie muss den Zusammenhang von Politik und Religion zutiefst verstanden haben, sonst wäre aus dieser engagierten politischen Kämpferin wohl kaum eine Mystikerin geworden.

Wilhelm K.

 



Quelle: mein Blog satyamnitya > Artikel