Technologie und Sozialstruktur

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Technologie und Sozialstruktur
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Technologie und Sozialstruktur

von Antônio Inácio Andrioli


„Die Technik ist jeweils ein geschichtlich-gesellschaftliches Projekt; in ihr ist projektiert, was eine Gesellschaft und die sie beherrschenden Interessen mit dem Menschen und mit den Dingen zu machen gedenken. Ein solcher ‚Zweck‘ der Herrschaft ist ‚material‘ und gehört insofern zur Form selbst der technischen Vernunft“. (Marcuse 1979: 127)

 
Wissen ist keineswegs ideologiefrei und dessen Entwicklung, Auswahl und Anwendung sind von den Machtverhältnissen in der Gesellschaft politisch definiert. Die grundsätzliche Frage zum technischen Fortschritt lautet folglich: Wem soll eigentlich eine entwickelte Technik letztendlich dienen?

Wissen ist ein soziales Produkt, das die Interessen und Bedürfnisse einer bestimmten Gesellschaft widerspiegelt. In der kapitalistischen Gesellschaft wird die Wissensentwicklung tendenziell von den Herrschaftsklassen bestimmt, um die notwendige Produktion und Reproduktion der kapitalistischen Produktionsweise sicher zu stellen. Sowohl die Entwicklung von Wissen als auch ihre Anwendung hängen von der Art der Gesellschaft und ihren Produktionsverhältnissen ab, d.h. Wissen ist in der strukturierten Gesellschaft mit Macht verbunden und wird sich tendenziell an deren Legitimation ausrichten.

Wie Ullrich (1979) betont, herrscht Technik nur, indem sie funktioniert und solange sie funktioniert. Die Fragen nach dem was, wie und für wen produziert wird, sind entscheidend nicht nur, wenn Technik schon entwickelt ist, sondern besonders dann, wenn sie entwickelt wird. „Der Begriff der technischen Vernunft ist vielleicht selbst Ideologie. Nicht erst ihre Verwendung, sondern schon die Technik ist Herrschaft (über die Natur und über den Menschen), methodische, wissenschaftliche, berechnete und berechnende Herrschaft“. (Marcuse 1979: 127) Von daher ist Technik auch keineswegs politisch neutral, denn sie ist niemals isoliert von der Machtstruktur der Gesellschaft. „Die in der Welt vorherrschende Technik ist durch den und im Kapitalismus, aus den kapitalistischen Produktionsverhältnissen entstanden“. (Széll 1982: 25) Das Ziel technischer Innovation in der kapitalistischen Gesellschaft ist nicht, die Arbeit so angenehm wie möglich zu machen, sondern „die Firma fragt sich einzig allein, was zu tun ist, um den maximalen Marktwert mit dem geringsten Geldaufwand zu produzieren“. (Gorz 1980: 70)  

Im dem Maße, wie sich der Kapitalismus – historisch gesehen – entwickelt und die Warenproduktion verallgemeinert hat, hat er sich auch Inhalt und Richtung der Wissensproduktion und ihrer Anwendung unterworfen. Dabei läuft alles auf eine bestimmte Art der Effizienz als Grundregel hinaus: Die privaten Gewinne der Eigentümer zu steigern. Dies kann entweder durch Veränderungen in der Organisation der Arbeit (durch deren Spezialisierung und Arbeitsteilung) oder durch die Anwendung geeigneter Maschinen und Werkzeuge ermöglicht werden. „Es ist deshalb die Hauptaufgabe der Forschung, das Veralten und die Ersetzung der Waren zu beschleunigen, sowohl der Konsumgüter als auch der Investitionsgüter, um auf diese Weise den Zyklus der Kapitalreproduktion zu beschleunigen und profitable Investitionsmöglichkeiten für eine wachsende Profitrate zu schaffen“. (Gorz 1973: 96)

Auch wenn die Steigerung der Arbeitsproduktivität älter ist als die kapitalistische Gesellschaft, hat sie dennoch die Unterlegenheit der Arbeit gegenüber der kapitalistischen Produktionstechnik vertieft. Wie Marx es im Kapital beschrieb, konnte durch den Einsatz der Maschinerie die notwendige Arbeit zur Erzeugung der Waren verkürzt werden, um die Waren zu verbilligen und den Mehrwert zu steigern. „Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstages, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert“. (Marx 1983a: 391)

Der technische Fortschritt ermöglicht eine Erhöhung der Geschwindigkeit des Produktionsprozesses durch die zunehmende Anwendung von konstantem Kapital, d.h. Investitionen in Werkzeuge, Anlagen und Maschinerie. Die Folgen dieses Prozesses sind doppelt: Steigerung der Produktivität und Ausbeutung der Arbeit einerseits und, wie Marx analysiert hat,  ein relativ stärkeres und schließlich überwiegendes Wachstum des Kapitalanteils in Sachanlagen  und Maschinerie (steigende „organische Zusammensetzung des Kapitals“) andrerseits.

Deshalb ist hinsichtlich der gesamten kapitalistischen Wirtschaft zu bezweifeln, dass permanenter technischer Fortschritt die Profitraten stabilisiert, geschweige dauerhaft steigert. Denn es werden zwar mehr Maschinen eingesetzt und mehr Waren erzeugt, doch sinkt der Wert der Waren aufgrund der Verringerung der notwendigen Arbeitszeit. Aus der Sicht des einzelnen Unternehmers stellt es sich allerdings anders dar: Weil der Einsatz von Maschinen (konstantem Kapital) eine Investition ausmacht, die im Verlauf der Zeit entwertet wird, stellt die intensive Anwendung einer Maschine die Möglichkeit dar, die Kosten der Entwertung zu minimieren.

Gerade auf Grund der Konkurrenz gegenüber anderen Unternehmen, sieht der einzelne Kapitalist sich dazu gezwungen, schneller als seine Konkurrenten vom Vorteil des technischen Fortschritts zu profitieren, bevor die Preise anfangen zu sinken. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität eines Betriebs erlaubt es dem Kapital, den dort geschaffenen Mehrwert zu steigern und sich zusätzlich Mehrwert anzueignen, der in anderen Unternehmen erzeugt wird (Mehrwertübertragung). Auf diese Weise gelingt es dem einzelnen Unternehmer, seine Profite über die durchschnittliche Profitrate zu steigern und Extraprofite zu erwirtschaften. Solange diese Bedingungen sich nicht verallgemeinern und die anderen Betriebe noch nicht soweit sind, profitiert ein einzelnes Unternehmen also von der kurzfristigen Senkung seiner Produktionskosten.

Aus diesem Grund ist es für einen Unternehmer wichtig, den Anteil der notwendigen Arbeit zur Produktion einer Ware im Verhältnis zur gesamten Arbeitszeit zu senken. Und die Alternative dazu lautet: technischer Fortschritt. Es ist also nicht der technische Fortschritt, der einen Unternehmer zur Akkumulation zwingt, sondern die Notwendigkeit zur Akkumulation.  „Der Kapitalist, der als erster eine Maschine einführt, erhält solange einen Extraprofit, bis die massenhafte Einführung ähnlicher Maschinen einen neuen Wert und Preis für die erzeugte Ware festsetzt. In der Jagd nach Profit entwickeln die Kapitalisten die Technik“. (Kusin 1969: 82)


Quelle: zum Originalbeitrag


Informationen zu ANTÔNIO INÁCIO ANDRIOLI  auf seiner Seite, die aber von korrupten Lobbyisten für den europäischen Raum gesperrt wurde!