Transparenz und Kontrolle

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Transparenz und Kontrolle
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Transparenz und Kontrolle


Die Forderung nach Transparenz von anderen wird zur Zeit in aller Munde geführt – ich erkläre sie bereits jetzt zum Wort des Jahres. Transparenz hat Hochkonjunktur:

  • Transparenz der Überwachungs- und Datensammlungsorgane,
  • Transparenz beim Lobbyismus-Einfluß,
  • Transparenz bei Politikereinkünften und Nebenbeschäftigungen,
  • Transparenz bei Privatisierungsvorhaben,
  • Transparenz bei der Verwendung von aus Steuereinkünften stammenden Finanzmitteln,
  • Transparenz bei der Wahl der politischen Experten,
  • Transparenz überhaupt zur Durchleuchtung der Motivation und Absichten sämtlicher maßgebender politischer Entscheidungen.
  • But last not least: Transparenz der Bürger – denn wir haben ja schließlich nichts zu verbergen.

Dabei wird so getan, als ob transparentes Verhalten an und für sich schon eine Tugend sei, mal ganz abgesehen davon, daß diejenigen, die am lautesten nach Transparenz schreien, die meisten Leichen im Keller haben. Es ist eine Art von Transparenzwahn ausgebrochen, wobei die Transparenz immer von anderen Beteiligten gefordert wird und keiner die Qualität und die gemeinte Gestalt und Beschaffenheit definieren will. Diejenigen, die von der Transparenz anderer profitieren, haben sie bereits zum Evangelium erhoben – mit anderen Worten hat die Transparenz die Form einer Ideologie angenommen.


Der Freiheitsbegriff des Neoliberalismus beinhaltet die Informationsfreiheit. Die Kehrseite der Medaille einer grenzenlosen Informationsfreiheit ist jedoch die  totale Kontrolle sämtlicher Bürgeraktivitäten und ufert letztlich – einer selbstbestätigenden Logik folgend – auch in Gesinnungskontrolle aus. Seit wir uns den technischen Möglichkeiten der Überwachungs- und Informationstechnologie  ausgeliefert haben, machen wir uns mehr und mehr von ihnen abhängig und verlieren die Kontrolle darüber. Ich habe den Eindruck, daß „wir“, d. h. die Bürger und die Politik, bereits die Kapitulationsurkunde unterschrieben haben, aber es noch nicht zugeben wollen. Wir sollten ernsthaft überdenken,

  • was der Preis für die Opferung unserer Privatsphäre ist?
  • ob wir schon vergessen haben, wozu  Regime und Systeme in der Lage sind, wenn wir ihnen mit unseren Daten freie Hand lassen?
  • daß alle politischen System fast zwangsläufig  der Versuchung nicht widerstehen können, die eingesammelten Informationen gegen das Volk zu benutzen und dann leicht in totalitäre und faschistische Strukturen und Denkweisen verfallen können?

Es besitzt etwas von einem faustischen Handel, wenn wir uns widerstandslos den Regeln der Informationsgesellschaft ausliefern, die automatisch in eine Transparenzgesellschaft mündet, die uns alle zu gläsernen Bürgern verdammt, die der Überwachung und Kontrolle ausgeliefert sind.

 

Wollt ihr die totale Informations- und Transparenzgesellschaft?“ Wer würde nicht mit vielen anderen im Chor „JA“ brüllen, wenn als Gegenleistung dafür absolute Sicherheit angeboten würde – und als Krönung auch noch das Versprechen auf Wachstum und Wohlstand? Ich ziehe den Bogen zu unserem in den letzten Tagen veröffentlichten Beitrag „Wenn der Faschismus wiederkehrt“ von KenFM sowie meinem daran gehängten Kommentar "Wollt ihr die totale Sicherheit" im Kritischen Netzwerk. Das Szenario der demagogischen Manipulation schwebt immer über uns – und mit den modernen Technologien und psychologisch ausgetüftelten Beeinflussungsstrategien dürfte es ein Rattenfänger noch leichter als Goebbels damals haben, die Massen zu hypnotisieren. Der in Berlin lebende Südkoreaner Byung-Chul Han, der als Autor und Essayist sowie Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste, Berlin, tätig ist, hat in seinem im Verlag Matthes & Seitz (Berlin) erschienenen Buch „Transparenzgesellschaft“ die entscheidenden Fragen aufgeworfen. Ich zitiere aus dem Klappentext, der mit der Überschrift  „Ausleuchtung ist Ausbeutung“ versehen ist:


Die Transparenz ist ein systemischer Zwang, der die gesamten gesellschaftlichen Prozesse erfasst und sie einer gravierenden Veränderung unterwirft. Das gesellschaftliche System setzt heute all seine Prozesse einem Transparenzzwang aus, um sie zu operationalisieren und zu beschleunigen. Der Imperativ der Transparenz macht uns außerdem zu Sklaven der Sichtbarkeit. Die Transparenzgesellschaft ist eine pornografische, ausgestellte Gesellschaft. Sie manifestiert sich gleichzeitig als eine Kontrollgesellschaft. Das Internet als Raum der Freiheit erweist sich als ein digitales Panoptikum.“


Über diese Worte sollte man einmal in Ruhe nachdenken. Wir müssen uns klarmachen, daß der Begriff der Transparenz nur aus der Frage der Sichtweise verstanden werden kann.

  • im Verhältnis des Bürgers zum Staat
  • im Verhältnis des Staates zum Bürger
  • im Verhältnis des Individuums zu sich selber, also noch innen

Transparenz kann in totalitärer Sichtweise, wie es  Byung-Chul Han ausführt, mutieren. Oder anders ausgedrückt - Transparenz ohne Innerlichkeit ist Veranstaltung einer persönlichen Peep-Show. Die aktuellen Erwartungen an den Bürger, sich offenzulegen und Überwachung  angeblich zu seiner eigenen Sicherheit zuzulassen, haben eine Ent-Innerlichung zur Folge, die das Innerste der Seele auszuleuchten versucht. Wir benötigen für eine gesunde Psyche eine Privatsphäre und persönliche Geheimnisse, in die niemand eindringen darf, ohne daß wir Schaden erleiden.


Wir sollten uns auf Maßnahmen zur Verhinderung und Abwehr dieser obszönen Anforderungen besinnen. Dazu gehören Verhaltensweisen wie das Sich-Entziehen, das Aufstellen von Distanz und etwas so profanes wie das Schweigen, das wir wohl verlernt haben.  Dabei ist es wichtig zu unterscheiden zwischen freiwilliger und bewußter Transparenz, die zu mehr Offenheit  gegenüber sich selbst und anderen führt – sowie auf der anderen Seite zur verantwortungsbewußten Offenheit des Staates gegenüber den Bürgern.


Die Politiker bejammern ständig den erlittenen Vertrauensverlust der Bürger gegenüber der Politik. Aber nur eine ehrliche Öffnung der politischen Strategien und Absichten kann wieder  einen Vertrauensaufbau auf den Weg bringen. Wir werden von den politischen Akteuren ständig belogen – man betrachte einmal die Aussagen der Koalitionäre bei den derzeitigen Regierungsbildungsgesprächen. Täglich begegnen uns Aussagen und Vereinbarungen, die denen von vor einigen Wochen in der der Vergangenheit direkt widersprechen. „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ heißt es in einem alten Sprichwort. Was soll man erst von denen halten, die uns ständig anschwindeln? Eigentlich müßte es in den Reihen der Politiker nur noch kurzbeinige Kleinwüchsige geben, wenn es zuträfe, daß Lügen/Lügner kurze Beine besitzen.


Dabei ist es ja nicht alleine der verlogene Charakter der Politiker, die das Vertrauen zu Bruch gehen lassen. Es ist auch die gesellschaftlich erzwungene und  ideologisch begründete Kontrolle, die persönliche Offenlegung und Entblößung beabsichtigt, die einen noch schlimmeren Schaden anrichtet. Es handelt sich dabei um einen Teufelskreis: Dieses Verhalten ist zum einen auf Mißtrauen gegenüber den Bürgern begründet, und zum anderen Teil zieht es wiederum das Mißtrauen der Bürger im Schlepptau nach sich.



MfG Peter A. Weber