

Über das jüngste TTIP-Märchen aus Brüssel
Gleichgewicht bei TTIP Verhandlungen
von Conrad Schuhler / Vorsitzender des isw (Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.)
Das jüngste Märchen aus Berlin und Brüssel: Investor-Staat-Klageverfahren stünden nicht mehr zur Debatte – man würde sich auf öffentliche Gerichtsverfahren einigen.
Das Investor-Staat-Klageverfahren (Investor-State-Dispute-Settlement, ISDS) steht mit im Zentrum der Kritik der TTIP-Gegner. Damit würde die private Schiedsgerichtsbarkeit über Schadenersatzforderungen der Unternehmen gegenüber Staaten eingeführt. Es würde das Ende aller demokratischen Bemühungen sein, Verbesserungen in Umweltschutz, Arbeitsrecht, Arbeitszeit, Lohnhöhe, Produktgestaltung einzuführen, sobald sie die Profitinteressen der Unternehmen negativ berühren. ISDS würde jeden substantiellen sozialen und ökologischen Fortschritt so teuer machen, dass er unerschwinglich wäre.
Wegen des enormen Widerstands sahen sich die TTIP-Verhandlungspartner genötigt, das ISDS-Thema aus den Verhandlungen vorübergehend herauszunehmen. Gleichzeitig starteten EU-Kommission und die Berliner Regierung eine Propagandaoffensive, ISDS seit tot, es würde keine privaten, sondern öffentliche Gerichte geben. Letzter Höhepunkt dieser Kampagne war die Präsentation eines neuen Vorschlags der EU-Kommission für das betreffende „Investment“-Kapitel des TTIP-Vertrags. Darin wird angeblich ein öffentlicher Gerichtshof einschließlich eines Berufungsgerichts vorgeschlagen.
In Wahrheit handelt es sich um einen dreisten Etikettenschwindel. Das Gerichtsverfahren ist keineswegs ein öffentliches. Es handelt sich nach wie vor um ein spezielles Konzernklagerecht gegen Staaten. Der Unterschied gegenüber den alten Vorschlägen besteht vor allem in der Festlegung, wie die „Richter“ bestellt werden sollen. Ausdrücklich verweist der Kommissionsvorschlag darauf, dass diese „Richter“ so berufen werden wie der „WTO Appellate Body“.
In diesem Berufungsgremium der Weltbank sitzen jeweils sieben von der WTO benannte Personen. Derzeit handelt es sich um drei Professoren für internationales Handelsrecht, zwei Chefs internationaler Anwaltsfirmen, einen Anwalt und einen Wirtschaftsberater. Mit einem „öffentlichen Investitionsgerichtssystem“ hat das nichts zu tun. Als „Richter“ fungieren private Personen, die sich um das Funktionieren der konzerngesteuerten Weltwirtschaft verdient machen und selbst hervorragend daran verdienen.
Die EU-Kommission geht auch mit keinem Wort auf den von ihr mit Kanada abgeschlossenen Vertragsentwurf von CETA ein. Dort werden ausdrücklich ISDS-Verfahren als einzige Prozedur festgelegt und die WTO-Filiale "Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten" (englisch International Centre for Settlement of Investment Disputes – ICSID) als wesentlichen Austragungsort der Streitigkeiten. Vier Fünftel aller US-Unternehmen haben Niederlassungen in Kanada. Nach der US-Verbraucherschutzorganisation Public Citizen können über CETA 41.000 ausländische Investoren die EU-Staaten vor den alten privaten ISDS-Schiedsstellen auf Schadensersatz verklagen.
Conrad Schuhler
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1. TTIP & CETA STOPPEN! Unter dem Motto „TTIP & CETA stoppen! Für einen gerechten Welthandel“ haben am 10. Oktober 2015 etwa 250.000 Menschen bei einer Großdemonstration im Herzen von Berlin gegen die Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) sowie Kanada (CETA) protestiert. Auch in anderen EU-Staaten gab es Proteste - insgesamt gingen mehrere Millionen Europäer/innen auf die Straße gegen TTIP und CETA. Nie zuvor sind in Europa mehr Menschen zu diesem Thema auf die Straße gegangen. Zur Demonstration aufgerufen hatte ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis: www.mehr-demokratie.de/stopttip-grossdemo.html.
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2. Großkundgebung TTIP & CETA STOPPEN! in Berlin, wo sich am 10. Oktober 2015 ca. 250.000 Teilnehmer aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland einfanden. Foto: Jakob Huber / Campact. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).
3. Buchcover: "Thilo Bode: Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt – und uns allen schadet." Verlag: DVA. ISBN: 978-3-421-04679-6. Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 272 Seiten, € 14,99 [D] | € 15,50 [A] | CHF 20,50 * (* empf. VK-Preis)
Der Staatsstreich der Konzerne
In Deutschland und Europa wächst der Widerstand gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP. Thilo Bode schildert anschaulich und mit analytischer Schärfe, wie TTIP Verbraucherrechte und Umweltstandards gefährdet. Die Konzerne drohen über unsere Zukunft zu bestimmen – stärkere Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte hängen ebenso wie ein wirkungsvoller Umweltschutz von ihrer Gnade ab. Dies gilt es mit aller Macht zu verhindern. Thilo Bode zeigt, was sich bei den Geheimverhandlungen zwischen der Europäischen Union und den USA ereignet und was für uns alle auf dem Spiel steht.
Thilo Bode, geboren 1947, studierte Soziologie und Volkswirtschaft. 1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete er die Verbraucherorganisation Foodwatch.