Überwachtes Deutschland (JOSEF FOSCHEPOTH)

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Überwachtes Deutschland (JOSEF FOSCHEPOTH)
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Überwachtes Deutschland  .. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik


Autor: Josef Foschepoth

Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen (1. Aufl. 2012) - zur Verlagsseite

ISBN 978-3-525-30041-1

gebunden, 378 Seiten mit 5 Grafiken, 3 Abb. u. 3 Tab. gebunden, auch als E-Book: ISBN 978-3-647-30041-2


Klappentext:

Millionen und Abermillionen Postsendungen wurden Jahr für Jahr, Tag für Tag aufgebrochen, ausgewertet und teilweise vernichtet. Millionen und Abermillionen Telefonate wurden abgehört. Von und im Auftrag der ehemaligen Besatzungsmächte, aber auch von den Westdeutschen selbst. Nahezu alle eingehende Post aus der DDR und massenweise Briefe und Pakete aus anderen osteuropäischen und kommunistischen Staaten wurden angehalten und zensiert. Die Telefon- Fernschreib- und Telegraphenleitungen von und zur DDR, nach und von Berlin und in die übrigen osteuropäischen Staaten, aber auch innerhalb der Bundesrepublik, ins westliche Ausland und Durchgangsleitungen von Ost nach West wurden systematisch überwacht und abgehört. Die alte Bundesrepublik zwischen 1949 und 1989 war ein großer, effizienter und effektiver Überwachungsstaat.

Das Buch liefert neue Erkenntnisse aufgrund einer umfassenden und intensiven Auswertung von bislang nicht erforschten, zumeist unzugänglichen und vielfach noch als geheim eingestuften Akten der Bundesregierung und der ehemaligen Besatzungsmächte USA und Großbritannien. Der Autor stieß auf mehrere Millionen Geheimdokumente zur Geschichte der Bundesrepublik, die noch nicht erforscht sind. Sein Buch macht deutlich: Die Geschichte der Bundesrepublik ist noch nicht geschrieben.


Inhalt:


1. Einleitung: Ein neuer Blick auf die Geschichte der alten Bundesrepublik ……………7


1.1 Neuer Forschungsgegenstand ……………9

1.2 Neue Quellen ……………12

1.3 Neue Fragestellungen ……………16


2. Die Überwachung durch die Westmächte (1949–1968) ……………19


2.1 Strategie der doppelten Eindämmung ……………21

2.2 Westverträge und beschränkte Souveränität ……………28

2.3 Vorbehaltsrechte und geheime Zusatzvereinbarungen ……………36

2.4 Art und Umfang alliierter Post- und Fernmeldeüberwachung ……………48


3. Die Überwachung durch den eigenen Staat (1949–1968) ……………64


3.1 Staatsgefährdung durch Broschüren ……………65

3.2 Gesetzlose Verwaltungspraxis und juristische Legitimierung ……………75

3.3 Interne Kritik und öffentliche Leugnung ……………94

3.4 Art und Umfang deutsch-deutscher Postüberwachung ……………106


4. Die Abhöraffäre (1963/64) ……………119


4.1 Skandal um den Verfassungsschutz ……………120

Exkurs: Der Einfluss der Alliierten auf den Verfassungsschutz ……………130

4.2 Silberstein-Gutachten und Parlamentarische Untersuchung ……………141

4.3 Politische Entlastung und historische Bedeutung ……………152


5. Weichenstellungen für dauerhafte Überwachung (1968) ……………160


5.1 Vorgeschichte und Entwürfe eines Überwachungsgesetzes ……………161

5.2 Notstandsgesetze und G 10-Gesetzgebung ……………174

5.3 Alliierte Rechte als bleibende Hypothek ……………186

5.4 Höchstrichterliche Entscheidungen zum G 10-Gesetz ……………196


6. Die Überwachungspraxis der Deutschen (1968–1989) ……………213


6.1 Installierung der westdeutschen Geheimdienste ……………214

6.2 Öffentliche Debatten und Geheimdienst-Affären ……………232

6.3 Und wie überwachte die DDR? ……………249


7. Resümee: Überwachung als strukturbildender Prozess ……………262

8. Quellen-Dokumentation ……………274


8.1 Besatzungsrecht und Westverträge (1945–1963) ……………275

8.2 Deutsch-alliierte Verhandlungen und geheime Vereinbarungen ……………285

8.3 Art und Umfang alliierter Post- und Telefonüberwachung (1949–1968) ……………301

8.4 Deutsche Rechtsgrundlagen und Gesetze (1949–1989) ……………308

8.5 Art und Umfang westdeutscher Post- und Telefonüberwachung (1949–1989) ……………332

8.6 Kritik an der westdeutschen Post- und Telefonüberwachung (1949–1989) ……………348

8.7 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum G 10-Gesetz (1970) ……………356


Abkürzungen ……………363

Verzeichnis der Dokumente ……………366

Quellen- und Literaturverzeichnis ……………369

Archive ……………369

Literatur ……………369

Dank ……………378



Leseprobe:

1. Einleitung: Ein neuer Blick auf die Geschichte der alten Bundesrepublik

»Die Politik ist eine dunkle Sache, schauen wir zu, dass wir etwas Licht hineinbringen.«1

»Der Beginn aller Wissenschaften ist«, um es mit Aristoteles zu sagen, »das Erstaunen, dass die Dinge sind, wie sie sind.«2  Was sind die Dinge, die mich ins Staunen versetzt und zu jahrelangen Archivrecherchen motiviert und veranlasst haben, nach immer neuen Akten, auch und vor allem in den Geheimarchiven der Bundesregierung zu suchen? Was sind die Dinge, die mich immer wieder ermutigt haben, für eine längst überfällige Freigabe von Akten zur Geschichte der alten Bundesrepublik zu kämpfen, um diese Dinge zu erforschen, zu analysieren und zu erklären? Es war ein Zufallsfund, eine Akte mit der Aufschrift »Postzensur« aus dem Jahre 1951 im Bundesarchiv Koblenz, die mein Staunen ausgelöst hat. Aus diesem Staunen bin ich bis zum Abschluss meines Manuskripts nicht herausgekommen. Immer wieder entdeckte ich neue Aspekte, neue Fragen, die mich erneut zum Staunen brachten. So entstand aus einer einzigen Akte mit der Aufschrift »Postzensur« eine endlose Geschichte zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, nicht etwa in der DDR, darüber wissen wir schon einiges, sondern in der alten Bundesrepublik. Die Post- und Telefonüberwachung hat nicht nur Trennendes, sondern auch Verbindendes. Mit diesem Buch ist das überwachte Deutschland kein DDRspezifisches Thema mehr, sondern ein gemein sames deutsch-deutsches Thema.

Der Umfang der westdeutschen Postüberwachung war immens. Von den Anfangsjahren der Bundesrepublik bis zum Beginn der Siebzigerjahre wurden nachweislich über 100 Millionen Postsendungen aus der DDR beschlagnahmt, geöffnet und zum großen Teil vernichtet. Hinzu kam eine nicht näher quantifizierbare Zahl von Postsendungen, die in der Bundesrepublik aufgegeben und ebenfalls aus dem Verkehr gezogen wurde. Ihre Zahl kann aufgrund einzelner Quellenangaben nur geschätzt werden. Sie dürfte um die 100000 Postsendungen pro Jahr, mal mehr, mal weniger, betragen haben.

Die größten Kontrolleure waren zunächst die drei westlichen Sieger- und Besatzungsmächte USA, Großbritannien und Frankreich. Aus dem Recht der Sieger über Deutschland leiteten sie das Recht auf eine flächendeckende Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in Westdeutschland und Westberlin ab. Auch hier lassen sich keine exakten Angaben machen. Die quellenmäßig belegten Postkontrollen durch die Amerikaner betrafen allein in den Jahren 1960 bis 1968 etwa 50 Millionen Postsendungen. Dies entspricht einem durchschnittlichen Jahreswert von 5 bis 6 Millionen Postsendungen, der aufgrund verschiedener Quellenhinweise in den Fünfzigerjahren ähnlich hoch gewesen sein dürfte. Hinzu kamen die Kontrollen der Briten und Franzosen, die im Einzelnen nicht belegt sind, in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre jedoch exzessiv gehandhabt wurden. Die Überwachung des Telefon-, Telegraphen- und Fernschreibverkehrs durch die Besatzungsmächte war ebenfalls sehr intensiv. Die Amerikaner kopierten am Knotenpunkt Frankfurt fast sämtliche Fernschreiben, schickten die Kopien in die USA und ließen diese von der National Security Agency (NSA), dem größten US-Geheimdienst, auswerten.

1968 erhielt die Bundesrepublik ein erstes Gesetz zur Beschränkung des Post und Fernmeldegeheimnisses. Seitdem führten das Bundesamt für Verfassungsschutz die Inlandsüberwachung und der Bundesnachrichtendienst die Auslandsüberwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs auch für die drei Westmächte durch. Bei der Kapazitätsberechnung gingen die westdeutschen Geheimdienste von einer Verdoppelung der bislang allein von den Amerikanern erreichten Zahl von etwa 6,5 Millionen Postsendungen pro Jahr aus. Die in deutschem und in alliiertem Interesse durchgeführten Überwachungsmaßnahmen dienten ausschließlich nachrichten- und geheimdienstlichen Zwecken.

Das Staunen darüber, dass die Dinge sind, wie sie sind, wurde noch größer, als deutlich wurde, dass die Bundesregierung mit der Durchführung derartiger Überwachungsmaßnahmen, zumindest bis 1968, fortgesetzt gegen die Verfassung und geltende Gesetze verstieß. Das Grundgesetz, die freiheitlichste Verfassung, die die Deutschen jemals hatten, bestimmt klar und deutlich: »Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.«3  Beschränkungen dieses Grundrechts bedurften eines allgemeinen Gesetzes. Dieses wurde, wie gesagt, erst 1968 verabschiedet. Darüber hinaus gab es eine Vielzahl gesetzlicher Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften, die es den Postbediensteten bei Strafe untersagten, Briefe zu öffnen, zu lesen oder deren Inhalt Dritten mitzuteilen. Eine Beschlagnahme durfte nur bei Vorliegen eines konkreten Tatverdachts und nur von einem Richter verfügt werden. Unter Hinweis auf die Treuepflicht der Staatsdiener, gelang es der Bundesregierung dennoch, die Post- und Zollbeamten dazu zu bewegen, das zu tun, was Verfassung und allgemeine Gesetze untersagten, die gesamte Post aus der DDR und die im Inland aufgegebenen Postsendungen zu kontrollieren, in denen »staatsgefährdende« Schriften oder ähnliche Inhalte vermutet wurden. Der Staatsschutz, so die Begründung, sei ein höherwertiges Rechtsgut als das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses.
 


 

Fußnoten:


1  Hans Schwippert, Architekt des Bonner Bundeshauses 1949, gegenüber Adenauer, der den lichten »Glaskasten« nicht mochte. Zit. n. Hübsch, Reinhard, Adenauer hält nichts von Hans Schwipperts Bundestags-Bauplänen, 30.6.1949, SWR2 Zeitwort, 30.6.2012.

2  Aristoteles (384–322 v.Chr.), zit. n.: www.quotez.net/german/wissenschaft.htm (letzter Zugriff: 27.6.2012).

3  Siehe: Quellen-Dokumentation, Dokument Nr. 27, GG, Art. 10.