Verantwortung und Konsum

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Verantwortung und Konsum
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Verantwortung und Konsum


Heute erhielt ich eine Mail von FOODWATCH, die die grundsätzliche Frage nach der Verantwortung für menschliches Handeln – und in diesem speziellen Falle für die Konsumgewohnheiten – aufgreift, was mich veranlaßt, über dieses Thema einige Gedanken zum Ausdruck zu bringen.

Der Mensch neigt gerne dazu, Verantwortung zu leugnen und diese meistens auf andere abzuschieben. Darin ist besonders unsere sog. „Verbraucherministerin“ Ilse Aigner große Meisterin. Außerdem glänzt sie durch das Absondern von viel heißer Luft, wobei die darin angekündigten Taten spurlos im Nebel verschwinden. Sie hat sich bisher jeglicher Verantwortung entzogen, dem Namen ihrer Behörde Ehre zu bereiten und dafür zu sorgen, daß endlich die Interessen der Bürger bei landwirtschaftlicher Erzeugung und Nahrungsmittelproduktion wahrgenommen werden. Es steht dabei nichts Geringeres als die Gesundheit, das Wohlbefinden der Menschen und – last but not least – auch der Zustand unserer Umwelt auf dem Spiel. Aber diese existenziellen Bedürfnisse ficht die Ministerin aus Bayern nicht an, denn ihre Spezialität ist es, ihre liebsten Spezis, ihre Klientel in der Landwirtschafts-, Nahrungsmittel- und Konsummittelindustrie zu bedienen.

 

© Klaus Stuttmann, Berlin


Wenn Sie im September aus dem Amt scheidet, wird ihr mit Sicherheit ein lukratives Pöstchen in der einschlägigen Wirtschaft oder Verbänden zugeschustert. Im Falle der Fortsetzung der Regentschaft von Angela Merkel steht bereits ein kompetenter und designierter Nachfolger in den Startlöchern: Peter Bleser (CDU), seines Zeichens stellvertretender Verbraucherminister, parlamentarischer Staatsekretär, seit Mai 2005 Vorsitzender der Fraktionsarbeitsgruppe Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft bzw. seit November 2005 Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und damit auch agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Er hat sich bisher hervorgetan als Lobbyist, Befürworter der Gentechnik und Freund der Agrarindustrie. Ich fürchte, wir kommen vom Regen in die Traufe …

Überall, wohin ich mich in unserer schönen Konsumwelt auch umschaue, wird munter drauflos produziert, um Wachstum gemäß dem neoliberalen Glaubensatz zu generieren. Die Produktzyklen werden immer kürzer, das Neueste jagt das Neue, die Produktlaufzeit wird zum Systemzwang, die Obsoleszenz feiert Rekorde, die Eitelkeit der Menschen wächst, die Abfallberge häufen sich, die Umwelt geht am Krückstock – und das alles soll angeblich zum unserem Besten und Wohlsein alternativlos sein. In der Modewelt heißt es, der Verbraucher fordere angeblich alle halbe Jahre einen Klamottenwechsel in neuen bescheuerten Farben und Designs, in der Musikwelt wird das 24stündige Radiogedudel immer der gleichen Tussimusik als Hörerwunsch vorgegeben, in der Elektronikbranche ist das gekaufte Teil bereits nach dem Auspacken ein veraltetes Modell und in der Autowirtschaft geht die Gigantonomie um: schneller, größer und noch mehr mit Elektronik vollgepackt – alles natürlich nur deshalb, weil der Verbraucher es wünscht.

Diese Schizophrenie hat System, denn die kapitalistische Marktwirtschaft ist unersättlich bis zum eigenen Untergang. Um die Konsumenten zu verführen, werden weltweit Abermilliarden für unaufhörliche Marketingstrategien und Werbekampagnen verschwendet. Dabei preist die Werbewirtschaft  jeden Dreck als das Ei des Kolumbus und unentbehrlich für das persönliche Glück an. Der Konsument wird derartig psychologisch manipuliert, daß er glauben soll, seine Konsumwünsche entsprängen seinem eigenen Antrieb und dienten seinem eigenen Vorteil.

Die Leser sollten aber nicht annehmen, daß ich den Bürger in seiner Eigenschaft als Verbraucher ungeschoren davon kommen lasse. Nein, aus dieser Verantwortung kann sich selbst keiner entlassen. Schließlich ist jedem ein freier Wille, ein Verstand und die Entscheidungsfreiheit verliehen worden, wobei es sein kann, daß bei der Gabe des Verstandes der eine oder andere zu kurz gekommen ist und eher als Schaf für das willenlose Hinterhertraben geboren worden ist. Aber die anderen, die in der Mehrzahl sind, sollten sich klar machen, daß sie keine Tiere sind, die nur von Instinkten und dem Unbewußten angetrieben werden, sondern daß sie als Vertreter der Spezies Mensch eine Verpflichtung für verantwortungsvolles Konsumieren zu ihrem eigenen und zum Wohle der Allgemeinheit sowie der Natur besitzen. Es genügt nicht, sich nur über seine Opferrolle als verführter und unwissender Konsument zu beklagen. Die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung über die vom Handel angebotenen Produkte und Nahrungsmittel stehen jedem zur Verfügung, selbst wenn die Produktkennzeichnung zu wünschen übrig läßt.

Die Entscheidung, das Konsum- und Eßverhalten zu verändern, hätte weitreichende positive Folgen, die ein größeres Gewicht besitzt als die Wahl einer bestimmten Partei, falls sie nicht nur von Minderheiten getroffen wird. Aber auch dieser Punkt, nämlich die Stimmabgabe kann entscheidend sein, wenn eine Mehrheit der Bürger sich endlich von ihren alten Gewohnheiten verabschiedet.
Nach dieser mehr allgemeinen Predigt zurück zum Anliegen der Verbraucherschutzorganisation "foodwatch e.V.". Hier der Inhalt der heute eingegangenen Mail vom Gründer und Geschäftsführer Thilo Bodo:

 

 

„Unsere Verbraucherministerin Ilse Aigner und ihre Verbündeten der Lebensmittelindustrie haben eine Standarderklärung für Lebensmittelskandale, die mich regelmäßig auf die Palme bringt: Schuld am Pferdefleisch in der Rindfleisch-Lasagne, an falsch deklarierten Bio-Eiern und an Dioxin Futtermitteln seien letztlich die Verbraucher. Die bräuchten sich schließlich nicht zu wundern, wenn sie immer nur billig wollen.

Nein, nicht die Billigmentalität der Verbraucher ist das Problem, sondern es ist diese billige Ausrede der Politiker und Hersteller. Mit einem einzigen Zweck: abzulenken von notwendigen politischen Maßnahmen! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, natürlich haben wir Verbraucher Verantwortung. Aber bitte dann, wenn wir diese auch wahrnehmen können. Ich muss wissen, was ich wirklich kaufe! Und ich muss mich drauf verlassen können, dass Hersteller und Händler mich nicht ungestraft täuschen können. Das ist aber beileibe nicht der Fall!
Beispiele gefällig?

Beispiel eins: Pferdefleisch in der Rindfleisch-Lasagne! Beim letzten großen Lebensmittelskandal fand sich Pferdefleisch in Lasagne, Tortellini, Cannelloni und Ravioli. Und wer wurde zur Verantwortung gezogen? Etwa die großen Handelsketten, die uns diese Produkte unter ihrem eigenen Namen verkauften? Nein, weit gefehlt. Angeblich ist der eigentlich Schuldige der Verbraucher. Denn wer Lasagne für 1,80 Euro kauft, muss nach dieser Logik damit rechnen, dass nicht drin ist, was drauf steht. Aber wussten Sie, dass die Handelsketten selbst bei Eigenmarken nicht gezwungen sind, den Inhalt zu überprüfen, und deshalb wegen Pferdefleisch in der Rindfleisch-Lasagne auch nicht bestraft werden können?

Beispiel zwei: Zuckerbomben statt gesunder Lebensmittel! Sogar in der Schule heizen die Lebensmittelkonzerne den Konsum von Süßigkeiten und Softdrinks an, mit Unterrichtsmaterialien, gesponserten Schwimmabzeichen und Abenteuer-Camps. Verantwortlich für Übergewicht und Fettleibigkeit? Natürlich die Eltern!! Weil sie angeblich nicht in der Lage sind, der aufdringlichen Allgegenwart dieser Werbung selbst in Schulen genügend erzieherisches Geschick entgegen zu setzen! Aber wussten Sie, dass Sponsoring der Lebensmittelkonzerne in Schulen nicht verboten ist und dass es für Kindertagesstätten überhaupt keine gesetzlichen Vorschriften gibt, um sich gegen die Übergriffigkeit der Lebensmittelkonzerne zu wehren?

Beispiel drei: wir Verbraucher, die Lebensmittelverschwender! Ein harter Vorwurf: Weil wir zu viele Lebensmittel wegschmeißen, schaden wir der Umwelt und trügen auch noch zum Welthunger bei. Das ergibt eine "Studie" von Ilse Aigner. Demnach sind nämlich die Privathaushalte mit stattlichen 61 Prozent die Haupt-Lebensmittelverschwender. Die Großverbraucher und die Industrie schlagen mit jeweils nur 17 Prozent zu Buche, der Handel soll mit gerademal fünf Prozent an der Verschwendung beteiligt sein.

Aber wussten Sie, dass Frau Aigner in die Lebensmittelabfälle auch UNVERMEIDBARE Reste wie Bananenschalen, Brot- und Käserinden, Tee-Abfälle und Kaffeesatz hinein gerechnet - und den Anteil der privaten Haushalte damit künstlich aufgebläht hat?
Bei der Aufdeckung von vermeidbaren Reste bei der Ermittlung der Müllmengen von Industrie, Großverbraucher (Gastronomie, Hotels, Kantinen) und Einzelhandel war unsere Ministerin jedoch weniger gründlich. Mangels eigenen Datenmaterials legte sie bei Letzteren eine Hochrechnung auf Basis der Daten des EHI-Retail-Instituts zugrunde, das unter anderem von REWE, Edeka, Tengelmann, Metro - also vom Lebensmittelhandel selbst (!) - getragen wird!

Die Strategie von Ilse Aigner ist so bequem wie zynisch. Denn damit muss die Politik sich nicht mit der Lebensmittelindustrie und dem Handel anlegen. Wenn der Einzelne Verantwortung übernehmen kann, muss er es auch tun. Aber uns zu Sündenböcken dafür zu machen, dass die Politik vor den Lebensmittelkonzernen in die Knie geht, das werden wir nicht akzeptieren. Deshalb ist der Druck auf Politik und Lebensmittelkonzerne so wichtig! Deshalb, liebe foodwatch-Interessenten, habe ich foodwatch gegründet. Helfen Sie uns und werden Sie Förderin/Förderer!

Unterstützen Sie mich und das gesamte foodwatch-Team, damit unsere Organisation noch stärker wird und wir zu einer wirksamen Verbraucherlobby werden. Damit wir nicht einer Nebelkerzen werfenden Pseudo-Verbraucherministerin und den Lebensmittelkonzernen unser Schicksal überlassen! Werden Sie Förderer/Förderin von foodwatch.

Helfen Sie uns dabei, den Druck auf Politik und Konzerne zu verstärken, indem Sie sich foodwatch als Förderin/Förderer anschließen. Damit strikte Regeln Pferdefleisch in der Rindfleisch-Lasagne verhindern, unmoralische Werbemethoden in Schulen und Kindergärten unterbunden und die Lebensmittelverschwendung schon bei Industrie und Handel eingedämmt werden. Werden Sie Förderer/Förderin von foodwatch.

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Quelle: foodwatch e.V. - zur Startseite