Was ist Kunst? Eine Betrachtung mit Zitaten

3 Beiträge / 0 neu
Letzter Beitrag
Bild des Benutzers Rudolf Kuhr
Rudolf Kuhr
Offline
Verbunden: 20.04.2014 - 22:03
Was ist Kunst? Eine Betrachtung mit Zitaten
DruckversionPDF version

Was ist Kunst?

Eine Betrachtung mit Zitaten


Obwohl Kunst eigentlich etwas ganz Selbstverständliches ist, was uns im Leben begleitet, so entsteht im konkreten Fall doch immer wieder mal ein Zweifel, ob nun etwas Kunst sei oder nicht. Das gilt nicht nur für moderne Kunst, sondern beispielsweise auch für manche sogenannte sakrale, bei der meist ein anerzogenes religiöses Tabu daran hindert, gegebenenfalls auch von Kitsch zu sprechen. 

Derselbe Engel auf einer Jahrmarkts-Orgel wird zum Beispiel von vielen ganz anders empfunden werden als in einer Kirche. Deutlich wird die Schwierigkeit einer bewussten Beurteilung von Kunst angesichts der großen Spannweite, wie sie zwischen den Begriffen `künstlerisch' und `künstlich' besteht.

In Wörterbüchern ist zu lesen: Kunst ist ein zur Meisterschaft entwickeltes Können. Oder: Kunst ist die schöpferische Tätigkeit der Natur im Menschen. Sie entspringt einem Grundtrieb des Menschen und ist seit Urzeiten eines seiner wichtigsten Ausdrucksmittel.

Der erste Satz dürfte angesichts dessen, was heute mitunter als Kunst gilt, kaum noch zutreffen, es sei denn, man bewertete auch die Werke von Kleinkindern als solche meisterlichen Könnens. - Im weitesten Sinne ist Kunst wohl alles, was vom Menschen geschaffen wurde und keinem bestimmten praktischen Zweck dient, im Gegensatz beispielsweise zu Dingen wie Kunststoff, Kunstharz, Kunsthonig und ähnlichem, wo sich der Begriff auf die künstliche Erzeugung von Nutzungsgütern bezieht und nicht auf künstlerische Schöpfungen. 

Zwischen diesen beiden grundsätzlich verschiedenen Seiten von Kunst gibt es noch viele Begriffe für Misch- und Sonderformen einer Kunst wie Kunsthandwerk, Kunstgewerbe, Kunsthandel, Kriegskunst, Kunstfehler und dergleichen mehr. Es gibt auch eine langjährige Fernsehsendung "Kunst & Krempel", in der alte Gegenstände von Kunstsachverständigen verschiedener Gebiete, mit Hilfe ihres Fachwissen und auch von entsprechenden Katalogen auf Herkunft, Alter und Erhaltungszustand untersucht und auf ihren Kunst- und Handelswert eingeschätzt werden.


Wonach ist Kunst zu bewerten?

Kunst im ideellen Sinne dient an erster Stelle dem Künstler selber. Er folgt in seinem Schaffen einem - von Freud und auch Leid beeinflussten - inneren Trieb (der auch süchtig machen und ihn an seiner menschlichen und sozialen Entwicklung hindern kann). 

Der Künstler erhält allein schon durch sein künstlerisches Tun mehr oder weniger Befriedigung. Weitere Befriedigung erhält er durch Anerkennung seiner Leistung durch andere Menschen mittels deren Beachtung, Bewunderung und Bezahlung. Letzteres war für viele großer Künstler der Vergangenheit lebensnotwendig. Deshalb ist auch nicht sicher, ob manche als große Kunst geltende Meisterwerke inhaltlich auch der inneren Überzeugung des Künstlers oder eher dem Geschmack bzw. dem Verwendungszweck des Auftraggebers entsprechen. 

Kunst dient an zweiter Stelle der Gesellschaft, indem sie etwas verdeutlichen kann; sie kann bilden aber auch - beispielsweise im Dienste religiöser oder politischer Machtentfaltung - verbilden; sie kann von Wichtigem und Wesentlichem ablenken, zu Einseitigkeit verführen, zur Spekulation benutzt und auch - besonders für Sammler - zum Suchtobjekt werden. Eine gesellschaftlich bedeutende Erscheinung ist hier auch noch erwähnenswert: Ein Künstler, der erst einmal - von wem und warum auch immer - in der Öffentlichkeit genügend bekannt gemacht wurde, der kann tun und schaffen was er will, es wird von vielen bewundert werden.

Picasso soll am 2. Mai 1952 in Madrid eine Rede gehalten haben, in der er sagte:

"Seit die Kunst nicht mehr die Nahrung der Besten ist, kann der Künstler seine Talente für alle Wandlungen und Launen seiner Phantasie verwenden. Alle Wege stehen einem intellektuellen Scharlatanismus offen. Das Volk findet in der Kunst weder Trost noch Erhebung. Aber die Raffinierten, die Reichen, die Nichtstuer und die Effekthascher suchen in ihr Neuheit, Seltsamkeit, Originalität, Verstiegenheit und Anstößigkeit. 

Seit dem Kubismus, ja schon früher, habe ich selbst alle diese Kritiker mit zahllosen Scherzen zufriedengestellt, die mir einfielen und die sie um so mehr bewunderten, je weniger sie ihnen verständlich waren. Durch diese Spielereien, diese Rätsel und Arabesken habe ich mich schnell berühmt gemacht. Und der Ruhm bedeutet für den Künstler: Verkauf, Vermögen, Reichtum. Ich bin heute nicht nur berühmt, sondern auch reich. Wenn ich aber allein mit mir bin, kann ich mich nicht als Künstler betrachten im großen Sinne des Wortes. Große Maler waren Giotto, Tizian, Rembrandt und Goya. Ich bin nur ein Spaßmacher, der seine Zeit verstanden hat und alles, was er konnte, herausgeholt hat aus der Dummheit, der Lüsternheit und Eitelkeit seiner Zeitgenossen."


Ob er es tatsächlich gesagt oder nicht, das ist im Grunde unerheblich. Der Inhalt dieser Aussage könnte auch vielen anderen Künstlern zugeschrieben werden, er schmälert weder das Ansehen des Künstlers, noch den Wert der Werke für Liebhaber oder Händler. Dem Unsicheren aber kann er Denkanstöße geben und so oder so zu seiner eigenen Meinungsbildung beitragen, und darum geht es vor allem. Kunst ist - aus humanistischer Sicht - für den Menschen da, nicht umgekehrt.

Um etwas mehr Klarheit auf diesem, sehr von subjektiven und fachlich klassifizierenden Maßstäben abhängenden Gebiet zu gewinnen, könnte zunächst einmal vereinfachend gesagt werden: Kunst, ob abbildende, ob Musik, Dichtung oder Theater, ist für weniger intellektuell ausgebildete Menschen schön, wenn sie hauptsächlich das Gefühl anspricht, mit abstrakter Kunst werden sie sich kaum anfreunden. Modernisten werden diese gefühlsbetonte Kunst eher als Kitsch empfinden, ihnen gefällt Kunst, die überwiegend den Verstand anspricht, sie brauchen keine konkreten Formen und im Extremfall sogar nur noch die Partitur der Musik. 

Es gibt also keine objektiven Maßstäbe für den Wert der Kunst. Für Menschen, deren Gefühl und Verstand gleichermaßen ausgebildet sind, wird eine Kunst als schön empfunden werden, die Gefühl und Verstand in gleicher Weise anspricht.

Kunst ist, was man sich nicht erklären kann, sagen Spötter. Kunst kommt von können, sagen manche. Kunst kommt von künden, sagen andere. Können hängt zusammen mit Leistung, diese wieder mit Talent und/oder Übung. Künden tut die Kunst von dem Talent, der Bildung und inneren Verfassung des Künstlers und/oder von seiner Absicht. Weil Kunst so beliebig interpretierbar ist, finden sich - wie auch in der Religion - immer wieder Menschen, die ihren Nutzen aus dieser geheimnisvollen Vieldeutigkeit ziehen, indem sie ihre persönlichen Interpretationen den - größtenteils in ihrer eigenen Beurteilung unsicheren - Menschen anbieten. "Wohl nichts auf der Welt muß mehr unsinnige Bemerkungen über sich ergehen lassen, wie ein Gemälde in einer Galerie", sagte Edmond de Goncourt.

Sowohl in der Kunst als auch in der Religion erinnert das Verhalten vieler Menschen oft an das Märchen `Des Kaisers neue Kleider'. Insofern bleibt letztlich hier wie dort das eigene Urteil des Einzelnen für ihn selbst entscheidend.

Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, sagte Kant. In Bezug auf die Kunst wäre dem hinzuzufügen: Stehe zu deinem Gefühl, auch wenn es nicht mit dem der Allgemeinheit übereinstimmt. Kunst ist ein frei gestaltbares, bewertbares und vielseitig verwendbares Medium, zur individuellen und gesellschaftlichen Unterhaltung und Selbstdarstellung sowie zur ideellen und materiellen Bereicherung. 

Je nach dem Zweck einer Einschätzung und Bewertung kann ein ganzheitliches Einbeziehen dieser gegensätzlichen Merkmale zu einer annähernd gerechten und sinnvollen Beurteilung von Kunst verhelfen. Dies erscheint heute besonders wichtig, da oft und gern ein emsiger Kunstbetrieb im Namen von Kultur gefeiert und meist mit Steuergeldern gefördert wird. Genau so wenig aber wie das hingebungsvolle Zelebrieren religiöser Rituale schon zu echter Religion führt, bringt die vielfältige Beschäftigung mit Kunst bereits Kultur. Kunst ist und bleibt ein frei verfügbares Medium für Menschen verschiedenster Art.

*

Bei der Kunst des Lebens ist der Mensch sowohl der Künstler als auch der

Gegenstand seiner Kunst. Er ist der Bildhauer und der Stein, der Arzt und der Patient.

Erich Fromm

*

Mensch werden ist eine Kunst.

Novalis

Rudolf Kuhr


Quelle: Humanistische AKTION für verantwortliche Menschlichkeit > Webseite > Artikel  

"Wachstum an Menschlichkeit. Humanismus als Grundlage" > zur Vorstellung meines Buches 

Bildquellen:

1. Gemälde "Song of the Angels" des frz. Malers William-Adolphe Bouguereau (1825-1905). Dies ist eine originalgetreue fotografische Reproduktion des zweidimensionalen Kunstwerks. Fotograf: unbekannt. Quelle: Wikimedia Commons . Der Urheber des Originals ist 1905 gestorben; das Werk ist daher außerdem gemeinfrei, weil die urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 oder weniger Jahren nach dem Tod des Urhebers.

2. Schwarzes Schaf in der Herde. Foto: © Uwe-Jens Kahl. Quelle: pixelio.de

3. Airbrush Erotik-Gemälde: Airbrush (englisch für „Luftpinsel“) bezeichnet eine kleine Variante einer Spritzpistole, welche nur etwas größer als ein Kugelschreiber ist. Häufig wird aber auch die Maltechnik mit einer Airbrushpistole beziehungsweise das entstandene Gemälde als Airbrush bezeichnet, so dass es schnell zu Begriffsverwirrungen kommt. Foto: Marcello66 / Stingray. Quelle: pixelio.de >> https://pixelio.net/media/307986. 

Bild des Benutzers Peter Weber
Peter Weber
Offline
Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Kunst, Kitsch oder Geschäft?


Kunst, Kitsch oder Geschäft?

„Was ist Kunst?“ ist ein aufschlußreicher und unterhaltsamer Essay von Rudolf Kuhr. An der Kunst scheiden sich die Geister und Geschmäcker. „Über Geschmack läßt sich nicht streiten“ sagt der Volksmund – oder eben gerade darüber. Denn wenn man die Menschen genauer beobachtet, wird man feststellen, daß die meisten Streitereien durch unterschiedliche Auffassungen von Geschmack zustande kommen. Wer klug ist, meidet solche Situationen.


Bildende Kunst wie Gemälde oder Standbilder, Theater, Tanz oder Musik sind die verbreitetsten Kunstrichtungen. Sie bilden den Gegenstand für Unverständnis, Ablehnung oder im Gegensatz dazu für Begeisterung und Einfühlsamkeit. Wer kennt nicht den ständigen Zwist zwischen den Generationen, wenn es z. B. um den Musikgeschmack geht. Dabei ist Geschmack eigentlich gar keine Altersfrage, sondern sie wird nur durch Rollenverhalten und Normen dazu gemacht. Wenn eine Musikrichtung in der Jugend Enthusiasmus entfacht, warum sollte sie dies im Alter nicht auch noch tun? Und wenn man als junger Mensch Rockveranstaltungen besucht, was sollte einen daran hindern, dies auch noch mit 70 zu tun?


Kunst stellt das dar, was der Mensch kraft seiner Kreativität gestaltet und erschafft. Wer will darüber richten, was ästhetisch ist und was nicht? Auf der anderen Seite wird Kunst aber auch als das bezeichnet, was als Verrichtung einen hohen Schwierigkeitsgrad aufweist und nicht von jedem X-Beliebigen beherrscht wird, wie es bei der Akrobatik der Fall ist. Man spricht in diesem Zusammenhang ja auch von Kunststücken. Ganz allgemein ausgedrückt ist Kunst das, was gefällt sowie das, was etwas Besonderes darstellt.


Kunst hat nach meinem Selbstverständnis nichts mit Rationalität zu tun, sondern sie spricht die Seele, die Gefühle und den persönlichen Geschmack an. Wenn ich z. B. ein Bild betrachte, so kann ich in Sekundenbruchteil entscheiden, ob es mir zusagt, ohne meinen Verstand auch nur im geringsten bemüht zu haben. Der Gesamteindruck, speziell die Farbzusammenstellung und die Harmonie der Formen ist entscheidend. Was andere darüber denken, ist dabei völlig belanglos.


Sobald Kunst mit Intellekt in Verbindung gebracht wird und sich die selbst berufenen Intellektuellen als allein kompetent ansehen, Kunst zu verstehen und zu interpretieren, wird sie verunstaltet und zu einem Zerrbild ihrer selbst. Die oft gehörte Verständnisfrage in diesem Kontext ist bekanntermaßen: „Was hat sich der Künstler dabei gedacht?“. Sollte man nicht besser fragen: „Was denke ich mir dabei?“ Wenn der Künstler keine Auftragsarbeit vollbringt, dann läßt er seiner Phantasie freien Raum. Es sei denn, er kopiert ein Werk eines anderen. Wenn er dies in einer handwerklich meisterhaften Art und Weise zustande bringt, handelt es sich dann auch noch um Kunst? Für den Betrachter sollte Kunst eher ein Objekt sein, sich mit sich selbst und seinen eigenen Vorstellungswelt zu beschäftigen. Durch eine solche Betrachtungsweise ist man in der Lage, seinen Horizont zu erweitern. Albert Einstein meinte zu diesem Thema:


„Fantasie ist wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist begrenzt. Fantasie aber umfaßt die ganze Welt.“


Legendär geworden für einen übersteigert lächerlichen Kunstbegriff ist das Stück „HURZ“ von Harpe Kerkeling, womit er ein elitäres Auditorium von selbsternannten Kunstkennern zum Narren hielt. Zum Schmunzeln hier der Originaltext:


„Der Wolf,das Lamm auf der grünen Wiese
HURZ!
Und das Lamm schrie HURZ!
Der Wolf,das Lamm, ein Lurch lugt hervor
"Das Ganze erinnert mich ein bisschen an Peter und der Wolf"
"Und kommen da noch mehr Tiere vor außer Wolf und Lamm?"
HURZ!
Und das Lamm schrie HURZ!
Der Habicht sieht die Gegenwart KAMPF!
"Ja, ähm, pfff, ich sag ganz ehrlich; auf mich wirkt das ganz eher komisch"
Da unterstelle ich, daß da kein interlektueller Zugang...
"Das kann gut sein. Ja, aber es muss ja wohl erlaubt sein, zu sagen, ich kann damit nichts anfangen, dass ich eben weniger intellektuell wäre als andere Leute"
HURZ!
Und das Lamm schrie HURZ!
Der Wolf, das Lamm auf der grünen Wiese
"Wolf und Lamm... Liegt darin nicht auch die Division einer möglichen Versöhnung?"
Die ursprüngliche Gefühl, die wir in uns tragen, ist der KAMPF
HURZ!
Und das Lamm schrie HURZ!
Der Wolf (der Wolf), der Lurch (der Lurch), der Habicht (der Habicht) und das Lamm (und das Lamm)
Der Wolf (der Wolf), der Lurch (der Lurch), der Habicht (der Habicht) und das Lamm (und das Lamm schrie)
HURZ!
Und das Lamm schrie HURZ!
Und der Wolf und der Lurch und der Habicht und das Lamm schrie
HURZ!“


Wenn das nicht die Vollendung der hohen Kunst der Lyrik ist …

Erst recht, wenn Kunst vermarktet wird, verliert sie ihren originären Charakter. Vermarktung ändert zwar nichts an der Qualität des Kunstwerks, aber es widerspricht dem Sinngehalt von Kunst, wenn sie in Geld aufgewogen wird. Die beiden von Rudolf Kuhr am Ende seines Essays genannten Zitate von Erich Fromm und Novalis geben m. E. die Essenz von Kunst wieder: es ist die Kunst des Lebens!

MfG Peter A. Weber

»Das eine, was sich über Kunst sagen läßt, ist, daß sie eines ist.
Kunst ist Kunst-als-Kunst, und alles andere ist alles andere.
Kunst-als-Kunst ist nichts als Kunst.
Kunst ist nicht, was nicht Kunst ist.«

(Ad Reinhardt in Art-as-Art, 1998: 994)

Bild des Benutzers Rene Wolf
Rene Wolf
Offline
Verbunden: 19.05.2012 - 09:03
Kunst


Kunst und Zivilisation

„Vor jedem Kunstgenuß stehe die Warnung: Das Publikum wird ersucht, die ausgestellten Gegenstände nur anzusehen, nicht zu begreifen". (-Karl Kraus)

Das ist der Unterschied zwischen Wissenschaft und Kunst. Mit Rainer Maria Rilke gesagt: „Wir stehen und stemmen uns an unsre Grenzen/ und reißen ein Unkenntliches herein.“

Kunst darf in der Hochkultur nicht begriffen werden- jedenfalls nicht vom Publikum. Der Künstler selbst sollte schon seine Handwerkskiste kennen. So wie ein Zauber- Künstler, den seine eigenen Tricks notwendig nicht bezaubern können. Was ich beherrsche, rührt mich nicht.

„Müssen Sie nicht gewaltige Dinge fühlen - so, wie sie spielen?“ wurde ein berühmter Schauspieler gefragt. Dabei hatte er während seines Hamlet- Monologs lediglich dem Publikum seinen Rücken zugewandt, mit den Schultern gezuckt und dabei mit einer Maskenbildnerin in der Seitengasse geflirtet. Viele im Publikum hatten Tränen in den Augen. Ist Kunst also nur raffinierter Betrug? So, wie es Picasso gesagt haben soll: „Ich bin nur ein Spaßmacher, der seine Zeit verstanden hat und alles, was er konnte, herausgeholt hat aus der Dummheit, der Lüsternheit und Eitelkeit seiner Zeitgenossen." -?

In satten und den Überfluss anhimmelnden Gesellschaften wie der Unsrigen scheint dies zu dominieren. Kunst ist Betrug, ist Spaß, ist Massenware, Ablenkung, Betäubung.


► Kunst bei den „Primitiven“

Wie sieht das in anderen, sogenannten „primitiven“ Kulturen aus? Vergleichen wir etwa die Art, wie wir tanzen, mit jener, die von noch bestehenden indigenen Völkern betrieben wird, stellen wir Unterschiede fest. Der „zivilisierte“ Mensch kann nicht mehr tanzen. Nicht aus sich selbst heraus. Er benötigt Tanzunterricht- sonst sieht es meist jämmerlich aus. Wer einmal eine Dorfdisco besuchte und sich die dort anzutreffenden Tanzstile näher zu Gemüte führte, versteht das. 

Verbreitet ist etwa eine Art Passgang, ein gleichzeitiges Vor- und- Zurückbewegen der jeweils übereinander angebrachten Arme und Beine. Was einst die „Gier des aufheulenden Geschlechts“ war, ist längst zum industriell vorgefertigten Dionysos- Kult geworden. Damit wird Dionysos als Vertreter des sinnlichen Prinzips kastriert. Denn er soll ja die Menschen entfesseln, entkopfen, auf ihre Menschlichkeit- und jeweils einmalige Animalität zurückführen. Dagegen gibt es nur noch: „Die Abende sind teuer - doch es gibt kein Abenteuer“ (Udo Lindenberg)

Es zeichnet den gemeinen Deutschen blasser Neid angesichts des „wilden“ Schwarzen, der noch mit dem Becken kreisen kann. Das scheint wahre Tanz-Kunst zu sein. Dabei sieht der Schwarze das meist gar nicht als etwas Besonderes. Er kann es, weil er eben nicht- wie wir- seine natürliche Mobilität in Autos und auf Schul- und Bürostühlen verloren hat. Auch Singen muss nicht erlernt, es muss nur wieder freigelegt werden. Ausdrucksvoll sprechen - dazu gibt es bei uns Schauspiel- und Sprechkurse. Kürzlich war ich Zeuge einer Versammlung von afrikanischen Asylbewerbern. Das erstaunte mich. Das bewunderte ich - als ausgebildeter Schauspieler! Ich sah darin jedoch keine Kunst. Wie sehr das den meisten meiner Zivilisations- Leidensgefährten auch als Kunst erscheinen mag. So viel Stimmkraft, so viel natürliche Mimik und Gestik, so viel Modulation der Stimme!


Kunst als Mangelware

Tja, so könnten auch wir sein, wenn unsere Eigenheit (als natürliches Eigentum) uns nicht systematisch abtrainiert worden wäre. Was uns bleibt ist, hochqualifizierten, verhochschulten Künstlern ihre „einmaligen“ Werke abzukaufen. Und demütig zu winseln „Das könnte ich nicht“. Welch ein Irrtum!

„Jeder Mensch ist ein Künstler“ sagte Joseph Beuys. Das ist heute bei uns- also bei den Menschen innerhalb der „Hochkulturen“ - nur noch Wunschdenken.

"Jeder Mensch ist ein Träger von Fähigkeiten, ein sich selbst bestimmendes Wesen, der Souverän schlechthin in unserer Zeit. Er ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler. Ich sage nicht, daß dies bei der Malerei eher zur Kunst führt als beim Maschinenbau ..." - im Interview mit Peter Brügge: www.spiegel.de/ "Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt", 04.06.1984.


Kunst als Massenware

Mitunter gibt es Ausbruchsversuche in den Bastel- und Kitschbereich. Was da ge- und verformt wird, ist jedoch meist nur der dritte Aufguss eines sehr alten Teebeutels. Beispiel: „Malen nach Zahlen“. Oder die ihrer Kindheit beraubten und psychisch vergewaltigten „DSDS- Stars“. Die vielen jugendlichen „Fotokünstler“ mit einer kaum in Zukunft noch beachteten Sammlung tausender Smartphone- Schnappschüsse. Die in Kommerzsendern massenhaft verbreiteten und serienmäßig erbrochenen Kopien der einst als originell gegolten habenden Sehnsuchts- Protest- und Schmerzensvertonungen. Einschließlich tiefgründelnder Seelenmassage: „How deep is your love?“ Die ewig gleiche Hollywoodstory von der Weltrettung durch einen dandyhaften Terminator- Superman und seiner naiven weiblichen Begleitperson. Das zeichnet unsere Kultur- und unsere „Kunst“.


Wir werden entmündigt: wir werden sprachlos

Zum Kennzeichen unserer Unkultur gehört die unkreative Passivität. Wir werden sofort nach unserer Geburt daran gehindert, wir selbst zu sein. Bald lehrt man uns, nur dann Lautäußerungen von uns zu geben, wenn diese vernünftig begründet sind. Schließlich werden wir zu reinen Empfängern von Zivilisationsbotschaften, zu Zuhörern- und Sehern von scheinbar Kreativem: von Kunst. Wir hören zu, damit sind wir der Gesellschaft zugehörig- und ihr hörig. Die Verkabelung Jugendlicher an moderne Geräte mittels Ohrstöpseln mag dafür ein Zeichen sein. Umwelt wird fremdgehört.

Und ferngesehen. Touch- Screen statt Berührung und Begegnung mit der Wirklichkeit, die nur noch wahrgenommen wird, wenn man über sie stolpert. Entsinnlichung. Verkopfung. Wie soll ein solcher typischer jugendlich- zivilisierter „Typ“ noch etwas selbst machen, etwas ausdenken, „Kunst“ machen? Bei Karaoke- Events? Als Mitläufer eines globalen Animationsprogrammes, das sich nicht nur bei Pauschalreisen aufdrängt, sondern auch in Fitness- Studios, beim Sportunterricht, in Bewegungs- Kampf- Töpfer- Manager usw. - Kursen? Sein Kopf und seine Sinne haben die Flut der Bilder und Geräusche inhaliert, die ihn durch technische Verkünstlichung überschwemmten. Mir erzählte jemand, er sei im Zoo vom Gebrüll der Löwen so erschrocken gewesen, weil er es mit einer 3D- Sourround- Produktion von „Jurassic Park“ verwechselte. Sein Herz raste, er meinte, die Saurier kämen. Schließlich hörte er genauer hin und war enttäuscht, denn ihm kam das (echte) Löwengebrüll „irgendwie unnatürlich“ vor.


Ist jeder ein Künstler?

„Jeder Mensch ist ein Künstler“- solange er er selbst bleibt. Und er selbst wird. Bildung, Erziehung, education (von educare, herausführen, ausfahren) bedeutet im besten Sinne, dass jemandem die Barrieren fortgeräumt werden, welche unsere Zivilisation ihm in den Weg legt. Oder, noch besser: dass jemand aus sich selbst herausfährt, sich entpuppt, das entwickelt, was in ihm ist und was zur Entfaltung drängt. Nicht das, was andere in ihn hineinprojizieren wollen.

Jedes Baby begeistert uns. Bis es gelernt hat, dass unnatürliches Verhalten mehr belohnt wird als sein Gegenteil. „Wenn jeder machen würde, was er will“... tja, was dann? Wird er dann ein guter Künstler? Möglich.

Bewundern wir nicht an Künstlern gerade das, was uns an ihrer Kunst natürlich vorkommt?


Was also ist Kunst?

Und ist es nicht eine enorme Leistung, sich seine Natürlichkeit zu bewahren? Ist das nicht eine hohe Kunst? Wieso werden „Stars“ oft nicht alt? Etwa deshalb, weil sie an dem Widerspruch zwischen eigener Kreativitätsbehauptung- was nichts anderes ist als ein Beharren auf dem Ich- Sein- und kommerziell geforderter Ich- Verleugnung durch „Disziplin“ kaputt gehen? Wirkliche eigene Daseinsmächtigkeit lässt sich in Hochkulturen der Industrie nur mit echter Rebellion verbinden. Man denke an die Fülle von „unzuverlässigen“, gerne Drogen als Realitätsverweigerung gebrauchenden, exzentrischen (ihre Prostitution verfluchenden, aufheulenden) „Stars“.

Ein echter Künstler ist jemand, der sich selbst gegen die Zumutungen der modernen Gesellschaft verteidigt. Wer nur noch mit Formen spielt und diese ständig kopiert, ist ein Bürokrat. Er mag darin „begabt“ sein. Wirklich gut wird er nur, wenn er aufhört, seine Genialität zu vermarkten und damit dem Markt anzupassen. Die Bewahrung des Selbst in einer Konformität fordernden Welt ist Kunst.

„Kunst ist für den Menschen da“? Menschliches Dasein, begriffen als Selbst- Sein, ist Kunst. Mehrheitlich ist der Mensch heute ein Mittel. Auch für Kunst.

»Das eine, was sich über Kunst sagen läßt, ist, daß sie eines ist.
Kunst ist Kunst-als-Kunst, und alles andere ist alles andere.
Kunst-als-Kunst ist nichts als Kunst.
Kunst ist nicht, was nicht Kunst ist.«

(Ad Reinhardt in Art-as-Art, 1998: 994)

Nu pogodi!

René L. Wolf

 

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden.