Weckruf: Wie möchte ich sterben?
Die Errungenschaften der Hochleistungsmedizin sollen von meiner Seite nicht geschmälert werden. Gerade da, wo aus dem Patienten ein nicht mehr Leidender wird, ist ihr Einsatz sicherlich sinnvoll. Wer aber möchte noch einmal reanimiert werden, wenn der Tod als Erlösung in Sicht ist? Wer möchte mit Hilfe der „Magensonde“ (Perkutane Endoskopische Gastrostomie = PEG) künstlich ernährt werden, wenn abzusehen ist, dass dieser Zustand auf Dauer angelegt sein soll? Intensivstation bis zum bitteren Ende?
Im Juni 2009 wurde das "Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts" („Patientenverfügungsgesetz“) verabschiedet. Damit wurde dem Begehren auf Selbstbestimmung am Lebensende zunächst einmal Rechnung getragen. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist damit auch höher angesiedelt als die ethischen Vorstellungen der Katholischen Kirche: Die Verpflichtung zur christlichen Leidensbereitschaft fand keinen Eingang in das Patientenverfügungsgesetz. Niemand kann gezwungen werden, das Leiden Christi noch einmal nachstellen zu müssen.
Das Patientenverfügungsgesetz setzt zwar den rechtlichen Rahmen zur Selbstbestimmung des Patienten, kann aber Fragen nicht beantworten wie z.B.:
Wen will ich mit der Durchsetzung meines verfügten Willens und meiner Rechte betrauen? Wem traue ich zu, mich in dieser Situation zu begleiten und zu beschützen? Wer kommt als adäquate/r Ansprechparter/in in Frage?
So positiv das Patientenverfügungsgesetz angesehen werden darf, so unverständlich ist das Ergebnis des 114. Ärztetages in Kiel. Am 1.6.2011 wurde dort beschlossen, dass es Ärztinnen und Ärzten verboten ist, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Damit wurde die vorherige Formulierung, die den Ärzten einen gewissen Spielraum zur Hilfe gab, außer Kraft gesetzt. Dies erzürnt mich deswegen so, weil diese Klientel im Falle eines Falles für sich selbst sorgen kann, gesteht anderen dieses Recht aber nicht zu! Damit leistet sie Vorschub für menschenunwürdiges Selbsttöten.
Dr. Michael de Ridder hat in seinem Buch „Wie wollen wir sterben? – Ein ärztliches Plädoyer für eine neue Sterbekultur in Zeiten der Hochleistungsmedizin" - anhand vieler eingehend beschriebener Beispiele gezeigt, worum es ihm geht: um das Patientenwohl und um sonst gar nichts. Aus seinen Zeilen sprechen Mitmenschlichkeit, Mitleidensfähigkeit und Sensibilität. Ein außergewöhnliches Buch eines außergewöhnlichen Menschen.
Das Buch von Dr. Michael de Ridder sollte zur Pflichtlektüre eines jeden mündigen Menschen gehören. Egal ob jung oder alt, jeder kann von heute auf morgen in eine Situation geraten, die dazu zwingt, die Frage für sich beantwortet zu haben: Wie möchte ich sterben? Das Buch ist ein Weckruf, sich nicht nur mit dem Leben, sondern auch mit seinem eigenen Sterben zu beschäftigen.
Hörtipp: :
Vortrag Dr. Michael de Ridder: Medizin am Lebensende – Lebensverlängerung oder Sterbeverzögerung auf CD, emu-Verlag, Lahnstein