Weiterführung des Kolonialismus in Gestalt des Kapitalismus
Kennt jemand Jean Zieglers Buch
„Der Haß auf den Westen: Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren“? Wer es gelesen hat, kann sehr gut verstehen, warum der Schweizer Soziologe in der auf der Macht des Kapitals prosperierenden Schweiz als Nestbeschmutzer verschrien ist. Zumindest in den Kreisen des Establishments ist er ein schwarzes Schaf und wurde bereits folgenschwer geächtet. Daran hat sich bis heute nichts geändert, da sich Jean Ziegler dadurch nichts und niemand "brechen" lässt.
Gerade aufgrund dieser Umstände sollte er unser aller Respekt und Hochachtung verdienen. Bevor hier auf den Inhalt des Buches eingegangen wird, eine kurze Vorstellung seiner Person. So ist
bei Wikipedia nachzulesen:
„Jean Ziegler ist ein Schweizer Soziologe, Politiker und Sachbuch- und Romanautor. Von 1967 bis zu seiner Abwahl 1983 und erneut von 1987 bis 1999 war er Genfer Abgeordneter im Nationalrat für die Sozialdemokratische Partei. Von 2000 bis 2008 war er UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung – zuerst im Auftrag der Menschenrechtskommission, dann des Menschenrechtsrats – sowie Mitglied der UN-Task Force für humanitäre Hilfe im Irak. 2008 bis 2012 gehörte Ziegler dem Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats der UN an, im September 2013 wurde er erneut in dieses Gremium gewählt. Er ist außerdem im Beirat der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control.
Ziegler gilt als einer der bekanntesten Globalisierungskritiker. Wegen der häufig mit drastischen Worten geäußerten Kritik an Politikern, Unternehmen, Banken und Finanzakteuren in seinen Sachbüchern wurde Ziegler vielfach verklagt. Seine Schulden aus verlorenen Prozessen belaufen sich auf mehrere Millionen Euro, weshalb er nach eigener Aussage insolvent ist.“
Das Buch Zieglers beginnt mit einem aufschlußreichen Zitat des französischen Philosophen und Publizisten
Jean-Paul Sartre, das sich nicht ganz mit der Liebe-Deinen-Nächsten-Doktrin des Christentums verträgt:
„Um die Menschen zu lieben, muß man sehr stark hassen, was sie unterdrückt.“
Um es anders auszudrücken: Es wird zur Diskussion gestellt, ob die Aufforderung Jesu, demjenigen, der mir auf die linke Backe geschlagen hat, auch noch lammfromm die andere hinzuhalten, noch aktuell und sinnvoll ist.
Es gibt die zwei zentralen Verbrechen des Westens an den Völkern der südlichen Hemisphäre: Sklavenhandel und koloniale Eroberung. Dabei sollte man sich vor Augen halten, daß
das Wesen des Kolonialismus Rassismus ist! Meine persönliche Logik ist demzufolge, daß das Wesen des Kapitalismus ebenfalls der Rassismus sein muß, wenn man die Auswirkungen des Kapitalismus berücksichtigt, wie sie im folgenden Text aufgezeigt werden.
Die Kolonialherren leugnen mit aller Inbrunst ihres kranken Hirns die Menschlichkeit der Kolonialisierten. Ohne die rassistischen Beweggründe kann und konnte es keine koloniale Eroberung und in deren Gefolge eine Unterjochung von Menschen geben. In diesen Kontext paßt die Definition des Rassismus von
Claude Lévi-Strauss:
„Eine Lehre, die behauptet, in den geistigen und moralischen Eigenschaften, die einer wie auch immer definierten Gruppe von Individuen zugeschrieben werden, die unausweichliche Wirkung eines gemeinsamen genetischen Erbes zu erkennen.“
Schon
Immanuel Kant pocht auf ein
ursprüngliches Menschenrecht, das jedem kraft seiner Menschlichkeit zusteht. Dieses Gedankengut entbehrt jedenfalls die menschenfeindliche Weltanschauung, die hinter dem Kolonialismus steht. Hier eine kurze Skizzierung der geschichtlichen Entwicklung dieser Abartigkeit:
A. Historie des Kolonialismus
Motive und Rechtfertigung des historischen Kolonialismus:
- Missionierung für das Christentum
Das Christentum wird als einzig „wahre“ Religion angesehen, für die mit Feuer und Schwert missioniert werden darf. Staat und Kirche haben sich verbündet, um im „Namen Gottes“ die menschenunwürdigen Heiden zu bekehren und sie zwangsweise dem Himmelreich zuzuführen.
Die weißen Kolonialisten hielten sich für Herrenmenschen und diskriminierten sämtliche indigenen Völker als Barbaren und Untermenschen. Sie wurden als Tiere oder Waren angesehen, die man ungestraft abschlachten durfte. Und dies alles wurde nicht nur von der Kirche abgesegnet sondern auch von Krone, Staat und Gesetz. Die brutalsten Völkermörder wurden noch mit den höchsten staatlichen Ehren bedacht und als Volkshelden gefeiert. Ihre Standbilder mit nationalem Pathos ausgestattet können heute noch in sämtlichen Innenstädten besichtigt werden.
- Im Namen der Zivilisation
Die Verteidigung und Ausbreitung der christlich-abendländischen Zivilisation war ein Rechtfertigungsgrund, mit dem die ungeheuerlichsten Gräueltaten abgesegnet wurden. Alle anderen Zivilisationen und Kulturen, selbst diejenigen, die wesentlich älter und fortgeschrittener als die westlichen waren, wurden als primitiv abqualifiziert. Deshalb konnten sie ohne die Spur von Gewissensbissen zerstört werden. Die selbsternannten Zivilisierten haben sich als die eigentlichen Barbaren demaskiert.
- Ausbeutung und Bereicherung
Der Grund der Habsucht und Gier war derjenige mit der größten Triebkraft, weshalb er stets geleugnet wurde. Durch die Ausbeutung der Bodenschätze der kolonialisierten Völker, den Landraub und den Diebstahl der landwirtschaftlichen Erzeugnisse sowie die Versklavung der Menschen bereicherten sich die kolonialen Mächte. Diese Beute war wiederum die Basis für ihren Machtzuwachs und den Aufstieg zu reichen Industriestaaten, worauf der heutige Reichtum beruht.
Historisch gesehen verlief die Entwicklung der Kolonisierung in vier sich ablösenden Herrschaftssystemen:
1. Entdeckung Amerikas
1492 fand die „Entdeckung“ Amerikas durch Christoph Columbus statt. Der Begriff „Entdeckung“ beinhaltet bereits eine ungeheure Chuzpe, die eine eurozentrische Weltsicht dokumentiert. Sie impliziert die Vorstellung, daß außer der eigenen keine Kultur existiert, die gleichrangig mit der eigenen ist und folglich sich der westliche Entdecker legitim alles aneignen durfte, was für ihn von Wert war.
Mit diesem Freibrief in der Tasche wurden anschließend die „Eroberungen“ der bis dahin unbekannten Völker der Welt inszeniert. Es handelte sich dabei um eine Gleichsetzung mit Vernichtung, Völkermord, ein „in Eisen legen“ der wie Tiere gejagten Menschen, um Versklavung und hemmungslose Ausbeutung. Der „homo colonienses“ zeigte sein häßlichstes Gesicht und begab sich unter das Niveau eines Tieres.
2. Dreieckshandel
Der sog. „Dreieckshandel“ bedeutete die Entvölkerung des amerikanischen Kontinents durch Massenmord an der indigenen indianischer Bevölkerung. Dieser ungeheure Genozid (man schätzt, daß davon 150 Millionen Menschen betroffen waren) mußte durch einen Import von Arbeitssklaven kompensiert werden. Die Folge war die Verschleppung von Abermillionen Sklaven aus Afrika nach Amerika. Von diesem bösen Treiben profitierten außer den Sklavenjägern und Reedern vor allem die Kolonialstaaten Spanien, Portugal, England und Frankreich.
3. Installation eines weltumfassenden kolonialen Systems
Ab dem 18. Jahrhundert folgte die zusätzlich zu den bereits etablierten portugiesischen und spanischen Kolonialgebieten die Errichtung eines weltumspannenden kolonialen Systems durch England, Frankreich, Holland, Belgien, Italien und Deutschland. Ich entschuldige mich gleich vorsorglich, wenn ich jemanden ausgelassen habe.
Die militärische Besetzung bot die Garantie auf direkten Zugriff auf Bodenschätze und landwirtschaftliche Ressourcen. Systematische Vernichtung der
autochthonen Kulturen durch christliche Missionare und die
„Apostel des westlichen Universalismus“ (Jean Ziegler) brach jegliche Widerstand der unterdrückten Völker. Zwangs- und Sklavenarbeit zur Bereicherung der europäischen Herrenrasse gehörte ab sofort zum guten Ton. Wer nicht mitmachte, war selber schuld. Was auch den deutschen Reichskanzler
Otto von Bismarck dazu animierte, die Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II sich ins
koloniale Abenteuer zu stürzen. Schließlich durfte man ja die fette Beute nicht alleine den Erbfeinden Frankreich und England überlassen.
4. Aufbau des Kapitalismus
Die globalisierte Ordnung des westlichen Finanzkapitals mit seinen Söldnern
WTO (Welthandelsorganisation),
IWF (Internationaler Währungsfonds),
Weltbank, und Konzernmultis in synergetischer Zusammenarbeit mit der neoliberalen Ideologie ist das bei weitem
mörderischste der Unterdrückungssysteme, die im Laufe der letzten Jahrhunderte vom Westen errichtet wurden. Wahrscheinlich aber das umfassendste und raffinierteste der Menschheitsgeschichte.
Die unheilvolle Geschichte des Kolonialismus ist weitgehend identisch mit der Erscheinungsform des Imperialismus. Insofern lassen sich bereits bei allen alten Reichen der Antike wie den Ägyptern, den Sumerern, den Hethitern, den Babyloniern oder den Persern solche Praktiken beweisen. Diese Eroberungssucht setzt sich auch fort in anderen Kulturen wie den asiatischen rund um China oder den südamerikanischen vor der Eroberung durch die Europäer. Natürlich ist das römische Reich des Sinnbild des Imperialismus schlechthin: Die Römer nannten ihre Reich selbst
„Imperium Romanum“, wobei Imperium zu deutsch "Befehlssystem" heißt.
In der Neuzeit waren es vor allem die Spanier und Portugiesen, die im Namen Gottes und mit Hilfe einer gewaltsamen Christianisierung, mit riesigen Landnahmen in Übersee und den dazu gehörigen kolonialen Schandtaten aufgefallen sind. Aber sie wurden in der Folgezeit noch übertroffen von den Engländern, die mit ihrem „Common Wealth“ sich das kolosalste Weltreich der Geschichte einverleibten. Bei diesem Vorhaben haben sie keine Perversität ausgelassen. Erinnert sei nur an die Menschen-Treibjagden, die sie vor allem in Australien und Tasmanien, aber auch in Kanada bei den Indianern mit hoher Effektivität veranstalteten: es gab kaum Überlebende und Zeugen. Ergänzend dazu sei auf den Beitrag im Kritischen Netzwerk mit der
„Landkarte des Tages, wo die Briten nie einmarschiert sind“ hingewiesen.
Dort wird dokumentiert, daß es sage und schreibe nur 22 Länder auf der Welt gibt, in die die Briten noch nie eingefallen sind! Ganz England ist vollgepfropft mit zusammengeraubten Kunstgegenständen aus aller Welt, was bei den meisten Briten keinerlei Schuldbewußtsein oder schlechtes Gewissen auslöst – ganz im Gegenteil ruht man sich auf einem heuchlerischen Stolz aus. Vor ihrer Haustür, auf der Nachbarinsel Irland, ist der lebende Beweis für die Wirkweise des Kolonialismus angesiedelt und sollten ihnen ein Mahnmal sein. Hier hat England vor 800 Jahren seine erste Kolonie errichtet, was im Laufe der Zeit Millionen von Iren das Leben gekostet hat. Ganz zu schweigen, von den Millionen, die sich zur Auswanderung gezwungen sahen.
Dem französischen Kolonialismus ist in Zieglers Buch ein eigenes Kapitel gewidmet, auf das ich im folgenden Abschnitt eingehe.
B. Französischer Kolonialismus als abschreckendes Beispiel
(Karte zur Vergrößerung bitte anklicken)
Französisches Kolonialreich
grün: erste Erwerbungen im 16. Jahrhundert, blau: Erwerbungen bis 1920,
graublau: Einflussgebiete in Indien (18. Jahrhundert),
China (1885–1940) und Siam (1897–1939)
♦ ♦ ♦
Frankreichs koloniale Altlasten sind ungeheuer hoch. Vor allem ist aus den offiziellen Verlautbarungen des französischen Staates und seiner Vertreter eine erschreckende Verständnislosigkeit zu entnehmen. Man muß zwangsläufig zu der Ansicht gelangen, daß zumindest das offizielle Frankreich nichts aus der Geschichte gelernt hat. Besonders Nicolas Sarkozy hat sich als Reaktionär und unverbesserlicher Täter hervor getan. Am 7.2.2007 verkündete er in Toulon als damaliger Präsidentschaftskandidat:
„Der europäische Traum, der Traum Bonapartes in Ägypten, Napoleons II in Algerien, Lyauteys in Marokko, […] war weniger ein Eroberungstraum als ein zivilisatorischer Traum. Hören wir auf, Frankreichs Vergangenheit zu beflecken […] Ich möchte allen Befürwortern von Reuebekundungen sagen […] Mit welchem Recht verlangt ihr von den Söhnen, Buße für die Fehler ihrer Väter zu tun, für Fehler dazu, die ihre Väter oft nur in eurer Fantasie begangen haben?“
Ihr habt recht gelesen: Es handelte sich bei der friedfertigen Kolonialisierung durch Frankreich nicht um eine gewalttätige Eroberung, sondern um eine zivilisatorische Leistung – einen Traum! Diese Realitätsverleugnung und Weigerung zur Reue ist an Arroganz und Überheblichkeit nicht zu überbieten. Es handelt sich um die pure Rechtfertigung, Menschen anderer Rasse, Religion, Hautfarbe und Kultur als Barbaren und Wilde abzutun, die man mit brutaler Gewalt „zivilisieren“ dürfe. Deutlicher kann man seine rassistische Einstellung nicht äußern: eben Rassismus als Voraussetzung für Kolonialismus. Für Fragen der Wiedergutmachung ist nicht die geringste Bereitschaft zu finden. Hochmut in Vollendung. Von Gilles d’Elia stammt der Satz:
„Der letzte Augenblick der Kolonisierung ist die Kolonisierung der Geschichte des Kolonialismus.“
den man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte. Dazu paßt auch hervorragend
Voltaires Satz „
Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.“
Lassen wir den verbalen Täter Sarkozy nochmals zu Wort kommen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als er bereits Präsident Frankreichs war - während einer Afrikareise 2007. Ich muß jedoch Vorwarnung betreiben, denn die u. a. Zitate quellen nur so über von Relativierungen, Pauschalisierungen, Verallgemeinerungen, Selbstrechtfertigungen und Verleugnungen:
- Es gab unter ihnen [den Kolonialisten] schlechte Menschen, aber auch solche guten Willens, Menschen, die glaubten, eine zivilisatorische Mission zu erfüllen …
- Manche irrten, aber einige waren aufrichtig. Sie glaubten, die Ketten des Obskurantismus, des Aberglaubens, der Knechtschaft zu durchbrechen. […] Sie glaubten, Liebe zu schenken …
- Die Kolonisierung war ein Fehler, der mit der Bitternis und dem Leid derer bezahlt wurden, die nur das Beste wollten, und nicht verstanden, warum ihnen solcher Haß entgegen schlug.
- Das Leid des schwarzen Mannes […] ist das Leid aller Menschen.
- Das Drama Afrikas liegt darin, daß der afrikanische Mensch noch nicht genügend in die Geschichte eingetreten ist. Die afrikanischen Mythen, also die Identifikationsbasis der Schwarzafrikaner ,so Sarkozy, sollen für die gegenwärtigen Übel Afrikas verantwortlich sein.
- Jugend Afrikas, ihr seid die Erben all dessen, was der Westen in das Herz und die Seele Afrikas abgelegt hat.
- Wollt ihr, daß es keinen Hunger mehr auf afrikanischem Boden gibt? Dann bemüht euch um eine selbstversorgende Landwirtschaft. Dann entwickelt den Nahrungsmittelanbau …
- Unsere Geschichte besteht aus Schatten und Licht, Blut und Leidenschaft. Der Augenblick ist gekommen, um algerischen und französischen Historikern die Aufgabe zu übertragen, gemeinsam dieses unruhige Kapitel der Geschichte zu schreiben, damit künftige Generationen von beiden Seiten des Mittelmeers den gleichen Blick auf unsere Geschichte des Einvernehmens und der Zusammenarbeit werfen können.
(unverblümte Aufforderung zu Geschichtsklitterung gem. Voltaire „Geschichtsschreibung ist eine allgemein anerkannte Lüge")
Das ist Zynismus in Reinform!!! Sarkozy hat damit stellvertretend gesprochen für die Vertreter aller anderen westlichen Länder mit kolonialer Vergangenheit. Die afrikanische Kultur, die Identität der Afrikaner und ihre Mythen sind also für sämtliche Übel Afrikas schuld. Der afrikanische Mensch hat es versäumt, genügend in die Geschichte einzutreten. Wer hat es wohl verhindert, daß die Afrikaner ihre Eigenständigkeit entfalten konnten? Wer hat sie wohl unterdrückt, entmündigt und ihrer Chancen beraubt?
Der Westen hätte sein Herz und seine Seele in Afrika abgelegt – das muß aber eine tiefschwarze und verkommene Seele gewesen sein! Das Leid der Afrikaner wird relativiert und abstrahiert, in dem es auf das allgemeine menschliche Leid reduziert wird. Auch die Empfehlung, eine selbstversorgende Landwirtschaft einzuführen, klingt wie Hohn, wenn man bedenkt, daß gerade Frankreich bei den Verhandlungen der EU-Handelsabkommen durch sein Veto faire Vereinbarungen zugunsten der Afrikaner verhindert hat und weiterhin sabotiert.
Die Einstellung Sarkozys ist typisch für den kaltschnäuzigen und menschenverachtenden Umgang der ehemaligen Kolonialherren mit der Geschichte und den Menschen, die unter den Nachwirkungen leiden. Geschichtsklitterung verbunden mit Beschönigungs- und Rechtfertigungsversuchen ist das einzige, was ihnen dazu einfällt. Sie verdrängen immer noch die begangenen Schandtaten und Völkermorde ihres Landes – jegliches Schuldbewußtsein ist ihnen fremd!
Die Grausamkeit der Fremdenlegion im
Algerienkrieg 1954 – 1962 war berüchtigt. Dieser Krieg hat nach Schätzungen bis zu einer Million Todesopfer gekostet. Als Beispiel für die Kreativität der französischen Armee in Sachen Brutalität sei nur eine der Taktiken genannt. So hat man z. B. systematisch ganze Dörfer eingeäschert und die Bewohner komplett in Höhlen getrieben, vor dem Höhleneingang Feuer entzündet und die Menschen durch den Qualm erstickt. Anschließend wurden die Eingänge zugemauert.
Frankreich hat vergessen, daß es einstmals, als es noch keltisch-gallisch war, ebenfalls erobert und kolonialisiert wurde – und zwar von den Römern. Sarkozy hätte sich mal bei dem französischen-keltischen Nationalhelden
Vercingetorix erkundigen sollen, wie man als Kolonisierter behandelt und gefoltert wird, um ein Gefühl zu bekommen, wie es den betroffenen Menschen ergeht. Ein Anzeichen dafür, daß Frankreich seine Vergangenheit als kolonialer Täter noch nicht verarbeitet hat, ist in Bordeaux zu finden. Dort wimmelt es nur so von Avenuen, Straßen, Plätzen und Denkmälern, die den ehemaligen Sklavenhändlern, den Kapitänen und Eignern von Sklavenschiffen, gewidmet sind. Posthum eine Verherrlichung des Sklaventums und der daraus resultierenden Bereicherung.
Die „Grande Nation“ ergeht sich immer noch in schwülstigem nationalem Stolz, der eher Hochmut zu nennen ist.
[
Der Ausdruck "Grande Nation" ist spachlicher Unfug! Er hat etwas Verletzendes und gar Beleidigendes. Man sollte den Leuten, dies gilt auch unter Völkern, nicht Selbsteinschätzungen unterstellen, die erstens abwegig sind und die sie zweitens gar nicht haben. Niemand in Frankreich verwendet diesen Ausdruck, die Wendung ist unbekannt. Das Ärgerliche ist aber, daß wir, indem wir sie gerade in französischer Sprache verwenden, dadurch suggerieren: so verstehen sich die Franzosen selbst, so sagen sie selbst zu sich selbst! (>>
Vortrag von Sprachwissenschaftler Prof. em. Dr. Hans-Martin Gauger). Helmut Schnug].
Man braucht sich lediglich einmal den Text der martialischen französischen Nationalhymne, der
Marseillaise vorzunehmen – dann ist klar, was ich meine. Hier die deutsche Übersetzung der Verse:
Auf, auf Kinder des Vaterlands!
Der Tag des Ruhmes, der ist da.
Gegen uns wurde der Tyrannei
Blutiges Banner erhoben. (2x)
Hört ihr im Land
Das Brüllen der grausamen Krieger?
Sie kommen bis in eure Arme,
Eure Söhne, Eure Gefährtinnen zu erwürgen!
Refrain
Zu den Waffen, Bürger!
Formt Eure Schlachtreihen,
Marschieren wir, marschieren wir!
Bis unreines Blut
unserer Äcker Furchen tränkt!
(2x)
Was will diese Horde von Sklaven,
Von Verrätern, von verschwörerischen Königen?
Für wen diese gemeinen Fesseln,
Diese seit langem vorbereiteten Eisen? (2x)
Franzosen, für uns, ach! welche Schmach,
Welchen Zorn muss dies hervorrufen!
Man wagt es, daran zu denken,
Uns in die alte Knechtschaft zu führen!
Refrain
Was! Ausländische Kohorten
Würden über unsere Heime gebieten!
Was! Diese Söldnerscharen würden
Unsere stolzen Krieger niedermachen! (2x)
Großer Gott! Mit Ketten an den Händen
Würden sich unsere Häupter dem Joch beugen.
Niederträchtige Despoten würden
Über unser Schicksal bestimmen!
Refrain
Zittert, Tyrannen und Ihr Niederträchtigen
Schande aller Parteien,
Zittert! Eure verruchten Pläne
Werden Euch endlich heimgezahlt! (2x)
Jeder ist Soldat, um Euch zu bekämpfen,
Wenn sie fallen, unsere jungen Helden,
Zeugt die Erde neue,
Die bereit sind, gegen Euch zu kämpfen
Refrain
Franzosen, Ihr edlen Krieger,
Versetzt Eure Schläge oder haltet sie zurück!
Verschont diese traurigen Opfer,
Die sich widerwillig gegen uns bewaffnen. (2x)
Aber diese blutrünstigen Despoten,
Aber diese Komplizen von,
Alle diese Tiger, die erbarmungslos
Die Brust ihrer Mutter zerfleischen!
Refrain
Heilige Liebe zum Vaterland,
Führe, stütze unsere rächenden Arme.
Freiheit, geliebte Freiheit,
Kämpfe mit Deinen Verteidigern! (2x)
Unter unseren Flaggen, damit der Sieg
Den Klängen der kräftigen Männer zu Hilfe eilt,
Damit Deine sterbenden Feinde
Deinen Sieg und unseren Ruhm sehen!
Refrain
Wir werden des Lebens Weg weiter beschreiten,
Wenn die Älteren nicht mehr da sein werden,
Wir werden dort ihren Staub
Und ihrer Tugenden Spur finden. (2x)
Eher ihren Sarg teilen
Als sie überleben wollen,
Werden wir mit erhabenem Stolz
Sie rächen oder ihnen folgen.
Refrain
2 Fragen dazu: Was würden die Franzosen davon halten, wenn die von ihnen in französischen Kolonien unterdrückten Völker derartige Kriegsgesänge anheben würden? Oder wie würden die Franzosen reagieren, wenn die Deutschen in einen solchen Tenor einstimmen würden?
C. Die abscheuliche Erbfolge des Kolonialismus
Die heutige global um sich greifende Wirtschaftsordnung des Kapitalismus ist eine Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln. Jean Ziegler hat für das herrschende System eine radikale Verurteilung anzubieten: er nennt es die
„kannibalische Weltordnung des globalisierten Finanzkapitals“,
die sich
auf dem Weg vom Sklavenhalter zum alles verschlingenden Raubtier befindet. Es ist offensichtlich, daß sich ein nahtloser Übergang aus den Praktiken der Sklaverei und Kolonisation in die moderne Version der marktdiktierten Ausbeutung vollzieht. Besonders auffällig ist, daß die westlichen Staaten sich gegenüber Wiedergutmachungsforderungen taub stellen. Sämtliche internationale Konferenzen zwischen den Blöcken sind bisher geplatzt, ohne ein nennenswertes Ergebnis gebracht zu haben – genau wie bei den Klimakonferenzen.
Die berechtigten Anliegen der Zweite- und Dritteweltstaaten wurden durch Blockade oder Vetos von fast allen westlichen Ländern einschließlich Deutschland abgeschmettert. Eine entscheidende Rolle für die Mißerfolge spielt allerdings auch das abgrundtiefe und berechtigte Mißtrauen, das die südliche Welt dem Westen entgegenbringt. Dieses hat sich in jahrhunderterlanger Kolonisierung und Sklaverei kumuliert und bahnt sich in Haßgefühlen seinen Weg. Die Fronten sind daher von beiden Seiten derartig verhärtet, daß eine Lösung derzeit ziemlich aussichtslos erscheint. Sicher ist aber m. E., daß der Westen die moralische Verantwortung trägt, die ersten Schritte zu einem Entgegenkommen zu unternehmen, ohne auf Gegenleistungen zu pochen.
Aimé Césaire, ein afrokaribisch-französischer Schriftsteller und Politiker hat die Problematik der Bewegggründe einschließlich des Wesens der Kolonisierung in seinem
„Discours sur le colonialisme“ auf den Punkt gebracht:
“Entscheidend ist hier, klar zu sehen, klar zu denken, klar zu verstehen, klar auf die unschuldige Ausgangsfrage zu antworten: Was ist die Kolonialisierung ihrem Prinzip nach? Einigkeit darüber zu erzielen, was sie keinesfalls ist: weder Missionierung noch philanthropisches Unternehmen, noch das Bestreben, die Grenzen der Unwissenheit, der Krankheit, der Tyrannei zurückzudrängen, noch der Wunsch, zum höheren Ruhm Gottes oder zur Ausbreitung des Rechts beizutragen; ein für alle Mal zuzugeben, daß wir es hier maßgeblich mit den Beweggründen des Abenteurers, des Piraten zu tun haben, des Gewürzgroßhändlers und Reeders, des Goldsuchers und Kaufmanns, der Gier und der Gewalt, und im Hintergrund dem unheilvollen Schatten einer Zivilisation, die in einem bestimmten Augenblick ihrer Geschichte den inneren Zwang verspürt, den ganzen Erdball mit der Konkurrenz ihrer widerstreitenden Volkswirtschaften zu überziehen. […] Europa ist moralisch und geistig unentschuldbar.“
Oulai Seine, Justizminister der Elfenbeinküste – äußerte sich am 2.9.2001 auf der Durban-Konferenz treffend zur angeblichen Abschaffung der Sklaverei:
„Wenn sie denken, die Sklaverei sei überwunden, müssen Sie umdenken. Wie wäre es denn anders zu verstehen, daß der Preis für ein Produkt, das in langen Monaten harter Arbeit, bei Regen und Sonnenschein, von Millionen Bauern erzeugt wurde, von jemandem, der in einem klimatisierten Büro auf seinem Sessel hinter einem Computer sitzt, festsetzt wird, ohne daß er ihre Leiden berücksichtigt? Nur die Methoden haben sich [seit Abschaffung der Sklaverei] geändert. Sie sind »humaner« geworden. Die Schwarzen werden nicht mehr mit Schiffen auf die Antillen oder nach Amerika verfrachtet. Sie schwitzen Blut und Wasser, während sie mit ansehen müssen, wie der Preis ihrer Arbeit in London, Paris oder New York verhandelt wird. Die Sklavenhalter sind nicht tot. Sie haben sich in Börsenspekulanten verwandelt.“
Edgar Morin, ein französischer Philosoph, formuliert es messerscharf und präzise:
„Die Herrschaft des Westens ist die schlimmste in der Geschichte der Menschen, durch ihre Dauer und Ausdehnung über den ganzen Planeten.“
Damit ist genau das gemeint, was ich stets über den Kapitalismus aussage: Eine Plage, die alle vorangegangenen – auch den Sozialismus/Kommunismus sowjetischer Prägung – Plagen übertrifft, weil sie ein weltumspannendes Regime angetreten hat, dem niemand entkommen kann. Dieses repressive Spiel der westlichen Herrschaft einer Minderheit gründet auf Rücksichtslosigkeit, Brutalität und perfekter Organisation. Die reine Diktatur des Kapitalismus zwingt den südlichen Ländern sog. bilaterale oder mulitilaterale „Partnerschafts“ - Handelsabkommen auf, die von der WTO, Weltbank und IWF unterstützt werden und die letztendlich nur dem Westen mitsamt den gierigen korrupten Eliten nützen. Die betroffene Bevölkerung wird jedoch in ihrer Not im Stich gelassen.
Die
AKP-Staaten, 76 hauptsächlich ehemalige Kolonien aus Afrika, Karibik, Pazifik – haben mit der EU ein sog. Partnerschaftsabkommen unterzeichnet, das
WPA (Wirtschafts-Partnerschafts-Abkommen),das für die AKP ein repressives Diktat mit einseitigen Zollregeln bedeutet. Denn Zölle sind in den armen Staaten bei fehlenden fiskalischen Strukturen die einzigen Einnahmequellen, von denen sie zehren können. Wenn diese abgeschnitten werden, sind sie ausländischen Mächten und Konzernen hilflos ausgeliefert.
Jan Feyder (bis 2012 UNO-Botschafter von Luxemburg) hat diese Situation ungeschminkt ausgedrückt:
„Der Wegfall der Zollschranken auf die Einführ europäischer Produkte wird die Produkte einer der wirtschaftlich fortgeschrittensten Regionen mit denen einiger der ärmsten der Welt in unmittelbaren Wettbewerb bringen.“
Und das schonungslos mit allen negativen Folgen für diese Regionen. Der Prediger und Theologe
Jean Baptiste Henri Lacordaire hat diesen Sachverhalt so beschrieben:
"Zwischen dem Starken und dem Schwachen, zwischen dem Reichen und dem Armen, zwischen dem Herrn und dem Diener ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit."(
Originaltext in frz.: "Entre le fort et le faible, entre le riche et le pauvre, entre le maître et le serviteur, c’est la liberté qui opprime et la loi qui affranchit." Quelle: Conférences de Notre-Dame de Paris, Tome Troisième: 1848-1850, éd. Sagnier et Bray, Paris 1855.
p. 246.) Dieses Zitat wird sehr häufig fälschlicherweise
Jean-Jaques Rousseau zugeschrieben.
Von den den armen und wirtschaftlich unterentwickelten Ländern aufgezwungenen Handelsabkommen profitiert nur die westliche Seite – und die Ausgebeuteten haben unter diesen Bedingungen niemals eine reelle Chance, auf die Beine zu kommen. Als konkrete Beispiele sind nur einmal die stark subventionierten Fleischimporte aus der EU oder die billigen Baumwollimporte aus den USA , die die einheimischen Bauern ruinieren, aufzuführen. Dadurch werden Zwänge zu Privatisierung der Landwirtschaft aufgebaut und die Möglichkeiten von nationaler und globaler Vermarktung verhindert. Auf diese Weise sind diese Länder hilflos der Erpressung mit Leistungen aus dem
EEF (Europäischer Entwicklungs Fonds) ausgesetzt.
Bauern werden ins Elend getrieben, weil sie die Kosten für Saatgut, Dünger und Pestizide nicht aufbringen können. Die schrecklichen Folgen sind: Landflucht in Elendsviertel der Städte, Zerfall der Familien, Hunger, Kinderprostitution, Dauerarbeitslosigkeit, Verzweiflung, Suizid oder Flucht nach Europa. Spätestens an diesem Punkt sollte uns Europäern ein Licht aufgehen.
Das Flüchtlingselend an den europäischen Südgrenzen hat genau hier seine Hauptursache.
Ich frage mich: Wann werden die an diesem Elend schuldigen Staaten des reichen Westens dafür endlich Verantwortung übernehmen, Wiedergutmachung leisten und eine hilfreiche Handelspolitik auf Augenhöhe zulassen? Wann werden sie erkennen, daß sie ethisch verpflichtet sind, zumindest übergangsweise eine offenere Asylpolitik zu betreiben?
Als Verschlimmerung der Lage kommt noch dazu, daß die aufstrebenden Länder aus der südlichen und östlichen Hemisphäre wie China nicht etwa aus den Fehlern der Kolonialisten gelernt haben. Nein, sie kopieren die Methoden und übernehmen kritiklos die kapitalistischen Prinzipien. Auf diese Weise reproduzieren die wirtschaftlich erstarkenden Länder das globale Herrschafts- und Ausbeutungssystem, das vom Westen errichtet wurde. Sie plagiieren ungeniert dessen Mechanismen: Maximierung und Monopolisierung der Profite, Zerstörung gesellschaftlicher Normen, Raubbau an natürlichen Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft. Der Mensch bemüht sich offensichtlich redlich, den Boden seiner Existenz mit allen Kräften zu ruinieren.
D. Bolivien und Evo Morales als positives Vorbild
Der bolivianische Präsident
Evo Morales, der einzige indigene Staatsführer Lateinamerikas, hat den IWF aufgefordert, die Völker für dessen unsoziale Wirtschaftspolitik zu entschädigen. Siehe in diesem Zusammenhang unseren Beitrag im Kritischen Netzwerk
„Evo Morales: IWF soll Völker entschädigen“.
Evo Morales hat 2006 in einem Handstreich die bis dahin in privater Hand der ausländischen Multis befindliche Erdölförderung unter staatliche Vorherrschaft gebracht. Die ist unter dem Motto „Wiederherstellung der energiewirtschaftlichen Souveränität“ und mit Unterstützung von Staaten wie Algerien, Venezuela, Brasilien und mit technischer Hilfe von Norwegen über die Bühne gegangen. Die Konzerne wurden bei diesem Konzept nicht verjagt, sondern der Staat hat das Eigentumsrecht übernommen und in entsprechenden Verträgen die Förderungsbedingungen und Gewinnabgaben geregelt, wobei die Konzerne nur noch als Dienstleister fungieren. Das wäre doch allemal ein Vorbild für andere Ölförderstaaten.
Außerdem hat Morales seit Beginn seiner Präsidentenschaft versucht, das bettelarme und noch an den Folgen der Kolonisation leidende Bolivien zu sanieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Insbesondere in den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheit hat er der Bevölkerung Fortschritte gebracht. Es ist zu hoffen, daß er in Lateinamerika und darüber hinaus Nachahmer findet.
E. Fazit
Zum Thema
„Haß auf den Westen“ bediene ich mich wörtlich bei Jean Ziegler:
„Der Haß auf den Westen , diese unausrottbare Leidenschaft, beherrscht heute eine große Mehrheit der Völker in der südlichen Hemisphäre. Er ist ein machtvoller Mobilisierunfaktor.
Dieser Haß ist keineswegs pathologisch, sondern manifestiert sich in einem strukturierten und rationalen Diskurs. Und er lähmt die Vereinten Nationen. Indem er die internationalen Verhandlungen blockiert, verhindert er die Lösung von Konflikten und schwer wiegenden Problemen, obwohl dabei unter Umständen das Überleben der ganzen Menschheit auf dem Spiel steht.
Der Westen seinerseits bleibt taub, blind und stumm gegenüber diesen Identitätsbekundungen, in denen sich der brennende Wunsch der südlichen Völker nach Emanzipation und Gerechtigkeit äußert. Er versteht diesen Haß nicht.“
Der von Jean Ziegler angesprochene Haß besitzt sein Fundament in den Ereignissen der kolonialen Vergangenheit und im kollektivem Gedächtnis der Völker, das durch die neokolonialen heutigen Handelspraktiken wachgerüttelt und verstärkt wird. Dieses kollektive Gedächtnis ist nicht auslöschbar – und es ist für eine Lösung nötig, daß die beiden konträren Seiten aufeinander zugehen. Der einen muß man die Zeit der Verarbeitung und Vergebung einräumen, und die anderen müssen ihre verdrängten Vergehen als solche anerkennen, sich in Reue und Abbitte üben und vor allem, die Chance auf einen Neuanfang anbieten.
Der
babylonische Talmud enthält in diesem Kontext eine kurze, aber vielsagende Botschaft, die auf die innige Verknüpfung und Verstrickung zwischen Vergangenheit und Zukunft anspricht und die uns lehren sollte, daß eine lebenswerte Zukunft nur gestaltet werden kann, wenn wir aus der Vergangenheit Lehren ziehen:
„Die Zukunft hat eine lange Geschichte.“
Diese Erkenntnis ist um so wichtiger, wenn man berücksichtigt, daß die niederen Instinkte einen Teil des menschlichen Wesens ausmachen. Das heißt auch, daß die diese destruktiven Elemente nicht nur bei den Deutschen zu entdecken sind, was die Weltöffentlichkeit oftmals aufgrund des deutschen Nationalsozialismus vermutet. Es muß die ernüchternde Feststellung getroffen werden, daß die Verbrechen der Deutschen hinsichtlich des Genozids an den Juden kein Einzelfall der Geschichte und kein Ausrutscher ist. Ich will nicht die geringste Entschuldigung vorbringen in Bezug auf die deutsche Verantwortlichkeit, aber Schuld auf sich genommen haben sowohl in der Vergangenheit als auch im heutigen Geschehen fast alle namhaften Länder.
Auch die Judenverfolgung gibt es schon seit zwei Jahrtausenden, und Genozid ist nicht nur mit den klassischen westlichen Kolonialmächten in Verbindung zu bringen, sondern z. b. auch mit der Türkei (Osmanisches Reich) wegen des armenischen Völkermords während des ersten Weltkriegs (auch die türkische Behandlung der Kurden gehört dazu) oder mit Japan mit seiner verheerenden Besatzungspolitik gegenüber China in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der israelisch-palästinensische Konflikt kann ebenfalls als ein solcher mit kolonialer Qualität von Seiten des rassistischen Besatzregimes Israels identifiziert werden.
Wer wagt es, den ersten Stein zu werfen? Wir sitzen alle im Glashaus! Der Westen ist weder moralische Instanz, noch ein Hort der Freiheit und Demokratie. Wer seine Schuld verdrängt, nicht erkennt, nicht bereut und nicht zu Wiedergutmachung bereit ist und obendrein noch weiter sündigt, hat jedwede Autorität und die Berechtigung, über andere zu urteilen, verloren. Wir haben die Pflicht, Mißstände hier im eigenen Land und anderswo zu erkennen und die Verantwortlichen eindeutig zu benennen. Die Initiatoren und die Redaktion des Kritischen Netzwerks stehen für klare Worte. Die sich daraus ergebenden praktischen Handlungen und Aktionen müssen allerdings außerhalb des virtuellen Raumes stattfinden.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Jean Ziegler am Genfer Buchsalon 2011.
Foto: Rama.
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Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Frankreich lizenziert.
2. Claude Lévi-Strauss (* 28. November 1908 in Brüssel; † 30. Oktober 2009 in Paris) war ein französischer
Ethnologe. Er gilt als Begründer des ethnologischen
Strukturalismus und früher Vertreter einer
Ethnosoziologie.
3. Buchcover "Verbrechen im Namen Christi". Mission und Kolonialismus (GERT VON PACZENSKY) -
bitte weiterlesen4. Buchcover "Die Weißen kommen". Die wahre Geschichte des Kolonialismus (GERT VON PACZENSKY) -
bitte weiterlesen5. Französische Kolonialgebiete, (Grün: 1. Kolonialreich von 1546 bis 1763 / Blau: 2. Kolonialreich von 1763 bis 1962
Autor: Gd21091993
Quelle: Wikimedia Commons. Ich, der Urheberrechtsinhaber dieses Werkes, veröffentliche es als
gemeinfrei. Dies gilt weltweit.
6. Buchcover "Das französische Kolonialreich", (GÜNTHER FUCHS / HANS HENSEKE), Deutscher Vlg. der Wissenschaften (1987)
7. Buchcover "Frankreich in Afrika": Eine (Neo)Kolonialmacht in der Europäischen Union zu Anfang des 21. Jahrhundert, (BERNHARD SCHMID); Unrast Verlag, Münster 1., ISBN: 978 - 3 - 89771 - 034 - 4; Softcover, 312 Seiten; Aufl. (Oktober 2011)
8. Buchcover "Wir lassen sie verhungern: Die Massenvernichtung in der Dritten Welt", (JEAN ZIEGLER) -
bitte weiterlesen und siehe PdF-Anhang mit ausführlicher Leseprobe.
9. Buchcover "Die Verdammten dieser Erde" (FRANTZ FANON). Fanon (* 20. Juli 1925 in Fort-de-France, Martinique; † 6. Dezember 1961 in Bethesda, Maryland) war ein französischer Psychiater, Politiker, Schriftsteller und Vordenker der Entkolonialisierung. Seine Anklageschrift "Die Verdammten dieser Erde" gilt noch heute das das Manifest gegen den Kolonialismus.
Als Ausgangspunkt seiner Analyse in Die Verdammten dieser Erde wählt Fanon die Situation der kolonialen Gewalt und die Gegengewalt der Unterdrückten in den kolonisierten Ländern. Auf diese einleitenden Passagen beziehen sich viele seiner späteren Kritiker, die ihm vor allem „Gewaltverherrlichung“ vorwerfen.
Letztlich geht es Fanon aber um die konkrete Beziehung zwischen Kolonialherren und Kolonisierten, die sich immer in einer gewalttätigen Unterjochung ausdrückt, deren Folgen seit Jahrhunderten auf Geist und Körper der Unterdrückten eingewirkt haben. Die Dekolonisation ist nach Fanon ein Prozess, der aus dem „Ding“ wieder einen Menschen macht, der sich selber als „absolut gesetzte Eigenart“ konstituiert und der mit Hilfe der Gewalt sich von seiner Entfremdung und Unterordnung befreit. Einerseits ist hier der Einfluss des Existenzialismus auf Fanons Denken immer noch zu spüren; aber auch seine wiederkehrende psychologische Sichtweise des „Eingeborenen“ wird deutlich, wenn er von „angestauter Libido“ und Ersatzhandlungen spricht, die die verhinderte Aggression des Kolonisierten „entladen“.
Auch dient für Fanon die Gewalt dazu, die Nation zu konstituieren, die einzelnen Individuen in ihrem Kampf miteinander zu verbinden. An dieser kollektiven Befreiungsanstrengung nehmen aber nicht alle Kolonisierten teil: So definiert Fanon die Rolle der einheimischen Bourgeoisie als kompromissbereiten Partner der Kolonialmacht und die Nationalistischen Parteien als ihren politischen Ausdruck. Auch das städtische Proletariat in der „Dritten Welt“ gilt Fanon als rückständig und privilegiert gegenüber der ländlichen Bevölkerung. Revolutionäre Tendenzen entwickeln für ihn einzig und allein die bäuerlichen Massen, und die Pflicht der Intellektuellen besteht für Fanon darin, sich ihnen anzuschließen. Er bricht aber auch mit jener traditionellen marxistischen Linken, wenn er dezidiert das „Lumpenproletariat“ (Arbeitslose, Slumbewohner) neben der ländlichen Schicht als Träger der Revolution ausmacht.
Den „politischen Parteien“, die mit den privilegierten Teilen der kolonialisierten Bevölkerung verbunden sind, erteilt Fanon eine Absage. Für ihn muss sich die Organisation der Revolution erst im bewaffneten Kampf bilden und eine Führung hervorbringen, die die Gewalt zur Machteroberung lenkt.
Den Rahmen des Dekolonisationsprozesses steckt für Fanon die Nation ab. Das sich entwickelnde kollektive Bewusstsein des unterdrückten Volkes ist Fanon auch immer ein nationales Bewusstsein, das er gegenüber den feudalen Regionalismen und dem rassistischen Stammesdenken abgrenzt. Fanons Idee der afrikanischen Nationen hat sich in der Praxis jedoch nicht bewährt (und ethnische Konflikte sind heute noch in fast jedem Land Afrikas vorhanden). Denn die Grenzen in Afrika wurden von den Kolonialmächten gezogen und die entstehenden unabhängigen Nationen hielten fast immer an dieser willkürlichen Einteilung fest. Dieser Aspekt wird von Fanon in seiner Beurteilung der Nation als Keim für eine sozialistische Gesellschaft aber nicht behandelt. (Quelle: Wikipedia) Foto: Buchcover, Verlag Zweitausendeins
10. Juan Evo Morales Ayma ist seit dem 22. Januar 2006 Präsident Boliviens. Er ist Führer der sozialistischen bolivianischen Partei Movimiento al Socialismo (MAS) und der Bewegung für die Rechte der Coca-Bauern. Evo Morales gewann mit 54 Prozent der Stimmen die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 18. Dezember 2005. Er wurde damit als erster Indígena Staatsoberhaupt von Bolivien und errang den deutlichsten Wahlsieg seit Ende der letzten Militärregierung 1982. Bei der Präsidentenwahl vom Dezember 2009 übertraf er mit einer Zustimmung von 64 Prozent der Bürger das Ergebnis von 2005.
Evo Morales verkündete am 14. Januar 2009 den Abbruch der diplomatischen Beziehungen seines Landes zu Israel wegen des israelischen Krieges gegen die Zivilbevölkerung von Gaza. Er sagte, er werde eine Klage gegen Israel vor dem internationalen Strafgerichtshof unterstützen und forderte, dass dem israelischen Präsidenten Shimon Peres der Friedensnobelpreis aberkannt werden solle. Außerdem kritisierte er den „Unsicherheitsrat“ der Vereinten Nationen für seine zurückhaltende Reaktion auf die Krise.
Foto: Marcello Casal Jr./ABr - Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 3.0 Brasilien lizenziert
11 Buchcover "Der Hass auf den Westen: Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren" (JEAN ZIEGLER) - weiterlesen und siehe PdF-Anhang mit ausführlicher Leseprobe.
Peter A. Weber
Lieber Peter Weber,
mit Verlaub, aber schon die Leseproben aus Jean Zieglers Buch stellen die Geduld des Lesers, jedenfalls meine, auf eine harte Probe. Ich halte Ziegler für einen Schreihals (für eine bessere Welt) ohne analytischen Verstand. Er projiziert einfach nur Gefühle der Hoffnung in Länder der Dritten/Vierten Welt wie wir es von den Alt-1968er kennen, als sie die UDSSR, China, Cuba, Vietnam etc. verherrlichten, um eigene, leider nur gut gemeinte Phantasien im Hinblick auf eine bessere Welt zu begründen. Über diesen Art von Analyse ist Ziegler bis heute nicht hinweg und erweist damit der Aufklärung einen Bärendienst.
Außerdem tritt Kant nur eingeschränkt für Menschenrechte ein, jedenfalls nicht für alle Menschen, es sei denn, sie haben es sich verdient; im Gegenteil, er vertritt - kalt wie die Nacht - z.B. die Anwendung der Todesstrafe; sie sei unverzichtbar, um erzieherisch in die Gesellschaft hineinzuwirken. Da läuft es mir kalt den Rücken runter.
Herzlichen Gruß
Franz Witsch
Lieber Herr Witsch,
ich bedaure Ihre Ungeduld beim Lesen von Texten, die nicht ihrer Weltanschauung entsprechen. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass in dem von Ihnen kommentierten Beitrag nicht allein Jean Ziegler oder Immanuel Kant zu Wort kommen. Diese beiden Autoren müssen Ihnen nicht gefallen. Wie steht es mit den anderen hier erwähnten Anklägern der Kolonialgeschichte und des Neokolonialismus?
Wie gut geht es Ihnen persönlich, Herr Witsch, beim Genuss allerlei Produkte, die wir täglich verwenden und die nicht ausschließlich "Made in Western Civilisation" sind?
Wie geht es Ihnen, wenn Sie ein Handy nutzen oder einen Computer- Produkte also, die niemals ein "fair trade" oder "fair made"- Siegel für sich beanspruchen können? Sagt ihnen der Begriff Koltan etwas? Schauen Sie einmal im KN-Artikel "Überdruss im Überfluss. Vom Ende der Konsumkultur", den 6. Kommentar. Falls Sie die Geduld haben, den Beitrag über "Unser blutiges Handy" zu lesen, und falls Ihnen ein Rest Empathie geblieben ist, würden Sie dann nicht auch eine Kennzeichnung unserer Elektronik-Geschäfte befürworten, die korrekterweise "Kolonialwaren" hießen?
Welche Hoffnung setzen Sie auf unsere "1. Welt"? Auf Sachzwänge, Verwertungslogik, Wachstumsimperativ und Ausbeutungslogik? Auf Verfettung, Konsumismus und Haltungsschäden seelischer und körperlicher Art?
Was nun den angeblichen "Bärendienst" betrifft, den Jean Ziegler unserer Aufklärung leistet: Wie aufgeklärt sind wir über unsere eigene De- Generation? Was können wir noch wirklich? Wie gut tanzen Sie, Herr Witsch, welches nützliche Produkt können Sie selbst herstellen oder reparieren? Sie sind Lehrer. Wie begeistert gehen Ihre Kinder zur Schule?
Und wie lange können Sie sich auf einen Text konzentrieren, wie zusammenhängend denken Sie und wie komplex und tiefgründig können Sie kommentieren? Ohne etwa Immanuel Kant auf seine damals durchaus salonfähigen Aussagen zur Todesstrafe zu beschränken? Wie gefiele Ihnen die Vorstellung, wenn Ihre Kinder Sie einst auf Ihren hier zu findenden dürren Kommentar zum Kolonialismus beschränken würden?
"Unser Papa, naja. Damals dachten Lehrer so." -?
Ich hoffe, Sie nicht mit meinen Fragen zu überfordern. Mir geht es nicht darum, Sie "abwatschen" zu wollen, Herr Witsch. ("abwatschen"= "ohrfeigen") Sie vertreten unser Bildungssystem. Eine Industrie, die ihre Liebschaft mit unserer neokolonialen, mörderischen Wirtschaft gern unter sehr dicken Laken verstecken möchte. Daher meine ich nicht Sie persönlich. Sondern das von Ihnen hier deutlich vertretene System, im Sinne Sartres: „Um die Menschen zu lieben, muß man sehr stark hassen, was sie unterdrückt.“
Es grüßt ein "65er". 1968 war ich drei Jahre alt.
Nu pogodi!
René L. Wolf